Kritiker staatlicher Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen berufen sich gerne auf Adam Smith und sein Werk „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations “. Sie sehen in Smith den Verfechter freier Marktwirtschaft, in der die Staatsaufgaben sich auf die Gewährleistung innerer und äußerer Sicherheit reduzieren. Diese Ansicht findet sich in zahlreichen modernen Lehrbüchern [vgl. Wille und Gläser 1977, S. 40, 45 f.].
Warum ist diese gängige Lehrbuchmeinung falsch? Um diese Frage zu klären, werden im ersten Kapitel Verbindungen zwischen Staat und Wirtschaft bei Smith untersucht. Dabei entsteht die Frage nach den Eigenschaften eines Gutes, die zu dessen fehlender Marktfähigkeit führen können. Die Antwort darauf wird im folgenden Kapitel gegeben. Die letzten Kapitel wenden schließlich die Erkenntnisse der vorangegangenen Abschnitte auf verschiedene Güter an, die Smith im „Wealth of Nations“ diskutiert. Es stellt sich heraus, dass Smith selbst für einige marktfähige Güter die Bereitstellung durch den Staat favorisiert. Dies stärkt die Widerlegung der These, Smith sei Vertreter des Laissez Faire gewesen.
Inhalt
Thema und Ziel dieser Arbeit
1. Verbindungen von Staat und Wirtschaft bei Smith
2. Spezielle Eigenschaften öffentlicher Güter
3. Von Smith diskutierte öffentliche Güter
3.1 Landesverteidigung
3.2 Justiz
4. Öffentliche Bereitstellung trotz Ausschließbarkeit
4.1 Verkehrswege
4.2 Bildung
Schlussbemerkungen
Literatur
Thema und Ziel dieser Arbeit
Kritiker staatlicher Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen berufen sich gerne auf Adam Smith und sein Werk „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations[1] “. Sie sehen in Smith den Verfechter freier Marktwirtschaft, in der die Staatsaufgaben sich auf die Gewährleistung innerer und äußerer Sicherheit reduzieren. Diese Ansicht findet sich in zahlreichen modernen Lehrbüchern[2] [vgl. Wille und Gläser 1977, S. 40, 45 f.].
Warum ist diese gängige Lehrbuchmeinung falsch? Um diese Frage zu klären, werden im ersten Kapitel Verbindungen zwischen Staat und Wirtschaft bei Smith untersucht. Dabei entsteht die Frage nach den Eigenschaften eines Gutes, die zu dessen fehlender Marktfähigkeit führen können. Die Antwort darauf wird im folgenden Kapitel gegeben. Die letzten Kapitel wenden schließlich die Erkenntnisse der vorangegangenen Abschnitte auf verschiedene Güter an, die Smith im „Wealth of Nations“ diskutiert. Es stellt sich heraus, dass Smith selbst für einige marktfähige Güter die Bereitstellung durch den Staat favorisiert. Dies stärkt die Widerlegung der These, Smith sei Vertreter des Laissez Faire gewesen.
1. Verbindungen von Staat und Wirtschaft bei Smith
Die Nichteinmischung des Staates in die Wirtschaft wird Laissez Faire genannt. In seiner reinen Form können privatwirtschaftliche Akteure völlig frei von Regulierungen und Einschränkungen agieren. Staatliche Instanzen greifen nicht in die Allokation von Ressourcen, Gütern und Volkseinkommen ein [vgl. Wille und Gläser 1976, S. 45]. Wille und Gläser merken an, dass diese Definition keine direkte Aussage über den Umfang des öffentlichen Sektors und der resultierenden gesamtwirtschaftlichen Allokation enthält. Sie argumentieren weiter, dass trotzdem aus dem Umfang des öffentlichen Sektors implizit eine Begrenzung des privaten Sektors entsteht. Staatliche Aktivität verbraucht Ressourcen, die der Privatwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen [vgl. Wille und Gläser 1977, S. 45]. Hier wird deutlich, dass die Aktivität des öffentlichen Sektors in jedem Fall indirekte Wirkungen auf den privaten Sektor ausübt, selbst wenn der Staat sich direkter Eingriffe enthält.
Smiths Kritik richtet sich nicht gegen Staatstätigkeit per se, sondern gegen übertriebene Staatsausgaben [vgl. Wille und Gläser 1977, S. 50] und falsche Markteingriffe, die aus der wirtschaftlichen Inkompetenz der Politiker herrühren [vgl. Trapp 1987, S. 308].
Im Gegenteil sieht Smith den Staat sogar als Voraussetzung für das Marktgeschehen. Der Staat soll die Rahmenbedingungen schaffen, die die Wirtschaftsindividuen brauchen, um selbsttätig wirtschaftlich aktiv werden zu können. Darüber hinaus greift er zusätzlich in das Wirtschaftsgeschehen ein, um das Leben der Gesellschaft zu gestalten [vgl. ebd., S. 310, 314 f., 329]. Dabei zieht Smith keine eindeutigen Grenzen für Umfang und Struktur der Staatsaufgaben [vgl. Wille und Gläser 1977, S. 47], was den Spielraum zur Gesellschaftsgestaltung weit öffnet.
Mit Blick auf die später noch diskutierten Forderungen Smiths nach staatlicher Bildung und staatlichen Verkehrswegen resümiert Tuchtfeldt sogar, Smith stehe der Infrastrukturpolitik des Merkantilismus viel näher, als es die scharfe Kritik an demselben vermuten lasse [vgl. Tuchtfeldt 1976, S. 35]. Viner stützt diese Behauptung mit einer Aufzählung Smiths merkantilistischer Forderungen: Exportrestriktionen für Mais, Steuern auf Wolle und ausländische Manufakturwaren, um den heimischen Produzenten Vorteile zu verschaffen [vgl. Viner 1927, S. 229]. Andererseits stellt er aber auch eine Liste negativ beurteilter Staatsaktivitäten zusammen. In dieser führt er unter anderem „Einschränkungen des freien Außenhandels“ auf [vgl. ebd., S. 218], was Exportrestriktionen und Steuern auf ausländische Produkte schließlich darstellen. Daher halte ich diese Behauptung Tuchtfeldts für nicht zutreffend. Merkantilistisch angehauchte Eingriffe mögen zwar von Smith vereinzelt vorgeschlagen werden, haben aber den Sinn, die Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, damit Märkte zustande kommen.
Smith nennt als Kriterium zur öffentlichen Bereitstellung die Tatsache, dass das Gewinnmaximierungsziel der Wirtschaftsindividuen bei manchen Gütern versagt. Obwohl ein gesellschaftlicher Vorteil vorhanden ist, gibt es keine Anreize für den Einzelnen, das Gut bereit zu stellen [vgl. WN, S. 612]. In einem solchen Fall führt die Verfolgung individueller Interessen nicht mehr zur Erreichung des sozialen Optimums. Daher muss der Staat eingreifen.
Bei der Erwägung staatlicher Bereitstellung müsse wiederum beachtet werden, dass staatliche Einrichtungen selbst mit ernsten Schwierigkeiten durch institutionelles Versagen konfrontiert sind, so Ostrom [vgl. Ostrom 1984, S. 135]. Die Entscheidungsträger der Politik seien Menschen, die wie jeder andere Mensch auch den Drang verspüren, sich das Leben so einfach wie möglich zu machen [vgl. ebd., S. 156]. Smith habe diese Anreizproblematik erkannt. Seine Analyse lasse sich daher zum einen in die positive Untersuchung der Wirkung von Institutionen (und ihrer Anreize), zum anderen in die normative Untersuchung ihrer Verbesserungsmöglichkeiten aufteilen [vgl. ebd. 1984, S. 139].
Wenn Ostrom mit institutionellem Versagen eine Situation meint, in der staatliche Institutionen es nicht erreichen, den Drang des Menschen zur Faulheit „unschädlich“ zu machen, dann hat er sicherlich Recht. Staatliche Eingriffe erreichen dann unter Umständen kein besseres Ergebnis, als der eingeschränkt funktionierende Markt. Daher sind Trapps und Viners Aussagen sinnvoll, Smith diskutiere die Zweckmäßigkeit von Staatseingriffen. Es gehe nicht darum, ob er etwas tun solle oder nicht, sondern was und warum [vgl. Trapp 1987, S. 323]. Dabei hänge es vom Einzelfall ab, ob der Staatseingriff erfolgreich ist oder nicht. Deshalb könne die Entscheidung auch nur im Einzelfall getroffen werden [vgl. Viner 1927, S. 220]. Smith führt solche Einzelfalluntersuchungen beispielsweise für Verkehrswege und Bildungseinrichtungen intensiv durch [siehe WN, S. 614 ff. und 646 ff.].
Staat und Wirtschaft stehen also über den gemeinsamen Zugriff auf Ressourcen, die Setzung von Rahmenbedingungen durch die Politik und gestaltende Eingriffe des Staates in die Wirtschaft in Beziehung. Eine Trennung von Staat und Wirtschaft ist folglich nicht möglich.
Gestaltende Eingriffe sind dann nötig, wenn das Ergebnis des Marktes nicht zur Maximierung des Allgemeinwohls, also dem sozialen Optimum, führt. In einem solchen Fall kann die staatliche Bereitstellung des Gutes sinnvoller sein, als die privatwirtschaftliche Produktion. Da der Staat mit institutionellen Problemen konfrontiert ist, hängt die Vorteilhaftigkeit staatlicher Bereitstellung vom Einzelfall ab. Um diese analysieren zu können, muss zuerst Klarheit über die Charakteristika der Güter geschaffen werden, bei denen die privatwirtschaftliche Bereitstellung versagt.
2. Spezielle Eigenschaften öffentlicher Güter
Bei Smith gibt es keine klare Definition öffentlicher Güter [vgl. Buchanan 1976, S. 272]. Es ist jedoch offensichtlich, dass er den Begriff weiter fasst, als es die moderne Theorie tut [vgl. West 1990, S. 86]. In der modernen Theorie öffentlicher Güter unterscheidet man vier verschiedene Arten von Gütern. Sie definieren sich über zwei Eigenschaften. Diese sind Ausschließbarkeit und Rivalität im Konsum. Ersteres meint die Möglichkeit, Individuen am Konsum eines Gutes zu hindern. Letzteres betrifft die Möglichkeit, dass mehrere Personen ein Gut konsumieren können, ohne den Nutzen der jeweils anderen Personen einzuschränken [vgl. Ostrom 1984, S. 136; West 1990, S. 85]. Tabelle 1 zeigt die resultierenden Möglichkeiten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Übersicht über die Begriffsdefinitionen der modernen Theorie öffentlicher Güter (Quelle: eigene Darstellung)
Der erste Fall ist der des privaten Gutes. Hier sind Rivalität und Ausschließbarkeit gegeben. Fehlende Ausschließbarkeit führt dazu, dass jedem Mitglied der Gesellschaft die Benutzung einer begrenzten Ressource möglich wird. Solche Güter heißen daher common pool -Ressource. Sind weder Ausschließbarkeit noch Rivalität gegeben, handelt es sich um ein öffentliches Gut. Ist hingegen Ausschluss möglich, aber es existiert keine Rivalität, liegt ein Klubgut vor. In der Literatur sind die verwendeten Begrifflichkeiten für Letztere verschieden. Verwendete Synonyme für Klubgüter sind „gebührenpflichtige Güter“ (z.B. Ostrom 1984, S. 136) und „meritorische Güter“ (z.B. Wille und Gläser 1977, S. 59).
Die fehlende Ausschließbarkeit bei öffentlichen Gütern führt zu externen Effekten. Das bedeutet, dass Kosten und Nutzen der Bereitstellung eines Gutes sich nicht mehr decken. Das sogenannte „Trittbrettfahrerverhalten“ führt dazu, dass Personen das Gut nutzen, ohne dafür zu zahlen. Der Anbieter orientiert sich aber an den Kosten, die ihm kompensiert, sprich bezahlt werden, wenn er über sein Angebot entscheidet. Die Nachfrage sieht er also in Form der Zahlungsbereitschaft der Individuen. Da in diesem Fall die Zahlungsbereitschaft der Individuen sehr niedrig oder sogar null ist, kommt es entweder in suboptimalen Mengen oder gar nicht zur privaten Bereitstellung des Gutes [vgl. Wille und Gläser 1977, S. 53]. Musgrave beschreibt das Auftreten von Externalitäten daher als Grenzen des Wirkungsbereichs der invisible hand [vgl. Musgrave 1976, S. 296].
Smith hat dieses Problem in der Formulierung seiner Allokationsbedingung deutlich gemacht:
„Die ... Aufgabe des Staates besteht darin, solche öffentlichen Anlagen und Einrichtungen aufzubauen und zu unterhalten, die, obwohl sie für ein großes Gemeinwesen höchst nützlich sind, ... niemals einen Ertrag abwerfen, der hoch genug für ... Privatpersonen sein könnte, um die anfallenden Kosten zu decken, weshalb man von ihnen nicht erwarten kann, dass sie diese Aufgabe übernehmen“ (WN, S. 612).
Der Unterschied zwischen Smiths Ansatz und der modernen Theorie der öffentlichen Güter besteht laut Wille und Gläser darin, dass er das Verhältnis zwischen der Nutzenverteilung und den sozialen Opportunitätskosten betrachtet. Er vergleicht also nicht die Nachfrage nach dem Gut mit dem Angebot, sondern die Verteilung der individuellen Belastung durch die Bereitstellung des Gutes mit der Verteilung des Nutzens [vgl. Wille und Gläser 1977, S. 53].
Ostrom sieht den Unterschied darin, dass Smith das Trittbrettfahrerproblem durch den größeren Spielraum, der der Gemeinschaft zum Ausschluss zur Verfügung steht, löse [vgl. Ostrom 1984, S. 153 ff.]. Das heißt, bei staatlicher Bereitstellung können Gebühren für etwas verlangt werden, von dem ein privater Anbieter niemanden ausschließen und entsprechend keinen Preis verlangen kann. Besondere Bedeutung bekommt diese Tatsache dadurch, dass Smith der verursachungsgerechten Verteilung der Kostenlast einen hohen Stellenwert beimisst. Wenn der Nutznießer das bereitgestellte Gut nur gegen Zahlung einer Gebühr bekommt, trägt er (bei einer entsprechenden Höhe der Gebühr) die Kosten für seinen Konsum. Die Verteilung der Kostenlast ist also verursachungsgerecht. Damit erreicht Smith eine Lastenverteilung, die der einer privaten Bereitstellung entspricht, da auf dem Markt ein Gut ebenfalls nur gegen Bezahlung konsumiert werden kann.
Ist die Erhebung einer direkten Nutzungsgebühr nicht möglich, verlangt Smith die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips [vgl. Wille und Gläser 1977, S. 56 f., S. 63; Ostrom 1984, S. 140]. Das bedeutet, dass die kleinstmögliche öffentliche Instanz, die die Nutznießer einschließt, für die Finanzierung aufkommt. Smith führt das Beispiel der Straßenbeleuchtung an: Die kleinstmögliche Instanz ist die Stadt, in der die Laterne steht. Die Nutznießer der Straßenbeleuchtung sind die Einwohner der Stadt. Da eine genauere Zuordnung des Nutzens nicht möglich ist, ist die verursachungsgerechteste Finanzierung die aus dem städtischen Etat [vgl. WN, S. 619].
[...]
[1] Im Weiteren nur noch „Wealth of Nations“ genannt und bei direkten Textverweisen WN abgekürzt.
[2] Eine Liste von Autoren, die diese Meinung vertreten, findet sich bei [Wille und Gläser 1977, S. 45, Fußnote 61].
- Arbeit zitieren
- Christopher Müller (Autor:in), 2004, Die Rolle öffentlicher Güter für das Verhältnis zwischen Markt und Staat bei Adam Smith, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/200928