Positionen in der Literaturdidaktik: Hermann Helmers


Seminararbeit, 2002

21 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Literarische Bildung und Literaturunterricht
2.1. Begriff: Literarische Bildung
2.2. Ziele der literarischen Bildung und des Literaturunterrichts
2.3. Aufgaben des Literaturunterrichts
2.4. Wissenschaftlichkeit der literarischen Bildung

3. Die Beschaffenheit der literarischen Bildung/des Literaturunterrichts
3.1. Das Lesebuch im Unterricht
3.3. Literarische Bildung und Literaturunterricht in der Sekundarstufe I
3.2.1. Bildungsstufe II (5.-7. Schuljahr)
3.2.1.1. Lyrik in der Bildungsstufe II
3.2.1.2. Epik in der Bildungsstufe II
3.2.1.3. Dramatik in der Bildungsstufe II
3.2.2. Bildungsstufe III (8.-10. Schuljahr)
3.2.2.1. Lyrik in der Bildungsstufe III
3.2.2.2. Epik in der Bildungsstufe III
3.2.2.3. Dramatik in der Bildungsstufe III

4. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit setzt sich mit der konzeptionellen Beschaffenheit der Didaktik der deutschen Literatur auseinander. Ausgangspunkt sind die frühen Entwürfe des Litera-turdidaktikers Hermann Helmers. Helmers war zwischen 1959 und 1961 als Lehrbeauftrag-ter für Deutsche Sprache und Methodik des Deutschunterrichts an der Pädagogischen Hochschule Oldenburg tätig. 1961 bis 1962 war er als Dozent für Deutsche Sprache und Methodik des Deutschunterrichts an der Pädagogischen Hochschule Göttingen beschäftigt. 1962 folgte er einem Ruf auf eine Professur für Allgemeine Didaktik zur Pädagogischen Hochschule Bonn. Seit 1964 lehrte er als Professor für Deutsche Sprache und Methodik an der Pädagogischen Hochschule Oldenburg. Im Mai 1987 verstarb Hermann Helmers.1 Seine Forschungen setzten vorwiegend im Anschluß an das auslaufende Zeitalter zwischen 1870 und 1966 ein. Dieses Zeitalter markierte für Helmers in literaturdidaktischer Hinsicht die „[...] Vorstufe der wissenschaftlichen Fachdidaktik [...]”2. Helmers formulierte in diesem Zusam-menhang: „Methodik des Deutschunterrichts bedeutet deshalb eine systematische Versammlung von re-zeptologisch zu verstehenden Hinweisen für die Praktizierung der Deutschlehrertätigkeit. Die Ebene wis-senschaftlicher Analyse wurde in diesen Methodiken [...] nicht erreicht [...]”3 Das Gedankengut von Helmers begleitete die Epoche der gesamtgesellschaftlichen Reformära nach 1966, die auch die Auseinandersetzung um die Gestaltung und Organisation der germanistischen Didaktik einleitete. Seine literaturdidaktischen Überlegungen müssen deshalb vor dem Hintergrund der derzeitigen Diskussion um die Wissenschaftlichkeit der germanistischen Didaktik gese-hen werden und in Beziehung zum damaligen Disput um die Form der neuen Gestalt dieser Disziplin gesetzt werden.

Aus diesem Kontext ergibt sich die zentrale Fragestellung dieser Arbeit: Wie sollte eine Literaturdidaktik der Sekundarstufe I konzipiert sein, die den Anspruch hegt, wissenschaftlich begründet zu sein? Im Zuge dieser Reflexion, stellt sich die Frage, welche curricularen Rahmenbedingungen eine solche Literaturdidaktik für den Deutschunterricht setzen sollte, um den Anforderungen einer Sprachgemeinschaft genüge zu tun?

Der Tod von Helmers bedingt, dass die aktuelle didaktische Diskussion über den Literatur unterricht nicht in vollem Umfang Eingang in diese Hausarbeit findet. Trotzdem bleiben die frühen Ideen und didaktischen Entwürfe von Hermann Helmers auch in der Gegenwart von hoher Bedeutung, da er einen Grundstein für die nachfolgenden Theorien des Literaturun- terrichts legte: „Eine systematische Entwicklung und Begründung der Aufgaben des Literaturunterrichts wird erst 1966 von Helmers vorgelegt.”4 So findet sich sein Name auch im Literaturverzeichnis vieler aktueller literaturdidaktischer Arbeiten. Daneben bleibt festzuhalten, dass das Standardwerk Didaktik der deutschen Sprache, bereits zu seinen Lebzeiten zu elf Auflagen gediehen, noch nach seinem Tode neu herausgebracht wurde.5

Da die literaturdidaktische Position von Hermann Helmers das Zentrum dieser Hausarbeit ausmacht, wählte ich vorwiegend Werke von Helmers selbst aus. Sein bedeutendstes Werk, Didaktik der deutschen Sprache, welches noch bis in die jüngste Vergangenheit zu den wichtigsten Schriften der germanistischen Didaktik gehörte, nimmt auch einen gewichtigen Anteil dieser Hausarbeit ein. Daneben fließen die Veröffentlichungen: Die Diskussion um das deutsche Lesebuch, Die vier Aufgaben des Literaturunterrichts und Literaturdidaktik als gesellschaftswissenschaftliche Disziplin als weitere wichtigere Veröffentlichungen in diese Arbeit ein. Einige persönliche Daten sind der Bibliographie Hermann Helmers ent-nommen. Für eine Einordnung der Schriften von Helmers in die aktuelle Forschungsland-schaft zog ich die Einf ü hrung in die Didaktik der deutschen Sprache und Literatur von Beisbart/Mahrenbach sowie den Aufsatz von Kaspar H. Spinner, Thesen zurästhetischen Bildung im Literaturunterricht heute und den Vortrag von Hans-Heino Ewers, Kinderlite-ratur, Literaturerwerb und literarische Bildung heran.

2. Literarische Bildung und Literaturunterricht

Im Anfangsteil dieser Hausarbeit steht die Skizzierung einer wissenschaftlich strukturierten germanistischen Didaktik im Kontext der Wirkungszeit von Hermann Helmers. Hierfür ist es von Nutzen, die Entwicklung des Begriffs der literarischen Bildung, wie Helmers ihn verstand, näher zu bestimmen und seine historische Entwicklung in Augenschein zu nehmen. Auf diese Weise können Tendenzen bis zur Wirkungszeit Helmers chronologisch nachgezeichnet werden und in Bezug zur Diskussion der sechziger, siebziger und achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gesetzt werden.

2.1. Begriff: Literarische Bildung

Ursprünge der literarischen Bildung stammen aus den Lateinschulen des Mittelalters. In dieser Zeit wurde literarische Bildung in erster Linie als rhetorische Ausbildung verstanden. Dabei ging es darum, die sprachlichen Muster antiker Dichter wie Cicero und Virgil einzu-üben. Dichtung wurde in erster Linie in den Dienst der Gestaltungslehre gestellt, wobei in-haltliche Aspekte hinter rhetorische Zielsetzungen zurücktraten. „Ziel der Lektüre sei und bleibe die Imitation der vorbildlichen Sprachform antiker Dichtung. Deren Inhalt sei unerhelblich.”6 Obwohl im 17. und 18. Jahrhundert das Latein als Bildungssprache durch das Deutsch ersetzt wurde, blieb im Deutschunterricht die antik-mittelalterliche Konzeption, die Dichtung allein als Muster der Sprachgestaltung auswies, vorherrschend. Da im Bereich der deutschen Dichtung Muster der Sprachgestaltung fehlten, musste ein Katalog der „[...] lieblichen Lau-tung [...]”7 geschaffen werden. Bis Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Werke von Canitz, Dach, Goethe, Günther, Fleming, Klopstock, Gellert, Gryphius, Opitz und Lohenstein aus-gewählt, da sie für stilistisch hochwertig erklärt wurden.8 Die Epoche der Aufklärung be-wirkte eine Aufhebung der an christlichen Werten ausgerichteten Geisteswelt. Die christ-lichen für die gesamte Lebensführung normierende Inhalte wurden durch die weltliche Weltanschauung ersetzt. Diese weltliche Moral wurde in Beispielgeschichten verdeutlicht.

Mit Einsetzen der Romantik erfolgte einer neuer Bruch für die Standortbestimmung der li terarischen Bildung: „Dichtung in ihrer Gesamtheit wurde als Faktor der Gesinnungsbildung aufgefaßt.”9 Im 19. Jahrhundert wurde diese Konzeption im Sinne einer umfassenden `Lebenshilfe´ ausgerichtet. Die literarische Bildung sollte primär gesinnungsstiftende Elemente für die Rezipienten von Dichtung bereitstellen. „Dichtung wurde als ein verschlüsselter Träger von Aussagen zur Lebensführung gesehen.”10 Allgemeine Erziehungsziele wie Tugend, Vaterlandsliebe und Gottesfurcht sollten durch die literarische Bildung vermittelt werden.11 Um 1900 löste die Kunsterhziehungsbewegung eine Befreiung der literarischen Bildung von der Morallehre aus. Literarische Bildung wurde fortan, abgekoppelt von moralischen Werten, allgemein literar-ästhetischen Erziehungsidealen zugeordnet.12

2.2. Ziele der literarischen Bildung und des muttersprachlichen Unterrichts

In Bezug auf die Auffassung literarische Bildung sei in erster Linie durch künstlerisch-po-etische Strukturen gekennzeichnet, leitet sich das wesentliche Ziel der literarischen Bildung ab. Für eine Analyse der Funktion der literarischen Bildung, wie Heman Helmers sie cha-rakterisierte, muss zunächst der Begriff Literatur, auf den sich die literarische Bildung un-mittelbar bezieht, nachgezeichnet werden: „Der Begriff Literatur meint die `Gesamtheit der schrift-lichen Äußerungen des menschlichen Geistes´.”13 Dabei unterscheidet Helmers zwischen Literatur im weiten Sinne und im engen Sinne. Literatur im engen Sinne umfasst die Dichtung und ihre Gattungen Lyrik, Epik und Dramatik. Literatur im weiten Sinne bezieht sich auf Schriftgut außerhalb der Dimension von Dichtung wie Zeitschriftenliteratur, Jugendlitera-tur oder etwa Sachliteratur. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich das Ziel der litera-rischen Bildung: „Das Ziel der literarischen Bildung ist das literarische Gebildetsein.”14, wobei derjenige literarisch gebildet ist, „[...] der den Bereich Literatur in sein geistiges Zuhause hineingenommen hat.”15 Literarische Bildung im engen Sinne erstreckt sich auf Literatur im engen Sinne, der Dichtung und literarische Bildung im weiten Sinne umspannt Literatur im weiten Sinne, den außerpoetischen Formen der Literatur. Letztendlich bezeichnet Helmers litera-rische Bildung im engen Sinne als „[...] Kern der literarischen Bildung.”16 Daraus resultieren die Zielsetzungen des muttersprachlichen Unterrichts: Die „[...] Hinführung zur Dichtung [...]”17 ist ein zentrales Element des Literaturunterrichts. Darüber hinaus soll in einem gesonderten Lernbereich des Deutschunterrichts, dem Aufsatzunterricht, eine Behandlung der außerpo-etischen Literatur erfolgen.18

2.3. Aufgaben des Literaturunterrichts

Da Helmers den Deutschunterricht `zweiteilt´, indem er die pragmatische, außerpoetische Literatur vom Litaraturunterricht trennt und ihr einen gesonderten Lernbereich innerhalb des muttersprachlichen Unterrichts, den Aufsatzunterricht, zuweist, folgt im weiteren eine Bestimmung der Aufgaben des `eigentlichen´ Literaturunterrichts. Helmers nennt vier grundlegende Aufgaben des Literaturunterrichts. Eine erste Aufgabe des Literaturunter-richts stellt sich wie folgt dar: „Der Literaturunterricht erschließt ästhetische Literatur.”19 Hier geht es vor allem um eine „[...] Hinführung zur ästhetischen Literatur.”20, das heißt um eine erste An-näherung an Dichtung beziehungsweise um ein erstes vertraut Machen mit Dichtung. Eine weitere Aufgabe des Literaturunterrichts liegt folgender Einschätzung zu Grunde: „Der Literaturunterricht vermittelt Einsicht in literarästhetische Strukturen.”21, womit eine „[...] differenzierte kognitive Erfassung der literaturästhetischen Strukturen [...]” gemeint ist.22 Dabei können entweder Literaturgattungen oder Literaturepochen ästhetische Strukuren darstellen, die es zu vermitteln gilt. Helmers spricht von „[...] Bewußtmachung der Strukturen.”23 Eine dritte Aufgabe des Literaturunterrichts lautet: „Der Literaturunterricht fördert das selbstständige und kritische Ver stehen literarästhetischer Texte.”24 Selbstständiges Verstehen heißt geistiges Erschließen von Dichtung. Kritisches Verstehen geht noch einen Schritt weiter: „Der Schüler muß auch imstande sein, die ihm aufgegebene Literatur zur werten.”25 Folglich kommt dem Literaturunterricht die Aufgabe zuteil, Kriterien der Wertung bereitzustellen und das Interrese der Schülerinnen und Schüler an Dichtung zu wecken. Dieses kann durch wertende Unterrichtsgespräche zu bestimmten Fernsehserien und kritischen Betrachtungen einzelner Texte der außerpo-etischen Literatur realisiert werden.26 Abschließend äußert Helmers eine vierte Aufgabe des Literaturunterrichts: „Der Literaturunterricht übt das Hören und das Lesen als Wege des Erschließens von Literatur”27 Diese Auffassung trägt der gesellschaftlichen Praxis, dass die Bevölkerung einen großen Anteil ihrer Freizeit audiovisuellen Medien widmen, Rechnung. Jugendliche und Erwachsene beschäftigen sich weitaus intensiver mit Fernsehen und Radio als mit Dichtung. Angesichts dieser Situation „[...] hat die Schule die Aufgabe, insbesondere das Hören äs-thetischer Sprache zu üben.”28, da ansonsten die gesellschaftliche Realität verfehlt würde.Aus-serdem benutzen auch Fernsehen und Rundfunk teilweise ästhetische Formelemente der Dichtung. Es gilt vom Zentrum der Dichtung her, die anderen Bereiche der Literatur für die Schülerinnen und Schüler verstehbar zu machen. Darüber hinaus gibt es im Literaturunter-richt vielfältige Möglichkeiten, neben dem Lesen auch das Hören als Weg des Literaturkon-sums einzubauen. Tonträger oder Videofilme können als Grundlage für die Interpretation herangezogen werden und das Einlesen eines literarischen Textes ergänzen.29 Summiert man, die von Helmers proklamierten Aufgaben des Literaturunterrichts, so ergibt sich, dass die Beschäftigung mit Dichtung für Helmers den Mittelpunkt des Literaturunterrichts aus-macht.

[...]


1 Bibliographie Hermann Helmers, S. 87

2 Helmers 1973, S. 94

3 Ebd., S. 93 f.

4 Beisbart/Mahrenbach 1997, S. 53

5 vgl.dazu Helmers, Hermann: Didaktik der deutschen Sprache. Einführung in die muttersprachliche und literarische Bildung. Dokumentation und Neuausgabe hrsg. von Juliane Eckhardt und Jörg Dieknette. Hg. v. Julianne Eckhardt. 12. Aufl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997

6 Helmers 1966b, S. 310

7 Herlitz, Hans-Georg: Der Lektüre-Kanon des Deutschunterrichts im Gymnasium. Heidelberg 1964. S. 32 zit. n. Helmers 1966b

8 Helmers 1966b, S. 310f.

9 ebd., S. 312

10 ebd.

11 vgl. ebd.

12 vgl. ebd., S. 313f.

13 ebd., S. 256

14 ebd.

15 ebd.

16 ebd.

17 ebd.

18 vgl. Helmers 1970, S. 77

19 ebd.

20 ebd.

21 ebd., S. 81

22 ebd.

23 ebd., S. 82

24 ebd., S. 83

25 ebd., S. 84

26 vgl. ebd.

27 ebd., S. 85

28 ebd.

29 vgl. ebd., S. 85f.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Positionen in der Literaturdidaktik: Hermann Helmers
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Germanistik)
Autor
Jahr
2002
Seiten
21
Katalognummer
V20134
ISBN (eBook)
9783638241045
ISBN (Buch)
9783638759151
Dateigröße
500 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Positionen, Literaturdidaktik, Hermann, Helmers
Arbeit zitieren
Carsten Becker (Autor:in), 2002, Positionen in der Literaturdidaktik: Hermann Helmers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20134

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