„Julius von Tarent“ – Zum Wesen des Tragischen in Leisewitz‘ Drama


Hausarbeit, 2012

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Das Tragische
2.1 Diskussionsgrundlage über den Begriff
2.2 Was macht nun die Tragödie zur Tragödie?
2.2.1 Was kann nicht tragisch sein?
2.2.2 Die sechs aristotelischen Schlüsselbegriffe
2.3 Die deutsche Tragödie und der Sturm und Drang

3 ÄJulius von Tarent“ - tragisch?
3.1 Ein Werk des Sturm und Drang
3.2 Der besondere Untergang des Julius als Voraussetzung
3.3 Nachweis der formalen Strukturmomente

4 Abschlussbetrachtung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

ÄMich halten? Guidon von Tarent? (Er ersticht Julius.)“1. Als ich an dieser Stelle bei der Erstrezeption des Textes war, fühlte ich mich regelrecht über- fahren. Bis dahin war immer nur die ‚Rede‘ von Taten, von Liebe hier, Ehre dort. Bei näherer Betrachtung konnte ich dann das Unausweichliche nach- vollziehen und bereits erahnen, was kurz darauf mit Guido geschehen würde.

Doch genügt ein subjektives Empfinden der Unausweichlichkeit einer Situa- tion, um von einer tragischen Situation zu sprechen? Ich hatte das Gefühl, dass alles zu glatt sei, zu durchgeplant, eine geradezu makellos konstruierte Dramenhandlung. Nun ist aber das Gefühl ein eher sekundär zu betrachten- des literaturwissenschaftliches Instrument, um bestimmte Thematiken und Problematiken an einem Text nachzuvollziehen. Mit der Hilfe von Hans- Dieter Gelfert2, dessen Ansichten zur Tragödie ich überwiegend teile, ver- suche ich im Folgenden zunächst das Kennzeichnende des Tragischen zu umreißen, um im zweiten Teil den tragischen Charakter des Leisewitzschen Dramas ÄJulius von Tarent“ anhand der vorher skizzierten Erkenntnisse hervorzustellen.

2 Das Tragische

2.1 Diskussionsgrundlage über den Begriff

Wer sich als Literaturwissenschaftler die Frage nach dem Tragischen stellt, gelangt unwillkürlich zu Peter Szondi und seinem ÄVersuch über das Tragi- sche“3. Er erkannte, dass das Phänomen des Tragischen eine deutsche The- matik der Philosophie ist, dass fast ausschließlich deutsche Philosophen über dessen Ursprünge und Wirkungen reflektierten. Der Erste in dieser Reihe war Friedrich Wilhelm Schelling, doch der in meinen Augen Aufschlussreichste war Friedrich Hegel. Er war es auch, der als Erster den Begriff des Tragischen zur interpretativen Erklärung der Tragödie benutzte. So sieht Hegel Dialektik und Tragik als identisch an, folglich lässt sich die eine mit der anderen explizieren. Dass Hegel seine Dialektik mit der Religion, genauer dem Christentum und dem Judentum, erklärt, soll uns hier nicht weiter beeinflussen, da zum einen Religion ein prägendes Moment der Menschheitsgeschichte darstellt und zum anderen die Attitüden des Religiö- sen sich auch auf Begrifflichkeiten wie Moral und Ethik übertragen lassen. In der Beschäftigung mit der Entstehung der Dialektik erkannte Hegel, dass der Kern dieses Phänomens in der Sache selbst liegt, Ä[b]estimmt […] durch die starre Entgegensetzung von Menschlichem und Göttlichem, von Beson- derem und Allgemeinem, von Leben und Gesetz, zwischen denen keine Versöhnung möglich ist.“ (PS, S. 22). Der Ursprung der Tragödie liegt also im Göttlichen, welches man in die Welt und das Handeln des Einzelnen projizieren muss, und somit - wie oben angedeutet - zu der Erkenntnis ge- langen kann, darin schlicht und einfach das Sittliche zu begreifen. Da das Sittliche jedoch auf die Realität und damit auf die Realität des Individuums angewandt werden muss, entsteht eine für jeden einzelnen Charakter diffe- renzierte Sittlichkeit. Weil diese Charaktere aber in einem Drama gemäß ihrer Bestimmung handeln müssen, greift jeder für sich ein Pathos auf, wel- ches wiederum ein Gegenpathos enthält - wir erkennen hier bereits die be- rühmte Hegelsche Dialektik aus These und Antithese - und gegen sich auf- bringt. Will man nun das Tragische benennen, so sieht man, dass, wenn bei- de Parteien aufeinandertreffen, jede aus ihrer Sicht die Berechtigung hat, jedoch inhärent lediglich die andere Partei negieren und verletzen will, was wiederum die Sittlichkeit aufbringt, welche nicht gewahrt werden kann und beide sozusagen gleichzeitig schuldig werden, womit die Dialektik der Sitt- lichkeit und damit einhergehend das Tragische begründet wären. (PS, S. 24 f.)

Nun schreibt Gelfert, ÄDialektik [sei] ein sehr elastischer Begriff, der sich bis zur völligen Sinnentleerung dehnen [lasse]“ (HDG, S. 11), doch bezieht er sich dabei vor allem auf Szondi, der wohlgemerkt aus zwölf Philosophien des Tragischen und der Dialektik das Gemeinsame herausstellen wollte, ein Vorhaben, welches idealistischer kaum sein könnte. Betrachten wir die Dialektik also im Sinne Hegels, so kann man durchaus einen Konsens finden,um das Tragische als wahrscheinlich allen Tragödien gemeines Strukturmoment zu identifizieren.

2.2 Was macht nun die Tragödie zur Tragödie?

Zur Beantwortung dieser im wissenschaftlichen Diskurs zentralen Frage wurde im vorangehenden Kapitel eine rein begriffliche Grundlage gelegt. Stellt man nun die Beziehung zu unserem Sujet her, lassen sich Einschrän- kungen machen: Es handelt sich immer um den Untergang eines Menschen, sei dieser nun physischer oder - selten - psychischer Natur. Im Allgemeinen führt diese Art von Drama demzufolge in einen Tod. Die weiterführende Frage wäre also: Was macht den Untergang eines Menschen zu einem tragi- schen?

2.2.1 Was kann nicht tragisch sein?

Hans-Dieter Gelfert stellte hierzu neun ÄSiebe“ (HDG, S. 12 f.) auf, die als Ausschlussverfahren für Todesarten bzw. -ursachen dienen sollen, welche als nicht tragisch einzuschätzen sind. Zum besseren Verständnis, insbeson- dere des nachfolgenden Teils über Leisewitz‘ ÄJulius von Tarent“, und um eine begriffliche Basis zu schaffen, möchte ich diese im Folgenden kurz vorstellen:

Nicht tragisch ist der Tod durch Altersschwäche (1). Er ist Bestandteil des Lebens und würde jedem früher oder später wiederfahren. Auch Tod durch Krankheit (2), selbst wenn der Held noch jung ist oder selbst die Schuld an seiner Krankheit trägt, zählt nicht dazu. Sollte ein Mensch durch einen sinn- losen Zufall (3) ums Leben kommen, so betrachtet man das vielleicht im Alltagsverständnis des heute inflationär gebrauchten Wortes als tragisch, jedoch nicht Ä[…] unter gebildeten Lesern […]“, wie Gelfert schreibt. Ebenso wenig Protagonist einer Tragödie kann derjenige sein, der durch einen Irrtum (4) zu Tode kommt. Selbst der sogenannte Heldentod (5) kann nicht als tragisch betrachtet werden, wenn der Held durch seine Aufgabe zufällig verunglückt oder getötet wird. Ist der Tod verdient und fungiert als Strafe (6) für ein begangenes Verbrechen bei wohlgemerkt eindeutiger Ge- setzeslage (Gegenbeispiel: Sophokles‘ ÄAntigone“), so macht es dieses Op- fer genauso wenig zum Helden einer Tragödie wie jenes Opfer, das gezielt in den Selbstmord (7) geht, da ein Suizid meist das Meiden von Schlimme- rem bedeutet. Ist er jedoch die Konsequenz eines Fehlers, etwa in der eige- nen Sicht oder auch im Schuldvermögen, so kann er durchaus tragische Zü- ge annehmen, wie bei Shakespeares“ Romeo und Julia“. Stirbt der Held als Märtyrer (8), ist es ganz und gar unmöglich, von einem tragischen Tod zu sprechen, da dieser unter der Flagge der Religion steht und als solcher etwas Positives, gar einen Sieg darstellt und als admirabel gilt, ebenso wie für den- jenigen, der sich für einen anderen opfert. Das letzte Sieb filtert den Fall heraus, dass der Held im Zweikampf (9) gegen einen ÄBösen“ zu Tode kommt. Im umgekehrten Fall wäre es gerechtfertigt und damit ebenso wenig tragisch. Je mehr jedoch eine äquivalente sittliche Rechtfertigung beider Parteien besteht, desto mehr kann man die Situation als tragisch verstehen. ÄIm Fall der völligen Gleichberechtigung beider Positionen hätten wir es wie im Falle konkurrierender Rechtsnormen mit einem tragischen Konflikt zu tun, sofern der Kampf unvermeidlich ist.“ (HDG, S. 14)

Sind diese (Un-)Möglichkeiten nun ausgesiebt, bleibt nicht mehr viel übrig, was man als tragisch bezeichnen kann. Das Scheitern des Helden sollte Ä[…] unnatürlich, nicht zufällig, ungewollt, selbstverschuldet und moralisch nicht völlig verdient“ sein (HDG, S. 14). Mit anderen Worten: Sein Untergang spielt sich zwischen den Extremen ab. Er unternimmt alles gegen die Niederlage und kann doch nichts dagegen tun. Er ist schuldig und auch wieder nicht. Diese Schuld liegt bei keiner und bei jeder Partei. Was hier wie ein Paradoxon klingt, ist jedoch die oben erwähnte äquivalente Verteilung von moralischer Rechtfertigung und Schuldigkeit.

2.2.2 Die sechs aristotelischen Schlüsselbegriffe

Wir haben also geklärt, was überhaupt als tragisch begriffen wird und somit Gegenstand einer Tragödie sein kann. Doch um etwas Tragisches als Tragö- die zu verstehen, bedarf es auch einer spezifischen Form, welche bereits Aristoteles in der Antike beschrieben hat und deren Wesen immer noch Gül- tigkeit besitzt. Aus seiner ÄPoetik“ haben sich vor allem sechs Begriffe in der Tragödientheorie durchgesetzt, die eben jenen dramaturgischen Aufbau näher charakterisieren und somit zur Beantwortung unserer Leitfrage beitragen.

[...]


1 Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Ein Trauerspiel. Hrsg. v. Werner Keller. Stuttgart 2006, S. 57; im Folgenden zitiert als JT.

2 Gelfert, Hans-Dieter: Die Tragödie. Theorie und Geschichte. Göttingen 1995; im Folgenden zitiert als HDG.

3 Szondi, Peter: Versuch über das Tragische. Frankfurt am Main 21964; im Folgenden zi- tiert als PS.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
„Julius von Tarent“ – Zum Wesen des Tragischen in Leisewitz‘ Drama
Hochschule
Universität Leipzig  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Seminar: Tragödie: Gattung, Konzepte, Philosophie
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
16
Katalognummer
V201433
ISBN (eBook)
9783656273257
ISBN (Buch)
9783656274520
Dateigröße
650 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
julius, tarent, wesen, tragischen, leisewitz‘, drama
Arbeit zitieren
Willy Schlegel (Autor:in), 2012, „Julius von Tarent“ – Zum Wesen des Tragischen in Leisewitz‘ Drama, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201433

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