Die deutsche Sozialdemokratie errang zwischen 1890 und 1914 Wahlerfolg auf Wahlerfolg und steigerte stetig ihre Mitgliederzahlen. Diese Zuwächse konnte sie allerdings nur selten direkt in politische Erfolge umsetzen, da die Eliten im Kaiserreich sie von der Teilhabe an der Macht fern hielten.
Doch gab es Unterschiede im Reich. Während es in Preußen mit seinem Dreiklassenwahlrecht kaum Möglichkeiten gab, ernsthaften Einfluss über den Landtag auszuüben, war das Potential in den süddeutschen Landtagen erheblich höher. Nach dem Auslaufen der Sozialistengesetze 1890 formierte sich daher vor allem in den süddeutschen Parteigliederungen eine Strömung, die den parlamentarischen Kampf um Reformen aufwerten wollte, um bereits im bestehenden System Verbesserungen durchzusetzen.
Bis zum Ersten Weltkrieg stießen diese Bestrebungen auf erheblichen Widerstand seitens der Mehrheit der Gesamtpartei. Diese Mehrheit lehnte es ab mit den gegnerischen Parteien oder den herrschenden Eliten Kompromisse auszuhandeln. Nicht kleine Reformschritte sollten Zweck der Partei sein, sondern die Vorbereitung der Massen auf den großen Zusammenbruch des Klassenstaates, auf den „großen Kladderadatsch“ wie August Bebel es formulierte.
Diese taktischen Gegensätze führten zu einer Reihe grundsätzlicher Auseinandersetzungen. Kaum ein Streit wurde allerdings so häufig auf Parteitagen geführt wie der um die Budgetabstimmungen in den süddeutschen Landtagen.
Im Folgenden werden die Parteitagsdebatten um die Budgetbewilligungen nachgezeichnet, um an ihnen exemplarisch darzulegen, dass das einende Selbstverständnis der deutschen Sozialdemokratie spätestens ab 1900 zunehmend in Frage gestellt wurde und sich die Partei in einer unlösbaren Krise befand. Dafür werde ich zunächst die Stellung der Sozialdemokratie im deutschen Kaiserreich theoretisch anhand der Krisenkonzeption von Rudolf Vierhaus reflektieren, die er für das 19. Jahrhundert, insbesondere für das deutsche Kaiserreich entwickelt hat. Anschließend werde ich die Debatten auf den Gesamtparteitagen der Sozial-demokratie nachzeichnen, die immer dann erfolgten, wenn in einem süddeutschen Landtag eine sozialdemokratische Fraktion dem Gesamtbudget zustimmte. In der Regel folgten diesen als Skandal empfundenen Budgetbewilligungen auch heftige Debatten in den Parteiorganen. Diese ebenfalls auszuwerten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Wo das Verständnis es verlangt, wird auf sie Bezug genommen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Krise des Kaiserreiches und das sozialdemokratische Selbstverständnis
- Von Frankfurt nach Lübeck - Die Parteitage 1894 und 1901
- Budgetbewilligungen in Baden, Bayern und Württemberg und der Nürnberger Parteitag von 1908
- Badische Budgetbewilligung von 1910 und der Magdeburger Parteitag
- Fazit
- Literatur und Quellenverzeichnis
- Quellenverzeichnis
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie zwischen 1890 und 1914, einer Zeit geprägt von Wahlerfolgen und gleichzeitig politischer Ohnmacht. Die Arbeit untersucht die innerparteilichen Konflikte, die durch die Budgetbewilligungen in den süddeutschen Landtagen ausgelöst wurden, und zeigt auf, wie diese Auseinandersetzungen das Selbstverständnis der Partei in Frage stellten.
- Das Spannungsfeld zwischen revolutionärem Marxismus und Reformismus
- Die Rolle der Budgetbewilligungen als Katalysator innerparteilicher Konflikte
- Die Bedeutung der Parteitagsbeschlüsse für die Einheit und die Disziplin der Partei
- Die unterschiedlichen politischen Kulturen in Preußen und Süddeutschland
- Die Krise des deutschen Kaiserreiches und ihre Auswirkungen auf die Sozialdemokratie
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die deutsche Sozialdemokratie in den Jahren zwischen 1890 und 1914 als eine Organisation vor, die gleichzeitig erfolgreich und ohnmächtig war. Sie beschreibt die Spannungen zwischen der systemoppositionellen Ausrichtung der Partei und dem Wunsch nach Einflussnahme auf die Politik des Kaiserreiches.
Das zweite Kapitel analysiert die Krise des "preußisch-deutschen Regierungssystems" nach Rudolf Vierhaus und zeigt auf, wie die Sozialdemokratie mit zunehmender Industrialisierung Deutschlands zur Organisation und zum Banner derjenigen wurde, die sich subjektiv und objektiv ausgegrenzt fühlten. Die Identifikation mit der Sozialdemokratie war für Millionen Arbeiter gleichbedeutend mit der Ablehnung der politischen und ökonomischen Institutionen des Kaiserreiches. Die systemoppositionelle Grundhaltung der Partei führte zu einer Parteitaktik, die nur selten eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen Parteien oder staatlichen Institutionen erlaubte.
Das dritte Kapitel rekonstruiert die Parteitagsdebatten um die Budgetbewilligungen in den Landtagen von Baden und Bayern, die bereits 1894 zu einem Streit in der Partei führten. Die Debatte auf dem Lübecker Parteitag 1901 führte zur Verabschiedung der "Lübecker Resolution", die die Budgetbewilligung als Ausnahmefall definierte und die Zustimmung zum Gesamtbudget nur in bestimmten Fällen erlaubte.
Das vierte Kapitel beleuchtet die weiteren Budgetbewilligungen in Baden, Bayern und Württemberg und die damit verbundenen Debatten auf den Parteitagen in Dresden (1903) und Nürnberg (1908). Die Debatte in Nürnberg führte zur Verabschiedung einer Resolution, die die Budgetbewilligung als unvereinbar mit den Beschlüssen von Lübeck und Dresden erklärte. Die süddeutschen Delegierten wurden zunehmend in die Defensive gedrängt und dem Vorwurf des Disziplinbruches ausgesetzt.
Das fünfte Kapitel schildert die badische Budgetbewilligung von 1910 und die darauf folgende Debatte auf dem Magdeburger Parteitag. Die Budgetbewilligung wurde als schwerer Disziplinbruch gewertet und führte zu einer Eskalation der innerparteilichen Konflikte. Die Mehrheit der Partei verabschiedete eine Resolution, die die Badener Abgeordneten scharf missbilligte. Die Debatte endete mit einer kompromisslosen Durchsetzung des Standpunktes der Mehrheit und markierte das Ende der Budgetbewilligungsdebatten in der Vorkriegssozialdemokratie.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die deutsche Sozialdemokratie, das Kaiserreich, die Budgetbewilligungen, der Klassenstaat, der Parlamentarismus, die Lübecker Resolution, der Nürnberger Parteitag, der Magdeburger Parteitag, der Reformismus, der revolutionäre Marxismus, die Parteidisziplin und die Einheit der Partei. Die Arbeit untersucht die inneren Konflikte der Sozialdemokratie im Spannungsfeld zwischen revolutionärem Marxismus und Reformismus, die durch die Budgetbewilligungen in den süddeutschen Landtagen ausgelöst wurden. Die Arbeit beleuchtet die Bedeutung der Parteitagsbeschlüsse für die Einheit und die Disziplin der Partei sowie die unterschiedlichen politischen Kulturen in Preußen und Süddeutschland.
- Quote paper
- Andreas Wiedermann (Author), 2012, Die Budgetbewilligungsdebatten in der Vorkriegssozialdemokratie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201486
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