Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition Code-Switching
2.1. Die Problematik der klaren Definition des Begriffs
2.2. Code-Switching im Blickpunkt der linguistischen Forschung
2.3. Abgrenzung zu anderen Sprachkontaktphänomenen
2.3.1. Code-Mixing
2.3.2. Interferenz
2.3.3. Pidgin
2.3.4. Entlehnung
3. Soziolinguistische Betrachtung
3.1. Situationsabhängiges Code-Switching
3.2. Situationsunabhängiges Code-Switching
4. Code-Switching im deutschen Sprachgebrauch
4.1. Mehrsprachigkeit der Bevölkerung
4.1.1. Geschichtlicher Exkurs und die heutige Situation
4.1.2. Vorstellen der Fallstudien
4.2. Beispiele
4.2.1. Regional begrenztes Code-Switching: Walscheid
4.2.2. Bundesweiter deutsch-türkischer Sprachgebrauch
5. Zusammenfassung
Bibliographie
Anhang
1. Einleitung
Sprachkontakt ist keine neue Besonderheit unserer Zeit, wohl aber ein Aspekt der deutschen “multi-kulti“ Gesellschaft, der zunehmend an Bedeutung gewinnt. Schätzungsweise wächst die Hälfte aller Menschen auf der Welt zweisprachig auf. Spätestens seit der Migration von Gastarbeitern sollte sich auch Deutschland mit der Erscheinung der Bilingualität beschäftigen. Code-Switching[1] stellt dabei ein besonderes Sprachkontaktphänomen dar. In der vorliegenden Arbeit soll die Verwendung des Code-Switching im deutschen Sprachraum untersucht werden. Neben der Analyse der Syntax und der Struktur des Sprachwechsels, stehen auch Art, Motive und Funktion im Vordergrund. Dabei ist eine Definition und Abgrenzung des Begriffs Code-Switching vorweg unabdingbar, da leider kein Konsens in der Forschung besteht. Ich habe mich hier auf die Ausführungen von Banaz und Biegel beschränkt, da sich die Argumentation beider überwiegend deckt und in sich schlüssig wirkt. Desweiteren wurden bestehende Definitionen und Aspekte der Forschung bereits einbezogen. Um auch die soziolinguistische Perspektive nicht außer Acht zu lassen, gehe ich im dritten Kapitel auf situationsabhängiges, sowie situationsunabhängiges Code-Switching ein. Im vierten und wichtigsten Kapitel dieser Arbeit soll die konkrete Verwendung von Sprachwechsel im deutschen Sprachraum thematisiert werden. Auch hier habe ich die Untersuchung auf die zwei Fallstudien von Banaz und Biegel begrenzt, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben, aber einen guten Einblick in die Thematik geben. An Beispielen, die primär auf grammatischer Ebene untersucht werden sollen, kann der Sprachgebrauch verdeutlicht werden. Ich habe mich ganz bewusst für die Formulierung „Das Sprachkontaktphänomen Code-Switching im deutschen Sprachraum“ entschieden, da die Fallstudie Biegels die Region Lothringen (heute Frankreich) behandelt, jedoch primär auf den dortigen Dialekt eingeht, der dem Deutschen sehr ähnelt.
Am Schluss meiner Betrachtung fasse ich die gemachten Beobachtungen zusammen.
Letztlich möchte ich in diesem Zusammenhang noch auf die Verwendung der Begriffe Code-Switching und Sprachwechsel hinweisen. In der vorliegenden Arbeit werden beide Begriffe synonym verwendet. Code-Mixing ist dagegen ein anderes Sprachkontaktphänomen und wird in 2.3 ausführlich definiert.
2. Definition Code-Switching
2.1 Die Problematik der klaren Definition des Begriffes
Zwar umfasst die Sprachkontaktforschung schon ein halbes Jahrhundert, die einheitliche Definition einzelner Begriffe ist bis heute aber nicht erfolgt. Schon bei der Schreibung des Begriffes Code-Switching (Code-switching, Codeswitching, Code Switching usw.) wird deutlich, dass eine Übereinstimmung bislang fehlt. Über die sehr allgemeine Definition, dass Code-Switching „die wahlweise Verwendung zweier Sprachen von Seiten eines Sprechers innerhalb einer Konversation“ ist, sind sich grundsätzlich alle Linguisten einig. (Banaz, 2002: 65) Die Art, Funktion und vor allem, welche Beschränkungen herrschen werden jedoch differenziert betrachtet.
Um grundsätzlich formale Arten des Code-Switching zu unterscheiden, führte Poplack drei neue Begriffe ein: ‘Intersentential Code-Switching‘, was den Wechsel zwischen zwei Sätzen bezeichnet, ‘intrasentential Code-Switching‘ bei dem innerhalb des Satzes gewechselt wird, sowie das Wechseln am Anfang eines Satzes, dass als ‘emblematic switching‘ betitelt wird. (Vgl. Biegel, 1996: 9) Letzteres ist vornehmlich auf Interjektionen, Füllwörter und idiomatische Wendungen bezogen. (Siehe dazu Banaz (2002: 66))
Somit ist Code-Switching die Fähigkeit eines multilingualen Sprechers, während einer Konversation die gerade benutzte Sprache (Matrix Language) mit einer anderen Sprache (Embedded Language) zu vermischen.[2] Dies erfolgt bewusst oder unbewusst auf der Grundlage verschiedenster „linguistischer und extralinguistischer Auslösemechanismen“ und kann für eine unbestimmte Zeitspanne aufrecht erhalten werden. (Siehe dazu Biegel (1996: 8)) Die Klassifizierung aus der Perspektive der Soziolinguistik ist seit 1972, dank Gumperz, weitgehend festgelegt. Dabei wird zwischen ‘metaphorical‘ und ‘situational Code-Switching‘ unterschieden: ‘Metaphorical Code-Switching‘ wird innerhalb einer Sprechsituation eingesetzt und hängt maßgeblich mit bestimmten Themen oder Gegenständen zusammen, es findet jedoch keine Veränderung der sozialen Situation statt. Dagegen wird ‘situational Code-Switching‘ vor allem durch situative Faktoren bedingt. (Siehe dazu Biegel (1996: 11) Beide Begriffe werden im 3.Kapitel gesondert behandelt.
2.2 Code-Switching im Blickpunkt der linguistischen Forschung
Wird davon ausgegangen, dass Code-Switching ein Phänomen unserer modernen Gesellschaft und eine Folge von Globalisierung ist, so ist diese Annahme nicht korrekt. Schon Martin Luther verwendete eine Art Codewechsel bei seinen lateinischen Tischreden, in dem er währenddessen auf Deutsch schimpfte und fluchte. Doch erst in den 60-er Jahren des 20.Jahrhunderts wurde das Phänomen erstmals Gegenstand der Sprachkontaktforschung. Als Pionier dieser Forschung kann gewiss der deutsch-amerikanische Soziolinguist John J. Gumperz angeführt werden. Er verfasste 1964 erstmals einen Artikel über die besondere Funktion von Code-Switching. Nach eingehenden Untersuchungen bewies er, dass bilinguale Interaktionen keineswegs unabhängig von sozialen Einflüssen oder ethnografischen Faktoren zu betrachten sind. 1972 präsentierte er erstmals eine Einteilung des Code-Switching in ‘metaphorical Code-Switching‘[3] und ‘situational Code-Switching‘.[4] Forscher der Linguistik kritisierten diese Dichotomie, da Motive und Umstände für einen Wechsel unklar blieben, trotzdem gilt die Klassifizierung bis heute als anerkannt. (Vgl. Biegel, 1996: 10f.)
In der Nachfolge von Gumperz basierten die Untersuchungen vor allem auf extralinguistischen Faktoren, gleichzeitig entwickelte sich aber auch eine Forschung, die den syntaktischen Gesetzmäßigkeiten nachging und so auf sprachtypologischer Ebene das Phänomen Sprachwechsel analysierte. Ab den 1980-er Jahren stand insbesondere die Frage nach grammatischen-syntaktischen Regeln, sog. ‘formal and functional constraints‘, im Zentrum der Wissenschaft. Dafür wurden zahlreiche Modelle entwickelt, die die Möglichkeiten eines Wechsels innerhalb eines Satzes und die dazugehörigen Beschränkungen aufdecken sollten. In erster Linie sind ‘The Equivalence of Structure Constraint‘, ‘The Size-of-Constituent Constraint’, ‘The Free Morpheme Constraint’ und das ‘The Matrix Language Frame Model’ zu nennen.[5] (Siehe dazu Biegel (1996: 12-22)) Auch hier gibt es Befürworter und Gegner derartiger Modelle. Kritisiert wird vorrangig, dass psychische und soziale Faktoren der einzelnen Sprachgemeinschaften nicht berücksichtigt werden. (Banaz, 2002: 86)
Da ich diese Ansicht teile und die einzelnen Modelle nicht das gesamte Code-Switching-Konzept realisieren, werde auch ich in der vorliegenden Arbeit keines dieser favorisieren.
2.3 Abgrenzung zu anderen Sprachkontaktphänomenen
2.3.1 Code-Mixing
Wie auch die Definitionen des Code-Switching unterscheidet sich die terminologische Auslegung von Code-Mixing maßgeblich.[6] Vor allem hier ist die klare Abgrenzung zu Code-Switching nicht erkennbar, da die Begriffe in der Vergangenheit der Forschung bisweilen synonym verwendet wurden. Seit einiger Zeit aber, werden beide Begriffe getrennt betrachtet, da mit ihnen unterschiedliche (psycho-) linguistische Anforderungen beschrieben werden. (Vgl. Biegel, 1996: 42)
Code-Mixing geht, wie auch Code-Switching, von der Voraussetzung der Bilingualität aus. Innerhalb einer Kommunikation kann der Sprecher in einem Satz den Code wechseln. Der situative Kontext, das Thema, sowie der Gesprächspartner bleiben weitgehend konstant. Zwar können unterschiedliche sprachliche Einheiten, die verschiedenen grammatischen Regelsystemen angehören, gewechselt werden, die Syntax der Matrixsprache darf dabei aber nicht verletzt werden. Die syntaktische Kategorie der sprachlichen Einheit ist dabei überwiegend frei, jedoch werden einige syntaktische Kategorien häufiger genutzt als andere (Siehe dazu Biegel (1996: 43)). Dazu schrieb Sridhar: „In general, except for single words especially nouns, the higher the constituency of the element, the more likely it is to be mixed: thus, conjoined sentences, main clauses, subordinate clauses including relative clauses, major constituents such as noun phrases, verb phrases, and prepositional phrases are among the most frequently mixed elements. Among single words nouns outrank all others in frequency of mixing, followed by adjectives, adverbs, and verbs. Grammatical items such as articles, quantifiers, auxiliaries, prepositions, and clitics are least likely to be mixed by themselves.” (Sridhar, S.N./Sridhar K., 1980: 4).
Die Häufigkeit der gegenseitigen Beeinflussung beider Sprachen ist größtenteils von der Dominanz des Codes, sowie dem Prestige abhängig. Dabei erfolgt Code-Mixing nicht etwa zufällig, sondern, ebenso wie Code-Switching, ganz systematisch. Dies impliziert, dass ganz bestimmte Regeln vorhanden sein müssen, die der Sprecher korrekt beherrschen muss, damit eine gelungene Kommunikation stattfinden kann. (Siehe dazu Biegel (1996: 42f.))
2.3.2 Interferenz
In der Angewandten Linguistik wird Interferenz als fehlerhafte Abweichung der Norm beschrieben. Auch als Sprachkontaktphänomen kann von einer Art Störung gesprochen werden. Es werden diejenigen Erscheinungen als Normabweichungen der einen wie der anderen Sprache bezeichnet, die in der Kommunikation von bilingualen Sprechern als Resultat ihrer Vertrautheit mit mehr als einer Sprache bzw. des Sprachkontaktes vorkommen (Vgl. Biegel, 1996: 46).
Voraussetzung für Interferenz sind mindestens zwei Codes, die vom Sprecher unterschiedlich beherrscht werden. Eine Sprache wird vollständig beherrscht, die die L1-Sprache (Mutter- bzw. Erstsprache) darstellt. Die andere Sprache wird nur fragmentarisch, als L2-Sprache (Fremd-/Zweitsprache), beherrscht. Demnach werden Merkmale in der L2-Rede, die bei L2-Muttersprachlern nicht vorkommen und auf die Struktur der L1 zurückzuführen sind als Interferenzen bezeichnet (Vgl. Engerer, 1996: 78). Dabei spielt eine Reihe von Faktoren eine Rolle, die sowohl sprachinterner Art, als auch individueller Natur sein können. Beispielsweise wird Interferenz durch die subjektive Ähnlichkeit zweier Sprachen ausgelöst. Gleichzeitig können aber auch psychische Auslösemechanismen, wie mangelhafte L2-Kompetenz, Sprachnot, Müdigkeit oder mangelnde Konzentration des Sprechers zu Interferenz führen. Die Konsequenz ist die falsche Identifizierung von L1-Elementen mit L2-Elementen. Es besteht eine ungewollte und unbewusste Projektion muttersprachlicher Strukturen auf die L2-Sprache, sodass zwei Strukturen gleichzeitig in einem Segment in der Rede realisiert werden (z.B. L2-Wörter in L1-Syntax) (Siehe dazu Biegel (1996: 47) und Engerer (1996: 78)). Parallel dazu besteht aber auch eine wichtige helfende Funktion. Zweisprachige können in „Sprachnot“ auf Sprachmuster der anderen Sprache zurückgreifen, um sich detaillierter auszudrücken, komplexe Strukturen zu vereinfachen oder eventuelle Lücken zu füllen. Häufig tritt Interferenz in Situationen auf, in denen mindestens zwei Sprachgruppen miteinander in Kontakt stehen und wo der Gebrauch der Sprachen von der Situation und Art der kommunikativen Interaktion bestimmt wird. Findet ein ständiger Wechsel zwischen den Sprachen statt, begünstigt dies die Übernahme von Strukturen aus anderen Sprachsystemen. (Siehe dazu Biegel (1996: 46f.))
[...]
[1] Code-Switching = CS
[2] Im Folgenden: ‘Matrix Language‘ wird ML abgekürzt; EL ist die Abkürzung für ‘Embedded Language‘
[3] Später plädierte Gumperz auf die Umbenennung von ‘metaphorical‘ zu ‘conversational Code-Switching‘. Ich bleibe bei ‘metaphorical Code-Switching‘, da dieser Begriff auch heute in der Forschung der geläufigere ist.
[4] Eine genaue Definition befindet sich in 2.1
[5] Es würde schlichtweg den Rahmen sprengen auf die einzelnen Modelle einzugehen.
[6] Ich wähle hier ganz bewusst eine allgemein gehaltene Definition, die hauptsächlich den Unterschied zu Code-Switching beinhalten soll.