1887 verfasste Gerhard Hauptmann sein Werk „Bahnwärter Thiel“. Ein Jahr darauf erschien es in der Zeitschrift „Die Gesellschaft“. Er nannte es eine novellistische Studie, da sie zwar zur naturalistischen Prosa gehört, aber dennoch enorme Unterschiede zu „Papa Hamlet“ von Arno Holz und Johannes Schlaf aufweist, welches als strenge naturalistische Prosa konzipiert war. Somit distanziert sich Hauptmann bewusst ein Stück weit von der klassischen Formbindung, ohne ihr jedoch vollständig den Rücken zu kehren.
Das Ende des 19. Jahrhunderts ist geprägt von Imperialismus, Industrialisierung, einer dadurch aufkommenden Verstädterung und eine wiederum daraus resultierende Verarmung des Proletariats und des Kleinbürgertums. Diese sozialen und gesellschaftlichen Missstände greifen die Naturalisten auf und machen sie zum Gegenstand ihrer Literatur. Auch Gerhart Hauptman folgt dieser Entwicklung, verzichtet aber in Bahnwärter Thiel auf sonst gängige Themen wie der Gesellschaftskritik und der Vererbungslehre weitestgehend. Naturalistisch ist zweifellos seine genaue Beschreibung des kleinbürgerlichen Milieus mit fehlendem Intellekt, der Problematik der sexuellen Hörigkeit und dem Wahn, dem sein Protagonist verfällt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Frauenfiguren in Bahnwärter Thiel
2.1 Die Frauenfiguren
2.2 Ihr Verhältnis zu Thiel
2.3 Die zwei Sphären
2.4 Die Welten treffen aufeinander
3. Schluss
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1887 verfasste Gerhard Hauptmann sein Werk „Bahnwärter Thiel“. Ein Jahr darauf erschien es in der Zeitschrift „Die Gesellschaft“. Er nannte es eine novellistische Studie, da sie zwar zur naturalistischen Prosa gehört, aber dennoch enorme Unterschiede zu „Papa Hamlet“ von Arno Holz und Johannes Schlaf aufweist, welches als strenge naturalistische Prosa konzipiert war. Somit distanziert sich Hauptmann bewusst ein Stück weit von der klassischen Formbindung, ohne ihr jedoch vollständig den Rücken zu kehren.[1]
Das Ende des 19. Jahrhunderts ist geprägt von Imperialismus, Industrialisierung, einer dadurch aufkommenden Verstädterung und eine wiederum daraus resultierende Verarmung des Proletariats und des Kleinbürgertums. Diese sozialen und gesellschaftlichen Missstände greifen die Naturalisten auf und machen sie zum Gegenstand ihrer Literatur. Auch Gerhart Hauptman folgt dieser Entwicklung, verzichtet aber in Bahnwärter Thiel auf sonst gängige Themen wie der Gesellschaftskritik und der Vererbungslehre weitestgehend. Naturalistisch ist zweifellos seine genaue Beschreibung des kleinbürgerlichen Milieus mit fehlendem Intellekt, der Problematik der sexuellen Hörigkeit und dem Wahn, dem sein Protagonist verfällt.[2]
In dieser Seminararbeit möchte ich nun die Frauenfiguren des Werkes genauer untersuchen. Denn sie nehmen eine sehr wichtige Rolle im Verlauf der Handlung ein und bestimmen Thiels Denken und Sein. Deshalb werde ich zunächst genauer auf ihr Wesen eingehen, um dann in einem weiteren Schritt ihren Einfluss auf den Bahnwärter genauer darzulegen. Welche Stellung nehmen sie jeweils in Thiels Leben ein und welche Rolle spielen sie bei seinem langsamen aber sicheren Weg in den psychischen Irrsinn.
2. Die Frauenfiguren in Bahnwärter Thiel
2.1 Die Frauenfiguren
Minna war die erste Frau von Bahnwärter Thiel. Sie lebten zusammen in Schön-Schornstein, einer Kolonie an der Spree. Sie sind erst zwei Jahre lang verheiratet gewesen, als sie tragischer weise bei der Geburt ihres ersten Sohnes Tobias ums Leben kam. Minna wird anfangs nur skizzenmäßig beschrieben und es wird auch nicht detaillierter auf sie eingegangen. Sie wird als junge, zarte Frau mit einem hohlwangigen und feinen Gesicht beschrieben. Auf die übrigen Dorfbewohner machte sie einen schmächtigen, nahezu kränklichen Eindruck, der durch ihren Mann, der ein herkulisches Erscheinungsbild abgibt, noch zusätzlich verstärkt wurde.[3]
Es vergeht nicht einmal ein Jahr, bis Thiel erneut heiratet. Dies hat seiner Aussage nach ausschließlich rationale Gründe. Er benötigt dringend eine Ersatzmutter für den kleinen Tobias, da er ansonsten befürchtet, dass der schwächliche Junge zu Grunde gehen könnte. Seine zweite Wahl, die Ehefrau betreffend, fällt auf Lene. Sie ist eine ehemalige Kuhmagd und stammt aus einem Nachbarsort namens Alte-Grund. Lene ist das komplette Gegenstück zu seiner ersten Gattin. Sie wird als starke und dralle Frau in die Handlung eingeführt, die schnell das Zepter in der kleinen Familie in die Hand nimmt. Mit ihren holzschnittartigen Konturen, groben Gesichtszügen und ihrer Größe sowie Beleibtheit, passt sie rein optisch gesehen wesentlich besser zum Bahnwärter als ihre Vorgängerin. Zudem führt sie den Haushalt mustergültig und ist eine fleißige Arbeiterin. Diese Unermüdlichkeit in der Arbeit nimmt im Zusammenhang mit ihrer körperlichen Erscheinung nahezu animalische Formen an. So wird sie von anderen Ehemännern aus dem Dorf, welche schon Mitleid mit dem Wärter haben, auch als „Tier" oder das „Mensch" bezeichnet.[4] Ein schönes Beispiel für ihren unermüdlichen Arbeitseifer finden wir bei der Bestellung des Ackers, den Thiel geschenkt bekommen hat, wieder:
Nachdem die Frau hastig eine dicke Brotkante verzehrt hatte, warf sie Tuch und Jacke fort und begann zu graben, mit der Geschwindigkeit und Ausdauer einer Maschine.[5]
Diese Eigenschaften haben für den Familienvater bei der Brautwahl wahrscheinlich bewusst eine entscheidende Rolle gespielt. Allerdings wird er auch im Nachhinein feststellen müssen, dass die negativen Aspekte von Lene überwiegen. Sie ist leicht erregbar, was oft in vulgären Beschimpfungen endet. Zudem wird sie als hart, herrschsüchtig, zankhaft und brutal leidenschaftlich beschrieben und wirkt egoistisch und emotional unterkühlt.[6] Sie wird den Haushalt meistern, in ihrer Rolle als Ersatzmutter für Tobias jedoch kläglich scheitern. Erst nach dem Unglück, bei dem Tobias um sein Leben kommt, lässt sich eine Veränderung bei ihr feststellen. Sie legt ihren Trotz ab und wirkt zunehmend hilflos. Sie versucht sich noch hingebungsvoll um Thiel zu kümmern, ehe dieser endgültig dem Wahnsinn verfällt.[7]
[...]
[1] Vgl. Martini, Fritz: Das Wagnis der Sprache. Interpretation deutscher Prosa von Nietzsche bis Benn. 6. Aufl. Stuttgart: Ernst Klett Verlag 1970. S.59.
[2] Vgl. Wiese, Benno von: Die Deutsche Novelle. Von Goethe bis Kafka. Düsseldorf: August Bagel Verlag 1956. S. 268-269.
[3] Vgl. Hauptmann, Gerhart: Bahnwärter Thiel. Novellistische Studie. Husum/Nordsee: Hamburger Lesehefte Verlag 2005. S. 5-7.
[4] Vgl. ebd.
[5] Ebd., S. 22.
[6] Vgl. Hauptmann, G.: Bahnwärter Thiel. S. 6-7.
[7] Vgl. ebd., S. 30-31.
- Quote paper
- Anonymous,, 2011, Die Frauenfiguren in Bahnwärter Thiel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201631
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