Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
0 Einleitung
1 Formen der Spannungserzeugung
1.1 Gestaltungsmittel der Spannungserzeugung
1.2 Mystery
1.3 Surprise
1.4 Suspense
2 Lucky Number Slevin
2.1 Allgemeines zum Film
2.2 Handlung des Films
2.3 Die Figur Goodkat
3 Analyse
3.1 Kurze Beschreibung des Verlaufsprotokolls
3.2 Spannungsanalyse anhand der Figur Goodkat
4 Zusammenfassung
5 Literaturangaben
0 Einleitung
„So uneinig sich Filmemacher untereinander über die Kriterien ihres Metiers auch sein mögen, in einer Hinsicht herrscht im Stillen doch Einhelligkeit: Ein Film muß spannend sein, sonst taugt er nichts.“ (Wuss 1993)
Ich beginne meine Hausarbeit zum Thema „Lucky Number Slevin – Suspense, Surprise, Mystery“ mit diesem Zitat, weil es eindrücklich zeigt, wie wichtig Spannung für einen Film und dessen Beurteilung ist. Auf Spannung im Film kann, gerade in der heutigen Zeit, nicht mehr verzichtet werden – sie ist sozusagen „das Salz in der filmischen Suppe“[1] . Nicht nur Horrorfilme oder Thriller, deren Rezeption eng mit dem Spannungserleben verbunden wird, sind ein Garant für Spannung. Eher ist es so, „dass Spannung ein universelles Prinzip ist, welches in den verschiedensten Filmgenres zur Anwendung kommen kann“[2] . Auch Liebesdramen oder Fantasy–Filme sparen nicht an spannenden Momenten und ziehen den Zuschauer in ihren Bann. Doch wovon genau hängt nun Spannung ab? Wie wird sie erzeugt und was macht sie so unverzichtbar für die Filmwelt?
Die Beantwortung dieser Fragen soll einen großen Teil meiner Arbeit ausmachen, da sie zum einen die Grundlage für die folgende Analyse am Beispiel der Figur Goodkat darstellt und zum anderen zum besseren Verständnis dieser beiträgt.
Deshalb soll zunächst geklärt werden, welche Möglichkeiten es bei der Spannungskonstruktion gibt und welche Mittel die Filmemacher zu diesem Zweck – nämlich zur Erzeugung von Spannung – verwenden (Vgl. Kapitel 1.1). Dabei soll deutlich werden, welche Rolle der Rezipient bei eben dieser Spannungserzeugung spielt und wie wichtig es ist, welche und vor allem wie viele Informationen der Zuschauer durch den Film erhält. Denn je mehr der Film mit dem Wissen des Publikums spielt, desto spannender erscheint er dem Rezipienten. Ein Beispiel für diese Theorie gibt Alfred Hitchcock, der „Master of Suspense“, in seiner viel zitierten Anekdote über die Bombe unter dem Tisch[3] , die ich in den späteren Abschnitten über Suspense und Surprise noch näher erläutern werde. Im Interview mit François Truffaut erklärt er den Unterschied zwischen Surprise und Suspense, zwei wichtigen Formen der Spannungserzeugung.
Im Verlauf der Arbeit sollen nicht nur diese genauer betrachtet und voneinander abgegrenzt werden, sondern auch die dazugehörige dritte Form der Spannungserzeugung – die des Mystery (Vgl. Kapitel 1.2 bis 1.4).
Die Untersuchung dieser drei Spannungstypen erfolgt dann am Beispiel des Filmes Lucky Number Slevin, der in Kapitel 2 zunächst einmal kurz vorgestellt werden soll. Dabei werde ich die Handlung des Filmes zusammenfassen und daraufhin insbesondere näher auf die Figur Goodkat eingehen, da die Informationsvergabe im Film in entscheidendem Maße von ihm abhängig ist. Seine Rolle für die Spannungserzeugung soll in der folgenden Analyse (Vgl. Kapitel 3) herausgearbeitet werden. Dabei werden in diesem Teil meiner Arbeit auch die vorher definierten Spannungsformen Suspense, Surprise und Mystery mit der Handlung und der Figur verknüpft.
Der Fokus dieser Arbeit liegt nicht ausschließlich darin, die Begriffe Suspense, Surprise und Mystery zu charakterisieren und zu erklären. Dieser Aufgabe hat sich schon eine Vielzahl von Theoretikern gewidmet. Viel mehr möchte ich versuchen, die Anwendung dieser Spannungsformen im Film zu verdeutlichen, wofür es natürlich unumgänglich ist, sie vorher zu definieren. Zusätzlich sollen dabei sowohl Rezeptionsprozesse, als auch inhaltliche und dramaturgische Elemente betrachtet werden, die für die Spannungserzeugung von enormer Bedeutung sind.
1 Formen der Spannungserzeugung
1.1 Gestaltungsmittel der Spannungserzeugung
An der Entstehung von Spannungsmomenten sind die unterschiedlichsten Gestaltungsmittel beteiligt. Grob lassen sich diese in drei Gruppen unterteilen[4] – wie bereits in der Einleitung erwähnt in Rezeptionsprozesse, sowie inhaltliche und dramaturgische Elemente. Eine differenziertere Unterscheidung nach Jenzowsky und Wulff[5] , die ich im Folgenden näher betrachten möchte, umfasst die Aktivitäten des Rezipienten, die Charakteristika des Werkes selbst und die Eigenschaften der Verbindung zwischen Erzähler und Zuschauer.
Mit den Aktivitäten des Rezipienten werden jene Gestaltungsmittel betrachtet, die vom Publikum abhängig sind. Dazu gehört beispielsweise das Spiel mit den Erwartungen, die der Rezipient mitbringt und die er im Vorfeld an den Film stellt. Diese können im Laufe des Filmes erfüllt oder nicht erfüllt werden, es können während der Rezeption immer wieder neue Erwartungen geschürt werden. In diese Kategorie zählt auch die Neugierde, die mit den Erwartungen des Rezipienten verbunden ist und vor allem Aufmerksamkeit erregen soll. Dabei „denken Zuschauer während der Rezeption von Filmen ständig über die gegebenen Informationen hinaus, stellen auf deren Basis Schlussfolgerungen an und entwerfen Hypothesen über das, was folgen könnte.“ (Anker 2010) Der Zuschauer wird sich also fragen: Wie geht es weiter? Was wird wohl als Nächstes auf mich zukommen?
Die Konstruktion der erwarteten Handlung ist ständig in Bewegung, wenn der Zuschauer während des Filmes weitere Informationen erhält. So „entstehen auch Erwartungen
hinsichtlich zukünftiger Ereignisse bzw. Ereignisausgänge.“ (Anker)
Eine weitere, wichtige Einflussgröße ist die Beziehung zwischen dem Zuschauer und dem Protagonisten, die eng mit den Aspekten Sympathie und Mitgefühl verknüpft ist. Ist ein Protagonist sympathisch, gönnen wir ihm Erfolg, leiden mit, wenn er Misserfolg erlebt und fürchten mit ihm, wenn er in Gefahr steckt[6] . Meist wirkt eine Figur sympathisch, weil ihre guten Eigenschaften in den Vordergrund gestellt werden. Doch das allein ist nicht ausschlaggebend, denn „auch andere Faktoren wie der persönliche Geschmack und die Vorlieben des Rezipienten, die Vertrautheit mit der Figur, dessen Beziehung zu anderen Figuren, individuelle Eigenheiten wie ihr Humor“ (Anker 2010) und ähnliches spielen dabei eine Rolle. Im speziellen Fall der Gefahr, die unserem sympathischen Protagonisten droht, hat zusätzlich das Angstempfinden eine große Bedeutung. Verspürt der Rezipient Angst, steigert sich die Spannung und lässt erst wieder nach, wenn sich die Angst verflüchtigt. Auch „Prozesse der Identifikation bilden zuweilen einen Ausgangspunkt“ (Wulff 1993), der ausschlaggebend für die Spannungserzeugung ist. Identifiziert sich der Zuschauer mit den Protagonisten, fühlt er sich als Teil des Geschehens, was ihm eine ganz andere Form des Erlebens von Spannung ermöglicht.
Zudem kann das Moralsystem eines Filmes (Vgl. Carroll 1984) ebenfalls Spannung hervorrufen. Dieses Mittel wird besonders häufig in Mafiafilmen eingesetzt.
Weicht die Moral von unserer alltäglichen Auffassung ab, müssen wir als Zuschauer abwägen, ob wir bereit sind, Brutalität oder Kriminalität als moralisch nicht verwerflich zu akzeptieren.
„Ein kritischer Fall ist in dieser Beschreibung die Gefährdung von sympathischen Protagonisten, die unmoralische Ziele verfolgen (wie in manchen Gaunerkomödien).“ (Jenzowski/Wulff 1996)
Ein solcher Fall ist auch Lucky Number Slevin, weil man durchaus Sympathie für den Protagonisten empfindet, dem zwischenzeitlich von mehreren Seiten Gefahr droht, man aber am Ende nicht mehr weiß, ob man sein Handeln gutheißen kann. Hier findet also eine Kombination der beiden vorgenannten Aspekte statt.
Oftmals haben Elemente des Spannungserlebens, die das Werk und dessen Charakteristika betreffen – also die Machart des Filmes – eine hohe Relevanz. Hier ist vor allem der Einsatz von dramaturgischen Prozessen, wie Zeitdehnungen und Verzögerungen[7] und verschiedener bildgestalterischen Mittel, wie das Zeigen von Teilausschnitten, zu nennen. Bekanntes Beispiel ist das Verwenden von typischen Motiven, beispielsweise die „klassischen narrativen Motive[n] wie „Rettung in letzter Minute“ oder „Flucht/ Verfolgungsjagd““ (Jenzowski/Wulff 1996). Die Betrachtung der Beziehung von Erzähler und Rezipient, welche die dritte Gruppe der Gestaltungsmittel ausmacht, geht davon aus, dass sich die Erzählweisen eines Filmes über die Jahre hinweg verändern und sich der Film mehr oder weniger seinem Publikum angepasst hat, indem hier von einem aktiven Rezipienten ausgegangen wird, der sich seine Filme bewusst auswählt und bereit ist, sich auf das Geschehen einzulassen.
Alle diese Gestaltungsmittel zur Spannungserzeugung sind in entscheidendem Maße abhängig von der Informationsvergabe. Dabei wird die Dramaturgie des Films gesteigert, wenn eine Diskrepanz zwischen den verschiedenen Informationsständen vorherrscht, wie bei der Informationsvorenthaltung, also dem geringeren Wissen des Zuschauers gegenüber den Figuren im Film, oder dem Mehrwissen, bei dem der Zuschauer bereits über den weiteren Verlauf der Handlung informiert ist – im Gegensatz zu den Protagonisten[8] . Allerdings kann das Wissen auch durch die Pointenstruktur vermittelt werden, wobei das Mehrwissen des Rezipienten nur als solches getarnt ist[9] .
Wird dem Zuschauer an einer bestimmten Stelle eines Filmes ein Sachverhalt vermittelt, der sich in der Fortsetzung durch weitere Informationen als falsch erweist, ist er einer „falschen Fährte“ gefolgt und muss nun versuchen, den Sachverhalt neu zu interpretieren. Andererseits kann dem Zuschauer die Desinformation auch von vornherein bewusst sein – oder bewusst impliziert worden sein. In solchen Fällen steht der Zuschauende vor einem Rätsel, ihm ist bewusst, dass ihm Elemente zum Verständnis der Zusammenhänge fehlen. Im Laufe des Filmes werden ihm dann weitere Informationen zur Verfügung gestellt, sodass er quasi in das Geschehen involviert ist und nach und nach das Rätsel lösen kann.
Folgt man der Einteilung, die Lothar Mikos[10] in seiner Film- und Fernsehanalyse in Anlehnung an Edward Branigan vornimmt, erhält man drei Spannungsformen, die sich über den Aspekt der Informationsvergabe definieren und voneinander unterscheiden lassen: Suspense, Surprise und Mystery. In der Regel finden sich in einem Film alle drei Formen in verschiedenen Kombinationen[11] , sodass – mit Hilfe der oben beschriebenen Gestaltungsmittel – ein Geflecht entsteht. Die Erzählung wird somit verdichtet „und die Zuschauer, die sich darauf einlassen, können sich ihr kaum noch entziehen.“ (Mikos 2008) Ein solches Geflecht ist durch die gezielte Informationsvergabe auch insofern möglich, als dass der Film einen erzählerischen Rahmen erhält. Dem Zuschauer werden zu Beginn Verweise auf das Ende und am Ende wieder Rückverweise auf den Anfang gezeigt. Ein ähnliches Mittel sind Rückblenden, die eine Dramatisierung der Handlung zur Folge haben, vor allem dann, wenn ein Geheimnis im Mittelpunkt des Geschehens steht. Sowohl die Rückblenden, als auch der erzählerische Rahmen sind in Lucky Number Slevin von Bedeutung, wozu ich später in der Analyse allerdings noch ausführlich komme.
[...]
[1] http://www.mojoba.de/blog/stimmung/spannende-filme
[2] Anker, Andreas 2010. Das Spannungserlebnis: Elemente narrativer Spannungserzeugung im Spielfilm. (S. 6)
[3] Truffaut, François 2009. Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht?
[4] Vgl. hierzu: Wulff, Hans J. 1993. Spannungsanalyse
[5] Vgl. Jenzowski, Stefan/Wulff, Hans J. 1996. Suspense-/Spannungsforschung des Films.
[6] Eine Zusammenfassung dieses Aspektes, die den Einfluss gut erklärt, stammt von Andreas Anker: „Somit macht Zillmann das Spannungserleben an Situationen fest, in denen Figuren, die vom Rezipienten gemocht werden, von negativen Ausgängen bedroht sind, wobei aufgrund der ihnen entgegengebrachten Sympathie eben ein guter Ausgang gewünscht wird und der Rezipient mit dementsprechender Besorgnis reagiert.“
[7] Vgl. Wulff, Hans J. 1993, Spannungsanalyse. In: Montage AV
[8] Vgl. hierzu: Gräf, Dennis; Großmann, Stephanie; Klimczak, Peter; Krah, Hans; Wagner, Marietheres 2011. Filmsemiotik: Eine Einführung in die Analyse audiovisueller Formate.
[9] Vgl. Ebd.
[10] Vgl. Mikos, Lothar 2008. Film- und Fersehanalyse.
[11] Vgl. Ebd.