Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
I. Einleitung
II. Der Zeugenbeweis innerhalb der Strafprozessordnung
1. Der Begriff des Zeugen und die Zeugnisfähigkeit
2. Gegenstand einer Zeugenaussage
3. Verfahrensbeteiligte als Zeugen
a) Der Beschuldigte und Mitbeschuldigte als Zeuge
aa) Formeller Mitbeschuldigtenbegriff
bb) Materieller Mitbeschuldigtenbegriff
cc) Formell-materieller Mitbeschuldigtenbegriff
b) Der Richter als Zeuge
c) Der Staatsanwalt als Zeuge
aa) Ausschluss des Zeugenstaatsanwalts
bb) Ausnahmen vom Sitzungsausschluss
d) Der Verteidiger als Zeuge
e) Ermittelnde Polizeibeamte als Zeugen
f) Sonstige Prozessbeteiligte als Zeugen
4. Pflichten des Zeugen
a) Die Erscheinenspflicht
b) Die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage
c) Die Eidespflicht
d) Nebenpflichten
5. Rechte und Schutz des Zeugen
a) Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte
aa) Zeugnisverweigerungsrechte
aaa) Uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht
bbb) Eingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht
ccc) Bedingtes Zeugnisverweigerungsrecht
bb) Auskunftsverweigerungsrecht
b) Schutz des Zeugen
III. Der Beweiswert und die Zuverlässigkeit des Zeugenbeweises..
1. Aussagepsychologie
a) Historie
b) Methodik
c) Hypothesenbildung
d) Kompetenzanalyse
aa) Aussagekompetenz von Kindern und Jugendlichen
bb) Aussagekompetenz von Erwachsenen
e) Inhaltsanalyse
aa) Logische Konsistenz
bb) Quantitativer Detailreichtum
cc) Qualitativer Detailreichtum
dd) Motivationsbezogene Inhalte
aaa) Spontane Verbesserung
bbb) Zugeben von Erinnerungslücken
ccc) Selbstbezichtigungen
ddd) Entlastung des Beschuldigten
ee) Spezielle Inhalte
ff) Deliktsspezifische Inhalte
gg) Phantasiesignale
hh) Schwächen der Inhaltsanalyse
f) Konstanzanalyse
g) Motivationsanalyse
aa) Geltungsbedürfnis und Gruppensolidarität
bb) Rache
cc) Notsituationen
h) Symptome der Aussagesituation
2. Fehlerquellen bei irrtümlich falschen Zeugenaussagen
a) Wahrnehmungsprobleme
aa) Erwartung aufgrund vorheriger Erfahrung
bb) Erwartung aufgrund Vorurteils
cc) Erwartung aufgrund besonderer Motivation
dd) Konformitätsdruck
b) Erinnerungsprobleme
c) Übermittlungs- bzw. Wiedergabeprobleme
aa) Übermittlungsprobleme durch den Zeugen
bb) Wiedergabeprobleme durch den Protokollierenden
cc) Vernehmungsfehler
3. Statistik
4. Exkurs: Innovative Verhörmethoden
IV. Fazit
Literaturverzeichnis:
Allport, Gordon W. Die Natur des Vorurteils; Köln 1971.
Arntzen, Friedrich Vernehmungspsychologie - Psychologie der
Zeugenvernehmung; 3. Auflage, München 2008.
Arntzen, Friedrich Psychologie der Zeugenaussage, System der
Glaubhaftigkeitsmerkmale; 5. Auflage, München 2011.
Banscherus, Jürgen Polizeiliche Vernehmung: Formen, Verhalten,
Protokollierung – eine empirische Untersuchung aus
kommunikationswissenschaftlicher Sicht; BKA-
Forschungsreihe, Band 7, Wiesbaden 1977.
Barton, Stephan Fragwürdigkeit des Zeugenbeweises; in: Redlich aber
falsch, Schriftenreihe Deutsche Strafverteidiger e.V.,
Band 8, hsg. von Stephan Barton, Baden-Baden 1995,
S. 23 – 63.
Baumbach, Adolf/ Zivilprozessordnung; 69. Auflage, München 2011
Lauterbach, Wolfgang/ (zitiert als: Baumbach/Lauterbach/Bearbeiter).
Albers, Jan/
Hartmann, Peter
Bender, Rolf Der Irrtum ist der größte Feind der Wahrheitsfindung vor
Gericht; StV 1984, S. 484 – 486.
Bender, Rolf/ Tatsachenfeststellung vor Gericht;
Nack, Armin/ 3. Auflage, München 2007.
Treuer,Wolf-Dieter
Beulke, Werner Strafprozessrecht; 11. Auflage, Heidelberg 2010.
Brause, Hans Peter Zum Zeugenbeweis in der Rechtsprechung des BGH;
NStZ 2007, S. 505 – 512.
DePauldo, Bella M./ The Motivational Impairment Effect in the
Kirkendol, Susan E. Communication of Deception; in: Credibility
Assessment, Behavioural and Social Sciences, Band 47, hsg. von John C. Yuille, Dordrecht 1989, S. 51 – 70.
DePaulo, Bella M./ Cues to Deception; Psychological Bulletin 2003,
Lindsay, James L./ S. 74 – 118 (zitiert als: DePaulo et al.).
Malone, Brian/
Muhlenbruck, Laura/
Charlton, Kelly/
Cooper, Harris
Dose, Norbert Der Sitzungsvertreter und der Wirtschaftsreferent der
Staatsanwaltschaft als Zeuge in der Hauptverhandlung;
NJW 1978, S. 349 – 354.
Eisenberg, Ulrich Vernehmung und Aussage (insbesondere) im
Strafverfahren aus empirischer Sicht; JZ 1984,
S. 912 – 918.
Eisenberg, Ulrich Beweisrecht der StPO; 7. Auflage, München 2011.
Erb, Volker/ Die Strafprozeßordnung und das
Esser, Robert/ Gerichtsverfassungsgesetz (§§ 48 – 93); Band 2,
Franke, Ulrike/ 26. Auflage, Berlin 2008 (zitiert als: LR- Bearbeiter).
Graalmann-Scheerer, Kirsten/
Hilger, Hans/
Ignor, Alexander
Fastie, Friesa Opferschutz im Strafverfahren; 2. Auflage, Opladen
2008.
Fischer, Johann Die polizeiliche Vernehmung; Schriftenreihe des
Bundeskriminalamtes Wiesbaden, Wiesbaden 1975.
Folkers, Susanne Fehlerquellen bei Zeugenvernehmungen; in: Die
Erhebung von Zeugenaussagen im Strafprozess, hsg.von
Rüdiger Deckers, Günter Köhnken, Berlin 2007,
S. 148 – 156.
Fürmann, Jochen Das Zeugnisverweigerungsrecht der StPO – eine Übersicht; JuS 2004, S. 303 – 307.
Geppert, Klaus Der Zeugenbeweis; Jura 1991, S. 80 – 88, 132 – 141.
Greuel, Luise Polizeiliche Vernehmung vergewaltigter Frauen;
Fortschritte der psychologischen Forschung, Weinheim
1993.
Greuel, Luise Glaubwürdigkeit – Zur psychologischen Differenzierung
eines umgangssprachlichen Konstrukts; PdR 1997,
S. 154 – 169.
Greuel, Luise Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, Die Praxis der
forensisch-psychologischen Begutachtung; Weinheim,
1998.
Greuel, Luise Wirklichkeit – Erinnerung – Aussage; Psychologie –
Forschung – aktuell, Band 6, Weinheim 2001.
Greuel, Luise/ Psychologie der Zeugenaussage, Ergebnisse der
Fabian, Thomas/ rechtspsychologischen Forschung; Weinheim 1997
Stadler, Michael (zitiert als: Greuel/Fabian/Stadler /Hommers).
Greuel, Luise/ Glaubhaftigkeit der Zeugenausssage – Theorie und
Offe, Susanne/ Praxis der forensisch-psychologischen Begutachtung;
Fabian, Agnes/ Weinheim 1998 (zitiert als: Greuel et al.).
Wetzels, Peter/
Fabian, Thomas/
Offe, Heinz/
Stadler, Michael
Hanack, Ernst-Walter Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum
Strafverfahrensrecht; JZ 1971, S. 89 – 92.
Hannich, Rolf/ Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung;
Appl, Ekkehard 6. Auflage, München 2008 (zitiert als: KK- Bearbeiter).
Hellmann, Uwe Strafprozessrecht; 2. Auflage, Berlin 2006.
Hohlweck, Martin Die Beweiswürdigung: Beurteilung von Zeugenaussagen; JuS 2002, S. 1105 – 1108,
1207 – 1212.
Jähnke, Burkhard Über die Befugnis des Revisionsgerichts zur
Nachprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung;
in: Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70.
Geburtstag am 30. August 1999, hsg. von Udo Ebert, Peter Rieß, Claus Roxin, Eberhard Wahle, Berlin 1999, S. 355 – 368.
Jansen, Gabriele Überprüfung aussagepsychologischer Gutachten;
StV 2000, S. 224 – 229.
Jansen, Gabriele Zeuge und Aussagepsychologie; Heidelberg 2004.
Jansen, Gabriele/ Unter Kontrolle: Aussagepsychologische Gutachten;
Kluck, Marie-Luise PdR 2000, S. 89 – 101.
Jansen, Kirsten Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO für
besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse;
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften, Band 46,
Berlin 2004.
Kindhäuser, Urs Strafprozessrecht; 2. Auflage, Baden-Baden 2010.
Knögel, Walter Sittlichkeitsverbrechen an Jugendlichen in der
strafrechtlichen Praxis; NJW 1951, S. 590 – 591.
Köhnken, Günter Glaubwürdigkeit; in: Forensische Psychiatrie und
Psychologie des Kindes- und Jugendalters, hsg. von Reinhart Lempp, Gerd Schütze, Günter Köhnken,
2. Auflage, Darmstadt 2003, S. 341 – 365.
Köhnken, Günter Fehlerquellen in aussagepsychologischen Gutachten;
in: Die Erhebung von Zeugenaussagen im Strafprozess,
hsg.von Rüdiger Deckers, Günter Köhnken, Berlin 2007,
S. 1 – 41.
Kramer, Bernhard Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts; 6. Auflage,
Stuttgart 2004.
Kröber, Hans-Ludwig/ Psychologische Begutachtung im Strafverfahren –
Steller, Max Indikationen, Methoden und Qualitätsstandards;
Darmstadt 2005 (zitiert als: Kröber/Steller/ Bearbeiter).
Kühne, Hans-Heiner Der Beweiswert von Zeugenaussagen; NStZ 1985,
S. 252 – 254.
Kühne, Hans-Heiner Strafprozessrecht; 8. Auflage, Heidelberg 2010.
Linnemann, Kerstin Fehlerhafter Zeugenbeweis und
Revisionsrechtsprechung; in: Redlich aber falsch,
Schriftenreihe Deutsche Strafverteidiger e.V., Band 8,
hsg. von Stephan Barton, Baden-Baden 1995,
S. 113 – 137.
Meyer-Goßner, Lutz Strafprozessordnung; 53. Auflage, München 2010
(zitiert als: Meyer-Goßner).
Michaelis-Arntzen, Else Aussageglaubwürdigkeit unter
entwicklungspsychologischem Aspekt; in:
Handwörterbuch der Rechtsmedizin, Band 3,
hsg. von Georg Eisen, Stuttgart 1977, S. 369 – 402.
Michaelis-Arntzen, Else Zur Psychologie der Zeugenaussage; StraFo 1990,
S. 70 – 74.
Murmann, Uwe Prüfungswissen Strafprozessrecht; 2. Auflage, München
2010.
Niehaus, Susanna Zur Anwendbarkeit inhaltlicher
Glaubhaftigkeitsmerkmale bei Zeugenaussagen
unterschiedlichen Wahrheitsgehaltes; Europäische
Hochschulschriften, Reihe 6, Band 675, Frankfurt am
Main 2001.
Otte, Karina Rechtsgrundlagen der Glaubwürdigkeitsbegutachtung
von Zeugen im Strafprozess; Juristische Schriftenreihe,
Band 194, Münster 2002.
Reinecke, Gerhard Die Krise der freien Beweiswürdigung im Zivilprozeß
oder Über die Schwierigkeit, einem Zeugen nicht zu
glauben; MDR 1986, S. 630 – 637.
Rengier, Rudolf Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und
künftigen Strafverfahrensrecht; Paderborn, München
1979.
Roxin, Claus/ Strafverfahrensrecht; 26. Auflage, München 2009.
Schünemann, Bernd
Rückert, Sabine Inquisitoren des guten Willens; in: Die Zeit 03/2007 vom
11.01.2007, S. 49 – 51.
Salditt, Franz Grundlagen des Zeugenbeweises im Strafrecht,
Überlegungen aus Anlass einer Befragung von
Strafverteidigern; StraFo 1990, S. 52 – 62.
Schade, Burkhard Der Zeitraum zwischen der Erstaussage bis zur
Hauptverhandlung als psychologischer Prozess;
StV 2000, S. 165 – 170.
Schlüchter, Ellen Strafprozeßrecht; 3. Auflage, Thüngersheim 1999.
Schmitz, Heinrich Walter Tatgeschehen, Zeugen und Polizei; BKA-
Forschungsreihe, Band 9, Wiesbaden 1978.
Schneider, Hartmut Gedanken zur Problematik des infolge einer
Zeugenvernehmung „befangenen“ Staatsanwalts;
NStZ 1994, S. 457 – 462.
Scholz, O. Berndt Wie können nicht glaubhafte Zeugenaussagen entstehen?
Mögliche interaktionale Bedingungen für nicht
Glaubhafte Zeugenaussagen; NStZ 2001, S. 572 – 580.
Scholz, O. Berndt Die nicht glaubhafte Zeugenaussage; StV 2004,
S. 104 – 110.
Schröder, Friedrich-Christian/ Strafprozessrecht; 5. Auflage, München 2011.
Verrel, Torsten
Schünemann, Hans-Wilhelm „Dienstliche Äußerungen" von Polizeibeamten im
Strafverfahren; DRiZ 1979, S. 101 – 107.
Trankell, Arne Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen; Göttingen
1971.
Ulsenheimer, Klaus Zur Regelung des Verteidigerausschlusses in §§ 138a-d;
146 n.F. StPO; GA 1975, S. 103 – 120.
Undeutsch, Udo Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen;
in: Forensische Psychologie, hsg. von Udo Undeutsch,
Band 11, Göttingen 1967, S. 26 – 181.
Volk, Klaus Grundkurs StPO; 7. Auflage, München 2010.
Wimmer, Wolf Parapsychologen als Sachverständige?; NJW 1976,
S. 1131 – 1133.
I. Einleitung
Schon in früheren Rechtsordnungen bestand die Befürchtung, Zeugen könnten gegenüber Gerichten bewusst Falschaussagen abgeben.[1] So forderten ältere Strafprozessordnungen für den Nachweis der Schuld mindestens zwei oder drei gut beleumundete Zeugen.[2]
Diese Skepsis am Zeugen, dem „Star des Personalbeweises“[3] , hat sich bis heute nicht gelegt. Denn auch, wenn dem Zeugenbeweis vor allem von Seiten der Praxis eine hohe Relevanz zugebilligt wird[4] , ist dessen Zuverlässigkeit hoch umstritten[5] und wird ebenso heftig kritisiert: So sei der Mensch als Zeuge eine „Fehlkonstruktion“[6] , der Zeugenbeweis häufig ein „ungewisser, schlechter Beweis“ und die Zeugenvernehmung „eine nur begrenzt erlernbare Kunst“.[7] Eine derart harsche Kritik ist diskussionswürdig und nimmt dementsprechend den zweiten, größeren Teil dieser Arbeit ein. Im Zuge dessen werden in erster Linie die psychologischen Anforderungen der richterlichen Beweiswürdigung zu untersuchen und die gutachterliche Tätigkeit von Sachverständigen zu hinterfragen sein.
Zunächst erfolgt jedoch eine kurze Erörterung der strafprozessualen Kernvorschriften und der dort zu verankernden Problemkonstellationen, einschließlich der nach wie vor umstrittenen Frage, inwiefern Prozessbeteiligte parallel als Zeugen auftreten können.
II. Der Zeugenbeweis innerhalb der Strafprozessordnung
1. Der Begriff des Zeugen und die Zeugnisfähigkeit
Der Begriff des Zeugen ist in der Strafprozessordnung nicht ausdrücklich geregelt. Nach der h.M. versteht man jedoch unter einem Zeugen eine Person, die in einer Strafsache, die nicht gegen sie selbst gerichtet ist, ihre „Wahrnehmungen über Tatsachen durch Aussage kundgeben soll“.[8] Folglich kann jedermann Zeuge sein, sofern die Fähigkeit zur sinnlichen Wahrnehmung besteht und diese Wahrnehmung artikuliert werden kann.[9] Denkbare Zeugen sind somit auch Geisteskranke und Kinder.[10]
[...]
[1] Barton, Fragwürdigkeit des Zeugenbeweises, S. 23.
[2] Salditt, StraFo 1990, 54.
[3] Barton, Fragwürdigkeit des Zeugenbeweises, S. 23f.
[4] Hohlweck, JuS 2002, 1105; Brause, NStZ 2007, 505.
[5] Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 1.
[6] Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Rn. 17.
[7] Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Übers § 373 Rn. 6.
[8] RGSt 52, 289; Kindhäuser, Strafprozessrecht, § 21 Rn. 6.
[9] Hellmann, Strafprozessrecht, Rn. 711.
[10] Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 2.