Die Lücke in der Europäischen Union

Problematik der Integration der Post-Jugoslawien-Staaten und ihre Zukunft


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG

2 DIE SITUATION AUF DEM BALKAN
2.1 Der Balkan - ein historisches Pulverfass
2.2 Der Balkan heute

3 DIE INTEGRATION DES BALKANS

4 PROBLEMATIK DER INTEGRATION
4.1 Die aktiven Kriterien
4.1.1 Der Staat als unnatürliches Konstrukt
4.2 Die passiven Kriterien
4.2.1 Der Balkan und die EU
4.2.2 Die Kopenhagener Kriterien
4.2.3 Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)

5 LÖSUNGSANSÄTZE
5.1 Das Reformpaket der EU

6 SCHLUSSBETRACHTUNG

LITERATURVERZEICHNIS
BUCHQUELLEN
INTERNETQUELLEN

1 EINLEITUNG

Die Europäische Union (EU), visionäre Grundidee eines Europas der Vereinten Nationen und seiner Völker, hat sich in den letzten zwei Dekaden schrittweise erweitert: Aus den ehemaligen sechs Gründerstaaten wurden durch insgesamt fünf Erweiterungsrunde die Gemeinschaft der derzeitig 27 Mitgliedsländer. Die Angliederung vieler mittel- und osteuropäischer (MOE) Staaten trug dabei entscheidend zu einer größeren wirtschaftlichen, politischen und sozialen Stabilität der EU bei und fördert das Konzept einer gemeinsamen europäischen Identität. Bis zum heutigen Tag traten von osteuropäischer Seite Europas die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei sowie Slowenien und die südosteuropäischen Länder Rumänien und Bulgarien der EU bei (Europäische Union online (2010): Die Mitgliedsländer der Europäischen Union, 12.12.2010). Bedenkt man den begrenzten Zeitrahmen seit dem Ende des Kalten Krieges, erscheint die Anzahl der beigetretenen Staaten recht hoch. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch eine extreme Unterrepräsentation der ehemaligen konstituierenden Republiken Jugoslawiens auf: Slowenien ist seit dem Jahr 2004 Mitgliedsstaat der EU und damit der bisher einzige Vertreter aus dem Gebiet des Balkans.

Unter den vielfältigen und vielschichtigen Folgen der Jugoslawienkriege in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts, der größten kriegerischen Auseinandersetzung innerhalb des europäischen Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg, leidet die komplette Region bis heute. Erschwerend hinzu kommt der Prozess der Balkanisierung, der Aufteilung in immer neue Staaten und Republiken, ungeachtet der ethnischen und religiösen Grenzen, dem die gesamte Region jahrzehntelang ausgesetzt war. Im Bezug darauf gilt es zu klären, ob diese Entwicklungen das betroffene Gebiet derart beeinflusst haben, dass sie eine ausreichende Erklärung für die Integrationsproblematik liefern können. Besonders im Hinblick darauf, dass sich die verbleibenden fünf ehemaligen Republiken Jugoslawiens und heute souveräne Staaten Albanien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro geografisch klar auf der eurasischen Platte und innerhalb des Kontinents Europa befinden (Oschlies (2006): Wo bitte liegt – und was ist der „Balkan“, 12.12.2010). Mehr noch, Makedonien und das angrenzende Griechenland gelten als Wiege des modernen Europas, von denen aus sich die Süd-, Ost- und Westslawen erst während der Völkerwanderungen von 300-500 nach Christus auf die westlicher und nördlicher liegenden Gebiete ausbreiteten (Forschungsgruppe Europa, 1998: S. 10). Unter diesen Umständen erscheint es nicht nachvollziehbar, warum die Ex-Jugoslawien-Staaten in den bisherigen Erweiterungsrunden zum größten Teil ausgeklammert wurden.

In der vorliegenden Arbeit möchte ich mich dem ebenso spannenden wie sensiblen Thema der Post-Jugoslawien-Problematik näheren. Dabei steht die Frage nach den Gründen für die Lücke in der EU im Vordergrund meiner Analyse. Wodurch entstand sie? Durch welche Faktoren wurde dieser Prozess beeinflusst? Und welche Rolle spielen die Kopenhagener Kriterien der EU? Einen besonderen Fokus lege ich auf die aktiven und passiven Kriterien der Eingliederung: Unter den aktiven Kriterien verstehe ich in diesem Zusammenhang die historisch begründeten Hürden, wie die komplex verwobenen Bevölkerungsstrukturen innerhalb wahllos gezogener Grenzen, die das Gebiet des Balkans, im Gegensatz zu den anderen MOE-Staaten, grundsätzlichen benachteiligen. Die passiven Kriterien stellen die auferlegten Bedingungen und Vorbehalte seitens der EU dar, mit besonderem Augenmerk auf die Kopenhagener Kriterien. Des weiteren möchte ich versuchen Anreize zu bieten, die eine baldige Eingliederung attraktiv machen und den Gewinn für die europäische Gemeinschaft beleuchten.

Um das verworrene Gebilde des Balkans in all seiner sprachlichen, ethnischen und kulturellen Vielfalt zu verstehen und damit die Ursache der aktiven Kriterien, beschäftigt sich der erste Teilabschnitt der vorliegenden Arbeit mit seinem historischen Konfliktpotenzial. Des weiteren gebe ich einen kurzen Überblick über die derzeitige Situation der Länder auf dem Balkan und ihrer Rolle innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft bzw. innerhalb der EU. Im weiteren Verlauf der Arbeit analysiere ich die Haltung beider Seiten – der EU und der Balkanstaaten – im Bezug auf eine mögliche Integration, bevor ich mich gesondert den aktiven und passiven Kriterien und ihren Auswirkungen auf den Integrationsprozess widme. Zuletzt werde ich Lösungsansätze diskutieren, die einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung der EU geben.

2 DIE SITUATION AUF DEM BALKAN

2.1 Der Balkan - ein historisches Pulverfass

Durch häufige Gebietsveränderungen und Umsiedlungen in Folge der andauernden und ständig wechselnden Fremdherrschaft im Balkangebiet kam es in der Vergangenheit zu einer Vermischung verschiedener Ethnien, die im Sinne der Selbstbestimmung der Völker meistens auch einen Territorialanspruch erhoben. Die gespannten Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen und die mangelnde Identifikation mit der Balkanregion als Ganzes, sowie mit den benachbarten Völkern, führten bereits mehrfach im 19. und 20. Jahrhundert zu Konflikten und Kriegen in der komplexen Region. Hierbei standen sich in erster Linie die Serben und die Albaner gegenüber. Hinzu kam, dass der Balkan oft als Schauplatz von Stellvertreterkriegen der europäischen Großmächte missbraucht wurde – besonders dadurch bedingt, dass die traditionell verfeindeten Ethnien und Nationen in der verwobenen Region als ideale Manövriermasse der unterschiedlichen Parteien dienten. Dieser Umstand verhinderte die Entstehung einer eigenen nationalen Identität und bedachte die Minderheiten in den jeweiligen Staaten kaum bis gar nicht (Weithmann, 1994: S. 7-19). Das entstandene Nebeneinander der Völker wirkte unnatürlich und fremdbestimmt, was eine vollständige Souveränität und ein nationales Selbstbewusstsein fast unmöglich machte. Ende des 20. Jahrhunderts führten diese Entwicklungen schließlich zu einer Serie von Kriegen. In ihnen entlud sich das historische Problem der verwobenen Bevölkerungs– und Religionsstruktur innerhalb wahlloser Grenzen in seinem vollen Ausmaß. Als zusätzlicher Multiplikator diente die fehlende beziehungsweise unzureichende Intervention der internationalen Staatengemeinschaft, der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der Vereinten Nationen (UNO). Dieser Destabilisierungsprozess auf dem Territorium der zerfallenden jugoslawischen Föderation entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit von einem inneren, ethnischen Konflikt - auf Grund einer erschreckenden Serie von politischen Fehlentscheidungen - zu der gravierendsten und gewaltsamsten kriegerischen Auseinandersetzung in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Weit über 200.000 Menschen haben die Kriege in Slowenien, Kroatien, Bosnien und dem Kosovo das Leben gekostet haben, darunter auch mehr als eintausend verwundete und teilweise getötete UNO-Mitarbeiter (Calic, 2005: S. 87). Circa 3 Millionen Menschen wurden aus ihren Gebieten vertrieben und über 300 Massengräber mussten angelegt werden (Hajrullahu, 2007: S. 105).

Heute, rund eine Dekade nach dem Ende der blutigen Auseinandersetzungen, vereint der politische Definitionsversuch unter dem Begriff Balkanländer jene Territorien, die über die Jahrhunderte zwischen den österreichischen, russischen und osmanischen Interessen standen und zum größten Teil Segment der Republik Jugoslawien waren. Demzufolge werden im weitläufigen politischen und historischen Verständnis die heutigen Staaten Albanien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro und Bulgarien als Balkan generalisiert. Das geografisch eindeutig auf der Halbinsel liegende Griechenland zum Beispiel (z.B.) wird eher zu Südosteuropa gezählt. Die nördlicher liegenden Länder Kroatien und Ungarn, als auch die Mehrheit Rumäniens identifizieren sich heutzutage, auf Grund ihrer österreich-ungarischen Vergangenheit und der katholisierten Bevölkerung, mehr mit dem mitteleuropäischen Kulturraum, waren jedoch teilweise auch in die Balkankriege der 90er Jahre involviert (Grotzky, 1993: S. 20). Demzufolge bildet der Balkan ein relativ komplexes und verwobenes Gebilde innerhalb des europäischen Raums, welches unumstritten eine der sprachlich, ethnisch und kulturell vielfältigsten Regionen des Kontinents ist. Das bereits zur EU gehörende Slowenien bildet einen Grenzfall, da es zwar dem ehemaligen Jugoslawien angehört, sich diesem aber historisch nicht verbunden fühlt.

2.2 Der Balkan heute

Obwohl sich das ehemalige Jugoslawien heute als Teil des Kontinents Europas und vollwertiger Part innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft präsentiert, muss die EU zwischen dem Balkan und den restlichen MOE-Ländern streng differenzieren und sich der besonderen Verantwortung bewusst werden. Die südosteuropäische Halbinsel ist bei weitem nicht vergleichbar mit anderen Regionen innerhalb Europas. Primär dadurch bedingt, dass die Staatsgrenzen überschreitende ethnische Vielfalt des Gebiets den Beitrittsprozess von Anfang an erheblich erschwerte. Zwar sind Slowenien, Kroatien und Mazedonien seit 1991 als souveräne Staaten anerkannt, jedoch trat bisher nur Slowenien im Jahr 2004 als erste und einzige ehemalige konstituierende Republik Jugoslawiens der EU bei und führte 2007 sogar die gemeinsame Währung, den EURO, ein. Kroatien und Mazedonien gelten seit 2004, beziehungsweise 2005, als Beitrittskandidaten. Serbien und Montenegro, die, nach der Abspaltung der übrigen Gebiete, zusammen erneut eine Bundesrepublik Jugoslawien bildeten, gaben 2003 schließlich dem Druck der EU nach und formierten sich zur Staatenunion Serbien und Montenegro. Diesen Status behielten sie inne bis sie 2006 in einem Referendum zu zwei unabhängigen Republiken erklärt wurden. Heute haben sie den Status sogenannter potenzieller Beitrittsländer. Der Kosovo bleibt ein Sonderfall in der Balkanfrage: Nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der Kosovaren vom 17.02.2008, die bisher von 69 Staaten der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt wurde, prüfte der Internationale Gerichtshof einen von Serbien initiierten Antrag. Dieser beschäftigt sich mit zwei gegenübergestellten Streitpunkten des Völkerrechts: der territorialen Integrität für das Land Serbien auf der einen Seite, und dem Prinzip der Selbstbestimmung der Völker für die Kosovo-Albaner auf der anderen Seite. Ende Juli 2010 wurde, in dem bereits im Frühjahr des Jahres erwarteten Urteil, den Kosovaren Recht zugesprochen. In seiner Begründung bezog sich der Internationale Gerichtshof darauf, dass das Völkerrecht „kein Verbot von Unabhängigkeitserklärungen“ beinhalte und damit auch kein Verstoß vorliegt. Der serbische Außenminister Vuk Jeremic ließ daraufhin verlauten, dass Serbien die Souveränität niemals anerkennen werden wird und drohte mit der Fortführung des „diplomatischen Kampfes“ (Tagesschau online (2010): Unabhängigkeit des Kosovo ist rechtens, 28.11.2010). Im Hinblick auf die Beziehung des Kosovo zu der EU und seiner zukünftigen Aufnahme regte das Europäische Parlament die Mitgliedsländer an, sich um einen Konsens zu bemühen: im Moment erkennen 22 der 27 Staaten den Kosovo an, die übrigen 5 weigern sich bislang (Europäisches Parlament online (2010): EU-Beitrittsaussichten für Albanien und Kosovo, 12.12.2010). Die Länder Rumänien und Bulgarien, die zumindest geografisch dem Balkan zugeordnet werden können, sind von den Spätfolgen des Zerfalls Jugoslawien in den 90er Jahren weit weniger betroffen als ihre Nachbarstaaten. Anhand ihres Beitritts zur EU im Jahr 2007 lässt sich diese Tatsache sehr gut untermalen. Die politischen und sozialen Auswirkungen der Krisenregion lassen die Kriminalitätsrate jedoch in ganz Südosteuropa, einschließlich der bereits beigetretenen Staaten, auf einem Level deutlich über dem der restlichen europäischen Ländern verharren.

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Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Lücke in der Europäischen Union
Untertitel
Problematik der Integration der Post-Jugoslawien-Staaten und ihre Zukunft
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Veranstaltung
European Institutions, Politics and Policies
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
19
Katalognummer
V202099
ISBN (eBook)
9783656284406
ISBN (Buch)
9783656285953
Dateigröße
672 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
lücke, euopäischen, union, problematik, integration, post-jugoslawien-staaten, zukunft
Arbeit zitieren
Julia Scharmann (Autor:in), 2010, Die Lücke in der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202099

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