Leseförderung durch Kinderliteratur in den Klassen 2 und 3 am Beispiel des Themas "Freundschaft mit Tieren"


Bachelorarbeit, 2011

36 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Lesen als Schlüsselkompetenz
2.1 Lesekompetenz
2.2 Das didaktische Modell von Lesekompetenz
2.2.1DieProzessebene
2.2.2 Die Subjektebene
2.2.3 Die soziale Ebene
2.3 Lesesozialisation

3 Leseförderung
3.1 Leseförderung im medialenZeitalter
3.2 Das Konzept der Leseförderung
3.3 Literarisches Lernen
3.4 Leseanimation und Lesemotivation

4 Kinderliteratur als Mittel zur Leseförderung
4.1 Kinderbücherim Grundschulunterricht
4.2 Kinderliteratur zum Thema ,Freundschaft mit Tieren’
4.3Matthias unddasEichhörnchen
4.3.1InhaltlicheAnalyse
4.3.1.1 Inhaltsüberblick
4.3.1.2 Charakterisierung der Hauptfiguren
4.3.1.3 Problemfelder des Buches
4.3.2 Stilanalyse
4.3.2.1 Äußerliche Aufmachung und Genre
4.3.2.2Aufbau
4.3.2.3 Sprache

5 Möglichkeiten zur didaktischen Umsetzung
5.1 Didaktische Grundüberlegungenzum Buch
5.2 Die Leserolle als Beispiel für den Umgang mit Büchern
5.3 Weitere Ideen zur didaktischen Vermittlung

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

8 Anhang

1 Einleitung

„Bücher sind einzigartige, tragbare Magie.“ (Melzer 2010). Dieses Zitat stammt von dem US-amerikanischen Schriftsteller Stephen King. Und wenn man genauer darüber nach­denkt, kann man die ,Magie‘, welche von Literatur ausgeht, deutlich erkennen. Wie sollte man sonst erklären, dass es ein kleiner Zauberer aus dem englischen Internat ,Hogwarts’ schafft, weltweit tausende von Kindern in gebannte Leser zu verwandeln? Leser, welche die teilweise aus bis zu 1000 Seiten bestehenden Bände der Harry Potter-Heptalogie re­gelrecht verschlingen. Ähnlich das Phänomen um die Liebe zwischen einem Mädchen und einem Vampir, welche vor wenigen Jahren einen riesigen Hype um die Bis(s)- Tetralogie von Stephanie Meyer auslöste. Und ist es nicht auch wirklich magisch, dass uns Buchstaben und Worte so in den Bann ziehen können und uns in realistische oder phantastische Welten eintauchen lassen? „Mit 95.000 Neuerscheinungen pro Jahr gehört Deutschland zu den großen Buchnationen der Welt. [...] Darüber hinaus stehen deutschen Lesern rund 350 Tageszeitungen und 2.300 Publikumszeitschriften zur Verfügung sowie elektronische Bücher, Online-Medien und viele andere Infor­mationsquellen. Lässt sich anhand dieser Zahlen aber darauf schließen, dass Deutschland ein Leseland ist?“ (Preuss 2009).

Die internationale Schulleistungsstudie der OECD (PISA) aus dem Jahre 2009 zeigte, dass die Lesekompetenz der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler in Deutschland einen Mittelwert von 497 hat. Somit gehören sie im internationalen Vergleich eher dem Mittel­feld an und sind von den Spitzenländern weit entfernt (vgl. OECD 2010, S. 13).

Im Gegensatz zu den PISA-Studien, bei welchen der Unterschied zwischen den guten und schlechten Lesern verhältnismäßig groß war, fielen die Werte der Viertklässler bei der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) in einen engeren Rahmen. Die schwächeren Leser der Kompetenzstufe II konnten 2006 mit 13,2 Prozent eine Verbesse­rung um 3,7 Prozent zum Ergebnis von 2001 vorweisen. Die Kompetenzstufen IV und V, welche über die Lesekompetenz der guten und sehr guten Leser Aussage geben, zeigten mit 52 Prozent gegenüber 47 Prozent fünf Jahre zuvor ebenfalls einen erfreulichen Zu­wachs (vgl. Bos 2006, S. 141).

IGLU 2006 demonstrierte weiterhin, wie stark sich die Leseleistung und Lesemotivation bedingen. In Deutschland herrscht allgemein eine gute Lesemotivation vor. Mit rund 53 Prozent der Kinder, welche fast täglich auch jenseits des Unterrichts zu ihrem Vergnügen lesen, liegen die Deutschen im internationalen Vergleich deutlich vor allen EU-Staaten (vgl. ebenda, S. 133).

Wichtig ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass beinahe jedes zehnte Mädchen und jeder fünfte Junge angeben, außerhalb der Schule nie zu ihrem Vergnügen zu lesen. Bei allem Fortschritt im Bezug auf die Lesekompetenz und die Lesefreude muss nun überlegt werden, wie diese Schülerinnen und Schüler, aber auch die restlichen 47 Prozent der ,Selten-Leser‘, dazu motiviert werden, kurze Texte, Geschichten und Romane auch in ihrer Freizeit gern zu lesen. Und dies nicht, weil sie sich durch die Erwartungen der Leh­rer oder Eltern dazu gezwungen fühlen, sondern weil sie die Magie der Bücher für sich entdeckt haben (vgl. ebenda, S.215).

Welchen Beitrag Kinderliteratur zur Lesekompetenz und -motivation, im Besonderen aber zur Leseförderung leisten kann, möchte ich in dieser Arbeit untersuchen. Dabei ü­berprüfe ich anhand eines ausgewählten Buches zum Thema ,Freundschaft mit Tieren‘, wie in den Klassen 2 und 3 eine Leseförderung aller Schülerinnen und Schüler jeder Kompetenzstufe erreicht werden kann.

2 Lesen als Schlüsselkompetenz

Die eben angesprochene „Verlockung zur (Buch-)Lektüre“ wird in der Bildungspolitik unter dem Begriff „Leseförderung“ zusammengefasst (Rosebrock/Nix 2008, S. 7).

In diesem Zusammenhang kursiert in den Schulen oft die Annahme, dass man Lesen vor allem durch häufige Anwendung im Unterricht sowie außerschulisch lernt und nur so ein gewisses Maß an Lesekompetenz erwerben kann. Das Bestehen einer Beziehung zwi­schen der Quantität der Lektüre und dessen Auswirkung auf die Lesefähigkeit wurde empirisch allerdings nie belegt. Schließlich gibt es auch wenig lesende Kinder, die den­noch fähige Leser werden. Daher gehört zur Leseförderung weit mehr als nur die Anre­gung zum Lesen. Vielmehr muss auch deren Funktion „zum Trost, zur Erfahrung, zur Enkulturation, zu einem erfüllten Leben und wohl noch vielem mehr“ Beachtung ge­schenkt werden (ebenda, S. 8-9).

Bevor ich die Leseförderung jedoch genauer thematisiere, sollen die Grundlagen der Le­sedidaktik näher untersucht werden.

2.1 Lesekompetenz

Ein zentraler Begriff im Feld der Leseförderung ist die Lesekompetenz. Nur wenn letztere durch die Lehrkraft bestimmt wird, können dahingehend Fördermaßnahmen ergriffen werden. Die bereits erwähnte PISA-Studie beschreibt die Lesekompetenz als die „Fähig­keit einer Person, geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen, über sie zu reflek­tieren und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potenzial weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Le­ben teilzunehmen. [...] [Sie] beinhaltet neben dem Entschlüsseln und wörtlichen Verständnis auch das Interpretieren und Reflektieren sowie die Fähigkeit, Lesen zur Erfüllung eigenen Ziele im Leben zu nutzen.“ (OECD 2010, S. 24).

Damit hat sich der in der PISA-Studie gebrauchte Kompetenz-Begriff 2009 im Ver­gleich zu den vorherigen Jahren maßgeblich weiterentwickelt und bezieht sich nicht mehr nur auf den Ablauf der Entnahme und Verarbeitung von Informationen, sondern auf um­fangreiche geistige Leistungen sowie persönliche Einstellungen und Lernstrategien der Leser. Gleichzeitig wird deutlich, dass - bezogen auf die Lesedidaktik - der Kompetenz­begriff Erweiterung verlangt. Sowohl die Erwerbswege als auch subjektive und soziale Punktionen des Lesens werden nicht umfassend genug berücksichtigt (vgl. Rose­brock/Nix 2008, S. 14-15).

Ein Beispiel für die subjektive Punktion des Lesens ist das Selbstkonzept, das heißt die „Zuversicht, dass Schöne Literatur mir nutzt und gefallt, die Pähigkeit, meine Pragen in den literarischen Welten (wieder) zu finden, das Selbstvertrauen, auch schwierige Texte zu bewältigen, und die generelle Leiseneigung werden Teile der Identität.“ (ebenda, S. 115).

Außerdem gehört die Motivation zum Lesen in dieses Peld, auf welche ich später noch genauer eingehen werde. Die soziale Ebene veranschaulicht den Einfluss von Pamilie, Schule und Preunde auf den Leser und, dadurch bedingt, dessen Lesefähigkeit und -be­reitschaft (vgl. Rosebrock/Nix 2008, S. 14-15).

Inwieweit ein komplexerer Begriff der Lesekompetenz möglich ist, soll das folgende Mehrebenen-Modell demonstrieren.

2.2 Das didaktische Modell von Lesekompetenz

Der Prozess des Lesens lässt sich generell in drei Ebenen teilen, die sich heterogen zuein­ander verhalten und so ein Mehrebenen-Modell bilden: die Prozess-, Subjekt- und soziale Ebene. Dabei steht die Wortidentifikation als kleinste Einheit des Lesens im Mittelpunkt. Es kommt zur kognitiven Verarbeitung dieser, verbunden mit dem Verstehen und der Reaktion des Lesers selbst. Weiterhin wirken sich auch soziale Zusammenhänge auf das Lesen aus. Die drei Dimensionen verlaufen zeitlich parallel und ohne vorhandene Hierar­chie in konzentrisch gedachten Kreisen um den Kern und zeigen so, auf welchen Ebenen Maßnahmen zur Leseförderung ergriffen werden müssen. „In der gedachten Mitte der konzentrischen Kreise wird also allein die Schriftwahmehmung fokussiert, je größer die Ringe werden, desto mehr erweitert sich die Perspektive auf die Ver- arbeitungs- und dann auf die Erfahrungsdimensionen des Lesens, um im äußeren Bereich die sozialen Interaktionen, in die Lesefähigkeit und Leseneigung einge­bunden sind, in den Blick zu bekommen.“ (ebenda, S. 16-17).

Im Polgenden sollen die einzelnen Dimensionen genauer vorgestellt werden.

2.2.1 Die Prozessebene

Die Prozessebene umfasst die kognitiven Aufgaben während der Lektüre. Dazu gehört das aktive Bilden von Bedeutungen. Insgesamt ergeben sich nach Rosebrock und Nix aus dieser Tätigkeit fünf verschiedene Anforderungsdimensionen (vgl. 2008, S. 17-20):

Die von der Hierarchie her niedrigste Stufe der Leseleistung ist die Buchstaben-, die Wort- und die Satzerkennung, dessen Automatisierung ausgesprochen zeitintensiv ist. Maßgebend für das Tempo und die kognitive Mühelosigkeit der Wortermittlung ist das semantische Verfügbarsein von Wörtern in ihrer Buchstabengestalt (Wortüberlegenheits­effekt). Dies gilt ebenfalls für die Entschlüsselung des Kontexts. Das heißt für den Grundschulunterricht: Je differenzierter Vokabular und Kontextwissen der Lese-Neulinge sind, umso leichter fällt ihnen die Buchstaben-, Wort- und Satzerkennung. Zum Verste­hen von Sätzen ist die Sequenzenbildung nötig. Vorteilhaft dafür sind die Nutzung eines durch Erfahrung gereiften mentalen Modells und eines problemlosen Zugriffs auf vielfäl­tige, gespeicherte Satzmuster.

Die darauf folgende Stufe umfasst die sogenannte lokale Kohärenzbildung, auf welcher die Bedeutung, gefördert durch sprachliche Kompetenz, Weltwissen und die Bildung von Inferenzen, auch über die Grenzen des Satzes hinaus zum Ausdruck kommt.

Das Durchführen der Tätigkeiten der bisher genannten Stufen auf einem höheren Niveau erfolgt auf dem nächsten Level, das somit ein vielschichtigeres Leseverstehen einleitet. Durch die Betrachtung des Textes als ganzen werden Makrostrukturen erstellt und so eine globale Kohärenz erschaffen. Aus „ersten erfahrungsbasierten Vermutungen zum Thema (,top down’) und ersten Verarbeitungsschritten der Semantik des Textes (,bottom up’)“ entsteht nun „eine inhaltliche Gesamtvorstellung des Textes“ (Rosebrock/Nix 2008, S. 19).

Die Anwendung dieses Vorgangs wird vor allem beim Umgang mit umfangreicheren literarischen oder Sachtexten nötig. Hilfreich ist in dem Zusammenhang das Vorhanden­sein von sogenannten Superstrukturen, die die „mentale Rekonstruktion der formalen Organisation des Themas im Text“ umfassen und der Hypothesenbildung dienen (ebenda, S. 19).

Das bereits erwähnte mentale Modell, eine Art inneres, ganzheitliches Abbild des Gele­senen, wird durch all diese Aktivitäten erweitert und überarbeitet. Es ist das Erzeugnis der Lektüre. Die Ordnung der gelesenen Inhalte in diesem Modell gibt über die Qualität der Texterfassung Auskunft. Die höchste kognitive Ebene im Leseprozess wird demnach dann erreicht, wenn das mentale Modell des Lesers gesellschaftlich normierten Sprech­weisen zugeordnet werden kann. Aus Sicht der Metaperspektive werden die Darstellungs­strategien (rhetorisch, stilistisch und argumentativ) im ,logischen Gang’ ermittelt und entschlüsselt.

Die kognitive Ebene des Modells geht mit der Beschreibung des Kompetenzbegriffs der PISA-Studie einher (vgl. ebenda, S. 20).

2.2.2 Die Subjektebene

Neben der kognitiven Ebene, die die Lesekompetenz misst, benötigt das Lesen-Lernen einen weiteren Aspekt. Die Verbesserung der eigenen Leseleistung erfordert einen inne­ren Antrieb, eine Motivation des Lesers. „Man muss beim Lesen [...] von einem umfas­senden Engagement des lesenden Subjekts ausgehen. Es ist nicht nur kognitiv im oben ausgeführten Sinn aktiv, sondern es ist als ganzes, also auch mit seinen af­fektiven Komponenten, mit seinem Weltwissen und mit seiner Lähigkeit, die Erfahrungen anderer auf sich zu reflektieren, verstrickt in die Konstruktionen der Lektüre.“ (ebenda, S. 21).

Bei Kindern sind es also vor allem der innere Anreiz und der Vergleich zwischen Gelese­nem und dem echten Lebens-Umfeld, die das Lesen für sie attraktiv machen. Diese sub­jektive Beteiligung und die Bedeutungssuche finden beim Lesen jedweder Texte statt. Neben der Textseite spielt die Leserseite ebenso eine große Rolle. Die aktuelle Lesemoti­vation ist aufgrund des Zusammenhangs mit der Biographie und persönlichen Erfahrun­gen individuell und weitaus geschlechtsabhängig. Die Genese der Lesefähigkeit beein­flusst gewissermaßen die Identität und führt zu einem lesebezogenen Selbstkonzept.

Der Unterricht steht nun vor der Aufgabe, die in Leistung, Interesse und Lese­freude heterogene Lerngruppe situativ zum Lesen zu motivieren. Einen großen Einfluss auf die motivationale Selbstüberzeugung der Leser hat deren Milieu, auf welches ich später noch genauer eingehen werde (vgl. ebenda, S. 21-22).

2.2.3 Die soziale Ebene

Die soziale Ebene beschreibt die Anschlusskommunikation zwischen dem Leser und der Lamilie, Schule oder Peer group nach der Lektüre. Die sogenannte Lesesozialisation, die ich noch genauer thematisieren werde, beginnt bereits im frühen Kindesalter durch Vorle­segespräche beziehungsweise -dialoge. So liest die Mutter ihrem Nachwuchs vor dem Schlafengehen zum Beispiel ein Märchen vor oder erzählt eine Geschichte, und die Bei­den nutzen dies als Kommunikationsanlass bezogen auf die Lebensumwelt. Auch in ju­gendlichem Alter, in dem zunehmend allein und nach individuellen Interessen gelesen wird, findet Anschlusskommunikation statt. Hier werden Lreunde und Verwandte mit einbezogen, die ein wichtiger Laktor für die Motivation zu bestimmter Lektüre sind. In jedem Lall dient „der Austausch über das Gelesene mit Anderen“ der „Intensivierung des Textverstehens“ und fungiert oftmals als „Leseanlass“ (ebenda, S. 23).

Diese Erkenntnisse über den Leseprozess sollten wir uns bewusst machen und sie nicht nur fur den Deutsch-Unterricht, sondern für alle Fächer nutzen.

2.3 Lesesozialisation

Nachdem geklärt wurde, was man unter Lesekompetenz versteht und welche Prozesse beim Leser während der Lektüre stattfinden, möchte ich mich nun dem Verlauf des Er­werbs von Lesekompetenz zuwenden.

Wie ich bereits erwähnte, sammeln Kinder schon vor Schulbeginn umfassende Erfahrun­gen im schriftsprachlichen Bereich und lernen durch das Nutzen von Medien, wie Filme im Kino/Fernseher, Hörkassetten und -bücher, Theaterbesuche, Spiele und natürlich durch erzählte beziehungsweise vorgelesene Kinderliteratur vielfältige literarische For­men kennen. „Zwischen Gesellschaft und Individuum vermitteln Sozialisationsinstanzen, unter deren Einfluss sich der Kompetenzerwerb vollzieht. Familie, Schule und Alters­gruppe können auf dieser Ebene gegenwärtig als die wichtigsten Vermittler von Lese­kompetenz gelten.“ (Hurrelmann 2002, S. 138).

Der Umfang der vorschulischen Bildung hängt in hohem Maße von der Qualität der Kommunikation innerhalb der Familie als wichtigster Instanz der Lesesozialisation ab. Der Einfluss der Familie beginnt mit der Geburt und somit weit vor dem eigentlichen Leselernprozess, ist alltäglich und nachhaltig. „Die Häufigkeit und Art solchen Umgangs mit dekontextualisierter Sprache, später die Häufigkeit von Gesprächen mit den Eltern über Gelesenes in Anschlusskommunikationen, die Breite gemeinsamer Leseinteressen, die Häufigkeit gemeinsamer Lesesituationen, der Besuch von Buchhandlungen und Bibliotheken zusammen mit den Eltern fördern nachweis­lich Lesefreude, -dauer und -häufigkeit der Kinder.“ (ebenda, S. 138-139).

In dem Zusammenhang wird die Vorbildfunktion der Eltern, insbesondere der Mutter, deutlich, welche eine größere Einwirkung auf das Leseverhalten hat als zum Beispiel die bloße Aufforderung zur Lektüre. Wenn die Bezugsperson dem Kind Lesen als eine aner­kannte Beschäftigung suggeriert, kann sich dies positiv auf die Einstellung des Zöglings gegenüber Literatur auswirken. Die Lektüre und die Anschlusskommunikation von Bü­chern und Geschichten werden im besten Fall als schöner Zeitvertreib und Bereicherung angesehen (vgl. Bartnitzky 2000, S. 163).

„Insgesamt erweist sich, dass es bei der familialen Lesesozialisation um einen Komplex von Anregungen und Unterstützungen geht, die sich nicht nur quantita­tiv, sondern vor allem qualitativ milieuspezifisch unterscheiden. Implizit kommen unterschiedliche soziokommunikative Fähigkeiten und kulturelle Orientierungen zum Tragen, die sich auf die nachwachsende Generation als ,vererbtes kulturelles Kapital4 erweisen.“ (Hurrelmann 2002, S. 139).

Dementsprechend heterogen sind die Vorerfahrungen beim Eintritt in die Schule, der zweiten Instanz der literarischen Sozialisation. Hier findet im ersten Schuljahr der ei­gentliche Leselehrgang statt, beginnend bei der Entzifferung und Lautierung der Buchsta­ben, über das sukzessive Automatisieren der Worterkennung bis hin zur Zunahme der Leseflüssigkeit in der sich anschließenden Grundschulzeit. Die Phase des Erstleselehr­gangs sowie die folgenden zwei Jahre kennzeichnen aufgrund der Schere zwischen dem bereits entwickelten Leseverstehen und den eigentlichen Selbstlesefähigkeiten eine Art Krise der Lesesozialisation: Die Kinder entschlüsseln angestrengt kleine Texte, welche sie inhaltlich allerdings nur in geringem Maße zufrieden stellen. In der späten Kindheit findet eine Viellesephase statt, in der unter anderem die Fähigkeit zum Prozessieren um­fangreicher mentaler Modelle über einen längeren Zeitraum entwickelt wird (vgl. Ro­sebrock/Nix 2008, S. 26-27).

Nach und nach werden die Eltern und die Familie von der dritten Instanz, der Peer group, ,abgelöst‘. Diese Gleichaltrigen-Gruppen finden sich meist über Schulformen und -klas­sen zusammen, was wiederum für eine relative Homogenität bezogen auf die „sozioöko- nomische Herkunft ihrer Mitglieder und damit in der Tendenz auch auf deren familiären Mediennutzungsstil“ spricht (Rosebrock 2004, S. 274).

Dies schließt natürlich nicht aus, dass die Peers sich nicht gegenseitig beeinflussen und zur Lektüre animieren können. Auffallend ist in dem Zusammenhang auch, dass es hier geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Aufgrund des Umfangs der Gender-Thematik sei zu dem Thema nur folgendes gesagt: „Die Freundschaftskonzepte von jugendlichen Mädchen sind eher auf Gespräche, Reflexionen und Introspektion hin orientiert, die der Jungen eher auf außengerichtete Freizeitaktionen, sodass vermutet werden kann, dass die Mädchen-peer groups mehr und intensivere Leseanregungen und lektürebezogenen Ko-Konstruktionen bieten als die der Jungen.“ (ebenda, S.275). Mit dem Eintreten der Pubertät fängt die Lesesozialisation neu an. Die Metakognition tritt auf der Prozessebene in den Vordergrund, während der Jugendliche zunehmend Abstand vom literarischen Geschehen nimmt und in Folge dessen die Anschlusskommunikation an persönlicher Relevanz verliert. Hier gilt es, die Schülerinnen und Schüler bei einer Neu­orientierung - bezogen auf Leseinteressen und Lesemedien - zu unterstützen und so zu einer positiven Lesehaltung beizutragen (vgl. Rosebrock/Nix 2008, S. 26-27).

Der bis hierher dargestellte Verlauf trifft auf etwa ein Viertel der Leser nicht zu. Dabei handelt es sich um Kinder, deren Familien in der vorschulischen Phase als Lesesozialisa­tionsinstanzen mehr oder weniger ,versagt‘ haben, indem den Zöglingen zu wenig Unter­stützung sowie der Literatur unzureichendes Interesse entgegen gebracht wurde. Diese Kinder geraten durch unzureichende Lesekompetenz und -motivation in eine Art Teufels­kreis. „Die literarische Sozialisation dieser Gruppen ist von audiovisuellen Medien, von den Zeichentrickserien und Musikclips in den privaten Sendern, eventuell noch von Ju­gendmusikzeitschriften und Sportblättern geprägt, schriftsprachlich strukturierte Texte kennen sie kaum.“ (ebenda, S. 28).

Insgesamt macht der Aspekt der Lesesozialisation deutlich, wie wichtig die soziale Ebene des unter 2.2 beschriebenen Modells ist. Gleichsam zeigt sich, insbesondere für mich als angehende Lehrkraft, dass hier „ein Prozess der Enkulturation“ und „kein bloßer Instruk­tionsprozess“ stattfindet sowie, dass dieser „allein durch Bildungsinstitutionen nur schwer zu bewerkstelligen“ ist (Hurrelmann 2002, S. 124).

Gerade durch die Heterogenität der Lerngruppe, hervorgerufen durch die individuelle Lesesozialisation eines jeden Kindes, müssen schwache und starke Leser mit ihren unter­schiedlichen Genreerfahrungen die gleiche Chance haben und dazu motiviert werden, „ihre literarischen Potentiale zu finden und zu entwickeln“. Und dies ist die „große Her­ausforderung für [den] Literaturunterricht“ in der Schule (Rosebrock/Nix 2008, S. 28).

3 Leseförderung

Meine Ausführungen bisher zeigen ausdrücklich, dass das Lesen eine Schlüsselkompe­tenz ist. „Gute Leistungen bei der Lesekompetenz bilden die Grundlage guter Ergebnisse in anderen Fächern und einer vollen Teilhabe am Erwachsenenleben. Die Fähig­keit zur schriftlichen und mündlichen Übermittlung von Informationen ist eine der größten Stärken der Menschheit. Die Entdeckung, dass Informationen über Zeit und Raum hinweg ausgetauscht werden können, ohne durch die Kraft der eigenen Stimme, die Größe eines Veranstaltungsortes und die Genauigkeit des Erinnerungsvermögens eingeschränkt zu sein, war für den menschlichen Fort­schritt entscheidend. [...] Eine gute Lesekompetenz zu erwerben, ist ein Ziel, das Übung und Engagement erfordert.“ (OECD 2010, S. 18).

Dies betont, wie wichtig eine entsprechende Leseförderung auf der Grundlage des bereits dargestellten ist.

3.1 Leseförderung im medialen Zeitalter

Der Begriff ,Leseförderung’ wurde in kürzester Zeit zu einem oft und viel gebrauchten Terminus der Didaktik. Dabei geht es weniger um das Lesen. Im Mittelpunkt stehen der Leser, „dessen Einstellungen zum Lesen, dessen Freude an Büchern und dessen Bereit­schaft, Lesen als kulturelle Daseinsform zu begreifen.“ (Gärtner 1992, S. 12).

Die Aufgabe von Leseförderung umfasst also „den Aufbau und die Sicherung der Lese­motivation, die Vermittlung von Lesefreude und Vertrautheit mit Büchern, die Entwick­lung und Stabilisierung von Lesegewohnheiten.“ (Hurrelmann 1994, S. 17).

[...]

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Leseförderung durch Kinderliteratur in den Klassen 2 und 3 am Beispiel des Themas "Freundschaft mit Tieren"
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Grundschulpädagogik)
Note
2,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
36
Katalognummer
V202165
ISBN (eBook)
9783656284642
ISBN (Buch)
9783656284772
Dateigröße
836 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Leseförderung, Kinderliteratur, Grundschule, Deutsch
Arbeit zitieren
B.Ed. Mandy Balzer (Autor:in), 2011, Leseförderung durch Kinderliteratur in den Klassen 2 und 3 am Beispiel des Themas "Freundschaft mit Tieren", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202165

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