"Hab'n Sie nicht den kleinen Cohn geseh'n?"

Namensstigmatisierung am Beispiel deutscher Juden im Dritten Reich


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Phänomen „Name“
2.1. Zum Begriff
2.2. Die linguistische Struktur von Namen
2.3. „Guten Tag, Cohn mein Name“

3. Ein Vergleich
3.1. Die Namen der Deutschen
3.1.1. Rufnamen
3.1.2. Familiennamen
3.2. Die Namen der Juden
3.2.1. Rufnamen
3.2.2. Familiennamen

4. Stigmatisierung und Namenpolemik
4.1. Begriffsklärung
4.2. Wie Stigmatisierung funktioniert
4.3. Folgen der Namenpolemik
4.4. Namenpolitik im 3. Reich

5. Resümee

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Antisemitische Namenpolemik hat in Deutschland eine lange Tradition. Seit dem frühen 19. Jahrhundert sorgten mündlich überlieferte, in antisemitischen Propagandazeitschriften, oder auf Postkarten bzw. Plakaten verbreitete Witze, Karikaturen und Spottlieder, wie das Lied vom „kleine(n) Cohn“, für Diffamierung und somit oft zur Ausgrenzung jüdischer Namensträger. Hierin, dann in der Entfernung aus dem Hotel, der Straße, dem Dorf, aus dem Land und schließlich in ihrer physischen Auslöschung, lag die Lösung für alle – natürlich von den Juden verursachten - Probleme in Deutschland. Diese Ausgrenzung versuchte man, ab dem frühen 19. Jahrhundert zaghaft und seit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten dann konsequenter, auch auf ihre Namen anzuwenden, um eine Vermischung mit „deutschem Namensgut“ zukünftig zu vermeiden.

„Die nunmehr erreichte scharfe Scheidung zwischen Juden und Deutschen muß sich also für Deutschland [...] als segensreich erweisen, auch deshalb, weil sie eine Quelle gefährlicher Fehlurteile, die angedeutete Gleichsetzung von deutsch und jüdisch, [...] endlich verstopft. Wir müssen uns darüber klar sein, wie abträgig es für den Ruf der Deutschen auf der ganzen Erde gewesen ist, dass so viele (jüdische) Namen deutsch erscheinen.“,

konstatiert Konrad Krause (1943: 132f) in der Schlussbetrachtung seines Werkes „Die jüdische Namenwelt“, welches erschien, als die „Endlösung der Judenfrage“ bereits in „vollem Gange“ war. Um der Rassenideologie Willen versucht er, eine Differenzierung zwischen jüdischen und deutschen Namen vorzunehmen. Herauszufinden, ob eine eindeutige Trennung wirklich erfolgen kann bzw. ob es strukturell erkennbare jüdische Namen überhaupt gibt, ist eine der Aufgaben dieser Arbeit. Hierfür soll zunächst ein Vergleich zwischen der Entstehung und Entwicklung der als typisch deutsch und typisch jüdisch geltenden Ruf- und Familiennamen herangezogen werden, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzudecken. Die Erkenntnisse dieser Untersuchung sollen zeigen, wie Antisemiten die Kategorie „jüdischer Name“ als ein ideologisches Konstrukt durch Markierung sämtlicher Namen schaffen und somit nicht nur das Selbstbewusstsein ihrer jüdischen Gegner systematisch verletzen konnten, sondern vor allem im Bewusstsein fast aller deutschen Mitbürger eine Herabsetzung der jüdischen Staatsbürger erreichten, die von einer gesellschaftlichen Stigmatisierung der Juden sprechen lässt. In diesem Zusammenhang soll geklärt werden was „Stigmatisierung“ bzw. „Namenpolemik“ bedeutet und wie eine solche systematische Stigmatisierung zustande kommt. Der Name als Phänomen spielt hier eine wichtige Rolle. Deswegen wird gleich zu Anfang analysiert, was Namen als sprachliche Zeichen als so besonders auszeichnet und wie sehr der Name mit der Identität seines Trägers verbunden ist. Auch welche gesellschaftlichen Steuerungsfunktionen er hat und wie er linguistisch strukturiert ist, wird gezeigt. Im Verlauf der Arbeit soll herausgestellt werden, wie angreifbar diese zum Namen gehörenden psychologischen und gesellschaftlichen Faktoren sind und dass diese sowie die Missachtung linguistischer Regeln, Namenpolemiken nach sich ziehen kann, welche die Träger dieser betroffenen Namen, die noch nicht einmal immer Juden waren, schier verzweifeln ließen und zur „Namenflucht“ zwangen, welche in dieser Zeit, in der die Obrigkeit nichts mehr fürchtete als die Existenz der in arische Namen „verkappten“ Juden, nicht besonders einfach war.

2. Das Phänomen „Name“

2.1. Zum Begriff

Für Bering (1987: 251) gilt es als ausgemachte Sache, dass die linguistische Kategorie „Name“ eine Universalie sämtlicher Sprachen der Welt ist. Ist der Fakt der körperlichen Existenz die eine Wurzel des „sense of identity“, so der des Benanntseins der zweite, denn: „As named I can be ,more’ than human; I can become a person.“ (Calvello 1983: 10). Dieses „Mehr“ macht die konkrete Existenz in der Welt erst möglich, denn ein Leben ohne zwischenmenschlichen Kontakt ist undenkbar und der Name macht das „Ich“ für Andere erst erreichbar (Vgl. ebd: 94f). Auch den abergläubischen Vorstellungen, die an den Namen einer Person, eines Tieres oder einer Sache anknüpfen, liegt der Glaube an die Identität des Namens mit dem Wesen des Benannten zugrunde. Für diese These sind verschiedene Argumente zu finden. Als erstes sei zu nennen, dass es in vielen Völkern Brauch ist – u.a. auch bei Juden - einem kranken Kind einen „falschen“ Namen zu geben, damit es der böse Geist nicht finden kann, (Vgl. Hoffmann-Krayer/Baechtold-Staeubli 1974: 1035 - 1039) oder einen neuen Namen zu geben, auf dass sich das Leben erneuere (Vgl. ebd.). Des Weiteren wird angenommen, dass die Nennung des Namens einer Selbstpreisgabe gleichkommt und dass die Nennung böser Geister oder Tiere ihr Erscheinen heraufbeschwört. Außerdem soll die Beilegung und Kenntnis des richtigen Namens sowie das Wissen eines Namens überhaupt (Rumpelstilzchen) Macht über das Benannte verleihen.

2.2. Die linguistische Struktur von Namen

Linguisten sind sich Bering (1987: 273) zufolge einig, dass Eigennamen (Propria) innerhalb des Sprachsystems einen besonderen Status haben, denn sie unterscheiden sich durch mancherlei Sonderregeln von den Begriffsworten (Appellativa). Im Folgenden werden einige Unterschiede genauer dargestellt.

Zunächst geht es um die besonderen Merkmale der Morphologie: Eigennamen zeigen Besonderheiten in der Flexion, d.h., dass Endungen tendenziell vermieden werden. Man geht also nicht – wie zu Goethes Zeiten - „mit Lotten“ spazieren, sondern „mit Lotte“ (Vgl. Debus 1966: 273). Beim Genitiv setzt man ein „-s“, also „Katjas“, „Bernds“ und nicht „-es“ wie es bei Appellativen möglich ist, z.B. bei „Rad(e)s“, „Klavier(e)s“. Gesetzt den Fall, dass ein Name schon auf „-s“ endet, kann man durch ein graphisches Zeichen kenntlich machen, dass man den Laut signifikant verlängern möchte („Klaus’“) oder auf eine alte, nur für Personennamen zugelassene Form zurückgreifen („Klausens Fahrrad“). Weiterhin ist bekannt, dass es bestimmte Morpheme gibt, die (fast) ausschließlich den Personennamen vorbehalten sind. Gemeint ist z.B. die diminutive Ableitung mittels „ - tz“ wie bei „Friedrich“ - „Fritz“ und „Heinrich - Heinz“, oder das Suffix „ - i“ in „Uli“ oder „Hansi“ (Vgl. ebd.).

Auf Besonderheiten stößt man auch auf morphophonemischer Ebene. Die Wandlung von „Rat“ zu „Rätin“ z.B. verlangt die Grammatik wegen dem „-i“ in der Folgesilbe. Dieses Gesetz ist bei Eigennamen außer Kraft gesetzt. Die Frau des Herrn „Scholz“ wurde „Scholzin“ und nicht „Schölzin“ genannt (Vgl. ebd.). Bei der Pluralbildung ist es ähnlich (Vgl. ebd.): „Sohn“ vs. „Söhne“ sagt man, aber in den seltenen Fällen der Mehrzahlbildung bei Familiennamen ist dies falsch. Richtig heißt es die „Mendelsohns“ und nicht „Mendelsöhne“. Gerade solche Sprachregelungen bieten die Möglichkeit zur Namenpolemik und zwar durch ihre Missachtung. Nicht selten wurden Juden als „Cöhne“ bezeichnet. Das brachte ein Gelächter, da man trotz formal richtiger Verfahrensweise eine sprachliche Besonderheit produzierte und so zum Ausdruck brachte, dass man sich an das „Gängige“ nicht halten wollte, wenn es um die Juden ging.

Des Weiteren weichen Namen nicht nur in der Schreibweise von lautgleichen (homonymen) Begriffsworten ab, sondern sie haben auch oft eine andere phonologische Struktur. Von Kunst- und Fremdworten abgesehen, sind sie die Einzigen, die volle Vokale im ungedeckten Auslaut des Wortes haben können („Anna“) (Vgl. ebd.).

Adolf Bach (1931: 358) berichtet zudem über Eigentümlichkeiten der rhythmischen Verhältnisse und über die besondere Instabilität des Lautkörpers bei Eigennamen. Außerdem sind sich Forscher darin einig, dass Namen die Kraft haben einen älteren Lautstand zu bewahren. Sie gelten somit als „Versteinerungen“ im sprachlichen Entwicklungsprozess (Ebd.). So findet man bei Propria noch Phoneme, welche die historische Entwicklung sonst gelöscht hat, z.B. die Diphthonge „uo“ und „ui“ in Familiennamen wie „Ruo(f)f“ oder „Luit-“ (Bering 1987: 212).

2.3. „Guten Tag, Cohn mein Name“

Eines der unverzichtbarsten Rituale in Deutschland ist wohl die Begrüßung sowie die Vorstellung. Eibl – Eibesfeld (1973: 115) betont die „friedensstiftende Bedeutung des Grußes im Alltagsleben“, indem er erklärt, dass zwischen den Menschen eine gewisse (Abwehr)-Spannung besteht, die einer besonderen Auflösung bedarf. Diese Spannung hat – seiner Meinung nach - ihren Grund in der temporären Fremdenabwehr des Kindes, die sich im weiteren Leben als „Feindschema Fremder“ erhält. „Auf diese Fremdenfurcht und Fremdenablehnung begründet sich unsere Neigung geschlossene Gruppen zu bilden, und aggressiv auf Fremde zu reagieren, die in die Gruppe eindringen wollen.“ (Ebd.). Aber: Ohne Begrüßung und Vorstellung gibt es in Deutschland keinen Verkehr. Diese Erkenntnis bedeutet im Zusammenhang mit jüdischen Namen und Antisemitismus, dass es für Menschen, die den Verkehr mit einer Gruppe einschränken, oder gar verbieten wollen, kaum ein besser geeignetes Mittel als die negative Markierung gerade des Elementes, welches Zentralstellung bei dem Ritual einnimmt, das die Möglichkeit zum Verkehr überhaupt schafft: Der Name. So kann er als ideales „Frühwarnsystem“ (Vgl. Bering 1987: 285) genutzt werden, da er einem Vorzeigezwang für die Anfangsphase der Kontaktaufnahme unterliegt.

[...]

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Details

Titel
"Hab'n Sie nicht den kleinen Cohn geseh'n?"
Untertitel
Namensstigmatisierung am Beispiel deutscher Juden im Dritten Reich
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
22
Katalognummer
V202455
ISBN (eBook)
9783656287001
ISBN (Buch)
9783656288022
Dateigröße
642 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
cohn, namensstigmatisierung, beispiel, juden, dritten, reich
Arbeit zitieren
Julia Frey (Autor:in), 2012, "Hab'n Sie nicht den kleinen Cohn geseh'n?", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202455

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