Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Zusammenfassung
2. Insomnie – Beschreibung des Störungsbildes
3. Diagnostische Verfahren
4. Störungsmodell der Insomnie
5. Behandlung von Schlafstörungen nach Riemann und Backhaus Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Kurzzeitkonzept
6. Der Faktor sozialer Stress
7. Konsequenzen für die Behandlung von Schlafstörungen?!
7.1 Ergänzung der Behandlung durch spezifische Maßnahmen zum
Umgang mit sozialem Stress – Selbstverbalisation und
Selbstverstärkung
8. Fazit
1. Zusammenfassung
Insomnien gehören neben Hypersomnien, Parasomnien und Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, zu dem großen Komplex der Schlafstörungen. Sie sind am weitesten verbreitet und können jeden Menschen zumindest vorübergehend einmal betreffen (Backhaus & Riemann, 1999). Da Insomnien sowohl als eigenständiges Störungsbild als auch in Zusammenhang mit einer psychischen Störung (z.B. Depression) oder aber infolge einer körperlichen Erkrankung auftreten können, ist ein ausführlicher und differenzierter diagnostischer Prozess unabdingbar (Riemann & Hajak, 2009). Des Weiteren werden aus der jeweiligen Diagnosestellung adäquate Interventionsmaßnahmen abgeleitet, die an verschiedenen auslösenden bzw. aufrecht erhaltenden Faktoren, welche zuvor anhand von Störungsmodellen identifiziert wurden, ansetzen. Für die primäre Insomnie wird neben des Vorhandenseins eines Hyperarousals und dysfunktionalen Schlafgewohnheiten zunehmend der negative Einfluss von Stress auf die Schlafqualität, insbesondere in Form von sozialem Stress, diskutiert (Schulz et al., 2003). In der heutigen psychotherapeutischen Praxis werden bisher rein schlafspezifische Therapiemaßnahmen mit großem Erfolg eingesetzt. Allerdings könnte in Zukunft in Hinblick auf die zunehmende Relevanz von sozialen Stressfaktoren auf die Berücksichtigung von lebenssituationsspezifischen Maßnahmen, wie z.B. der Aufbau sozialer Kompetenzen, nicht mehr verzichtet werden.
2. Insomnie – Beschreibung des Störungsbildes
Im Folgenden möchte ich mich auf die Insomnieformen konzentrieren, die weder eine organische noch eine psychiatrische Ursache haben. Diese sind im ICD-10 als nichtorganische Insomnien (F51.0) klassifiziert und stellen als so genannte primäre Insomnien ein eigenständiges Störungsbild dar (Riemann & Hajak, 2009).
In den westlichen Industrienationen durchgeführte epidemiologische Studien fanden heraus, dass nach ICD-10-Kriterien etwa 10% der Bevölkerung an chronischen insomnischen Beschwerden leiden (Ohayon, 1996 & 2002, zit. n. Riemann & Hajak, 2009). Davon sind ungefähr 30% von einer primären Insomnie betroffen. In Deutschland weisen 4% der Bevölkerung chronische insomnische Symptome auf, die ihre Tagesbefindlichkeit nachhaltig negativ beeinflussen (Hajak, 2001, zit. n. Riemann & Hajak, 2009). Bisher konnte allerdings noch nicht abgeklärt werden, wie hoch der Prozentsatz an Betroffenen ist, bei denen die Insomnie krankheitswertig und damit auch behandlungsbedürftig ist. Diese Zahlen veranschaulichen deutlich, dass Beeinträchtigungen des Schlafes im Sinne einer Insomnie extrem häufig sind. Die diagnostischen Kriterien nach ICD-10 umfassen:
„A. Klagen über Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen oder eine schlechte Schlafqualität ohne erfrischende Wirkung.
B. Die Schlafstörungen treten mindestens dreimal pro Woche während mindestens eines Monats auf.
C. Die Schlafstörungen verursachen entweder einen deutlichen Leidensdruck oder wirken sich störend auf die alltägliche Funktionsfähigkeit aus.
D. Verursachende organische Faktoren fehlen, wie z.B. neurologische oder andere somatische Krankheitsbilder, Störungen durch Einnahme psychotroper Substanzen oder eine Medikation.“(Dilling, 2010, S. 211).
Epidemiologische Studien konnten zeigen, dass Insomnien häufig chronisch verlaufen. In mehreren Studien konnten Backhaus et al. (1999, zit. n. Backhaus & Riemann, 1999) nachweisen, dass 75% der Insomniepatienten bereits ein Jahr und länger unter ihrer Insomnie litten. Oft führen chronische Insomnien zu einer reduzierten Lebensqualität und zu Einschränkungen der psychosozialen Funktionsfähigkeit in privaten sowie beruflichen Lebensbereichen (National Institutes of health state of science conference statement, 2005, zit. n. Riemann & Hajak, 2009). Des Weiteren gehen sie mit erhöhter Tagesmüdigkeit, mit kognitiven Einschränkungen, Stimmungsschwankungen, diversen körperlichen Beschwerden und infolge dessen mit einer erhöhten Inanspruchnahme medizinischer Leistungen einher (Katz & McHorney, 2002; Lèger et al., 2002; Walsh & Engelhardt, 1999, zit. n. Riemann & Hajak, 2009). Weitere Befunde ergaben, dass das Vorliegen einer chonischen Insomnie ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen darstellt, insbesondere für Depressionen sowie Substanzmissbrauch und -abhängigkeit (Breslau et al., 1996; Riemann & Voderholzer, 2003, zit. n. Riemann & Hajak, 2009). So kann die Behandlung von Insomnien bedeutend zur Prävention psychischer Erkrankungen beitragen (Ford & Kamerow, 1989, zit. n. Riemann & Hajak, 2009).
Die Insomnie kann auch als eines von vielen Symptomen bei einer psychischen Störung (z.B. bei Depressionen) oder einer körperlichen Erkrankung auftreten. In diesem Falle wird nur die Diagnose der zugrunde liegenden psychischen oder körperlichen Erkrankung gestellt. Kann sie jedoch als eigenständiges Zustandsbild aufgefasst werden, wird die nichtorganische Insomnie entweder alleine oder zusätzlich zur Hauptdiagnose kodiert (Riemann & Hajak, 2009).
Dieser Sachverhalt weist darauf hin, dass es für eine eindeutige Diagnosestellung einer ausführlichen, genauen und differenzierten Diagnostik bedarf. Denn je nachdem, ob die insomnischen Beschwerden als Symptom einer anderen Erkrankung oder als eigenständiges Störungsbild betrachtet werden, werden daraus verschiedene Ansätze für deren korrekte Behandlung abgeleitet. Tritt die Insomnie beispielsweise infolge einer depressiven Erkrankung auf, so wäre es sinnvoll die Behandlung auf die depressive Symptomatik zu fokussieren, da davon ausgegangen werden kann, dass in diesem Zuge auch die insomnischen Symptome abklingen. Umgekehrt erfordert die Diagnose einer primären Insomnie andere spezifische Therapieansätze für deren Behebung. Diese können dann, wie oben schon erläutert, das Risiko deutlich senken, im weiteren Verlauf an einer psychischen Störung zu erkranken (Riemann & Hajak, 2009).
3. Diagnostische Verfahren
Im Hinblick auf die Relevanz einer differenzierten Diagnose und auf meine Fragestellung ist die genaue Betrachtung der diagnostischen Verfahren in der Praxis von äußerster Wichtigkeit, denn diese stellen den ersten Schritt auf dem Weg zur adäquaten Behandlung des Krankheitsbildes dar. Deren Ergebnisse dienen dazu mögliche Ansatzpunkte für die Therapie der Insomnie abzuleiten, folglich ist es von Vorteil, wenn während des diagnostischen Prozesses möglichst breit gefächert Daten erhoben werden.
Die Patienten, die mit insomnischen Beschwerden die Hausarztpraxis aufsuchen, werden zunächst nach ihrer Schlafhygiene befragt. Dazu gehören Lärm, Licht, Temperatur, Liegekomfort sowie nicht mit dem Schlaf in Verbindung stehende Tätigkeiten und Gewohnheiten des Partners. Ebenso wichtig sind Informationen bezüglich des Zu-Bett-Gehens wie der Zeitpunkt, die Regelmäßigkeit, wiederkehrende Befindlichkeiten und vorausgehende Nickerchen. Anschließend wird auf den Nachtschlaf (subjektive Einschlafdauer, Häufigkeit und Dauer von Wachphasen, Verhalten während dieser Zeiten, etc.) sowie den Zeitpunkt und die Regelmäßigkeit des Aufwachens eingegangen. Des Weiteren wird nach der Tagesbefindlichkeit und nach allgemeinen Beschwerden gefragt, anhand derer der Hausarzt die Schlafprobleme vier Kategorien (Insomnie, Hypersomnie, Parasomnie und Schlaf-wach-Rhythmusstörungen) zuordnen kann. Es folgen eine allgemeinmedizinische Anamnese, in der frühere und noch bestehende Erkrankungen erhoben werden, und eine Auflistung von Medikamenten und Suchtmitteln, die den Schlaf beeinträchtigen können. Als besonders wichtig erachte ich die Frage nach der beruflichen und privaten Lebenssituation, in der mögliche Konfliktsituationen und Belastungsfaktoren identifiziert werden können, die unter den Begriff sozialer Stress fallen. Deren negativer Einfluss auf den Schlaf wird von Patienten recht häufig erwähnt (Grözinger et al., 2008).
Neben der Eigenanamnese spielt auch die Fremdanamnese im diagnostischen Prozess eine wichtige Rolle, denn viele nächtliche Verhaltensweisen lassen sich erst mit Hilfe des Partners oder im Krankenhaus durch beobachtendes Personal erfassen. So können Auffälligkeiten des Atemrhythmus, Schnarchen, motorische Besonderheiten, ungewöhnliche Lautäußerungen etc. entscheidende diagnostische Hinweise sein (Grözinger et al., 2008).
Im Rahmen der diagnostischen Abklärung der primären Insomnie kommen neben der routinemäßig erhobenen klinischen Anamnese auch Schlaftagebücher sowie Schlaffragebögen zum Einsatz. Durch die Anwendung von Schlaftagebüchern ist es möglich morgens und abends subjektive Daten über einen längeren Zeitraum hinweg zu erfassen. So kann mit geringem Aufwand ein Überblick über die Symptomatik gewonnen werden (Riemann & Hajak, 2009).
Um zugrunde liegende organische und psychische Erkrankungen auszuschließen, erfolgt eine ausführliche organmedizinische und klinisch-psychologische/-psychiatrische Untersuchung. Dazu gehört die Durchführung eines Elektrokardiogramms (EKG) und unter Umständen eines Elektroenzephalogramms (EEG), sowie die Erhebung von Routinelaborparametern (Entzündungswerte, Blutbild etc.), um den Stellenwert bekannter organischer Ursachen für die Entstehung der insomnischen Beschwerden abzuklären (Riemann & Hajak, 2009). Es existiert zudem ein strukturiertes klinisches Interview zur Erfassung von Schlafstörungen, welches eine Differenzierung der Insomnie in organisch, psychisch oder primär bedingt erlaubt (Backhaus & Riemann, 1999).
Des Weiteren gibt es die Möglichkeit apparative Untersuchungen durchzuführen. Bei der aktometrischen Untersuchung werden mit Hilfe eines Gerätes am Handgelenk der Schlaf-wach-Rhythmus, einige Parameter des Schlafverhaltens sowie Bewegungsstörungen erfasst (Grözinger et al., 2008). Die Polysomnographie im Schlaflabor ist die differenzierteste Methode und kommt bei der Abklärung von Insomnien als letzter diagnostischer Schritt dann zum Einsatz, wenn verschiedene pharmakologische und verhaltenstherapeutische Verfahren nicht erfolgreich waren. Hierbei können mögliche organische Ursachen wie z.B. Atmungsstörungen festgestellt werden, die bei der Anamnese und klinischen Untersuchung nicht auffallen. Sie stellt damit kein routinemäßig durchgeführtes diagnostisches Verfahren dar. In Zukunft bleibt allerdings zu prüfen, ob die Ergebnisse einer Polysomnographie von differentialtherapeutischem Wert sein könnten. Sie könnten so von vornherein zu der Entscheidung beitragen, ob kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen oder pharmakotherapeutische Strategien eingesetzt werden sollen (Riemann & Hajak, 2009).
4. Störungsmodell der Insomnie
Das folgende Modell dient zur Erklärung der Entstehung und Aufrechterhaltung der primären Insomnie. Sie wird als Folge bzw. Wechselwirkung verschiedener Problembereiche interpretiert, an denen spezifische Interventionsmaßnahmen ansetzen können.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.1: Psychophysiologischer Teufelskreis der primären Insomnie (Morin, 1993, zit. n. Riemann, 1996, S. 21)
Den zentralen Faktor der Insomnie stellt das Hyperarousal dar, d.h. eine Übererregung, die auf emotionaler, kognitiver, physiologischer und motorischer Ebene gleichzeitig oder nur auf einer dieser Ebenen bestehen kann. Kognitiv äußert sich bei vielen Insomniepatienten eine ausgeprägte Hyperaktivität, vor allem in der Nacht, in einem Nicht-abschalten-Können (Kales et al., 1984; Sanavio, 1988, zit. n. Riemann & Hajak, 2009). Die negativ getönten Gedanken beziehen sich auf belastende oder nur unzureichend bewältigte Tagesereignisse, wie z.B. soziale Stresssituationen im privaten oder beruflichen Umfeld, oder direkt auf den Schlafvorgang bzw. die Schwierigkeit zu schlafen. Auf emotionaler Ebene entstehen Ängste, jedoch auch Ärger und Wut über die Schlaflosigkeit und deren antizipierte Konsequenzen (z.B. Müdigkeit, Erschöpfung). Dies erhöht und erhält wiederum die kognitive Anspannung, die sich auch physiologisch äußert, aufrecht. Des Weiteren wird das Hyperarousal durch eine ausgeprägte Selbstbeobachtung sowie den starken inneren Druck, einschlafen zu müssen, verstärkt. Zusätzlich kann bei Insomniepatienten eine Fehlwahrnehmung des Schlafs beobachtet werden. Sie neigen dazu nächtliche Wachzeiten zu überschätzen und Länge sowie Qualität des eigenen Schlafs zu unterschätzen (Harvey & Payne, 2002, zit. n. Riemann & Hajak, 2009).
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