Macht Optimismus glücklicher?


Bachelorarbeit, 2012

43 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung

1 Einleitung

2 Theoretischer Überblick: Optimismus und Pessimismus
2.1 Definition & Abgrenzung
2.2 Dimensionalität
2.3 Woher kommt eine optimistische bzw. pessimistische Einstellung?
2.3.1 Erlernter Optimismus
2.3.2 Dispositioneller Optimismus
2.3.3 Situationsabhängiger Optimismus

3 Macht Optimismus glücklicher?
3.1 Vorzüge einer optimistischen Einstellung
3.1.1 Optimismus& Gesundheit
3.1.2 Optimismus & Soziales
3.2 Schattenseiten von Optimismus & Vorteile von Pessimismus
3.2.1 RiskantesVerhalten: Glücksspiele
3.2.2 Situationsabhängiger Wechsel: Schutz vor negativen Affekten..
3.2.3 Unrealistischer Optimismus
3.2.4 Defensiver Pessimismus

4 Fazit

5 Literatur

Zusammenfassung

ln der vorliegenden Arbeit soll erörtert werden, ob Optimismus glücklicher macht. Zunächst soll unter anderem anhand der Darstellung von Definitionen und verschiedener zugrundeliegender Theorien zur Entstehung und Herkunft von Optimismus und Pessimismus ein theoretischer Überblick über die Thematik geliefert werden. Im Anschluss werden Vor- und Nachteile von Optimismus und Pessimismus diskutiert. Auch wenn eine optimistische Sichtweise in den verschiedensten Bereichen des Lebens (wie Gesundheit, soziales Leben und Wohlbefinden) zahlreiche Vorteile bietet, gibt es dennoch Menschen, bei denen Pessimismus nützlich zu sein scheint und Situationen, in denen Optimismus Nachteile und Pessimismus Vorzüge mit sich bringen kann. Letztendlich kann man die Frage nach dem "richtigen Weg zum Glücklichsein" im Sinne einer optimistischen oder pessimistischen Einstellung nicht pauschal beantworten - die von vielen Menschen bevorzugte optimistische Sichtweise kann, wenn sie sich zu einem gesellschaftlichen Trend oder gar Idealbild entwickelt, zu schädlichen Konsequenzen führen.

1 Einleitung

„Glück ist kein Geschenk derGötter - es ist die Frucht einer inneren Einstellung.“

Fromm (n.d., zit. nach Lieverscheidt-Pelzer, 2007, S. 33)

Glücklichsein ist wohl für viele Menschen eines der obersten Ziele im Leben und wird als fundamentaler Bestandteil von Wohlbefinden und Gesundheit betrachtet (Duckworth, Steen & Seligman, 2005). Auch wenn laut Mauss, Tamir, Anderson und Savino (2011) interindividuelle Unterschiede bestehen können, wie viel Bedeutung dem Glücklichsein im Leben beigemessen wird, so ist es wohl offensichtlich, dass dies generell und von den meisten Menschen als sehr erstrebenswert und wertvoll erachtet wird (Eid & Diener, 2001). Die Frage nach dem "besten Weg zum

Glücklichsein" ist seit Menschengedenken von hoher Anziehungskraft, sowohl im alltäglichen Leben als auch in vielen Bereichen der Wissenschaft. Es kursieren zahlreiche Ideen, Annahmen und Theorien zu den Fragen, was Glück im Leben bzw. Glücklichsein überhaupt bedeutet und wie man es erreichen kann. Erich Fromm (1900-1980), ein deutsch-amerikanischer Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe, ist dabei nur einer unter vielen, der sich mit dieser Thematik beschäftigt hat. Seiner Meinung nach hängt unser Glück von unserer „inneren Einstellung“ ab. Doch was ist die "richtige" innere Einstellung zum glücklich werden und Glücklichsein?

Oftmals steht in dieser Debatte die Annahme im Vordergrund, dass eine positive Lebenseinstellung für unser Wohlbefinden notwendig ist (Held, 2002) und dass Optimismus viele Vorteile mit sich bringt, die für ein glückliches Leben förderlich zu sein scheinen. So wird Optimismus beispielsweise mit einer höheren Lebenszufriedenheit (Norem & Chang, 2002), einer größeren Ausdauer im Erreichen von Zielen, einer besseren Anpassungsfähigkeit und einer höheren Stressbewältigungskompetenz in Zusammenhang gebracht. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass eine optimistische Einstellung auch Vorzüge im Hinblick auf unsere Gesundheit und unser soziales Leben bereithält (Sweeny, Carroll & Shepperd, 2006). „Given the benefits of optimism, an optimistic outlook appears to be the status quo for most people in most instances.“ (Sweeny et al., 2006, S. 302). Optimistische Menschen scheinen insgesamt betrachtet also die "Gewinner auf dem Weg zum Glück" zu sein. Doch ist Optimismus tatsächlich der "Schlüssel" zu einem glücklichen Leben?

Für manch einen mögen sich durchaus kritische Fragen aufwerfen. Was ist, wenn optimistische Menschen unrealistische Erwartungen haben oder Risiken unterschätzen? Ist man als „Pessimist“ nicht besser vor Enttäuschungen geschützt? Ist es für die Psyche und den Körper wirklich gesund, stets optimistisch zu denken und negativen Gedanken und Gefühlen keinen Raum zu lassen, egal mit welcher Art von Schicksalsschlägen man gerade konfrontiert wird? Was bedeutet überhaupt Glücklichsein und wie kann dies definiert werden? Ist es darüber hinaus nicht zu trivial, Optimismus als "gut" und Pessimismus als "schlecht" zu bewerten, wo die Menschen und ihre Lebensumstände doch so verschieden sind? Laut Chang, Chang, Sanna und Hatcher (2008) gibt es in der psychologischen Wissenschaft einen Bestand an Literatur, der darauf hinweist, dass Optimismus auch seine Schattenseiten in sich birgt und Pessimismus unter bestimmten Bedingungen auch Vorteile bieten kann. Held (2002) bezeichnet den vorherrschenden Trend zum Optimismus sogar als Tyrannei. Trotz der augenscheinlich zahlreichen Vorteile einer optimistischen Einstellung stellt sich bei näherer Betrachtung also die Frage, ob man mit einer optimistischen Einstellung tatsächlich den "Schlüssel zum Glücklichsein" in der Hand hält, wie es oftmals postuliert wird.

Um diese Frage einzugrenzen und den Versuch unternehmen zu können, sich einer Antwort anzunähern, ist es notwendig, über den theoretischen Hintergrund der Thematik aufzuklären. In der vorliegenden Arbeit soll daher mit einem theoretischen Überblick, vor allem basierend auf dem aktuellen Forschungsstand der Differenziellen Psychologie, begonnen werden (vgl. Kapitel 2). Es sollen unter anderem die Fragen geklärt werden, wie Optimismus und Pessimismus überhaupt definiert werden, wie sie abzugrenzen sind voneinander und von ähnlichen Konstrukten (vgl. Kapitel 2.1 und 2.2) und wodurch eine optimistische bzw. pessimistische Sichtweise entsteht (vgl. Kapitel 2.3). Werden wir schon als Optimisten oder Pessimisten geboren oder erwerben wir diese Art der Einstellung erst im Laufe unseres Lebens? Ist Optimismus bzw. Pessimismus eine fixe Persönlichkeitseigenschaft oder ist es vielleicht eher von der Situation abhängig, wie wir im Hinblick auf zukünftige Ereignisse denken und fühlen? Im Anschluss an diesen Teil soll es schließlich um die Annäherung an die Leitfrage dieser Arbeit gehen. Macht Optimismus tatsächlich glücklicher? Zunächst werden anhand von empirisch­psychologischen Studien die Vorteile einer optimistischen Einstellung in Bezug auf die unterschiedlichsten Themenfelder dargestellt (vgl. Kapitel 3.1). Darauf folgend soll dann ebenfalls auf der Basis empirischer Evidenz diskutiert werden, worin Nachteile von Optimismus bzw. Vorteile von Pessimismus bestehen können (vgl. Kapitel 3.2) und welche Implikationen sich aus dieser Gegenüberstellung im Hinblick aufdie Frage nach dem "richtigen Weg zum Glück" ergeben können (vgl. Kapitel 4).

2 Theoretischer Überblick: Optimismus und Pessimismus

ln der Literatur zum Thema Optimismus und Pessimismus besteht noch heute weitreichende Uneinigkeit, was die Definitionen und die Dimensionalität dieser Konstrukte angeht. Darüber hinaus ist noch nicht geklärt, woher eine optimistische bzw. pessimistische Einstellung überhaupt kommt und ob sie als feststehende Persönlichkeitseigenschaft, situationsabhängige Einstellung oder gar beides gesehen werden sollte (Chang et al., 2008). Folglich lassen sich viele Ansichten und Theorien finden, die im folgenden Teil der Arbeit erläutert werden sollen.

2.1 Definition & Abgrenzung

„Optimists are people who expect good things to happen to them; Pessimists are people who expect bad things to happen to them“, so umschreiben Carver, Scheier und Segerstrom (2010, S. 879) optimistische bzw. pessimistische Menschen. Dember, Martin, Hummer, Howe und Melton (1989, zit. nach Chang et al., 2008, S. 471) definieren die Konstrukte Optimismus und Pessimismus als positive bzw. negative Lebensperspektive. Bei genauerem Blick auf die gegenwärtige Literatur zum Thema Optimismus/Pessimismus wird man jedoch schnell feststellen, dass diese Definitionen vergleichsweise unspezifisch und weit gefasst sind. So findet man Formulierungen, in denen Optimismus bzw. Pessimismus als kognitive Verzerrung oder Illusion beschrieben wird, während andere in diesem Zusammenhang beispielsweise eher von einer Disposition oder einem Attributionsstil ausgehen (Conversano et al., 2010). Aufgrund dieser bis heute andauernden Uneinigkeit darüber, worauf Optimismus bzw. Pessimismus überhaupt basiert, ist es schwierig, eine klare Definition dieser Konstrukte zu finden (Chang et al., 2008). Laut Sanna und Chang (2003) ist allen Theorien über Optimismus und Pessimismus jedoch die Idee gemeinsam, dass eine Unterscheidung zwischen Optimismus und Pessimismus vor allem auf der Unterschiedlichkeit beruht, wie Menschen Ereignisse in ihrem Leben erklären und vorhersagen. Eine optimistische Einstellung hat demnach zur Folge, dass das Leben positiv interpretiert wird und günstige Ausgänge erwartet werden, während ein Mensch mit pessimistischer Einstellung sein Leben negativ bewertet und davon ausgeht, dass Ausgänge, Resultate bzw. Folgen ungünstig sein werden. Darüber hinaus besteht laut Chang et al. (2008) kein Zweifel darüber, dass diese Konstrukte, egal wie sie letztendlich genau definiert werden, einen Einfluss auf nahezu alles, „from basic decision-making to mortality“ (S. 479), ausüben.

Eine weitere Schwierigkeit in der klaren Definition von Optimismus und Pessimismus besteht darin, dass die meisten Menschen durch den alltäglichen Sprachgebrauch eine eigene Vorstellung davon entwickelt haben, was es heißt, optimistisch oder pessimistisch zu sein. Im Alltag wird Optimismus oftmals mit „positivem Denken“ und „Hoffnung“ gleichgesetzt. Laut Maltby, Day und Macaskill (2010) sind dies jedoch unterschiedliche Konstrukte, die nicht miteinander verwechselt werden sollten und die klar voneinander abzugrenzen sind. „Positive thinking is a childlike assumption that we can create our own destiny with the powers ofthe mind.“ (Maltby et al., 2010, S. 476). Auch wenn positives Denken ein ähnliches Konstrukt wie Optimismus und Hoffnung ist, so ist es doch eine grob vereinfachende Sichtweise. Seligman (1991, 1998, zit. nach Maltby et al., 2010, S. 476) bezeichnet sie als potenziell gefährlich, da den Menschen suggeriert wird, stets positiv zu denken und negative Gedanken zu verdrängen, was negative Konsequenzen nach sich ziehen kann. Die bloße Wiederholung positiver Statements, die der Term „positives Denken“ impliziere (Seligman, 1991, 1998, zit. nach Maltby et al., 2010, S. 477), hebe außerdem weder die Stimmung noch die Leistung an. Hoffnung, als weiteres ähnliches, aber doch klar von Optimismus abzugrenzendes Konstrukt, wird von Maltby et al. (2010) als die individuelle Erwartung definiert, dass bestimmte Ziele erreicht werden können. Optimistisch sein umfasst aber nicht nur einen "hoffnungsvollen Blick" auf das Erreichen von Zielen, sondern bezieht sich auf positive Erwartungen in Bezug auf verschiedenste Ereignisse in der Zukunft (Carver et al., 2010). Hieraus wird ersichtlich, dass Hoffnung und Optimismus zwar ähnlich zu sein scheinen, aber doch unter näherer Betrachtung verschiedene Annahmen implizieren. Laut Maltby et al. (2010) sind Optimismus und Hoffnung zwei voneinander abzugrenzende Konstrukte, die jedoch beide unter der vereinfachten Formulierung des positiven Denkens zusammengefasst werden können.

2.2 Dimensionalität

Sind Optimismus und Pessimismus ebenfalls zwei voneinander abzugrenzende, unabhängige Konstrukte oder beschreiben sie jeweils ein Ende desselben Kontinuums? Ist es unmöglich, hohe Werte von Optimismus und gleichzeitig hohe Werte von Pessimismus zu erzielen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der bis heute andauernden Debatte über die Dimensionalität von Optimismus/Pessimismus. Die einen gehen davon aus, dass Optimismus und Pessimismus als eine Dimension betrachtet werden können. Einer der bekanntesten Tests zur Messung von Optimismus, der Life Orientation Test (LOT bzw. LOT-R als revidierte Fassung), wurde beispielsweise darauf ausgerichtet, Optimismus und Pessimismus als eine Dimension zu behandeln. Erreicht man in diesem Test hohe Werte, so gilt man als eher optimistisch, erreicht man niedrige Werte, so wird man als eher pessimistisch eingestuft. Es gibt jedoch auch Evidenz für die Gegenseite: Einige Forscher berechneten beispielsweise Faktorenanalysen, um die Dimensionalität des LOT bzw. LOT-R abschätzen zu können und fanden heraus, dass eine 2-Faktoren-Lösung den Tatsachen wohl eher entspricht als eine 1-Faktor-Lösung (Kam & Meyer, 2012).

Bisher konnte keine einheitliche Lösung für diese Debatte gefunden werden und demnach ist bis heute unklar, ob Optimismus und Pessimismus derselben Dimension angehören oder zwei unterschiedliche Konstrukte darstellen (Chang et al., 2008). Es gibt jedoch verschiedene Evidenzen für mögliche Verzerrungen der Ergebnisse von Dimensionalitäts-Untersuchungen, die in die zukünftige Forschung miteinbezogen werden sollten und die wichtig sind, um vielleicht irgendwann in der Zukunft Einigkeit im Hinblick auf die Dimensionalitätsdebatte herzustellen. Viele Studien, welche die Bidimensionalität von Optimismus und Pessimismus untersuchten, nahmen beispielsweise an, dass Optimismus und Pessimismus unterschiedlich stark mit anderen Konstrukten korrelieren sollten, wenn sie tatsächlich bidimensional sind. Hier besteht jedoch der Verdacht, dass Befunde für die Bidimensionalität von Optimismus und Pessimismus oftmals nur auf spezifischen Item-Formulierungen basieren und daher als Artefakte der Methodik der jeweiligen Experimente zu betrachten sind (Kam & Meyer, 2012). Laut Kam und Meyer (2012) können Probanden von der Wertigkeit bzw. Günstigkeit der Item-Formulierungen in ihrem Antwortverhalten beeinflusst werden, was auch die Korrelationen zwischen Konstrukten verändern kann. When two constructs are measured by items of opposite valence, their correlation will be deflated because their relationship is underestimated by their differential item valence.“ (Kam & Meyer, 2012, S. 124). Wenn Optimismus beispielsweise im LOT-R durch regulär-kodierte Items gemessen wird („Meine Zukunft sehe ich immer optimistisch“, Beispiel-Item aus der deutschen Fassung des LOT-R von Glaesmer, Herzberg, Klotsche und Hoyer, 2008) und die Abwesenheit von Optimismus bzw. die Anwesenheit von Pessimismus durch invers­kodierte Items („Wenn bei mir etwas schief laufen kann, dann tut es das auch“, siehe oben), so wirken die Items zu Optimismus günstig und vorteilhaft und die Items zu Pessimismus (bzw. zur Abwesenheit von Optimismus, unidimensional zu betrachten) unvorteilhaft und eher negativ. Wenn man nun Optimismus/Pessimismus und Extraversion miteinander korreliert, so wird man feststellen, dass Optimismus stärker mit Extraversion korreliert als Pessimismus, wenn Extraversion durch regulär­kodierte Items gemessen wird (zum Beispiel ein Item wie „Ich bin kontaktfreudig“), da sowohl Optimismus als auch Extraversion durch spezifische Item-Formulierungen eine sehr positive Wertigkeit innehaben. Dies könnte zu der Interpretation verleiten, Optimismus und Pessimismus seien zwei voneinander abzugrenzende Konstrukte (da sie unterschiedlich mit Extraversion korrelieren), obwohl dies eher dem Umstand der Item-Formulierung zuzuschreiben wäre. Bei der weiteren Untersuchung der Dimensionalität von Optimismus und Pessimismus in der Zukunft sollten also Item­Wertigkeiten in die Überlegungen mit einbezogen werden (Kam & Meyer, 2012).

Benyamini (2005, zit. nach Chang et al., 2008, S. 472) geht zudem davon aus, dass Optimismus und Pessimismus unidimensional oder bidimensional in Abhängigkeit davon erscheinen, an welches Ereignis oder welchen Bereich des Lebens der Proband beim Ausfüllen der Messung denkt. „Individuals experiencing an extreme life stressor may be less able to perceive the possibility of both good and bad for the future.“ (Chang et al., 2008, S. 472). Hieraus ergeben sich weitere Implikationen für die Dimensionalitätsforschung in der Zukunft: Denkbar sind Studien, die alle Teilnehmer dazu anleiten, an spezifische Bereiche oder Ereignisse aus ihrem Leben zu denken, um Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit zu gewähren und auszuschließen, dass die spezifische Erinnerung eines Probanden das Ergebnis der Studie im Hinblick auf die Uni- oder Bidimensionalität von Optimismus und Pessimismus verzerrt.

Ein Grund für die bis heute bestehende Uneinigkeit hinsichtlich der Definitionen und der Dimensionalität von Optimismus und Pessimismus könnte in der mangelnden Übereinstimmung in Bezug auf die Ursache und Entstehung einer optimistischen/pessimistischen Einstellung zu suchen sein. Wenn nicht bestimmt ist, ob Optimismus eine Disposition ist, im Laufe des Lebens erlernt wird oder gar von der Situation abhängt, ist es sehr mühsam oder gar unmöglich, zu einer einheitlichen Definition zu gelangen. Des Weiteren wird dadurch auch die Beantwortung der Frage nach der Dimensionalität erschwert: Ob Optimismus und Pessimismus ko-existieren können (sprich als bidimensional zu betrachten sind), hängt maßgeblich von der Frage ab, ob sie als fixe und überdauernde Persönlichkeitseigenschaften zu sehen sind oder ob es vielleicht auch von der Situation abhängt, in der wir uns befinden. So wäre es zum Beispiel vorstellbar, dass ein Mensch im Hinblick auf eine Abschlussprüfung pessimistisch ist, seine Chancen bei einer Lotterie aber optimistisch einschätzt. Folglich wäre anzunehmen, er sei gleichzeitig optimistisch und pessimistisch. Dies hätte zur Folge, dass Optimismus und Pessimismus als zwei voneinander unabhängig existierende Konstrukte zu interpretieren seien, bei denen die Anwesenheit des einen das Vorkommen des anderen nicht ausschließt. Dies wiederum würde aber voraussetzen, dass Optimismus bzw. Pessimismus situationsabhängige Einstellungen sind und nicht dispositionell (also erblich und somit generell feststehend), wie es entgegengesetzt postuliert wird. Vielleicht können aber auch beide Theorien zutreffen?

2.3 Woher kommt eine optimistische bzw. pessimistische Einstellung?

Es gibt viele Theorien über die Entstehung und Herkunft einer optimistischen bzw. pessimistischen Einstellung. Die einen gehen davon aus, dass man im Laufe seines Lebens lernt, entweder optimistisch oder pessimistisch zu denken. Andere folgern (eventuell ergänzend), dass es eine Disposition ist, optimistisch oder pessimistisch zu sein und dass dies als fixe Persönlichkeitseigenschaft betrachtet werden kann. Wieder andere sind der Meinung, es sei situationsabhängig, wie unsere Einstellung in Bezug auf Ereignisse in der Zukunft aussieht. Im Folgenden sollen die verschiedenen Ansätze vorgestellt werden.

2.3.1 Erlernteroptimismus

Der Ausdruck „erlernter Optimismus“ stammt von Martin E. Seligman (einem populären US-amerikanischen Psychologieprofessor) und seinen Kollegen. Die Theorie des erlernten Optimismus ist an die Theorie der erlernten Hilflosigkeit (ebenfalls von Seligman) angelehnt. Diese besagt, dass eine Person gelernt hat, ihre Fehlschläge internalen, stabilen und globalen Faktoren zuzuschreiben. Dies bedeutet, dass diese Person davon ausgeht, dass sie selbst Schuld an einem Fehlschlag ist (internal) und in allen anderen künftigen Situationen Fehlschläge erleben wird (stabil und global). Situationen scheinen unkontrollierbar zu sein (Maltby et al., 2010). Diese Theorie beruht auf einer Reihe von heutzutage ethisch sehr umstrittenen Experimenten. Seligman sperrte Hunde in Boxen ein und setzte sie im ersten Versuchsdurchlauf einem milden elektrischen Schock aus, nachdem ein kurzes Tonsignal zu hören war. Die ursprüngliche Erwartung, dass die Hunde den Ton mit dem Schock in Verbindung brächten und im zweiten Versuchsdurchlauf infolgedessen die Box verließen (was ihnen nun möglich war), konnte nicht bestätigt werden. Es zeigte sich im Gegenteil, dass die Hunde „hilflos“ wurden und einfach passiv liegen blieben, wenn sie das Tonsignal hörten. Seligman (1975, zit. nach Maltby et al., 2010, S. 461) bezeichnete diesen Effekt als „erlernte Hilflosigkeit“.

Seligman (1998, zit. nach Maltby et al., 2010, S. 461) geht in seiner Theorie zudem davon aus, dass erlernte Hilflosigkeit im Zentrum einer pessimistischen Einstellung steht. Darüber hinaus nimmt er an, dass man nicht nur Hilflosigkeit und infolgedessen Pessimismus erlernen kann, sondern auch Optimismus. In seinen Experimenten zeigte sich, dass 33 % der untersuchten Hunde nicht dazu zu bringen waren, sich hilflos und gelähmt zu fühlen. Stattdessen schienen sie widerstandsfähig zu sein, sie suchten stets nach Wegen, die negative Situation zu vermeiden oder aus ihr zu flüchten. In weiteren Experimenten konnte er dies auch auf Menschen übertragen. Darüber hinaus wurde ersichtlich, dass Hunde, die als Welpen gelernt hatten, den elektrischen Schock vermeiden zu können, in späteren Versuchen nicht mehr dazu zu bringen waren, Hilflosigkeit zu erlernen. Seligman (1998, zit. nach Maltby et al., 2010, S. 462/463) legte diesen Theorien zur erlernten Hilflosigkeit bzw. zum erlernten Optimismus in Bezug auf Menschen den jeweiligen Erklärungsstil einer Person zugrunde: „There were individual differences between humans in the way they explained adverse and negative situations to themselves (explanatory style).“ (Seligman, 1998, zit. nach Maltby et al., 2010, S. 462). Demnach erklären sich pessimistische Menschen negative Situationen als internal, stabil und global (wie bereits erwähnt), während optimistische Menschen negative Situationen external („Es liegt an äußeren Umständen und nicht an mir“), zeitlich bedingt („Es wird auch wieder vorübergehen“) und spezifisch („Das passiert nicht in allen Bereichen meines Lebens“) interpretieren. Letztere versuchen aktiv, die Situation zu verbessern, während erstere passiv bleiben und negative Situationen im Sinne der erlernten Hilflosigkeit einfach ertragen.

Die Basis der Theorie des erlernten Optimismus von Seligman begründet sich im so genannten „ABC-Format“. Die „ABCs“ sind „Unglück“ (adversity, „A“), „Überzeugungen über das Unglück formen“ ( forming beliefs about adversity, „B“) und „die Konsequenzen, die diese Überzeugungen haben“ (the consequences those beliefs have, „C“). „The key to learning optimism“ (Malty et al., 2010, S. 463) liegt bei den Überzeugungen, die man über das Unglück bildet (B). Wie man über negative Ereignisse oder Situationen denkt und fühlt, beeinflusst die Folgen. Wenn eine Person also eine negative Situation pessimistisch sieht (internal, stabil und global), wird sie in der Konsequenz möglicherweise moderate oder ernstzunehmende Depressionen entwickeln, abhängig von der Ernsthaftigkeit der Situation, da sie im Gegensatz zu einem Optimisten passiv bleibt und keine aktiven Versuche unternimmt, die Situation zu verbessern (Maltby et al., 2010). Ob wir optimistisch oder pessimistisch sind, hängt also laut dieser Theorie allein von unseren Überzeugungen ab, die wir über eine Situation bilden.

Seligman (1991, zit. nach Maltby et al., 2010, S. 463) hebt zwei Taktiken hervor, die Pessimismus bzw. erlernte Hilflosigkeit im Sinne negativer Überzeugungen über eine Situation bekämpfen können und stattdessen womöglich dafür sorgen, dass man optimistisch denkt: Ablenkung und Disputation. Mit Ablenkung ist gemeint, dass man Probleme oder negative Gedanken für eine Weile beiseite schiebt, um die Situation neu bewerten zu können und dadurch einen anderen Blick auf die Dinge zu bekommen. Disputation sollte danach erfolgen und bezeichnet die Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken und Gefühlen: „Warum denke ich so negativ über die Situation?“ (Maltby et al., 2010).

[...]

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Macht Optimismus glücklicher?
Hochschule
Universität zu Köln
Veranstaltung
Differenzielle Psychologie
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
43
Katalognummer
V202755
ISBN (eBook)
9783656308515
ISBN (Buch)
9783656309604
Dateigröße
544 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Optimismus, Optimist, Pessimismus, Pessimist, Gesundheit, Soziales Leben, Glücklichsein, Glück im Leben, Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit, Erlernter Optimismus, Dispositioneller Optimismus, Situationsabhängiger Optimismus, Unrealistischer Optimismus, Defensiver Pessimismus, Glücksspiele
Arbeit zitieren
Sarah Bestgen (Autor:in), 2012, Macht Optimismus glücklicher?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202755

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