Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Entwicklung der Bestattungskultur in Deutschland
2.1 Der mittelalterliche Kirchhof
2.2 Die Auslagerung des Friedhofs – Trennung von Grab und Kirche
2.3 Der kommunale Friedhof und die bürgerliche Bestattungskultur
2.4 Das Bestattungsunternehmen
2.5 Die Feuerbestattung
2.6 Die Entwicklung des Friedhofes im 20. Jahrhundert
2.6.1 Der Reformfriedhof
2.6.2 Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg
2.6.3 Anonymisierung der Bestattungskultur
2.6.3.1 Folgen für die Friedhöfe
2.6.3.2 Aspekte der bestattungskulturellen Miniaturisierung
3 Discountbestattungen
3.1 Umfang und Einsparpotenziale
3.2 Entstehung – Gründe auf Kundenseite
3.3 Entwicklung – Gründe von Anbieterseite
4 Sozialamtsbestattungen und Ordnungsamtsbestattungen in Theorie und Praxis
4.1 Sozialamtsbestattungen
4.2 Ordnungsamtsbestattungen
4.3 Diskrepanzen zwischen Rechtsprechung und Praxis
5 „Ich will ja niemanden zur Last fallen!“ – Über die Wahl von anonymen Bestattungen im Rahmen der Bestattungsvorsorge
5.1 Die Bestattungsvorsorge
5.2 Die anonyme Bestattung
5.3 Gründe
5.4 Folgen
6 Zur Kritik des Wandels in der Bestattungskultur
6.1 Feuerbestattung
6.2 Anonyme Bestattung
6.3 Discountbestattung
7 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
1 Einleitung
In meinem Berufsalltag als Angestellter in einem kleinen Bestattungsunternehmen bei Hannover ist mir in den vergangenen Jahren aufgefallen, dass sich Angehörige und Vorsorgende immer häufiger für einfachere Bestattungen entscheiden. Dabei bemerke ich nicht nur eine Entwicklung hin zur Auswahl von günstigeren Särgen und eine sich abzeichnende Präferenz der Feuerbestattung, sondern oft auch einen Verzicht auf die sonst übliche Trauerfeier und eine namentlich gekennzeichnete Grabstelle. Es erreichen mich immer mehr Anrufe oder E-Mails, in denen Angehörige von kürzlich Verstorbenen sich zunächst unverbindlich über das Preisgefüge informieren wollen[1]. Im Verlauf des darauf folgenden Gespräches stellt sich heraus, dass der Nachfragende[2] sich für die günstigste Möglichkeit einer Bestattung interessiert, die in den meisten Fällen (vgl. Nölle 2003: 59)[3] eine Feuerbestattung ohne Trauerfeier mit anonymer Urnenbeisetzung ist. Selbst teilweise mehrere hundert Kilometer vom Lebensmittelpunkt und/oder Sterbeort des Verstorbenen entfernte Krematorien und Friedhöfe werden aufgrund ökonomischer Argumente in Anspruch genommen. Allein in Niedersachsen gibt es erhebliche Unterschiede bei den Friedhofsgebühren zwischen den einzelnen Friedhöfen: Eine Urnenbestattung im anonymen Urnengrab kann von 225 Euro bis zu 1820 Euro kosten (vgl. Tabelle 1). Auch die Ordnungsämter greifen bei Bestattungen von mittellos und ohne Angehörige Verstorbenen seit einigen Jahren auf diese Möglichkeiten zur Kostensenkung zurück.
Als mich 2007 die Einladung vom Kuratorium Deutsche Bestattungskultur e. V. zur Tagung „Verarmt, verscharrt, vergessen“ (Gernig 2008) erreichte, erhoffte ich mir, dort Erklärungen für diesen Wandel in der Bestattungskultur zu erhalten. Stattdessen warfen die Beiträge der teilnehmenden Experten nur noch mehr Fragen in mir auf, die ich in der vorliegenden Arbeit untersuchen werde.
In Anlehnung an die von mehreren Autoren in verschiedenen Bereichen beobachtete Ökonomisierung des Bestattungswesens in Deutschland[4] werde ich die Gründe des in letzter Zeit verstärkt sichtbaren Wandels[5] der Bestattungspraxis erklären, die sich von der traditionellen Beerdigung im Familien- und Freundeskreis hin zur anonymen (Feuer-)Bestattung verschiebt, die aus Kostengründen durchaus mehrere hundert Kilometer entfernt vom Lebensmittelpunkt des Verstorbenen ohne Trauerfeier und ohne Beteiligung der Angehörigen stattfindet.
Für diese Untersuchung bietet sich zunächst ein Rückblick auf die jüngere Entwicklung der Bestattungskultur und ihrer Rahmenbedingungen in Deutschland an. An dieser Stelle sind der kontinuierliche Anstieg der Feuerbestattungen in Deutschland seit der Errichtung des ersten Krematoriums in Gotha 1878, das erstmalige Auftauchen und die stetige Zunahme anonymer Beisetzungen seit den 1970er-Jahren (vgl. Sörries 2008: 47, 52; vgl. Fischer 2008: 50 f.), der schrittweise Wegfall des sogenannten Sterbegeldes (1989–2004)[6], die Errichtung privat betriebener Krematorien (vgl. Fischer 2008: 53 f.) und der Markteintritt sogenannter Discountbestatter[7] (vgl. Nölle 2003: 39 f., 93; vgl. Helmers 1989: 105) (seit Ende bzw. Anfang der 1990er-Jahre) hervorzuheben. Diese Veränderungen werden von vielen Autoren als Folgen eines Werte- oder Kulturverfalls[8] hin zu einer Entsorgungsmentalität[9] – was zu untersuchen ist – angeführt.
Der Blick in die Vergangenheit offenbart zudem, wie und woraus jene Bestattungskultur, die sich gegenwärtig wandelt, überhaupt entstanden ist und relativiert dadurch die kulturpessimistischen Äußerungen, die das Entstehen einer Entsorgungsmentalität kritisieren: Das bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschende Interesse am Friedhof und seiner Gestaltung war kein Dauerzustand; diese Episode relativ pompöser, bürgerlicher Bestattungskultur mit aus Grabsteinen gestalteten Familiengräbern beschreibt vielmehr eine – in heutiger Zeit häufig romantisierte – Epoche in der Entwicklung der Bestattungskultur. Das namentlich gekennzeichnete Grab auf einem Friedhof, das von Verfechtern der These der Entsorgungsmentalität als Status quo der Friedhofskultur in Deutschland bezeichnet wird, ist vielmehr eine relativ junge Erfindung, die vor der Gründung der kommunalen Friedhöfe in Deutschland und der damit einhergehenden Bürokratisierung des Friedhofs- und Bestattungswesens in weiten Teilen der Bevölkerung gänzlich unbekannt war.
Erkennbar ist, dass die Ökonomisierung des Bestattungswesens, deren Beginn in der Mitte der 1990er-Jahre parallel zum Auftauchen der ersten Discountbestatter verortet wird, in Wirklichkeit eine viel längere Geschichte hat: Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Bestattungsinstitute in Deutschland gegründet. Es bildete sich ein Markt für Bestattungen heraus, dessen Umfang allerdings aufgrund moralischer Restriktionen lange Zeit der Allgemeinheit verborgen blieb.
Im weiteren Verlauf möchte ich anhand der Analyse von drei verschiedenen, für die heutige Zeit typischen Bestattungsszenarien, an denen die Veränderung im Bestattungsverhalten besonders deutlich wird, die Gründe hinterfragen, die dazu geführt haben, dass die Art einer Bestattung immer mehr nach ökonomischen Kriterien ausgewählt wird.
Die alleinige Ausrichtung einer Bestattung an ökonomischen Kriterien ist möglich geworden; Discountbestatter bieten diesbezüglich ein Komplettpaket mit Einäscherung und Urnenbeisetzung im benachbarten Ausland[10] an. Dies kann als exemplarisch für die sich gegenwärtig vollziehenden Transformationsprozesse der Bestattungskultur herangezogen werden und wird von mir untersucht.
Das Feld der Sozialamtsbestattungen und insbesondere der Ordnungsamtsbestattungen gilt es zu untersuchen, da die Kommunen, die durch Sozialämter und Ordnungsämter diese Bestattungen in Fällen von finanziell nicht leistungsfähigen Angehörigen bzw. Verstorbenen ohne bestattungspflichtige oder -willige Angehörige finanzieren bzw. anordnen, streng auf die Verhältnismäßigkeit der Kosten für die Bestattung achten. So ist es bei vielen Kommunen üblich, dass für Verstorbene im Rahmen einer Ersatzvornahme (so die offizielle Bezeichnung für Ordnungsamtsbestattungen) Feuerbestattungen ohne Trauerfeier mit anschließender anonymer Urnenbeisetzung – die häufig auf ortsfernen Friedhöfen stattfindet – angeordnet werden, obwohl dies einen Verstoß gegen die verfassungsmäßigen Grundrechte, insbesondere gegen die postmortale Menschenwürde, darstellt (vgl. Spranger 2011: 17, 46, 60 f., 64, 70, 72, 91).
Selbst im Rahmen von Bestattungsvorsorgen, die dem Vorsorgenden eigentlich die Einhaltung eines Mindeststandards der Bestattung garantieren sollten, ist Pragmatismus und Sparsamkeit zu erkennen: Menschen, die zu Lebzeiten ihre eigene Bestattung planen, verordnen sich eine Feuerbestattung mit anonymer Beisetzung, weil sie ihre Angehörigen nicht mit den als zu hoch empfundenen Kosten und der Verpflichtung zur Pflege eines konventionellen Grabes belasten wollen.
Abschließend werde ich auf die Kritik am Wandel der Bestattungskultur eingehen. Dabei möchte ich mich nicht den unreflektiert normativen Klagen über einen Werteverfall (vgl. Sörries 2008: 192) anschließen, sondern vielmehr die Argumente der Kritiker auch im Hinblick auf ihre jeweiligen Interessen hinterfragen.
2 Die Entwicklung der Bestattungskultur in Deutschland
Um die kulturpessimistische These des Verfalls der Bestattungskultur untersuchen zu können, wird zunächst die Entwicklung beschrieben, die zu dem Zustand geführt hat, der als Status quo der Bestattungskultur angesehen wird. Dieser Prozess lässt sich als Entzauberung des Todes mit Stichwörtern wie „'Individualisierung', 'Säkularisierung', 'Technisierung' und 'Professionalisierung'“ (Fischer 2001: 2) zusammenfassen und begann vor allem in den Städten. Der ländliche Bereich blieb länger von konfessionellen Traditionen geprägt (vgl. Fischer 2001: 2).
2.1 Der mittelalterliche Kirchhof
Vor der ersten Welle der Friedhofsverlegungen im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurden Verstorbene im Umkreis der Kirche auf dem Kirchhof oder vereinzelt auch in einer privilegierten Grabstätte direkt in der Kirche bestattet, wobei das Bestattungswesen fest in kirchlicher Hand war (vgl. Sörries 2009a: 47). Das Dasein der Verstorbenen endete nach mittelalterlichem Verständnis keinesfalls mit dem Tod: Man glaubte vielmehr an eine Weiterexistenz der Toten (vgl. Nölle 2003: 76; Sörries 2009a: 73 f.) und „ging von einer gegenseitigen Einflussnahme aus“ (Assig 2007: 43). Seitdem sich im „13. Jahrhundert der Glaube an das Fegefeuer als Zwischenstation zwischen dem Tod und dem Eingehen ins Paradies verbreitete“ (Nölle 2003: 90), sollten Fürbitten, Gebete und Seelenmessen der Überlebenden die Qual im Fegefeuer für die Verstorbenen verkürzen (vgl. Nölle 2003: 76; Assig 2007: 43); dabei wurde angenommen, dass die Verstorbenen, „sind sie einmal im Paradies, […] für diejenigen beten, die ihnen aus dem Fegefeuer herausgeholfen haben“ (Nölle 2003: 85 zit. n. LeGoff 1990: 338). Dieser Glaube zeugt von der großen Bedeutung „familiärer Gemeinschaften für Leben und Tod“ (Nölle 2003: 85 zit. n. LeGoff 1990: 338) sowie der Sorge um die Verstorbenen als „Aufgabe und Liebespflicht der christlichen Glaubensgemeinde“ (Assig 2007: 43 zit. n. Richter 1990: 11). Auch die Lage des Kirchhofs inmitten der Besiedlung „belegte […] die stete Gegenwart der Toten“ (Fischer 2001: 6). Erstrebenswert war die Bestattung „in möglichst großer Nähe zum kirchlichen Altar“ (Fischer 2001: 4): Während auf dem Kirchhof längst nicht alle Verstorbenen bestattet wurden (vgl. Fischer 2001: 5; Sörries 2009a: 47), entwickelte sich die ursprünglich nur Geistlichen zugebilligte privilegierte Grabstätte direkt in der Kirche „trotz mehrfacher Verbote zum käuflichen Statussymbol für die weltlichen Oberschichten. Religiöse Elemente vermischten sich mit dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach öffentlicher Repräsentation“ (Fischer 2001: 4 f.; vgl. Sörries 2009a: 61).
Innerhalb der Begrenzung durch die Friedhofsmauern wurden die Toten in „mehr oder weniger planlos ausgehoben[en Gruben; S.C.] […], wo gerade Platz war“ (Sörries 2009a: 39) bestattet, „das einzelne Grab war eher ein Privileg als die Regel“ (Sörries 2009a: 49). Ein Anspruch auf eine Ästhetik der Gestaltung der Kirchhöfe und der Gräber wurde nicht erhoben, „denn nicht das Grab war der Ort der Trauer“ (Sörries 2009a: 50); die liturgischen Handlungen, über die eine Kommunikation mit den Verstorbenen stattfand, orientierten sich vielmehr an der Kirche als kultischem Zentrum (vgl. Assig 2007: 43). Dementsprechend fand weder die heute weit verbreitete Grabkennzeichnung noch Grabpflege oder Grabmalgestaltung statt (vgl. Assig 2007: 44), der Kirchhof glich eher einer holprigen Wiese mit Grabhügeln und tiefen Mulden (vgl. Sörries 2009a: 49). Aufgrund der beengten räumlichen Verhältnisse auf den Kirchhöfen mussten die Gräber oftmals bereits nach fünf bis zehn Jahren für die nächste Bestattung geräumt werden (vgl. Sörries 2009a: 53). Die verbliebenen Überreste – in diesem Zeitraum sind Schädel und größere Knochen noch nicht vergangen – wurden platzsparend in sogenannten Beinhäusern zweitbestattet (vgl. Sörries 2009a: 53 f.).
2.2 Die Auslagerung des Friedhofs – Trennung von Grab und Kirche
Im Rahmen der im Verlauf des 16. Jahrhunderts beginnenden ersten Friedhofsverlegungswelle begannen die nunmehr vor den Toren der Städte neu angelegten Begräbnisplätze, die innerstädtischen Kirchhöfe zu ersetzen. Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren ein sich entfaltendes Bewusstsein für hygienische Probleme, mit dem der Kirchhof zunehmend als Quelle von Infektionen und Luftverschmutzung empfunden wurde sowie die Reformationsbewegung, die den mittelalterlichen Totenkult kritisierte. Bestattungsrituale wurden auf die Hinterbliebenen fokussiert, eine dem Diesseits zugewandte Trauerkultur entstand, „Erinnerung und Gedächtnis spielen nun eine größere Rolle als der Versuch, die Verstorbenen im Nachhinein auf ihrem Weg ins Jenseits zu unterstützen“ (Fischer 2001: 8). Diese Epoche brachte „wesentliche Merkmale eines Umgangs mit dem Tod hervor, der sich als 'modern' kennzeichnen lässt“ (Fischer 2001: 8).
Bereits um 1400 traten erste Verordnungen in Kraft, die innerstädtische Bestattungen untersagten, weil man Zusammenhänge zwischen der Ausbreitung der Pest und mangelnder Hygiene entdeckte bzw. vermutete (vgl. Sörries 2009a: 70). Die außerstädtischen Notfriedhöfe der Pestzeiten wurden jedoch nach dem Abflauen der Pest zugunsten der traditionellen innerstädtischen Bestattung meistens wieder aufgegeben, da ihnen der kultische Charakter des Kirchhofs fehlte (vgl. Sörries 2009a: 71). Im Zuge der Reformation fanden schließlich „religiöse Reformen und Forderungen städtischer Gesundheitspolitik […] – gegen den Widerstand altgläubiger Eliten – zu einer regelrechten Symbiose“ (Fischer 2001: 9), aus der die erste Welle der Friedhofsverlegungen hervorging (vgl. Sörries 2009a: 104).
Durch die Reformatoren wurde die zuvor gültige Auffassung verneint, „die einen Zusammenhang zwischen der Bestattung nahe des Altars und dem Seelenheil des Verstorbenen hergestellt hatte“ (Fischer 2001: 8) und durch Annahme einer gegenseitigen Mittlerschaft zwischen Toten und Lebenden die liturgischen Handlungen des bisherigen Totenkultes begründete (vgl. Assig 2007: 44). Die Seelsorge wurde im protestantischen Verständnis nutzlos, „da das Schicksal des Verstorbenen allein in Gottes Hand läge“ (Assig 2007: 44) und nicht mehr durch die sogenannten Seelgeräte[11] beeinflusst werden konnte. Damit wurden auch die theologischen Voraussetzungen für eine „Trennung von Grab und Gotteshaus“ (Assig 2007: 44) geschaffen; „an die Stelle der Verortung des Totengedenkens in Kult und Liturgie tritt der konkrete Ort des Grabes, der zu einem Mittelpunkt gesellschaftlicher Reputation wird“ (Sörries 2009a: 102) und die Würdigung des Individuums in der protestantischen Leichenpredigt (vgl. Sörries 2009a: 107). In protestantischen Gegenden setzte so die erste Welle der Friedhofsverlegungen ein, während die Katholiken an ihren geweihten Kirchhöfen so weit wie möglich festhielten (vgl. Sörries 2009a: 101 f.). Trotzdem wurde damit das Ende „einer universellen Sinndeutung und Praxis“ (Fischer 2001: 8) in Bezug auf die Bestattungskultur und damit eine Konfessionalisierung der Friedhöfe eingeleitet.
Bei der Gestaltung der neuen Begräbnisplätze ging es in erster Linie um Aufhebung der nunmehr „als unhaltbar empfundenen Verhältnisse auf dem Kirchhof“ (Assig 2007: 45), sie wurden im Gegensatz zu den polyfunktionalen Kirchhöfen – auf denen auch Märkte und andere Veranstaltungen stattfanden (vgl. Fischer 2001: 4) – „zu spezifischen Orten des Todes, auf denen neue ästhetische Ausdrucksformen entfaltet werden konnten“ (Fischer 2001: 10). Die Gesundheit und die Interessen der Hinterbliebenen rückten in den Mittelpunkt, womit sich die Bedeutung von Friedhof und Grabstätte „von einer jenseits- zu einer vorrangig diesseitsgerichteten“ (Assig 2007: 45) entwickelte. Während auf dem mittelalterlichen Kirchhof die repräsentativen, privilegierten Beisetzungsorte innerhalb der Kirchen nur weltlichen und geistlichen Fürsten vorbehalten waren, „erfasste der Wunsch nach sozialer Selbstdarstellung immer breitere Schichten der Bevölkerung“ (Sörries 2009a: 107). Zwar waren das eigene Grab und das Grabmonument (vgl. Sörries 2009b: 15) weiterhin nur der Oberschicht vorbehalten, doch waren diese Möglichkeiten der repräsentativen Bestattung auf dem außerstädtischen Friedhof nun auch für „Bürgermeister, Patrizier, Handwerksmeister, Kaufleute und alle[,] die es sich finanziell leisten wollten“ (Sörries 2009a: 107), gegeben (vgl. Fischer 2001: 9).
Mit der Zunahme der Gestaltungsabsicht von Friedhöfen ging der Rückgang der spirituellen Elemente der Totenfürsorge einher (vgl. Sörries 2009a: 102), womit das enge Verhältnis zu den Toten gelockert wurde. Stattdessen verdichteten sich die Bindungen innerhalb der diesseitigen Gemeinschaften (vgl. Assig 2007: 45). Trotz der räumlichen Auslagerung des Friedhofes nahm die Trauer weiterhin einen zentralen Platz in der Gesellschaft ein, neben der Kirche ist auch die Nachbarschaft bei der Totenfürsorge bedeutsam.
2.3 Der kommunale Friedhof und die bürgerliche Bestattungskultur
Im späten 18. Jahrhundert gab es aufgrund des voranschreitenden Wachstums der Städte eine erneute, umfassendere Welle von Friedhofsverlegungen (vgl. Fischer 2001: 20 f.). Darüber hinaus versuchte der Staat, stärkeren Einfluss auf das sich bis zu diesem Zeitpunkt unter kirchlicher Kontrolle befindende Bestattungswesen zu nehmen und griff seit der Zeit um 1700 „zunehmend als Kontroll- und Aufsichtsinstanz in das Bestattungswesen ein“ (Fischer 2001: 15), wobei „Medizin, Recht und andere Professionen die legitimatorischen Grundlagen lieferten“ (Feldmann 2010: 46). Die zunehmende staatliche Reglementierung weiterer Bereiche von Alltag und Gesellschaft als Zeugnis des schwindenden Einflusses der Kirchen setzte sich zunächst in den Städten, später im Verlauf des 18. Jahrhunderts auch in ländlichen Regionen durch (vgl. Fischer 2001: 15).
Da die konfessionellen Friedhöfe bisher keine Bestattungen von Andersgläubigen zuließen, wird im bürgerlichen 19. Jahrhundert die Idee des kommunalen Friedhofs geboren, der die „häufig diskriminierenden Grenzen zwischen den Konfessionen“ (Sörries 2009a: 129) überwinden sollte; die einst kirchliche Domäne der Bestattung (vgl. Fischer 1997: 20) wurde nunmehr zur Aufgabe der öffentlichen Daseinsfürsorge (vgl. Sörries 2009a: 135). Die Bestattungskultur hatte sich vom „streng religiösen Kontext befreit und eine Mischung aus christlichen Elementen, privater Emotionalität und gesellschaftlichen Prestigedenken entfaltet“ (Fischer 1997: 136); es entstanden unter kommunaler Trägerschaft weit außerhalb der Städte repräsentative Friedhöfe mit Trauerhallen und Verwaltungsgebäuden, die „unter zunehmender gartenkünstlerischer Gestaltung […] zur Kulisse des bürgerlichen Grabmalkults“ (Fischer 2001: 2) wurden. Im Zentrum der bürgerlichen Trauer- und Bestattungskultur standen die individuelle Lebensleistung des Verstorbenen und ihre Repräsentation über den Tod hinaus (vgl. Fischer 1997: 136).
Auf den Friedhöfen wurde die für diese Epoche typische spannungsreiche Beziehung zwischen Vernunft und Gefühl (vgl. Fischer 2001: 2) nicht zuletzt durch die in erster Linie als Reaktion auf die Furcht vor dem Scheintod (vgl. Fischer 1997: 88 ff.) sowie auch aus hygienischen Gründen (vgl. Fischer 2001: 19) auf den Friedhöfen errichteten Leichenhallen deutlich. Sie sollten die hygienisch nunmehr „als bedenklich betrachtete Hausaufbahrung ablösen“ (Fischer 1997: 90f.) – womit der Abschied von den Verstorbenen auf die Trauerfeier reduziert wurde (vgl. Sörries 2009a: 129 f.) – und wurden somit zum „architektonischen Ausdruck einer neuartigen, technisch-hygienischen Rationalität“ (Fischer 1997: 91) sowie „einer zunehmenden behördlichen Kontrolle und Bürokratisierung im Umgang mit den Toten“ (Fischer 2001: 19).
Die kultische Ordnung auf dem Kirchhof wurde durch eine gesellschaftsorientierte, hierarchische Ordnung auf dem Friedhof ersetzt – verdienstvolle Personen und privilegierte Familien erhielten besondere Grabplätze – die den Verlust des Kirchenbegräbnisses ersetzen sollten (vgl. Assig 2007: 46). Das aufsteigende Bürgertum „nutzte romantisches Gedankengut, um seinen nach unseren heutigen Vorstellungen sentimentalen Totenkult auszuschmücken“ (Feldmann 2010: 46), kostenträchtige Begräbnisse, Rituale und Grabstätten dienten zur Abgrenzung von den unteren Klassen, wobei man sich zunehmend an adligen Vorbildern orientierte (vgl. Assig 2007: 46; vgl. Feldmann 2010: 49). Diese Grabmalkultur erschien nun ebenso erstrebenswert wie erreichbar, da durch neue Produktionstechniken und verbilligte Transportwege ein Grabmal nun für fast jedermann erschwinglich wurde (vgl. Sörries 2009a: 129 ff.). Infolgedessen entwickelten die Friedhöfe eine mit der heutigen Zeit vergleichbare Struktur: Sie erhielten ein „geregeltes Wegenetz und eine systematische Ordnung“ (Fischer 2001: 21), dabei orientierte man sich an „Zweckmäßigkeit, Ökonomie, Ordnung und Symmetrie“ (Assig 2007: 45) als Gestaltungsprinzipien. Für jeden Verstorbenen war ein eigenes, identifizierbares Grab vorgesehen. Die Lage der Gräber orientierte sich an dem Sterbedatum der jeweiligen Verstorbenen; ein Prinzip, das heutzutage als Reihengrab bekannt ist. Beerdigungsregister sorgten für die behördliche Kontrolle der Bestattung und beendeten die bis dahin übliche Praxis des wahllosen Bestattens (vgl. Fischer 2001: 11). Zudem wurden Ruhefristen festgelegt, nach deren Ablauf Gräber wiederbelegt werden durften (vgl. Sörries 2009a: 133). Mit dieser Entwicklung wurde der Grundstein für die individuelle Bindung an das Grab und die später aufkommende Grabpflege gelegt (vgl. Assig 2007: 45); das mit dem modernen (Stadt-)Friedhof entstandene Friedhofsbild prägt unsere Vorstellung bis heute (vgl. Sörries 2009a: 130) und wird häufig – in romantisierter Form – als Vergleich herangezogen, wenn es darum geht, die heutige Entwicklung der Friedhofs- und Bestattungskultur zu kritisieren.
2.4 Das Bestattungsunternehmen
War der Umgang mit den Toten ursprünglich „eine Angelegenheit der Familie und der Gemeindemitglieder“ (Feldmann 2010: 46), wurde er nun „den Einflussbereichen der Familie und der Kirche teilweise entzogen“ (Feldmann 2010: 46) und professionellen Bestattungsunternehmen übertragen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden (vgl. Riemann 2007: 102) und sich seitdem zur entscheidenden Instanz im Umfeld der Bestattung entwickelten (vgl. Fischer 2001: 119). Dieses privatkapitalistische, spezialisierte Gewerbe ging meist aus „Sargtischler- oder Fuhrbetrieben hervor, die die Bestattungen zuvor als Nebengeschäft besorgt hatten“ (Fischer 2001: 127). Ausschlaggebend für die Spezialisierung waren neben den gesundheitspolitischen Vorschriften und der voranschreitenden Bürokratisierung „nicht zuletzt die immer zeit- und kostenaufwendigeren Leichentransporte zu den damals weit vor den Städten angesiedelten neuen Großfriedhöfen“ (Fischer 1997: 128).
Die Bestattungsunternehmen übernahmen neben der rein logistischen Abwicklung sowohl „die vielfältigen Aufgaben, die im Zusammenhang mit einer Bestattung zu erledigen waren“ (Riemann 2007: 102) und „allmählich auch zeremonielle Funktionen“ (Fischer 1997: 128), die vorher vor allem von der Kirche, aber auch von den ehemaligen Zünften und der Nachbarschaft ausgeübt wurden (vgl. Riemann 2007: 128). Diese Entwicklung schritt in den Städten schneller voran, in ländlichen Gebieten behielten die „nachbarschaftlichen Aufgaben und die auf verschiedene Hände verteilten Zuständigkeiten im Todesfall“ (Riemann 2007: 115) länger ihre Bedeutung.
Um 1960 herum vollzog sich durch die wirtschaftliche Neuordnung nach dem Zweiten Weltkrieg der entscheidende Schritt des Gewerbes zu einem modernen Dienstleistungsanbieter: die Bestatter richteten ihre Leistungen noch eindeutiger nach ökonomischen Kalkulationen auf den freien Markt aus (vgl. Riemann 2007: 103), „es entsteht im Zuge der Entwicklung des kapitalistischen Wirtschaftssystems ein sich zunehmend ausdifferenzierender Markt für die Totenfürsorge“ (Kahl 2006: 3496). Die Verfügungsgewalt über den Tod wurde „an jene technokratisch oder kommerziell orientierten Instanzen abgegeben, deren Spezialisten den Tod als Ganzes nicht wahrzunehmen pflegen“ (Fischer 1997: 20f.). Damit wurde der Tod von einem „einst als rätselhaft betrachteten und vielgedeuteten Geschehen“ (Fischer 1997: 21) im Verlauf der Moderne zu einem praktischen und delegierbaren, unzeremoniell geregelten Problem (vgl. Fischer 1997: 21). Es setzt ein tief greifender Wandel in den Beziehungen zwischen den Lebenden und den Toten ein, der sich „als Übergang von Intimität zu Entfremdung und Rationalisierung beschreiben lässt“ (Kahl 2006: 3496). Das vordergründige Ziel der professionellen Bestattung – den Trauernden mehr Raum für die Verarbeitung ihres Schmerzes zu geben – bewirkt genau das Gegenteil: Dadurch, dass der Trauernde nicht mehr mit dem Körper des Verstorbenen in Berührung kommt und die Zeremonie nicht mehr von den traditionellen, nachbarschaftlichen Aufgabenverteilungen getragen werden kann, fühlt er sich mit dem Schmerz alleingelassen (vgl. Nölle 2003: 66).
Der durch die Auslagerung der Totenfürsorge in externe, professionelle Hände seltener werdende Kontakt mit Toten hat eine Verhaltensunsicherheit bei von einem Sterbefall Betroffenen zur Folge. Diese verstärkt den „Prozess der Professionalisierung von Sterben und Tod“ (Nölle 2003: 74), da die Bestatter durch die Unsicherheit der Angehörigen ihre Tätigkeit ausweiten können, was wiederum dazu führt, dass „die Gelegenheit zu eigenen Erfahrungen auf Seiten der Laien weiter sinkt“ (Nölle 2003: 74) und die Beauftragung eines Bestattungsunternehmens sich fortan zum einzig denkbaren Vorgehen im Todesfall entwickelt (vgl. Riemann 2007: 103). Da der jeweilige Kunde zudem nur selten einen Todesfall abwickelt, ist er „häufig nur unzulänglich über die nachzufragende Dienstleistung informiert“ (Nölle 2003: 35) und kann nicht auf ein „einstudiertes Verhaltensrepertoire zurückgreifen“ (Nölle 2003: 91; vgl. auch Fischer 1997 30). Die Bestatter werden zu „Experten im 'Nach-Tod-System'“ (Nölle 2003: 100) und erhalten „faktisch das Monopol über die Abwicklung eines Trauerfalles“ (Riemann 2007: 104); die Beziehung zu ihren Kunden ist durch die asymmetrische Informationsverteilung geprägt (vgl. Nölle 2003: 34), wodurch es ihnen relativ leicht fällt, zu bestimmen, welche ihrer „Produkte und Dienstleistungen für die ordnungsgemäße Abwicklung einer Bestattung notwendig sind“ (Nölle 2003: 35). Dabei erweitern sie kontinuierlich ihr Dienstleistungsangebot[12] und bieten z. B. auch Vorsorge- und Trauerberatung sowie Hilfe in Versicherungsfragen an (vgl. Nölle 2003: 74).
Obwohl schon die mittelalterliche privilegierte Kirchenbestattung zu einer „willkommenen Einnahmequelle für den Klerus“ (Fischer 2001: 5) wurde und der spätere Verkauf von Grabstellen für „Kirchen und Kommunen ein gutes Geschäft“ (Fischer 1997: 120) war und somit bei Beerdigungen auch schon zuvor Geld geflossen war, ist der Tod erst mit Aufkommen privatkapitalistischer Bestattungsunternehmen zu einem kommerziellen Faktor geworden (vgl. Fischer 1997: 119f). Während bei der mittelalterlichen Bestattung allein das Seelenheil des Verstorbenen ausschlaggebend für das kollektive Handeln zur Organisation der Bestattung war und nach den Friedhofsverlegungen die Interessen der Angehörigen in den Mittelpunkt rückten, erfüllen die Bestattungsunternehmen nunmehr das Bedürfnis ihrer Kunden „nach einer schnellen und möglichst reibungslosen Organisation des Trauerfalles“ (Riemann 2007: 103) und verfolgen auch eigene Absichten (vgl. Nölle 2003: 30) wie die Gewinnerzielungsabsicht, die sie als Unternehmen charakterisiert.
Bestatter sind darin bestrebt, die eigene Profitorientierung in den Hintergrund treten zu lassen – auch die häufige Verwendung des Begriffes Bestattungsinstitut statt Bestattungsunternehmen kann hiermit begründet werden (vgl. Fischer 1997: 120) – und stellen sich „in erster Linie als Experte und Helfer dar, weniger als Kaufmann“ (Nölle 2003: 91). Allerdings sind die Bestatter weder die einzige Berufsgruppe, die vom Leid der Menschen lebt – wie es Volker Nölle zugespitzt aber treffend formuliert (vgl. Nölle 2003: 33) – noch liegt etwas „moralisch Verwerfliches darin, dass der Bestatter für seine Tätigkeit eine Bezahlung verlangt“ (Nölle 2003: 33). Auch Angehörige anderer Berufsgruppen lassen sich ihre Dienstleistungen im Umgang mit Sterbenden und Toten bezahlen, jedoch geschieht dies für die Angehörigen verschleiert – umlagenfinanziert durch die Krankenversicherung bei Ärzten bzw. durch die Kirchensteuer bei Geistlichen – während die aus der Beauftragung des Bestatters resultierenden Kosten aufgrund ihrer privatwirtschaftlichen Organisationsform bei den Betroffenen direkt sichtbar sind (vgl. Nölle 2003: 33).
Dementsprechend verändert sich auch der Charakter der Handlungen, die im Rahmen einer Bestattung notwendig sind; sie werden Teil eines standardisierten Angebotes: „die tätige Sorge um die Toten, die Organisation der Trauerfeier und Bestattung sowie die Erledigung der Formalitäten [wurden] zu Segmenten einer Dienstleistung […], die als 'Paket' eine vollständige Abwicklung einer Beerdigung sicherstellen soll“ (Riemann 2007: 115), „die Trauernden können nur zwischen den in Katalogen und Listen verzeichneten Produkten und Dienstleistungen wählen“ (Feldmann 2010: 52; vgl. Anhang, Tabelle 2). Dabei fällt es dem Bestatter leicht, „mittels seiner Fachautorität zu bestimmen, welche seiner Produkte und Dienstleistungen für die ordnungsgemäße Abwicklung einer Bestattung notwendig sind“ (Nölle 2003: 35).
Obwohl der Tod mit dieser Entwicklung – schließlich bedingt er „den Austausch von Gütern und Dienstleistungen“ (Akyel 2011: 47) und führt damit zu einer Geschäftsbeziehung zwischen Bestattern und Angehörigen – eindeutig auch eine ökonomische Dimension erhalten hat, tritt diese auch aufseiten der Angehörigen nicht eindeutig hervor: Preisverhandlungen und -vergleiche galten als unschicklich, da davon ausgegangen wurde, dass „eine nach preislichen Kriterien ausgewählte Bestattung den sozialen Wert der verstorbenen Person herabsetzt“ (Akyel 2011: 48) – Kunden befürchten Sanktionen, „wenn sie kurz nach dem schmerzlichen Ableben des Verstorbenen nur aufs Geld gucken“ (Nölle 2003: 34). Umgekehrt jedoch erfüllen die standardisiert in Katalogen und Listen verzeichneten Produkte und Dienstleistungen auch Distinktions- und Statusfunktionen (vgl. Feldmann 2010: 52) und es wird erwartet, dass „die Hinterbliebenen sich finanziell großzügig zeigen“ (Akyel 2011: 48). Bedingt durch moralische Restriktionen aufgrund der hohen Verbindlichkeit traditioneller Abschiedsrituale wurden so in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg mehrheitlich teure und aufwendig gestaltete Produkte und Dienstleistungen verkauft (vgl. Akyel 2011: 48). Zudem befand sich die Bestattungsbranche auch aufgrund des bis 2004 durch die gesetzlichen Krankenkassen gezahlten Sterbegeldes – zu Höchstzeiten betrug es maximal 4 000,- DM – in einer privilegierten Stellung, weil dadurch ein Großteil der Bestattungskosten schon abgedeckt wurde (vgl. Kahl 2006: 3497).
Offensive Marketingstrategien wie Preiswerbung waren somit weder möglich (vgl. Akyel 2011: 48) noch nötig; in der Regel wird von den Kunden ein Bestattungsunternehmen beauftragt, das entweder schon durch die Abwicklung früherer Sterbefälle bekannt war, von Verwandten oder Bekannten empfohlen wurde oder in der Nähe liegt (vgl. Nölle 2003: 34). Sichtbaren Wettbewerb gab es kaum, man setzte auf Mundpropaganda, da Werbung – bis auf den obligatorischen Telefonbucheintrag – in der Branche verpönt war (vgl. Kahl 2006: 3497); vielmehr existierten die Bestattungsinstitute „still vor sich hin, möglichst unsichtbar und zurückgezogen“ (vgl. Kahl 2006: 3497).
Die Bestatter griffen auf traditionelle Handlungsmuster zurück – sowohl in ihrem eigenen Handeln als auch in Bezug auf die Gestaltungsvorschläge, die sie den Angehörigen unterbreiteten – und konservierten damit die traditionellen Trauerbräuche (vgl. Nölle 2003: 30). Dieses Verhalten bewährte sich, die Rahmenbedingungen des Marktes blieben konstant – die hohe Regeldichte des deutschen Bestattungsrechts billigte den Akteuren zudem lediglich geringe ökonomische Spielräume zu (vgl. Akyel 2011: 48) – es gab „kaum Anreize zur Entwicklung neuartiger Produkte und Geschäftsmodelle“ (vgl. Akyel 2011: 48). Mit vergleichsweise wenig Aufwand konnten so auf dem lange Zeit wenig dynamischen und weitgehend innovationsresistenten Bestattungsmarkt (vgl. Akyel 2011: 48) in Deutschland nachhaltig hohe Gewinne erzielt werden, „in der Zeitspanne vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis ca. Mitte der 1990er-Jahre ergaben sich hier kaum Veränderungen“ (Kahl 2006: 3497).
[...]
[1] Als Beispiel wird an dieser Stelle eine E-Mail aus dem Jahr 2009 zitiert, die sowohl vom Inhalt als auch von der Form her typisch für die meisten dieser Anfragen ist: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte um Mitteilung, was eine anonyme Feuerbestattung kostet. Besteht bei Ihnen zusätzlich die Möglichkeit Geld zu sparen, wenn man Behördengänge/-telefonate oder auch das waschen und einkleiden [sic!] des Verstorbenen etc. selbst übernimmt? Bitte nur per E-Mail antworten. Mit freundlichen Grüssen [sic!] […]“.
[2] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei geschlechtsspezifischen Begriffen die maskuline Form verwendet. Diese Form versteht sich explizit als geschlechtsneutral. Gemeint sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.
[3] Bei einem bereits vorhandenen Familiengrab kann es, ohne den Aufwand der Grabpflege zu berücksichtigen, günstiger sein, das vorhandene Grab für die Beisetzung zu nutzen. Wenn die Angehörigen ihren Wohnsitz im Ausland haben, darf die Urne ihnen zur freien Verfügung ausgehändigt werden, wodurch die Friedhofsgebühren komplett entfallen.
[4] Siehe dazu: Kreß 2008: 83: „Für die meisten Mitbürgerinnen und Mitbürger sind es keine religiösen, sondern ökonomische Gründe, die sie dazu veranlassen, sich nach ihrem Tod einäschern zu lassen.“; Lichtner 2008: 87 f.: „Ein weiteres Argument für die Feuerbestattung ist häufig der Preis.“; Wanke 2008: 97: „Ohne Zweifel wandelt sich die Bestattungskultur. Das hat weithin gesellschaftliche, vor allem ökonomische Gründe.“; Mädler 2008: 62: „Als Kind des Industriezeitalters überträgt sie [die Kremation; S. C.] die Aspekte der Funktionalisierung, der Technisierung und der Ökonomisierung auch auf die Toten.“; Uden 2006: 16 f.: „[...] fällt sofort eine umfangreiche ökonomische Diskussionsebene ins Auge: Ein Großteil aller Anstöße im gesamtgesellschaftlichen Diskurs über den Wandel der Bestattungskultur wird mit finanziellen Argumenten und Kosten-Nutzen-Rechnungen vorgetragen. […] sind derartige ökonomische Wertmaßstäbe im privaten Lebensvollzug so dominant, dass sie einer durchrationalisierten Bestattungskultur Raum geben und weite Verbreitung ermöglichen“; Sörries 2008: 45: „'Pietät ist in der Bestattungsbranche doch nur ein Synonym für die Gewinnmaximierung im Umfeld des Todes.'“; Feldmann 2010: 78: „[…] die Ökonomie und Technologie des Lebens und Sterbens, wird immer dominanter.“, vgl. ferner Fischer 1997: 13; vgl. Nölle 2003: 91: „Standardisierung und Profitorientierung sollen den Kunden allerdings nach Möglichkeit verborgen bleiben; der Bestatter stellt sich in erster Linie als Experte und Helfer dar, weniger als Kaufmann.“
[5] Siehe dazu: Sörries 2006: 18: „Der Marktwert einer Ware oder Dienstleistung wird zum obersten Kriterium auch in der Bestattungs- und Erinnerungs(un)kultur.“; Sörries 2006: 187: „Beerdigung ist eine Ware.“
[6] Siehe dazu: Pomberg 2008: 23: „Nachdem im Jahre 2004 die Zahlung des Sterbegeldes bei den gesetzlichen Krankenkassen gestrichen wurde, hat eine spürbare Veränderung der Bestattungskultur stattgefunden.“
[7] Zwar gab es die Discountbestatter bereits vor den privat betriebenen Krematorien, doch werden sie hier zuerst genannt, da sich der Einfluss der Discountbestatter durch diese privaten Marktteilnehmer begründet.
[8] Siehe dazu: Uden 2006: 18: „Ob Discountbegräbnisse […] partiell einen Ausverkauf moralischer Werte belegen oder ein Zeichen von Dekadenz und Kulturverfall sind, wird nach dem Überblick über den Bestattungsmarkt zu erörtern sein.“; Sörries 2008: 192: „so konstatieren sie [die Bestatter; S.C.] […] bei den Kunden einen Werteverfall, und sie sprechen ebenfalls von einer Entsorgungsmentalität.“; Fischer 1997: 154: „Von deren 'Niedergang' [der abendländischen Friedhofskultur; S.C.] ist ebenso die Rede wie vom allgemeinen 'Kulturverfall' [Hervorhebungen im Original].“
[9] Siehe dazu: Lange 2008: 119: „die Zunahme einer Entsorgungsmentalität, die mit einer materialistischen Lebensauffassung zusammenhängt, die den Wert eines Menschenlebens nur noch zu Lebzeiten als 'menschliche Ressource' bewertet.“
[10] Vgl.: Berolina Bestattungsinstitut 2010: „Unser Komplettangebot beinhaltet Kremierung und annonyme [sic!] Beisetzung in Tschechien (Krematorium Vysocany).“
[11] Fürbitten, Almosen, Messfeiern, Gebete, die das Seelenheil des Verstorbenen beeinflussen sollten.
[12] An dieser Stelle ist die Angebotserweiterung im Sinne einer horizontalen Diversifikation gemeint, Produkt- und Dienstleistungsinnovationen treten erst Mitte der 1990er-Jahre verstärkt auf.