Mit der vorliegenden Seminararbeit möchte ich vergleichen, inwieweit Georg Simmel (1858–1918) und Ernst Cassirer (1874–1945) in ihrer Konzeption des Kulturbegriffs über-einstimmen. Konkret möchte ich dazu die Aufsätze „Der Begriff und die Tragödie der Kultur“ (Simmel, 1911) und „Die Tragödie der Kultur“ (Cassirer, 1942) einander gegenüberstellen. Cassirer reagiert in seinem Aufsatz ausdrücklich auf Simmels Gedanken (vgl. Orth, 1991: 115). Simmel und Cassirer diagnostizieren ein tragisches Moment, welches bereits im Wesen der Kultur angelegt ist. Auch erkennen sie einen Dualismus in der Subjekt-Objekt-Relation, jedoch mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen. Diese gilt es in der vorliegenden Arbeit darzustellen und zu diskutieren. Ein Verweis auf die Bedeutung von „Kultur“ zu Lebzeiten beider Philosophen ist sicherlich hilfreich für das weitere Verständnis, allerdings im Umfang dieser Arbeit nicht möglich. Auf die Darstellung einiger wichtiger Grundgedanken von Cassirers Philosophie der symbolischen Formen möchte ich jedoch nicht verzichten. In einem abschließenden Resümee werde ich sodann die vorgestellten Positionen vergleichend diskutieren.
Inhalt
1. Vorbetrachtung
2. Der Kulturbegriff und seine Tragödie
2.1 Georg Simmel
2.2 Ernst Cassirer
3. Resümee
4. Literaturverzeichnis
1. Vorbetrachtung
Mit der vorliegenden Seminararbeit möchte ich vergleichen, inwieweit Georg Simmel (1858–1918) und Ernst Cassirer (1874–1945) in ihrer Konzeption des Kulturbegriffs übereinstimmen. Konkret möchte ich dazu die Aufsätze „Der Begriff und die Tragödie der Kultur“ (Simmel, 1911) und „Die Tragödie der Kultur“ (Cassirer, 1942) einander gegenüberstellen. Cassirer reagiert in seinem Aufsatz ausdrücklich auf Simmels Gedanken (vgl. Orth, 1991: 115). Simmel und Cassirer diagnostizieren ein tragisches Moment, welches bereits im Wesen der Kultur angelegt ist. Auch erkennen sie einen Dualismus in der Subjekt-Objekt-Relation, jedoch mit jeweils unterschiedlichen Konsequenzen. Diese gilt es in der vorliegenden Arbeit darzustellen und zu diskutieren. Ein Verweis auf die Bedeutung von „Kultur“ zu Lebzeiten beider Philosophen ist sicherlich hilfreich für das weitere Verständnis, allerdings im Umfang dieser Arbeit nicht möglich. Auf die Darstellung einiger wichtiger Grundgedanken von Cassirers Philosophie der symbolischen Formen möchte ich jedoch nicht verzichten. In einem abschließenden Resümee werde ich sodann die vorgestellten Positionen vergleichend diskutieren.
Zum Verhältnis beider Philosophen lässt sich folgendes in Erfahrung bringen (vgl. Voigt In: Korsch, Rudolf, 2000: 182f., Fußnote 16): Cassirer und Simmel lernten sich 1894 kennen. Zu dieser Zeit dozierte Simmel an der Berliner Universität. Der 20-jährige Cassirer besuchte als Philosophie-Student eine Kant-Vorlesung bei Simmel. Dabei machte dieser ihn auf den Neukantianismus und Cohen aufmerksam. Ab 1906 waren sie Kollegen in Berlin. Allerdings bekannte sich Cassirer niemals direkt zu Anregungen durch Simmel. Erst 1928, zehn Jahre nach dessen Tod, befasste sich Cassirer nachweislich mit ihm. Über das Verhältnis oder gar die Zusammenarbeit beider ist nur wenig bekannt. Cassirer begründet den Kulturbegriff mit seiner „Philosophie der symbolischen Formen“. Viele seiner Gedanken lassen sich auch in ähnlicher Weise in Simmels Hauptwerk „Die Philosophie des Geldes“ finden, weshalb man spekuliert, ob es nicht als Vorläufer der „Philosophie der symbolischen Formen“ gelten kann.
Auch wenn im heutigen philosophischen Mainstream beide Namen erst zunehmend wieder an Bedeutung gewinnen, muss betont werden, dass Cassirer und Simmel für die Entwicklung der Kulturphilosophie überaus einflussreich waren.[1] Allerdings sowohl Cassirer als auch Simmel hinterließen ein komplexes philosophisches Werk, weshalb eine eindeutige Zuordnung in eine bestimmte Kategorie oder einen einzelnen Bereich von Philosophie unmöglich erscheint. Man kann jeweils drei Phasen im Lebensverlauf beider feststellen, in denen sie sich mit bestimmten Themen schwerpunktmäßig beschäftigten.
Die hier behandelten Texte entstanden jeweils in der letzten Lebensphase beider Philosophen. 1911 ist Simmel noch Extraordinarius an der Berliner Universität, ist jedoch gezwungen unentgeltlich zu arbeiten. Er finanziert sein Leben über die Einnahmen aus seinen Veröffentlichungen über Kant, Goethe und Rembrandt sowie aus dem Erbe Julius Friedländers, der nach dem Tod seines Vaters 1874 zu Simmels Vormund ernannt wurde (vgl. Junge, 2009: 9ff.). Gegen Simmel und seine Soziologie regte sich viel Widerstand, weswegen er lange Zeit keine Berufung auf eine Professur erhielt. Erst 1914 wurde er ordentlicher Professor an der Universität Straßburg und lehrte bis zu seinem Tod dort (ebd.). In dieser Zeit befasste sich Simmel mit Lebensphilosophie.[2]
Cassirer veröffentlichte den Aufsatz „Die Tragödie der Kultur“ im Jahr 1942 als eine von fünf Studien „Zur Logik der Kulturwissenschaften“. Er war jüdischer Herkunft und gezwungen Deutschland zu verlassen. So flüchtete Cassirer 1933 zunächst nach Oxford, bekam kurze Zeit später eine Anstellung an der Uni Göteborg in Schweden, bis er 1941 erneut flüchtete und in die USA emigrierte. Dort lehrte er bis 1944 als Gastprofessor an der Yale University in New Haven (vgl. Paetzold, 2002).[3] Im Jahr 1944 erhielt er einen Ruf an die Columbia University in New York. Er starb 1945 als er auf dem Campus niedergeschossen wurde. In der Zeit um die 1940er Jahre betätigte sich Cassirer auf dem Feld der Kulturanthropologie, aber auch auf dem Gebiet der Metaphysik und Lebensphilosophie.
Warum muss man sich mit der Bedeutung des Begriffes „Kultur“ auseinandersetzen? „Kultur“ ist ein stark komprimierter Ausdruck, der für alles stehen kann, was die menschliche Entwicklung – ja was das Wesen des Menschen ausmacht. Kulturelle Artefakte sind quasi so alt wie die Menschheit selbst. Sie entstanden in bewusster wie unbewusster Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt und dem inneren Drang, dieser habhaft zu werden. Mit der Eroberung der Natur, geht auch die Vervollkommnung der eigenen Persönlichkeit, das Ausreizen potentieller Fähig- und Fertigkeiten einher. Kultur spiegelt sich daher in allen menschlichen Handlungen und hier keimt das Problem auf, welchem sich Simmel und Cassirer mit ihrer Begriffsbestimmung zuwenden wollen. Bestimmte kulturelle Objekte werden, mit den Folgen der Entwicklung der Industriegesellschaft, zum Selbstläufer, sodass der Mensch als kulturelles Subjekt durch Auseinandersetzung mit diesen, nur noch scheinbar seine Persönlichkeit erweitern kann. Damit stürzt er sich selbst in den Ruin, weil er sich nicht mehr mit sich identifizieren kann, sondern durch die Kultur überformt wird, sich selbstentfremdet. Diese These werde ich im weiteren Verlauf spezifizieren, wenn ich untersuche, wie Simmel und Cassirer ihre Position darstellen und begründen.
[...]
[1] Ein knapper Überblick zur Entwicklung der Kulturphilosophie findet sich in einem Aufsatz von Fehér, István M. (2009), Simmels Kulturbegriff und sein Verständnis der Tragödie der Kultur : Gibt es einen Weg von der Kulturkritik zur Hermeneutik?, http://www.kakanien.ac.at/beitr/theorie/IFeher1/ (letzter Zugriff: 8.3.2011); ebenfalls sehr aufschlussreich: Orth, Ernst Wolfgang (1991), Georg Simmel als Kulturphilosoph zwischen Lebensphilosophie und Neukantianismus, In: reports on philosophy 14 (1991), pp. 105-120.
[2] Als Einstieg in Simmels Leben und Werk kann Junge, Matthias (2009): Georg Simmel kompakt. Bielefeld: Transcript-Verl. (Transcript Klassiker, 1) empfohlen werden.
[3] Für eine erste vertiefende Beschäftigung mit Leben, Werk und Philosophie Ernst Cassirers lohnt die Lektüre von Paetzold, Heinz (2002): Ernst Cassirer zur Einführung. 2., überarb. Aufl. Hamburg: Junius (Zur Einführung, 271).
- Arbeit zitieren
- B.A. Johannes Ilse (Autor:in), 2011, Vergleich des Kulturbegriffs bei Georg Simmel und Ernst Cassirer, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203332
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