Zwangssterilisationen. Zur nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik


Seminararbeit, 2003

19 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Anfangsbemerkungen

Die Anfänge der Rassismustheorie

Die „Rassenhygieniker“ organisieren sich

Das Gesetz zur Legitimierung von Zwangssterilisationen

Die praktische Umsetzung des Gesetzes

Die medizinische Durchführung

Die totale Erfassung

Versuche der Rechtfertigung

Verschärfungen der Sterilisations- und Abtreibungsgesetzgebung

Die nüchternen Zahlen

Kontinuität

Schlussbemerkungen

Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Internetliteratur
Internetsuchseiten
Lexika

Anfangsbemerkungen

Meine Arbeit widmet sich dem Thema Zwangssterilisationen im Nationalsozialismus. Die Gründe für mich, genau dieses Thema zu wählen, sind vielfältig. Hauptmotivation war es, einer Strömung entgegenzuwirken, die mich persönlich sehr besorgt macht. In letzter Zeit wurde immer wieder „das Vergessen“ im Bezug auf die Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes eingefordert. Viele meinen, man solle die Dinge einfach ruhen lassen und nicht länger versuchen, die schreckliche Naziherrschaft zwischen 1933 und 1945 aufzuarbeiten. Ich persönlich bin da ganz konträrer Ansicht und kann mich deshalb nur voll und ganz Teddy Kollek[1] anschließen, der meint:

„...Die Geschichte des Dritten Reiches muss auch ein Stück Gegenwart bleiben. Nur so lässt sie sich bewältigen. Wer die Augen vor der Vergangenheit verschließt, macht sich blind für die Zukunft...“[2]

Bevor man sich der Thematik der Zwangssterilisationen annähern kann, empfiehlt es sich wohl, zuerst herauszufinden, woher denn die „Ideologie“ dazu stammt. Waren es die Nationalsozialisten selbst, die eines Tages beschlossen haben, „minderwertige Menschen mit Erbkrankheit und andere Randgruppen“ zu sterilisieren – wenn nötig auch gegen deren Willen oder gab es schon vorher Tendenzen in diese Richtung? Um diese Frage zu beantworten möchte ich zu Beginn das Thema Rassismustheorie streifen und die meiner Ansicht nach wichtigsten Vertreter dieser Theorien erwähnen. Ich will außerdem zeigen, in welcher Form die Nationalsozialisten die Rassismustheorie in die Praxis umsetzten, und wie sie versuchten, ihr unmenschliches Vorgehen wissenschaftlich zu rechtfertigen. Die „Ausmerze lebensunwerten Lebens“[3] erfolgte einerseits durch Zwangssterilisationen und andererseits auch durch Abtreibungen. Es sollte verhindert werden, dass sich sogenannte erbkranke Menschen fortpflanzen und Schwangeren mit einer Erbkrankheit wurde dazu geraten, abzutreiben.

Im Gegensatz zur „Ideologie der Ausmerze“ stand während der Naziherrschaft der „Zwang zur Fortpflanzung“ in der reinrassigen, arisch erbgesunden Ehe. Es erfolgte also eine gezielte Auslese „gesunder Gene“. Hier werde ich nur ganz kurz auf die Maßnahmen eingehen, die von den Nationalsozialisten getroffen wurden, um die Frauen zu vermehrter Fortpflanzung zu bewegen. Diese Maßnahmen reichten von der Verleihung des sogenannten Mutterkreuzes über das Ehestandsdarlehen bis zu gesetzlichen Maßnahmen, die den Zugang zu Verhütungsmitteln erschwerten und Abtreibungen unter Strafe stellten.

Abschließend werde ich mich dem Thema Kontinuität widmen. In unregelmäßigen Abständen hört man von Einzelfällen, bei denen Menschen gegen ihren Willen sterilisiert wurden. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Zwangssterilisationen immer wieder vor, sei es innerhalb des gesetzlichen Rahmens, durch die Familienpolitik einiger Länder oder trotz eindeutiger gesetzlicher Bestimmungen, die diese grausame Praxis verbieten.

Generell will ich mit dieser Arbeit einen Einblick in einen etwas weniger bekannten Bereich der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft geben.

Die Anfänge der Rassismustheorie

Man kann zweifellos eines voraus schicken: Die Idee der „Ausmerzung lebensunwerten Lebens“ stammt keineswegs von den Nationalsozialisten selbst, sondern fand bereits um 1900 zahlreiche Anhänger, wohlgemerkt nicht nur in Deutschland. Das Sterilisieren von sogenannten „Minderwertigen“ wurde praktisch europaweit diskutiert und im übrigen auch in den USA angedacht. Zahlreiche Wissenschafter und Pseudo-Wissenschafter wie Houston Stewart Chamberlain[4], Francis Galton[5] und Joseph Arthur Graf von Gobineau[6] beschäftigten sich mit dieser Thematik und stützten sich dabei vor allem auf die Arbeiten von Charles Darwin[7].

„Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl“ – das Hauptwerk von Darwin wurde uminterpretiert[8] und somit diente es den sogenannten „Rassenhygienikern“ – oft auch Sozialdarwinisten genannt – als Legitimation für ihre Forderung nach Sterilisierung von angeblich minderwertigen Menschen. Der Engländer hatte herausgefunden, dass sich die verschiedenen Tier- und Pflanzenarten über eine lange Zeit entwickelt hatten und jede Art von einer Älteren abstamme. Das Überleben dieser Arten sei – so Darwin – durch Selektion der Arten im „Kampf ums Dasein“ bestimmt. Der Fachbegriff dafür lautet Deszendenz.[9] Darwin hatte diese Erkenntnisse aber nie auf Menschen bezogen – ganz im Gegensatz zu den Nationalsozialisten.

In Deutschland waren es vor allem Alfred Ploetz[10] und Wilhelm Schallmayer[11], die sich rassenhygienisch betätigten. Die These, welche diese beiden aufstellten, hatte allerdings recht wenig mit Darwins Schriften zu tun. Ploetz und Schallmayer übten vor allem Kritik[12] am Sozialsystem, durch dessen übertriebene Zuwendungen an die Kranken, Armen und Schwachen die natürliche Ausmerze gehemmt werde. Humanitäres Engagement sahen sie also als einen der Hauptgründe für die angebliche Verschlechterung des deutschen Erbgutes an. In ihren Schriften nahmen Ploetz und Schallmayer unter anderem auch häufig Bezug auf Gregor Johann Mendel[13]. Unter dem Deckmantel der Vererbungslehre ließen sich recht einfach Konzepte erstellen, wie man gegen angebliche Erbkrankheiten vorgehen könne. Es gab bereits erste Stimmen, die eine Zwangssterilisation von „Minderwertigen“ verlangten, um die „Reinhaltung der Rasse“ zu wahren, beziehungsweise wiederherzustellen.

Die „Rassenhygieniker“ organisieren sich

Um ihre Forderungen besser durchsetzen zu können schlossen sich einige Wissenschafter zusammen. Sie gründeten 1905 die „Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene“. In den folgenden Jahren wurde daraus die „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene“, die vor dem Ersten Weltkrieg aber lediglich 350 Mitglieder[14] zählte. Es gab damals viele wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema. Natürlich wurde nicht nur das „Ausmerzen von erbkranken Menschen“ gefordert, es sollte auch jegliche „Rassenvermischung“ verhindert werden.[15] „Blutreinheit“ war eines der Schlagworte, die immer häufiger fielen. Es wird deshalb nach der Machtergreifung durch Hitler und die NSDAP zu Eheverboten kommen. Auf diesen Begriff soll an dieser Stelle nicht genauer eingegangen werden. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich das Buch „Das Reichssippenamt entscheidet“ von Horst Seidler und Andreas Rett, auf welches bereits Bezug genommen wurde. Es behandelt den erwähnten Bereich der Eheverbote und Rassengesetze sehr ausführlich.

Alle Bereiche der Rassentheorie wurden in weiterer Folge auch besonders häufig von den damaligen Medien aufgriffen. Man versuchte auf verschiedenste Arten die geforderte „Beseitigung von Erbkranken“, also „lebensunwertem Leben“, zu rechtfertigen. Immer wieder wurde auf die angebliche Gefahr für die nächsten Generationen hingewiesen. Auch andere Länder[16] wie zum Beispiel Schweden oder einige Staaten der USA führten zu diesem Zeitpunkt strengere Sterilisationsgesetze ein oder diskutierten zumindest eine Verschärfung der Gesetzgebung.

[...]


[1] Teddy Kollek wurde 1911 in Wien geboren und war von 1965 – 1993 Bürgermeister von Jerusalem. Weitere Informationen unter: http://www.jajz-ed.org.il/100/german/people/Teddy_Kollek.html (Suchmaschine: copernic.com; gefunden am 27.6.2003)

[2] Scharsach, Hans-Henning: Die Ärzte der Nazis. Wien 2000. S. 11

[3] Anm.: Ich vernachlässige im Zuge meiner Ausführungen die Vorgänge in den Konzentrationslagern gänzlich, da es den Rahmen sprengen würde, sich noch zusätzlich mit den dort passierten unzähligen Verbrechen und Monstrositäten zu beschäftigen.

[4] Houston Stewart Chamberlain wurde 1855 in Portsmouth (England) geboren und lebte als freier Schriftsteller, beeinflusst von Joseph Gobineau und Richard Wagner. Weitere Informationen unter: http://www.dhm.de/lemo//html/biografien/ChamberlainHouston/ (Suchmaschine: www.copernic.com; gefunden am 26.6.2003)

[5] Sir Francis Galton wurde am 16.2.1822 in Birmingham geboren. Der Cousin von Charles Darwin betätigte sich vor allem als Naturforscher und Schriftsteller. Er war aber auch rege in der Diskussion über die Rassenfrage involviert. Weitere Informationen unter: http://www1.physik.tu-muenchen.de/~kressier/Bios/Galton.html (Suchmaschine: www.google.com; gefunden am 26.6.2003)

[6] Joseph Arthur Graf von Gobineau wurde am 14. 7.1816 bei Paris geboren. Er lebte als Schriftsteller. Sein bekanntesten Werk heißt „Versuch über die Ungleichheit der Rassen“. Weitere Informationen unter: http://www.geschichte.2me.net/bio/cethegus/g/gobineau.html (Suchmaschine: www.copernic.com; gefunden am 26.6.2003)

[7] Charles Darwin wurde am 12.2.1809 in Shrewsbury (England) geboren und war Wissenschaftler. Er behandelte stets viel kritisierte Themen, die zur damaligen Zeit auf Ablehnung stießen, da sie sich nicht mit der Bibel deckten. Weitere Informationen unter: http://www.m-ww.de/persoenlichkeiten/darwin.html (Suchmaschine: www.copernic.com; gefunden am 26.6.2003)

[8] Bock, Gisela: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik. Opladen 1986. S. 28

[9] Hörist, Kathrin: NS-„Euthanasie“ in der psychiatrischen Klinik „am Spiegelgrund“ und die Rolle des Dr. Heinrich Gross. Phil. Diss. Wien 2000. S. 11

[10] Alfred Ploetz wurde 1860 geboren und war einer der Gründer der deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene

[11] Wilhelm Schallmayer wurde 10. 2. 1857 in Mindelheim geboren. Er gilt als einer der führenden Rassenhygieniker Deutschlands. Weitere Informationen unter: http://digilander.libero.it/fontema/schall.html (Suchmaschine: www.google.com; gefunden am 26.6.2003)

[12] Bock, S. 29.

[13] Gregor Johann Mendel wurde am 22.6.1822 in Heinzendorf (damaliges Mähren) geboren. Er war Augustinerpater, Abt und Naturforscher. Er gilt als Begründer der Vererbungslehre. Weitere Informationen unter: http://www.medicine-worldwide.de/persoenlichkeiten/mendel.html (Suchmaschine: www.google.com; gefunden am 24.6.2003)

[14] Denk, Beate: Sterilisationspolitik im Nationalsozialismus – Von den Vorläufen bis zur planmäßigen, zwanghaften Durchführung. Phil. Diss. Wien: 1991. S. 7

[15] Seidler, Horst/Rett, Andreas: Das Reichssippenamt entscheidet. Rassenbiologie im Nationalsozialismus. Wien, München 1982. S. 129ff

[16] http://www2.uibk.ac.at/bidok/suche/ - Volltextbibliothek – Suchbegriff: „Sterilisation“. Link: http://www2.uibk.ac.at/bidok/library/sexualitaet/grunewald-verhuetung.html (gefunden am 26.6.2003).

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Zwangssterilisationen. Zur nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik
Hochschule
Universität Wien  (Inst. f. Politikwissenschaften Wien)
Veranstaltung
Das politische System des Nationalsozialismus
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V20362
ISBN (eBook)
9783638242547
ISBN (Buch)
9783668194335
Dateigröße
556 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ein Überblick über einen weniger bekannten Bereich der Nazi-Greuel. Zwangssterilisationen betrafen hundertausende Menschen.
Schlagworte
Bevölkerungspolitik, Zwangssterilisationen, System, Nationalsozialismus
Arbeit zitieren
Mag. Christian Rabl (Autor:in), 2003, Zwangssterilisationen. Zur nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20362

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