Die Diagnose wonach Politikberatung aktuell Konjunktur hat, häuft sich in den wissenschaftlichen Forschungsbeiträgen. Es wiederholen sich in ihnen die Einschätzungen in Bezug auf gestiegenem Beratungsbedarf aufgrund von komplexeren Problemlagen, neuen Beratungsakteuren und neuen Beratungskonstellationen. Auch die noch „junge“ Politikberatungsforschung scheint sich durch eine Vielzahl aktueller Publikationen, einer eigenen Zeitschrift für Politikberatung und neuerdings auch Fachdebatten, etabliert zu haben. Verstärkte Aufmerksamkeit gilt darin heutzutage insbesondere den Beratungsprozessen. Es geht bei der Frage nach der Ausformung dieser Prozesse primär darum wer an ihnen teilnimmt, mit welchen Intentionen dies geschieht, und wie sie gestaltet werden.
Eine der neueren Fachdebatten, die sich mit den Strukturen und der Steuerung deutscher Politikberatung beschäftigt, lässt sich seit 2007 bis heute in der Politischen Vierteljahresschrift mitverfolgen. In der entstandenen Debatte dreht es sich um neue Entwicklungen in der Politikberatungslandschaft und in ihren Strukturen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist, vor dem Debattenhintergrund,drei zusammenhängende Entwicklungen zu behandeln und sie kritisch zu reflektieren:(1) Das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Medien von der Nachkriegszeit bis heute: Wissen-schaft veränderte die Politik und Politik veränderte die Wissenschaft,(2) die Entstehung einer neuen „vermittelnden“ Politikberatung „mit fließenden Grenzen“: das heutige Verständnis von Politikberatung ist komplexer geworden, (3) die heutzutage dominierende Forderung nach weniger Staat (-licher Steuerung) in Beratungsprozessen: der Staat wird von vielen Experten nicht mehr in der Lage gesehen komplexe Probleme allein zu lösen.
Die hier vertretene These lautet, dass kooperative Beratungsmodelle staatliche Hierarchie eindäm-men können, es aber nicht zwangsläufig müssen. Sie können auch, aufgrund ihrer hohen Akzeptanz leicht instrumentalisiert werden, und zu einer verkappten technokratisch-dezisionistischen Steuerung politischer Entscheidungsprozesse genutzt werden. Diese These zur Instrumentalisierungsanfälligkeit von kooperativen Beratungsprozessen meint jedoch nicht, dass diese per se schlecht seien bzw. dass dadurch keine positiven Ergebnisse erzielt werden könnten. Es soll nur ihre Anfälligkeit für gezielte Interessensdurchsetzung gezeigt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Modelle der Politikberatung
3. Das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Medien von der Nachkriegszeit bis heute
4. Aktuelle Entwicklungen in der deutschen Politikberatung
4.1. Die neue Politikberatungslandschaft
4.2. Die neuen Beratungskonstellationen
5. Fazit
6. Literatur
1. Einleitung
Die Diagnose wonach Politikberatung[1] aktuell Konjunktur hat, häuft sich in den wissenschaftlichen Forschungsbeiträgen. Es wiederholen sich in ihnen die Einschätzungen in Bezug auf gestiegenem Beratungsbedarf aufgrund von komplexeren Problemlagen (Lompe 2006, 25f. / Nowotny 2005, 33), neuen Beratungsakteuren (Falk/Römmele 2009) und neuen Beratungskonstellationen (Thunert 2004, 391). Auch die noch „junge“ Politikberatungsforschung scheint sich durch eine Vielzahl aktueller Publikationen, einer eigenen Zeitschrift für Politikberatung und neuerdings auch Fachdebatten, etabliert zu haben. Verstärkte Aufmerksamkeit gilt darin heutzutage insbesondere den Beratungsprozessen. Darunter versteht man die konkrete Ausformung der Beratung politischer Entscheidungsträger, die vom politischen System geprägt wird in dem sie stattfindet (Vgl. Siefken 2010, 132 / Heinrichs 2006, 291). Es geht bei der Frage nach der Ausformung dieser Prozesse primär darum wer an ihnen teilnimmt, mit welchen Intentionen dies geschieht, und wie sie gestaltet werden.
Eine der neueren Fachdebatten, die sich mit den Strukturen und der Steuerung deutscher Politikberatung beschäftigt, lässt sich seit 2007 bis heute in der Politischen Vierteljahresschrift mitverfolgen. Ein Autorenkollektiv um Svenja Falk (Falk et al. 2007) diagnostiziert für Deutschland, als Folge veränderter Staatlichkeit, eine Etablierung von kooperativen Beratungsstrukturen i.S. von Governance[2], und ihre zunehmende Institutionalisierung. Dadurch entstehe „eine vermittelnde Politikberatung, in deren Rahmen die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Politikberatung, fachlicher bzw. strategischer Expertise und Lobbying zunehmend fließend werden.“ (Falk et al. 2007, 329). Diese Entwicklung wird von den Autoren als durchaus vielversprechend bewertet (Vgl. Falk/Römmele 22). Es folgten Antwortbeiträge (Koppo/Schölzel 2009, Siefken 2010), die der Diagnose von Falk et al. widersprachen bzw. sie problematisierten.[3] Im Kern kritisierten beide Beiträge die These einer veränderten Staatlichkeit als Auslöser für neue Entwicklungen auf dem Feld der Politikberatung als viel zu weitreichend, v.a. wenn man bedenkt, dass Falk et al. dafür keine empirischen Belege lieferten. Veränderungen und neue Entwicklungen könnten vielmehr als Folge von Interessen und machtpolitischen Kalkül entstehen. In der entstandenen Debatte dreht es sich um neue Entwicklungen in der Politikberatungslandschaft und in ihren Strukturen. Sie werden in der neueren Politikberatungsforschung kontrovers diskutiert und unterschiedlich bewertet. Besonders relevant erscheint die Debatte deshalb, weil sich in ihr divergierende Zukunftsszenarien für eine funktionierende Politikberatung herauskristallisieren. Ziel der vorliegenden Arbeit ist, vor dem Debattenhintergrund, drei zusammenhängende Entwicklungen zu behandeln und sie kritisch zu reflektieren:
(1) Das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Medien von der Nachkriegszeit bis heute: Wissenschaft veränderte die Politik und Politik veränderte die Wissenschaft. Am „Ende“ dieses Interdependenzverhältnisses steht zum einen die Politisierung der Wissenschaft bzw. eine Politisierung der Politikberatung. Zum anderen veränderte Anforderungen der Politik an die Beratung, die auch dem Aufstieg der Medien zu Mitgestalter politischer Prozesse geschuldet sind. Als Konsequenz daraus, verlieren klassische expertenorientierte Beratungsmodelle an Bedeutung.
(2) Die Entstehung einer neuen „vermittelnden“ Politikberatung „mit fließenden Grenzen“ (Falk et al. 2007): das heutige Verständnis von Politikberatung ist komplexer geworden. Es spiegelt sich in einer diffusen deutschen Beratungslandschaft wieder, in der Wissensmanagement, Kommunikationsaspekte und die strategische Vermittlung von Inhalten immer bedeutender werden. Der Begriff Politikberatung erfährt dabei eine beträchtliche Ausweitung (wenn nicht Überdehnung).
(3) Die heutzutage dominierende Forderung nach weniger Staat (-licher Steuerung) in Beratungsprozessen: der Staat wird von vielen Experten nicht mehr in der Lage gesehen komplexe Probleme allein zu lösen (Falk et al. 2007). Stattdessen werden neue Beratungskonstellationen i.S. kooperativer Verfahren ausgeweitet. Kooperative Beratungsformate in Verbindung mit der „neuen“ vermittelnden Politikberatung sollen Komplexitätsbewältigung bei politischen Entscheidungen gewährleisten, und staatliche Hierarchie verringern.
Die hier vertretene These lautet, dass kooperative Beratungsmodelle staatliche Hierarchie eindämmen können, es aber nicht zwangsläufig müssen. Sie können auch, aufgrund ihrer hohen Akzeptanz leicht instrumentalisiert werden, und zu einer verkappten technokratisch-dezisionistischen Steuerung politischer Entscheidungsprozesse genutzt werden. Diese These zur Instrumentalisierungsanfälligkeit von kooperativen Beratungsprozessen meint jedoch nicht, dass diese per se schlecht seien bzw. dass dadurch keine positiven Ergebnisse erzielt werden könnten. Es soll nur ihre Anfälligkeit für gezielte Interessensdurchsetzung gezeigt werden. Sicherlich, empirisch beweisen lässt sich diese These nur schwer. Beobachtungen und Entwicklungen sollen sie stattdessen plausibilisieren. Beispiele der „streitbaren“ Felder Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik machen allerdings deutlich, dass eine Interessensdeckung von neoliberalen Politikvorschlägen, beteiligten Berater(Typen) und den erzielten Ergebnissen, oft schwer zu leugnen ist.
Es ist weder Ziel noch Anspruch dieser Seminararbeit eine ausführliche Entwicklungsgeschichte der deutschen Politikberatung zu liefern. Auch nicht das Betreiben empirischer Strukturforschung anhand von Fallbeispielen. Solch ein komplexer Forschungsrahmen kann hier nicht geboten werden. Es soll stattdessen versucht werden zu verdeutlichen, wohin sich die deutsche Beratungskultur hin zu entwickeln scheint, und welche Steuerungsmechanismen in ihr stattfinden.
2. Die Modelle der Politikberatung
Bei der Betrachtung der drei Modelle der Politikberatung soll die Frage im Vordergrund stehen was diese leisten können und was nicht. Auf diese Weise sollen Möglichkeiten, aber auch Grenzen der Modellierung von Beratungsprozessen geklärt werden, die für die darauf folgende Untersuchung bedeutend werden können.
Die Diskussion um das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik wurde in den Sechziger Jahren initiiert und maßgeblich geprägt; sie dauert bis heute an.[4] Wissenschaftliche Politikberatung wurde damals, ausgehend von Jürgen Habermas (1963) und Klaus Lompe (1966/72), als Begegnung von zwei Welten mit unterschiedlichen Logiken untersucht. Wird die Wissenschaft von Handlungsimperativen wie Rationalität, Wertefreiheit und Wahrheitssuche geleitet, so dominieren bei der Politik stattdessen Irrationalität, Sachzwanglogik und Machterhalt. Dadurch ergebe sich bei der Interaktion der zwei Welten in Beratungsprozessen automatisch ein Spannungsverhältnis, das sich in drei verschiedenen Modellen ausdrücken lässt: das Technokratische, das Dezisionistische und das Pragmatistische Modell. Jedem Modell liegt eine ideologische Positionierung zum Dominanzverhältnis zugrunde (Lompe 2006, 26: „Vorstellungen über das wünschenswerte Verhältnis“), dass idealerweise zwischen Wissenschaft und Politik stattfinden sollte.
Das Dezisionistische und das Technokratische Modell stellen die zwei Extreme im Spannungsfeld dar. Sie gelten als reine Typen mit einem linearen Ablauf (Vgl. Lompe 2006, 27). Im Dezisionistischen Modell finden Beratung und Entscheidung getrennt voneinander statt: die Politik macht Zielvorgaben, die von der „neutralen“ Wissenschaft erfüllt werden. Damit soll dieses Modell, gemäß Max Webers Auffassung der Werturteilsfreiheit, eine strikte Trennung der Funktion des Wissenschaftlers und der des Politikers garantieren (Vgl. Kevenhörster 1993, 417). Auf diese Weise, soll eine Politisierung der Wissenschaft verhindert werden. Ob die Vorstellung einer „wertblinden“ Wissenschaft jedoch realistisch oder gar wünschenswert ist, kann bezweifelt werden. Schon Habermas stellte 1963 die Plausibilität dieses Modells in Frage (Habermas 1968, 122).
Im Technokratischen Modell dagegen (i.d. Tradition von Bacon, i. Deutschland Schelsky), kommt es bei einer Dominanz der Wissenschaft zu einer totalen Verwissenschaftlichung der Politik, die lediglich zur Ratifizierung technischer Sachzwänge dient. Kritisieren lässt sich an diesem „technikallmächtigen“ Modell, dass es die Idee der demokratisch-pluralistischen Gesellschaft sinnlos werden lässt. Denn wenn eine unbegrenzte Umsetzbarkeit technischer Sachzwänge zum alleinigen Maß aller Dinge wird, so wäre kein politischer Entscheidungsprozess mehr nötig. Allerdings, so kritisiert Lompe, stünden unbegrenzten technischen Möglichkeiten begrenzte Budgets entgegen, wodurch „technische Machbarkeit“ durch „politische Wünschbarkeit“ relativiert werde. Politische Wünschbarkeit könne allerdings nicht, wegen den verschiedenen Beurteilungen in einer Pluralen Gesellschaft, sachlogisch hergeleitet werden. Das Modell übersieht die Tatsache, dass sich technische Entscheidungen nicht im wertfreien Raum durchsetzen lassen (Vgl. Kevenhörster 1993, 417). Die Vorstellung einer total technokratisierten Gesellschaft bleibt wie man sehen kann utopisch.
Als ein Versuch die beiden Extremmodelle zu überwinden, und der Realität vom Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik näher zu kommen, entwarf Habermas (später auch ergänzend Lompe) das sogenannte Pragmatistische Modell. Als einziges der drei Modelle ist es auf Demokratie angewiesen, und besitzt einen nicht-linearen Charakter. Es basiert auf einen diskursiven Austauschprozess zwischen Wissenschaftler und Politiker, geprägt von einem kritischen Wechselverhältnis. Beide Seiten einigen sich über die konkrete Zielsetzung, mögliche Umsetzungsprobleme und eventuelle Meinungsverschiedenheiten. Es soll sich bei den Beratungen um einen interaktiven wechselseitigen Prozess handeln, bei dem letzten Endes beide Seiten voneinander zu lernen haben (Wollmann 1997, 304). Auf diese Art soll auf eine sinnvolle Problemlösung hingearbeitet werden, in deren Verlauf sich beide Logiken gleichberechtigt begegnen, austauschen und berücksichtigen.
Auch wenn es durch die drei Modelle gelang eine Diskussionsgrundlage für die kontroversen Szenarien „Verwissenschaftlichung der Politik“ und „Politisierung der Wissenschaft“ zu schaffen, so handelt es sich lediglich um vereinfachende Denkschemata. Die wirkliche Komplexität wissenschaftlicher Politikberatungsprozesse können die Modelle, v.a. das Dezisionistische und das Technokratische, nicht erfassen (Vgl. Thunert 2004, 395). In der Praxis lässt sich keines empirisch identifizieren. Zum einen deswegen, weil Beratungsprozesse nicht linear verlaufen sondern rückgekoppelt, und von gegenseitigen Abhängigkeiten gekennzeichnet sind (Lompe 2006, 30). Weingart (2001) versucht mit einer Erweiterung des Pragmatistischen Modells (Rekursives Modell) diesen Aspekt zu berücksichtigen, indem er Beratungsabläufe als „rekursive Schleife“ interpretiert. Dabei wird der Beratungsgegenstand durch den Austausch zwischen Wissenschaft und Politik gemeinsam identifiziert, abwechselnd transformiert, und den Vorstellungen beider Welten entsprechend gelöst. Von Krevert (1993) stammt eine Ergänzung der zwei-Welten-Konstellation durch die Öffentlichkeit (Kommunikatives Modell), durch dessen Beteiligung am Beratungsprozess bessere Kommunikation und mehr Transparenz garantiert werden soll.
Ein gemeinsamer Schwachpunkt der Modelle ist ihre nicht-Berücksichtigung von Interessen der involvierten Akteure (Vgl. Thunert 2004, 394). Die Public-Choice-Theorie unterstellt allen am Prozess beteiligten die Verfolgung von Eigeninteressen. Beim Politiker scheinen strategische Erwägungen und Machterhalt leicht nachvollziehbar zu sein. Aber auch die konsultierten Wissenschaftler versprechen sich durch ihre Beratertätigkeit oft Anreize, wie Folgeaufträge, mehr Reputation oder finanzielle Zuwendungen. Dadurch kann die Funktion des Wissenschaftlers beeinflusst werden. Daher wäre es nicht ganz unangebracht die idealisierte Vorstellung von zwei grundverschiedenen Welten etwas zu relativieren.
Obwohl das Verhältnis von Wissenschaft und Politik die wissenschaftsphilosophische/wissenschaftssoziologische/politikwissenschaftliche Forschungen bis heute prägt, werden Stimmen nach neuen Theorien und Modellen laut, die unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen, unsere gesellschafts-politische Wirklichkeit besser erfassen (Siefken 2010, 128). Diese Forderung scheint dahingehend berechtigt, dass Modelle uns bei der Analyse von Beratungsstrukturen, außer systemspezifischer Affinitäten und Tendenzen, keine eins-zu-eins-Übertragung liefern können. Keine empirische Beobachtung würde erlauben ein politisches System als 100% dezisionistisch, technokratisch oder pragmatistisch zu identifizieren. Wie Lompe am Bespiel des SVR[5] zeigt, kann es in der Politik zu Mischformen kommen, wo sich an unterschiedlichen Stellen einzelne Merkmale der drei Modelle finden lassen (Lompe 2006, 32f.). Ebenso können sich die drei Modelle in verschiedenen Phasen des Beratungsprozesses abwechseln, und eines über die anderen dominieren. über die anderen dominieren. Heute wäre es daher angebracht, die drei Modelle als nützliches Werkzeug mit Aktualisierungsbedarf zu betrachten. Sie können aber weder die Dimensionen noch die Komplexität von Beratungsprozessen in der Wirklichkeit darstellen. Denn wie man sehen konnte, können sie weder Komplexität von Beratungsprozessen realistisch erfassen, noch Interessen beteiligter Akteure berücksichtigen. Sie können aber verschiedene Dominanzverhältnisse aufzeigen, und systemspezifische Affinitäten besser erkennbar machen.
3. Das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Medien von der Nachkriegszeit bis heute
Die Politikberatung, die sich in der BRD erst nach 1945 begann zu etablieren, und gegen Ende der Sechziger Jahre einen kurzen aber intensiven wissenschaftlichen Planungsboom erlebte, hat mit der von heute nicht mehr viel gemeinsam. Wissenschaft und Politikberatung haben sich in Folge des Zeitwandels zunehmend politisiert, und sich dadurch sowohl qualitativ als auch quantitativ verändert. Auch die Politik hat sich verändert, und damit ihre Anforderungen an die Beratung. Zum einem durch die Politisierung der Wissenschaft bzw. die der Politikberatung. Zum anderen aber auch wegen ihrer Durchdringung durch die modernen Medien. Dieser Abschnitt beschäftigt sich, als eine entscheidende Vorstufe zu den darauf behandelten aktuellen Entwicklungen, mit diesen Wandlungsprozessen.
Wissenschaftliche Politikberatung basiert auf der Grundlage des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik. Wenn sich dieses verändert, so verändert sich die wissenschaftliche Politikberatung mit. Wissenschaftssoziologische Forschungen gehen davon aus, dass die Politik als Nachfrager von Beratungen die Spielregeln festlegt (Weingart 2001). Daraus würde sich ergeben, dass Politikberatung sich auf geänderte Anforderungen der Politik einstellen muss. Doch auch die Politik, muss sich auf die Wissenschaft und auf die Entwicklung der Medien einstellen. Welche Entwicklung ergab sich im Zeitwandel im Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Medien? Weingart unterscheidet drei zeitliche Phasen im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik und deutet sie „als Reflex unterschiedlicher Konstellationen zwischen Wissen und Politik“ (Weingart 2006, 42):
[...]
[1] Definitionen von Politikberatung bei Krevert 1993, Kevenhörster 1993, Wollmann 1994, Thunert 2004, Lompe 2006 , Siefken 2010. Unter Politikberatung versteht man in erster Linie Wissensvermittlung bzw. Handlungsempfehlungen an Politiker oder an die politische Verwaltung durch „Experten“, von außerhalb des politischen Systems. Dieses weit gefasste Verständnis muss in Bezug auf Inhalte und Interessen differenziert werden. Es lässt sich unterscheiden zwischen: Politikberatung im engeren Sinne als „Policy-Advice“ (à „Was soll der Staat tun?“), als die Beratung von Politik und Ministerialbürokratie zu materiellen Politikinhalten mit gemeinwohlbezogener Wirkung. Sind die Berater Wissenschaftler, so spricht man von wissenschaftlicher Politikberatung. Wissenschaftliche Politikberatung kann institutionalisiert (als organisierter Prozess innerhalb der staatlichen Strukturen, z.B. durch Ressortforschung, staatliche Forschungsinstitute, ständige bzw. temporäre Beiräte, Sachverständigenausschüsse, Enquete-Kommissionen) erfolgen, oder von externen Anbietern (Think Tanks, Universitäten, unabhängige Wissenschaftlern) ausgelagert erbracht werden. Policy Advice kann auch von nicht-wissenschaftlicher Seite erfolgen (z.B. durch Experten aus der Wirtschaft, von Verbänden oder neuerdings durch Unternehmensberatungen). Rein wissenschaftliche Politikberatung gilt als seltener Sonderfall, denn der Weg des Wissens in die Politik verläuft mehrstufig und in vielfältigen Kanälen (Vgl. Siefken 2010, 130). In den letzten Jahren nahm die diskursive Beratung durch gemischte Expertenkommissionen stark zu. Politikberatung im weiteren Sinne als „Political-Consulting“ oder „Politikerberatung“ (à „Wie vertrete ich meine Interessen als politischer Akteur?“), als die Beratung von Politikern zu strategischen Zwecken bzw. Machterhalt (dieses kann auch mit Policy-Entscheidungen und ihrer Durchsetzung verbunden sein). Diese Art der Beratung wird i.d.R. von P.R.-, Kommunikations- oder Wahlkampfexperten erbracht. Solche Berater können sowohl kommerziell, als auch institutionalisiert innerhalb der Parteien arbeiten bzw. Parteimitglieder sein. Trotz Versuche klarer Abgrenzungen der verschiedenen Konzeptdimensionen, kommt es in der politischen Praxis regelmäßig zu deren Verwischung (Thunert 2004, 392). Weitere begriffliche Unschärfe bzw. Ausdifferenzierungen des Politikberatungsbegriffs werden im Rahmen der Arbeit behandelt.
[2] Falk/Römmele 2009, 23: „Kennzeichnend für den kooperativen Staat ist die Vielzahl von netzwerkartigen Strukturen, die aus staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren gebildet sind und die häufig unter dem Begriff der Politiknetzwerke zusammengefasst werden. Hier ist der Staat lediglich primus inter pares. Kennzeichnend für diese neue Entwicklung ist, dass Verhandlungen zwischen unterschiedlicher Institutionen – Behörden, Verbände, Parteien usw. – stattfinden. Entscheidungen werden nicht von oben nach unten gesteuert, sondern in direkter Interaktion der Beteiligten vereinbart: Vertikale Entscheidungsstrukturen werden durch horizontale ersetzt. Es ist die gewachsene Bedeutung von Verhandlungen und Verhandlungssystemen für die Entwicklung und Umsetzung von Politik im kollektiven Interesse, die der Begriff Governance unterstreicht.“ Veränderte Staatlichkeit bzw. Staatlichkeit im Wandel bezieht sich auf neue Implikationen bzw. Herausforderungen für die „klassischen“ Nationalstaaten am Ende des 20. Jahrhunderts, v.a. als Folge der Globalisierung (Weltordnung nach dem kalten Krieg, Entgrenzung von Politik, Klimawandel, Finanzkrise). Definition von Governance als „wissenschaftlicher Brückenbegriff“ in Benz et al. 2006, 16: „Innerhalb der Politikwissenschaft fokussiert die Governance-Perspektive auf die wachsende Bedeutung nicht-hierarchischer Formen der Koordination von Politik und deren Effektivität und Legitimität. Die Frage nach dem Potential nicht-hierarchischer Koordinationsformen […] steht nicht zuletzt im Kontext eines seit dem Ende des 20. Jahrhunderts doppelt eingeschränkten Handlungsspielraums des Nationalstaates.“
[3] Mittlerweile erschien eine Replik von Falk et al. auf Koppo und Schölzels Artikel, in der die Autoren ihre erste Diagnose verteidigen und versuchen anhand des Beispiels der Verbände auszuführen (Falk et al. 2010).
[4] Die Debatte über Politikberatung der Sechziger Jahre stand noch ganz unter dem Vorzeichen des Positivismusstreits. Sie beschäftigte sich in erster Linie mit normativen Fragen an die Wissenschaft, die sich durch ihre Kooperation mit der Politik ergaben, wie beispielsweise ihren Autonomieverlust oder ihre Politisierung. Während sich die Notwendigkeit einer Verwissenschaftlichung der Politik aufgrund neuer Problemlagen rasch durchsetzte, wird die Politisierung der Wissenschaft weiterhin kontrovers diskutiert. Spätere Forschungen widmeten sich verstärkt der Ausformung von Beratungen, dessen Umsetzung und ihrer Steuerung (Vgl. Wollmann 1997, 302 und Lompe 2006, 26f).
Häufig gestellte Fragen
Was ist das Thema des Textes?
Der Text behandelt die Entwicklung der Politikberatung in Deutschland, insbesondere das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Medien von der Nachkriegszeit bis heute. Er analysiert verschiedene Modelle der Politikberatung und aktuelle Entwicklungen in der deutschen Politikberatungslandschaft.
Welche Modelle der Politikberatung werden im Text vorgestellt?
Der Text stellt drei Modelle der Politikberatung vor: das Technokratische Modell, das Dezisionistische Modell und das Pragmatistische Modell. Er diskutiert ihre Stärken und Schwächen sowie ihre Anwendbarkeit in der Praxis.
Was sind die Hauptkritikpunkte an den Modellen der Politikberatung?
Ein Hauptkritikpunkt ist, dass die Modelle die Komplexität der Beratungsprozesse nicht vollständig erfassen und die Interessen der beteiligten Akteure nicht ausreichend berücksichtigen.
Wie hat sich das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Medien im Laufe der Zeit verändert?
Der Text beschreibt, wie sich Wissenschaft und Politik im Laufe der Zeit zunehmend politisiert haben. Auch die Rolle der Medien hat sich gewandelt und beeinflusst die Politikberatung. Der Text geht auf die zeitlichen Phasen im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Politik ein.
Was ist die "neue vermittelnde Politikberatung"?
Die "neue vermittelnde Politikberatung" beschreibt ein komplexeres Verständnis von Politikberatung, in dem Wissensmanagement, Kommunikationsaspekte und die strategische Vermittlung von Inhalten immer bedeutender werden. Die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Politikberatung, fachlicher Expertise und Lobbying verschwimmen.
Was sind kooperative Beratungsmodelle?
Kooperative Beratungsmodelle sind Beratungsformate, die darauf abzielen, staatliche Hierarchie zu verringern und Komplexitätsbewältigung bei politischen Entscheidungen zu gewährleisten, indem verschiedene Akteure einbezogen werden.
Welche These wird bezüglich kooperativer Beratungsmodelle vertreten?
Die These lautet, dass kooperative Beratungsmodelle zwar staatliche Hierarchie eindämmen können, aber auch instrumentalisiert werden können und zu einer verkappten technokratisch-dezisionistischen Steuerung politischer Entscheidungsprozesse genutzt werden können.
Was sind die aktuellen Entwicklungen in der deutschen Politikberatungslandschaft laut dem Text?
Aktuelle Entwicklungen umfassen die Etablierung kooperativer Beratungsstrukturen, die Zunahme von Beratungsbedarf aufgrund komplexerer Problemlagen und die Entstehung neuer Beratungskonstellationen.
Was ist das Ziel des Textes?
Das Ziel ist, die Entwicklungen in der deutschen Beratungskultur zu verdeutlichen und die Steuerungsmechanismen zu untersuchen, die in ihr stattfinden. Es ist kein Anspruch, eine umfassende Entwicklungsgeschichte zu liefern, sondern die Entwicklungstendenzen der deutschen Beratungskultur zu veranschaulichen.
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- B.A. Juan Esteban Zorzin (Author), 2010, Aktuelle Entwicklungen in der Politikberatung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/203624