Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung - Fragestellung - Vorhaben
2. Die Theorie: „Normen sind, was kteure daraus machen.“
3. Das Folterverbot - Ein Paradebeispiel? ͙
3.1 Status Quo
3.2 Das Paradox des Folterverbots
4. Perspektivlos oder vorbildlich? Die Humanitäre Intervention
4.1 Historischer Exkurs und Handlungsoptionen
4.2 Zielkonflikt
4.3 Ein historischer Wendepunkt?
4.4 Zwischenfazit
5. Ein Ausblick - Die Praxis der Responsibility to Protect
5.1 Die drei Säulen
5.2 Eine Frage der Umsetzung
5.3 Die Wirkung als Norm
6. Fazit - Kritik - Reflektion ͙
Literaturverzeichnis
1. Einleitung - Fragestellung - Vorhaben
Betrachtet man Normen in den internationalen Beziehungen so stellt sich heraus, dass der Umgang mit ihnen in Krisensituation aufgrund ihrer Auslegbarkeit oft problematisch ist. Das aktuellste Beispiel in diesem Kontext ist der innerstaatliche Konflikt in Syrien. Obwohl es eine moralische Grundhaltung und ein Bedürfnis zur Klärung des Konfliktes gibt, gibt keine verbindliche Regelung, die diesen Konflikt erfassen und lösen kann. Effiziente Lösungen durch konstituierte Normen können im Konfliktfall demnach selten alle Akteure zufriedenstellen. Aus diesen Überlegungen leitet sich die Kernfrage der vorliegenden Hausarbeit ab: Kann sich moralischer Legitimität zu völkerrechtlichen Legalität wandeln? Um diese Fragestellung möglichst hinreichend beantworten zu können, soll zuerst der theoretische Ansatz von Antje Wiener und Uwe Puetter erläutert werden und anschließend auf Grundlage praktischer Beispiele diskutiert werden. Die beiden Autoren befassen sich in dem rtikel „The Quality of Norms is What ctors Make of It - Critical Constructivist Research on Norms“ mit der Entstehung und den Umgang mit vorhandenen Normen. Sie stellen fest, dass es zwar eine zunehmende Konstitutionalisierung von Normen gibt, dies aber wiederum nicht bedeutet, dass Normen auch befolgt werden. Normen sind daher einer Auslegbarkeit unterworfen, die einerseits nötig ist, andererseits aber auch die Qualität von Normen beeinträchtigt. Im ersten Schritt sollen die Leitlinien der Argumentation der beiden Autoren nachgezeichnet werden. Anschließend wird der theoretische Ansatz von Wiener und Puetter in praktischen Beispielen durchdekliniert. Dabei soll das Folterverbot als Vorzeigebeispiel für das Modell von Wiener und Puetter anhand von Andrea Lieses Text “How Liberal Democracies Contest the Prohibition of Torture and Ill-Treatment when Countering Terrorism” diskutiert werden. Danach sollen anhand der humanitären Intervention Schwächen des Modells von Wiener und Puetter erarbeitet werden. Als Textgrundlage dient Nicholas J. Wheelers Text „Reflections on the Legality and Legitimacy of N TO's Intervention in Kosovo“, der insbesondere Bezug in Bezug auf die Kernfragestellung von Bedeutung ist. Abschließend soll mit Alex J. Bellamys rtikel „The Responsibility to Protect - Five Years On“ ein usblick gewagt werden - Entwickelt sich moralischer Legitimität zwangläufig völkerrechtliche Legalität?
2͘ Die Theorie: „Normen sind, was kteure daraus machen“
In Konfliktfällen können nur selten effiziente Lösungen durch Normen für alle Akteure zufriedenstellende Lösung entwickelt werden. Grund dafür sind die uslegbarkeit („meaning-in-use“) und Interpretierbarkeit von Normen. Als zusätzliche Probleme stellen einerseits die knappe Zeitbemessung für deliberative Entscheidungen im Konfliktfall und andererseits die kulturell unterschiedlichen Ansichten der individuellen und kollektiven Akteure dar. Internationale Eliten wie UN oder EU einigen sich zwar vertraglich auf Normen, die sie selbst in ihrer innerstaatlichen Struktur angepasst bzw. ausgelegt haben, aber nicht zwangsläufig auf andere Staaten übertragen lassen. Normen sind in der internationalen Ebene daher nur so effizient einsetzbar, wie sich von den jeweiligen Staaten auch behandelt werden. Je mehr im Zuge internationaler Verflechtungen verbindliche und verlässliche Normen werden, desto umstrittener werden sich bei den einzelnen Akteuren [Wiener/Puetter 2009: 1/2] Die Autoren erarbeiten aufgrund dieser Problemlage ein Modell, das die Umstrittenheit von Normen reduzieren soll - sie gar in die Allgemeingültigkeit überführen soll. Die Umstrittenheit resultiert vor allem aus der unterschiedlichen Auffassung von Moral. Das große Problem bisher ist, dass die formale Validität von Normen durch die Praxis der Staaten ausgehebelt wird. Dies ist vor allem ein Effekt, der sich durch die mangelnden Möglichkeiten von Sanktionen eingespielt hat. Die Autoren legen deshalb vor allem den Fokus auf die Beziehung zwischen der Normenimplementation und der Normenakzeptanz, in dem sie der sozialen Akzeptanz mehr Beachtung einräumen und die (in bisherigen Forschungen vernachlässigte) kulturelle und individuelle Validierung in ihr Schema aufnehmen. [Wiener/Puetter 2009: 3]
Bisher müssen Normen drei Kriterien erfüllen, um ansatzweise verordnet zu werden. Wiener und Puetter benutzen diese auch als Grundlage: Zum einen muss der Grad der Angemessenheit einer Norm bei einer Intervention in Relation zur gesellschaftlichen Anerkennung stehen. Zweitens hängt die Vorstellung über die Rechtmäßigkeit einer Norm unmittelbar mit dem bisher erreichten Grad der Überzeugung zusammen, der durch deliberative Elemente hergestellt wurde. Drittens ist der Grad des Verständnisses einer Norm grundsätzlich auch abhängig vom Prozess der interkulturellen Verständigung. In Anlehnung an diese drei Kriterien leiten die utoren ihr Modell der „Three Dimensions of Implementation“ ab. Normen haben laut Wiener und Puetter demnach zwei Qualitäten. Einerseits strukturieren sie das Verhalten von Akteuren, andererseits werden sie aber durch die Akteure überhaupt erst konstituiert. Die Qualität einer internationalen Norm besteht darin, inwiefern Akteure sich auch daran halten:„ fter all, in contexts beyond the state norm acceptance and, more specifically, compliance with norms depend more decisively on the shared recognition of norms than on their formal validity. As social constructivists argue, in these contexts norms are what actors make of them; and we would add that they are as good as what actors make them out to be.” [Wiener/Puetter 2009: 4]
Das vorgelegte Modell „Three Dimensions of Norm Implementation“ [Vgl. bbildung S. 6] soll zeigen, wie man sowohl neue als auch bereits vorhandene Normen durchsetzen kann. Dazu muss eine Norm drei Phasen durchlaufen um als allgemein anerkannt und somit als legitimiert zu gelten: Die erste Phase („Formal Validity“) repräsentiert die völkerrechtliche Verbindlichkeit die eine Norm erlangt, wenn sie in internationalen Gremien (Bsp.: UN-Charta oder EU-Verträge) als Gesetz eingeführt wird. In der zweiten Phase („Social Recognition) soll ein Sozialisations- und Lernprozess in der Gesellschaft stattfinden, der auf Kollektivebene ein Bewusstsein für die Norm schafft. In der letzten Phase („Cultural Validation“) erweitert sich der angesprochene Prozess auf die Individualebene - wie mit einer Norm umgegangen werden soll muss dabei im Spiegel des jeweiligen kulturellen Hintergrundes gesehen werden. Die drei Phasen ergänzen die Autoren indem sie weitere Dimensionen hinzufügen. Dies geschieht über die Einführung von weiteren Skalen: der demokratischen Legitimierung einerseits, sowie der Sichtbarkeit und Wahrnehmung. Daraus ergibt sich, dass die erste Phase der Formal Validity eine hohe Sichtbarkeit hat, aber demokratische gering legitimiert ist. Für die dritte Phase der Cultural Validation zeichnen Wiener und Puetter das entgegengesetzte Bild - Die Norm ist kaum sichtbar und demokratisch weitestgehend legitimiert. Hat eine Norm diese drei Ebenen durchlaufen, so erhält sie bindende Gültigkeit. Internationalen Akteuren - und insbesondere deren Eliten - kann durch dieses Modell die uslegbarkeit („meaning-in-use“) genommen werden, da Normen eine demokratische Legitimierung erfahren.
3. Das Folterverbot - Ein Paradebeispiel?
Betrachtet man den Phasenablauf von Wiener und Puetter im Spiegel des Folterverbots lässt sich ein Nachweis für die Sinnhaftigkeit dieses Modells erbringen. Das Folterverbot ist eine unumstrittene Komponente des Völkerrechts (Formal Validity). Es hat eine hohe Wahrnehmung, obwohl es nur sehr indirekt demokratisch legitimiert ist. Dennoch ist diese Unumstrittenheit nicht mehr selbst verständlich.
3.1 Status Quo
Die Allgegenwärtigkeit des Terrorismus und der Kampf gegen diesen hat das Bewusstsein, dass das Verbot von Folter unumstößlich und absolut ist, geschwächt. Somit zeigt sich hier auch eine Rekursion des Phasenschemas nach Wiener und Puetter. Auf der Ebene der Cultural Validation erlebt das Folterverbot daher eine rekursive Bewegung. Stellvertretend kann dafür die Semantik in den internationalen Eliten herangezogen werden. Wie sich dies äußert, zeigt Andrea Liese in ihrem Text “How Liberal Democracies Contest the Prohibition of Torture and Ill-Treatment when Countering Terrorism” aus dem Jahr 2009. Um aufzuzeigen, wie das Folterverbot wahrgenommen wird, blickt Liese auf den Diskurs hinsichtlich Sprache und Praktiken sowie deren nwendung durch die „executive leaders“, da diese vor allem durch die Sprache ein neues Bild der Realität konstruieren und etablieren. [Liese 2009: 20] Ihr Vorgehen besteht darin Muster in der Kommunikation1 zu suchen und daraus Leitmotive abzuleiten. Um diese Argumentation nachvollziehbar zu gestalten, führt sie eine Fallauswahl der zu untersuchenden Länder durch, die sich auf „westliche liberale Demokratien“ bezieht, die wiederum in jüngerer Vergangenheit Erfahrungen mit Terrorismus gemacht haben. [Liese 2009:21] Sie wählt daher explizite Beispiele aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Israel. Ländern, die in der gängigen öffentlichen Meinung nicht oder nur selten in der Kritik stehen Menschenrechte zu verletzen.
[...]
1 In diesem Fall insbesondere die Sprache und Praktiken