Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Operationalisierung
Stalingrad:
Untersuchungszeitraum:
1.2. Analysiertes Quellenmaterial
Zeitungen:
Reden:
Goebbels-Tagebücher:
Meldungen aus dem Reich:
Feldpostbriefe:
2. Analyse der Stalingrad-Propaganda
2.1. Die Rezeption der Schlacht von Stalingrad in der NS-Presse
2.2. Stalingrad in Reden der NS-Prominenz
Hitler-Rede vom 30. September 1942:
Hitler-Rede vom 8. November 1942:
Goebbels-Rede vom 30. Januar 1943:
Göring-Rede vom 30. Januar 1943:
Goebbels-Rede vom 18. Februar 1943:
2.3. Die Causa Stalingrad in den Goebbels Tagebüchern.
3. Die Wirkung der Stalingrad-Propaganda
3.1. Die SD-Berichte über die Schlacht von Stalingrad.
3.2. Feldpostbriefe über Stalingrad.
3.3. Fallbeispiel „Weiße Rose“
4. Schlussbetrachtung
4.1. Phasen der Stalingrad-Propaganda
Phase 1 - „Siegesgewissheit“:
Phase 2 - „beginnende Zweifel“:
Phase 3 - „das Verschweigen“
Phase 4 - das „Opfer von Stalingrad“:
4.2. Die tatsächliche Wirkung der Propaganda
4.3. Die Folgen der Niederlage
4.4. Fazit
4.5. Grenzen dieser Arbeit / weiterführende Fragen.
5. Literaturverzeichnis
5.1. Quellen
5.2. Sekundärliteratur
6. Selbstständigkeitserklärung
1. Einleitung
In den Morgenstunden des 2. Februar 1943 kapitulierte der nördliche Kessel in Stalingrad.
Damit war auch der letzte deutsche Widerstand[1], in jener von der Nazi-Propaganda zu „einer der größten militärischen Entscheidungen der Geschichte“ (BI 19.9.42) stilisierten Schlacht, endgültig gebrochen. Und noch vielmehr, denn mit der Niederlage von Stalingrad war faktisch ebenso bereits der Zweite Weltkrieg, welcher jedoch noch mehr als zwei Jahre weiter wüten sollte, für Hitlerdeutschland verloren.
Hatte etwa Generalfeldmarschall Erich von Manstein als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Don (Klee 2008: 390), dem in der Operation „Wintergewitter“ vom Dezember 1942 der Entsatz[2] der eingeschlossenen deutschen Truppen misslang, bis hierhin noch auf ein „Remis“ des Krieges im Osten gehofft (Manstein 1991: 474), so war angesichts der horrenden Verluste an Mensch und Material nun auch für ihn die absolute militärische Unterlegenheit der Wehrmacht offenbart worden. Nie wieder sollte sie in diesem Krieg zu einer erfolgreichen Großoffensive antreten. Vielmehr zogen sich die deutschen Truppen von diesem Zeitpunkt an stetig zurück, bis sie am 9. Mai 1945 bedingungslos kapitulieren mussten.
Viel ist seit jeher über den „Mythos Stalingrad“ (Kumpfmüller 1995), die Ereignisse zwischen September 1942 und Februar 1943 publiziert worden, aus militärhistorischer Perspektive, aus Sicht einzelner Soldaten oder Offiziere, die den „Rattenkrieg“ (BI 9.10.42) von Stalingrad am eigenen Leibe erfahren hatten und natürlich aus belletristischer Sichtweise, die den heroisch verklärten Kampf der Infanterie in den Ruinen der Stadt häufig zum Ausgangspunkt nahm. Stellvertretend für die Fülle an Werken seien dabei an dieser Stelle lediglich Theodor Plieviers „Stalingrad“ aus dem Jahr 1946 oder gleichnamige Werke, etwa von Heinz Schröter 1954 sowie Guido Knopp 2002 genannt. Weitere als Grundlagenliteratur zur Thematik geltende, für vorliegende Arbeit zurate gezogene Quellen, werden stattdessen nachfolgend an geeigneten Stellen eingearbeitet.
Und dennoch hat es trotz jener Flut an Literatur bis zu diesem Zeitpunkt, in dem sich der Angriff auf Stalingrad zum 70. Mal jährt, nach meinem Kenntnisstand noch immer keinen Versuch gegeben, sich aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive, systematisch mit der Propagandanutzung der Schlacht von Stalingrad einerseits sowie ihrer Reichweite und Wirkung innerhalb der deutschen Bevölkerung andererseits auseinanderzusetzen.
Doch ist diese Frage nicht naheliegend? Muss die totale Niederlage einer ganzen Armee nicht verheerend auf ein Volk gewirkt haben, welches die Wehrmacht bis zu diesem Zeitpunkt de facto an allen Fronten vom Polarkreis bis nach Nordafrika stets siegend und im Vormarsch sah? (Kershaw 1980: 133) Oder gelang es dem goebbelschen Propaganda-Apparat tatsächlich den katastrophalen Untergang der 6. Armee nebst ihrer Verbündeten wirksam zu instrumentalisieren? Wie viel wusste der aufmerksame Zeitungsleser und Rezipient von Reden der NS-Prominenz fernab der Front tatsächlich vom Sterben in Stalingrad?
Mit eben jenen Fragen und damit gleichsam einer Studie zur Wirksamkeit des NS-Propaganda-Apparates in dieser neuralgischen Situation, in der das Dritte Reich bereits unaufhaltsam in Richtung Niederlage trieb und propagandawirksame Erfolge immer mehr ausblieben, wird sich nachfolgende Arbeit auseinandersetzen.
Sie knüpft dabei an eine Projektarbeit zum Führermythos in den Anfangsjahren der nationalsozialistischen Herrschaft an. Nachdem hier in Zusammenarbeit mit weiteren Kommilitonen zunächst eine Analyse der öffentlichen Reden Joseph Goebbels in seiner Funktion als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda (Klee 2008: 188) erfolgte und jene mythischen Elemente beziehungsweise „Vergöttlichungen“ Hitlers etwa als „Erlöserfigur“ oder „Volkskanzler“ herausgearbeitet wurden, stellte sich in der Konsequenz die Frage, inwiefern ein solcher Mythos verblassen oder angesichts eines Weltkrieges hinter andere Legitimationselemente zurücktreten würde. Es wurde ferner in enger Anlehnung an Ian Kershaws Werk „Der Hitler-Mythos“ davon ausgegangen, dass während des Krieges die Erfolge der Wehrmacht und ihre propagandistische Ausbeutung als quasi sichtbarste „Performanz“ des NS-Systems mit dem Führer-Mythos des nun „größten Feldherren aller Zeiten“ (Kershaw 1980: 135) verschmolzen und einen Großteil der Legitimation des Dritten Reiches ausmachten.
Tatsächlich konnte das NS-Regime zu Beginn des Krieges, anders als beispielsweise das Kaiserreich 1914, auf keine Kriegsbegeisterung im Volk aufbauen. Jedoch gelang es durch die raschen Erfolge der Wehrmacht 1939/1940, aber auch im Sommer 1941 und 1942 jene Zustimmung quasi nacheilend herzustellen. (Kershaw 1980: 133) Denn stets wurden die siegreichen Truppen des Reiches von Propagandakompanien begleitet, die den Krieg als inszeniertes Medienereignis erstmals in diesem Umfang auch in die Heimat trugen.
Die propagandistische Verwertung von Kriegserfolgen in Zeitungsartikeln sowie öffentlichen Reden prominenter NS-Akteure, zumal räumlich und zeitlich auf die Dimension der Schlacht von Stalingrad beschränkt, verknüpft mit ihrer unmittelbaren Wirkung im Volk, ist hierbei nach ausgiebigen Recherchen bis dato allerdings noch nicht eingehend untersucht worden. Alle vorgefundenen Publikationen und Fachartikel – meist aus den 1990er Jahren – konzentrieren sich entweder auf die Analyse der Kommunikation von Soldaten mit der Heimat, beispielsweise über das Medium der Feldpost, oder beschäftigen sich wie eingangs erwähnt mit einer militärischen Einordnung der Schlacht.
Eine Ausnahme stellt hierbei lediglich die Dissertation von Michael Kumpfmüller „ Die Schlacht von Stalingrad. Metamorphosen eines deutschen Mythos“ dar, welche sich allerdings ausschließlich auf die Rezeptionsgeschichte der Schlacht konzentriert. Auch Jens Eberts Werk „ Feldpostbriefe aus Stalingrad“ widmet sich dem Mythos um die Kämpfe an der Wolga und insbesondere seiner tatsächlichen Wirkung nur auf einigen wenigen Seiten.
Somit stellt die nachfolgende Bachelor-Thesis – gewissermaßen als ideale Symbiose meiner Studienfächer der Politikwissenschaft und Geschichte – trotz des vermeintlich viel bearbeiteten Forschungsgegenstandes Stalingrad ein Desiderat, zumal in der gebotenen Kürze einer solchen Arbeit dar. Sie leistet zudem über die Revision der Kershaw-Thesen gleichzeitig einen Beitrag zur „politischen Durcharbeitung der Vergangenheit“ (Bald 2005: 15f) im Sinne von Margarete Mitscherlich.
Die Thesis wird sich zu Beginn mit Operationalisierungen, etwa des zugrunde gelegten Untersuchungszeitraumes, sowie mit Fragen der Quellenauswahl beschäftigen.
Es folgt die ausführliche Rekonstruktion der Stalingrad-Propaganda in der NS-Tagespresse. An welchen Tagen setzte die Berichterstattung ein, welche Begriffe beziehungsweise Formulierungen wurden für das Geschehen geprägt und wie veränderte sich die Propaganda im Rahmen des Schlachtenverlaufes?
Nachfolgend werden ausgewählte Reden prominenter NS-Akteure, die einen expliziten Bezug zu Stalingrad aufweisen und in jenem vorher definierten Untersuchungszeitraum verortet sind, auf ebensolche Muster hin untersucht.
Letztlich schließt dieser erste Aspekt der Arbeit mit einer Analyse der „Tagebücher von Joseph Goebbels“. (Fröhlich 1993/1995/1996) Denn vor allem er war es, der als Propagandaminister die deutsche Medienlandschaft beherrschte und anwies, was in welcher Form zu veröffentlichen war.
Im nächsten Teil der Bachelor-Thesis erfolgt sogleich die Auseinandersetzung mit der Wirksamkeit der Propaganda. Hierzu werden jene sogenannten „Meldungen aus dem Reich“ (Boberach 1984), also die Berichte des Sicherheitsdienstes (SD) der SS zur Causa Stalingrad untersucht. Welche Reaktionen beziehungsweise welches Wissen zu Stalingrad gab es in Deutschland, wie reagierte man auf Pressemeldungen und was geschah schließlich, nachdem die verheerende Niederlage bekannt wurde?
Der folgende Gliederungspunkt widmet sich anschließend Jens Eberts Werk „ Feldpostbriefe aus Stalingrad.“ (Ebert 2006) Wie kommunizierten Soldaten und Offiziere mit ihren Verwandten – gab man sich angesichts der Feldpostzensur betont gelassen oder berichtete man offen vom Elend des Schlachtfeldes?
Beschlossen wird dieses Kapitel mit dem Fallbeispiel der „Weißen Rose“ (Bald 2005), da gerade diese Widerstandsgruppe in ihren letzten Flugblättern explizit auf die Niederlage von Stalingrad Bezug nahm und somit ebenfalls verdeutlicht, welches Wissen es abseits aller Propaganda im Volk tatsächlich gab.
Am Ende dieser Arbeit steht ein Vergleich zwischen der herausgearbeiteten Propagandaabsicht sowie ihrer tatsächlichen Wirkung. Zudem wird aufgezeigt, mit welchen Mitteln der NS-Staat auf die Niederlage von Stalingrad reagierte und welchen Einfluss die „mediale Kriegswende“ auf die Legitimation des Dritten Reiches insgesamt besaß.
1.1. Operationalisierung
Stalingrad:
Um Abgrenzungsprobleme zu anderen Schlachtfeldern des „Fall Blau“[3] zu vermeiden und unnötige geographische Schwierigkeiten – die andernfalls etwa durch verschiedene, propagandistische Begriffe für gleiche Schauplätze entstanden wären – von vornherein auszuschließen, wurden, insbesondere in den Zeitungen und Reden, nur Erwähnungen der Stadt Stalingrad selbst erfasst.
Begriffe wie Wolga, Wolgabogen, Wolga-Don-Gebiet und ähnlich großräumige, vage Formulierungen sind indes nur für die Anfangsphase des Fall Blau relevant. Nach dem Erreichen der Stadtgrenze verwendete auch die NS-Presse stets die Bezeichnung Stalingrad. Der Stadtname stellte also für sich genommen ein ausreichend starkes Kriterium dar. In der Endphase der Schlacht wurde jedoch wiederum gerade über die Vermeidung des Begriffes und die Maskierung der tatsächlichen Frontlage absichtlich Unklarheit beim Rezipienten erzeugt.
Untersuchungszeitraum:
Der zugrunde gelegte Untersuchungsgegenstand legt ein Beschränken des Untersuchungszeitraumes etwa von Mitte Juli 1942 bis Mitte Februar 1943 nahe. Auf diese Weise wurde zudem, insbesondere in der NS-Presse, die Berichterstattung über den gesamten Verlauf des Fall Blau inklusive aller Etappen bis zum Erreichen von Stalingrad im September erfasst. Andererseits wurde jedoch jener Zeitraum nach der Goebbels-Rede vom totalen Krieg bewusst ausgeblendet, in dem der unmittelbare Eindruck der Niederlage bereits verblasste. Dies geschieht nicht zuletzt auch aus ökonomischen Gründen.
1.2. Analysiertes Quellenmaterial
Zeitungen:
Da es angesichts des Forschungsgegenstandes sowie der Vielfalt an Zeitungen im Dritten Reich schlichtweg unmöglich gewesen wäre, alle potenziellen Schriften zum Themenkomplex zu analysieren und es zudem ganz pragmatische Gründe, etwa in Form von Zugänglichkeit beziehungsweise Vollständigkeit der erhaltenen Zeitungsexemplare gab, wurde musterhaft auf drei Zeitungen im Zeitraum zwischen Juli 1942 und Februar 1943 zurückgegriffen.
- Berliner Illustrierte Zeitung (Nachtausgabe) – nachfolgend BI
- Dresdner Nachrichten – nachfolgend DN
- Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe bis 31.12.1942, später Münchner Ausgabe) – nachfolgend VB
Auf diese Weise wurden gleichsam mehrere geographische und soziale Aspekte potenzieller Zeitungsleser miteinbezogen. Ferner wird anhand des Pressespiegels aufgezeigt werden, dass Unterschiede in der Berichterstattung durch die zentral gelenkte Presselandschaft des Dritten Reiches (Uzulis 1995) generell eher quantitativer denn qualitativer Art waren.
Reden:
- Hitler-Rede vom 30. September 1942
Diese Rede, anlässlich der Eröffnung des Winterhilfswerkes 1942/43 im Berliner Sportpalast, beinhaltet zugleich die Bezeichnung Stalingrads als „strategisch wichtigem Platz“, der, so Hitler, gewiss genommen werde.
- Hitler-Rede vom 8. November 1942
Diese Rede aus dem Münchner Löwenbräukeller enthält die häufig zitierte Aussage „es kommt kein Schiff mehr die Wolga hoch“. Zudem markiert sie angesichts der zeitlichen Nähe zur russischen Gegenoffensive gewissermaßen den Höhepunkt der Hybris Hitlers.
- Goebbels-Rede vom 30. Januar 1943
Diese Rede aus dem Berliner Sportpalast beinhaltet neben einer verlesenen Hitler-Proklamation auch bemerkenswerte Aussagen zur Wahrhaftigkeit der NS-Propaganda.
- Göring-Rede vom 30. Januar 1943
Diese Rede ist auch als „Leichenrede von Stalingrad“ bekannt. Mit der hier einsetzenden Heroisierung der Kämpfer leistete Göring einen maßgeblichen Beitrag zum Stalingrad-Mythos, obgleich die 6. Armee zu diesem Zeitpunkt noch immer kämpfte.
- Goebbels-Rede vom 18. Februar 1943
Diese Rede, die Letzte im Untersuchungszeitraum, zeugt bereits von umfassenden Reaktionen auf die Niederlage in Stalingrad. Die Schlacht selbst ist hier nur noch Nebensache.
Pressemeldungen und Reden wurden anderen möglichen Quellen, etwa der Wochenschau oder Fachartikeln beziehungsweise Büchern der NS-Prominenz nach sorgfältiger Abwägung vorgezogen. Dies geschah dabei vor allem aufgrund der breiteren Rezipientenbasis, – so ist zum Zeitunglesen oder Anhören einer Rundfunkansprache, die selbst bei nichtvorhandenem Empfangsgerät meist auch abgedruckt erschien, etwa keine elitäre Bildung vonnöten – der preisgünstigen Verfügbarkeit von Zeitungen und schließlich der in den Meldungen aus dem Reich beschriebenen Massenwirkung beider Primärquellen. Die Auflistung der analysierten Reden erhebt überdies keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es handelt sich vielmehr um besonders populäre und breit rezipierte Ansprachen.
Goebbels-Tagebücher:
Neben der offiziell getätigten Propaganda bieten die Goebbels-Tagebücher, trotz aller Kontroversen um etwaige Mitverfasser (Fröhlich 1995: 10-22), eine Innensicht des Propagandaministers. Sie illustrieren zudem das Wissen Goebbels um die Stimmung im Reich sowie seine unmittelbaren Reaktionen darauf.
Meldungen aus dem Reich:
Die Berichte des SD offenbaren eine Art Meinungsbild des NS-Staates. Auch hier sind der Wahrheitsgehalt und die Authentizität der dargebotenen Einzelerzählungen durchaus umstritten[4], jedoch offerieren sie eine einzigartige Möglichkeit zur Erschließung der Wirkung von Propaganda, welche ansonsten nur durch Zeitzeugenbefragungen messbar wäre.
Feldpostbriefe:
Feldpostbriefe, zumal oft in den SD-Berichten erwähnt, stellten neben den abgedruckten Nachrichten eine direkte Verbindung zwischen Front und Heimat her. Sie zeigen sich in der Analyse sogar als eine Art Korrektiv zur NS-Propaganda.
2. Analyse der Stalingrad-Propaganda
2.1. Die Rezeption der Schlacht von Stalingrad in der NS-Presse
Die Schlacht von Stalingrad kann wohl zweifelsohne als ein mediales Großereignis ihrer Zeit betrachtet werden. Nach dem Erreichen der Stadt erschien der Name täglich in Leitartikeln, Reportagen und Bilderstrecken. Sie reihte sich dabei nahtlos in die Berichterstattung von anderen Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges, wie etwa der Belagerung Leningrads, des Uboot-Krieges im Atlantik oder den Kampfhandlungen in Nordafrika ein, die ebenso im Zentrum der NS-Medien standen und zuweilen das Interesse an Stalingrad überschatteten. Die Leistungen der Wehrmacht wurden dabei stets medial untrennbar mit der nationalsozialistischen Idee und häufig gar mit dem Schicksal des Deutschen Reiches selbst verknüpft, sodass es faktisch – zumal angesichts der Menge an Kriegsmeldungen in den Zeitungen jener Zeit – unmöglich war, sich diesen Ereignissen zu entziehen.
In der Tat begann die Berichterstattung über Stalingrad aber nicht etwa zu Beginn des Ostfeldzuges im Sommer 1941 als ein mögliches Ziel der Wehrmachtsvorstöße. Nein nicht einmal im Juli 1942, als der sogenannte „Fall Blau“ im Süden der Ostfront längst angelaufen war, wurde Stalingrad als konkretes Ziel der Offensive benannt. Schlichtweg zu weit entfernt war die Stadt noch zu jenem Zeitpunkt und zu sehr war die Presselandschaft in diesen Wochen von der sich dem Ende neigenden Schlacht um Sewastopol oder Rommels Vorstößen in Nordafrika bestimmt.
Eher beiläufig musste dem Leser der für diese Arbeit analysierten Blätter daher die Stadt aufgefallen sein, die seit 15. Juli 1942, ganz am östlichen Rand der abgedruckten Karten, die den Vormarsch der deutschen Verbände illustrieren sollten, gelegen war. (VB 15.7.42)
Textlich erschien Stalingrad schließlich erstmals am 18. Juli mit der Kurzmeldung der „Überschreitung der von Rostow nach Stalingrad führenden Bahnlinie“. (BI 18.7.42) Eine Entfernung zur Stadt folgte drei Tage später, 80 Kilometer waren Spitzen der Wehrmacht in diesem Moment noch entfernt. (BI 21.7.42) Nun sprach man von der Metropole auch bereits als der „großen Industriestadt an der Wolga“ (VB 22.7.42) und betonte am 29. Juli die Rolle des Flusses als „letzte bedeutende Möglichkeit für die UDSSR, Oel [sic!] zu befördern“. (DN 29.7.42) Anfang August titelten die Dresdner Nachrichten sogar mit „Schicksalsreichste Schlacht des Krieges“ (DN 3.8.42) und der Wehrmachtsbericht vom 9. August, abgedruckt in allen Zeitungen, untermauerte neben der strategischen Bedeutung der Wolga außerdem die Rolle der Bahnlinie zwischen Krasnodar und Stalingrad. (VB 9.8.42)
Damit war die Stadt, die Stalins Namen trug, endgültig im Fokus der NS-Presse angekommen, denn die bis dahin beherrschenden Erfolge an anderen Fronten blieben in dieser Phase des Krieges zunehmend aus – eine Lücke, die es zu füllen galt. Über den ganzen August hinweg wurden daher Schläge „südwestlich Stalingrads“ (BI 11.8.42), „nordwestlich Stalingrads“ (BI 24.8.42) oder „bei Stalingrad“ (VB 20.8.42) geschildert, ehe am 25. August das erste Mal vom Angriff auf die Stadt selbst gesprochen wurde. (BI 25.8.42) Bereits am Tag zuvor hatte der Völkische Beobachter den Kampf an der Südfront[5] zur „Hauptentscheidung in diesem Feldzug“ (VB 24.8.42) stilisiert und damit die Bedeutung der Schlacht ein weiteres Mal emporgehoben.
Jedoch konnte trotz der „Raumgewinne“ (BI 25.8.42), „Einkesselungen“ (DN 28.8.42) und „Vorstöße“ (VB 10.9.42) die Stadt in den nächsten Wochen nicht eingenommen werden, der deutsche Vormarsch ermattete nun auch für die Zeitungsleser spürbar. Sogar vom „vergeblichen Ansturm“ (VB 8.9.42) der Sowjets im „Festungsgebiet“ (BI 8.9.42) Stalingrad musste man stattdessen lesen. Am 10. September machte der Völkische Beobachter daher mit „So tobt die Schlacht um Stalingrad“ auf und bot den Lesern mit Formulierungen wie „Stalin selbst verteidigt die Stadt“ oder „Stalin hat hier nochmals seine ganze Wunderkiste geöffnet“ Erklärungen für das Stagnieren der Kämpfe. (10.9.42)
Die Schlacht symbolisierte nun laut Berliner Illustrierten den „Höhepunkt des großen Dramas im Süden der Ostfront“ und den „Härtesten Kampf des Krieges“ (BI 12.9.42), entscheidender noch als Leningrad oder Moskau, ehe die Dresdner Nachrichten am 16. September den „Kampf um Stalingrad im entscheidenden Stadium“ wähnten. (DN 16.9.42) Tags darauf schrieb man, der Fall von Stalingrad sei „nur noch eine Frage der Zeit“. (DN 17.9.42)
Doch aufgrund der ausbleibenden Erfolgsmeldungen schien es der Presselandschaft in den folgenden Tagen erneut von Bedeutung zu sein, die enorme Schwere und das Ausmaß der Kämpfe um Stalingrad herauszustellen. Am 18. September titelten die Dresdner Nachrichten daher mit „Vom Heldenkampf deutscher Infanterie“ (DN 18.9.42), um einen Tag später nachzulegen: „Dem deutschen Soldaten ist nichts unmöglich“. (DN 19.9.42)
[...]
[1] Allerdings stellten keineswegs alle deutschen Soldaten in Stalingrad an diesem Tag die Kampfhandlungen ein. Einzelne Gruppen sollen Gerüchten zufolge, insbesondere in der Kanalisation, noch mehrere Wochen Widerstand geleistet haben.
[2] Entsatz bezeichnet die Befreiung einer eingeschlossenen militärischen Einheit von außen.
[3] Fall Blau lautete der Deckname jener Wehrmachtsoffensive an der südlichen Ostfront, die schließlich auch nach Stalingrad führte.
[4] So handelt es sich keinesfalls um repräsentative „Umfragen“ im modernen Sinne und es darf wohl zudem davon ausgegangen werden, dass bestimmte Aspekte vom Verfasser, je nach Wirkungsabsicht, entschärft oder verstärkt wurden.
[5] Dieser Begriff, ursprünglich aus der NS-Presse, bezeichnet stets den südlichen Teil der Ostfront und nicht etwa die Kämpfe in Nordafrika.