Kinderarmut in Deutschland - Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen in Armut


Hausarbeit, 2006

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Armutskonzepte
2.1 Absolute und relative Armut
2.2 Ressourcenansatz
2.3 Lebenslagenansatz
2.4 Ein kindbezogenes Armutskonzept

3. Infantilisierung der Armut
3.1 Ursachen der Armut von Kindern und Jugendlichen
3.2 Ausmaß der Armut von Kindern und Jugendlichen

4. Mögliche negative Auswirkungen von Armut auf Minderjährige
4.1 Auswirkungen auf das soziale Umfeld und die materielle Lage des Kindes
4.2 Auswirkungen auf die Eltern-Kind Beziehung
4.3 Gesundheit und Psyche
4.4 Bildung
4.5 Teufelskreis Armut

5. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis/ Internetquellen

1. Einleitung

Der Mythos, dass es Kinderarmut in Deutschland nicht geben könne, hielt sich bis in die neunziger Jahre und selbst für die Politik und Wissenschaft war die Armut in Deutschland ein eher vernachlässigter Themenbereich, obwohl bereits im Jahre 1976 Heiner Geißler mit der Veröffentlichung seines Buches „Die neue soziale Frage“ auf eine wachsende Armutstendenz hinwies. Es folgten eine Reihe von Armuts- und Sozialberichtserstattungen diverser Wohlfahrtsverbände, Kirchen u.a., die mit zunehmender Intensität auf das Thema hinwiesen. Seitdem Richard Hauser die „Infantilisierung der Armut“ im Jahre 1989 als neuen Armutstrend in Deutschland identifizierte, haben zahlreiche darauf folgende Untersuchungen eine spezifische Kinder- und Jugendarmut bestätigen können.[1] So wurde u.a. im 10. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung Armut 1998 erstmals im Blickfeld des politischen Interessen breit analysiert. Mit dem Erscheinen des ersten Armuts- und Reichtumsbericht 2001 wurde die Diskussion über Armut und Reichtum publik gemacht und somit offiziell in das politische und gesellschaftliche Interesse gerückt. Neusten Statistiken zufolge sind Minderjährige die am meisten von Armut betroffene Gruppe. Zwar muss konstatiert werden, dass die Existenzgrundlagen der meisten Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien als gesichert gilt.[2] Doch herrscht eine tiefe soziale Spaltung in der BRD, die sich auf die Lebenslagen der Kinder verschärfend auswirkt.

In dieser Hausarbeit sollen die Lebenslagen der Kinder aus ärmlichen Verhältnissen erläutert werden. So werden im Folgenden zunächst unterschiedliche Armutskonzepte dargestellt um dann auf die Ursachen und Ausmaße der Armut von Kindern und Jugendlichen einzugehen (Punkt 3.). Kinderarmut bedeutet jedoch vielmehr als ein Mangel an materiellen Ressourcen. Denn sie manifestiert sich in verschiedenen Lebensbereichen und führt zu vielfältigen Benachteiligungen, etwa im Bildungs-, Gesundheits-, Freizeit- und Wohnbereich, wie sie unter Punkt 4. näher erläutert werden. Abschließend werden im Fazit mögliche Konsequenzen und Handlungsansätze angedacht werden, die die Kinder- und Jugendarmut in Deutschland verringern könnten.

2. Armutskonzepte

Mit dem Begriff Armut werden oftmals ganz unterschiedliche Vorstellungen verbunden. Die Vielfalt an Konzepten zur Beschreibung von Armut ist vor allem „Ausdruck zeitlich und räumlich divergierender Standardisierungen von Grund-bedürfnissen, Lebensbedingungen und -qualitäten, von denen Unterversorgung und Substandards als Armut abgeleitet werden.“[3]

Armut als höchst komplexer Sachverhalt ist also stets ein lebensweltliches, kontextabhängiges und interpretationsbedürftiges Phänomen.[4] Die Armuts-forschung hat noch keine einheitliche Definition von Armut erarbeiten können, so dass sich alle Formen der ökonomisch-statistischen Armutsmessung als schwierig erweisen, da den „Zugangsweisen ein hohes Maß an willkürlicher Fixierung von Meßeinheiten, Maßstäben, Vergleichsobjekten, Erfassungsmethoden zugrunde liegt.“[5]

Die im Folgenden kurz skizzierten gängigen Konzeptionalisierungen von Armut setzen unterschiedliche Schwerpunkte, so dass mit ihnen auch verschiedene Perspektiven hervorgehoben und unterschiedliche Ursachen, Folgen und Konsequenzen von Armut erarbeitet werden können.

2.1 Absolute und relative Armut

Grundsätzlich wird zunächst unter absoluter und relativer Armut unterschieden. Von absoluter Armut wird gesprochen, „wenn Personen nicht über die zur Existenzsicherung notwendigen Güter wie Nahrung,, Kleidung, Wohnung verfügen und ihr Überleben gefährdet ist.“[6] So dass die Armutsgrenze demnach am physischen Existenzminimum gemessen wird bzw. laut Weltbank-Definition weniger als 1 US-Dollar am Tag zur Verfügung steht.[7] Armut als Aufrechterhaltung der physischen Existenz ist in Deutschland heute selten. Hier ist die Armut ganz überwiegend „relativer“ Art.

Demnach lässt sie sich am historisch erreichten Lebensstandard einer Gesellschaft definieren und wird als Mangel an Mitteln zur Sicherung des Lebensbedarfs auf dem geltenden sozio-kulturellen Niveau verstanden. So definiert der Rat der Europäischen Union 1984 Personen, Familien und Gruppen als arm, „die über so geringe (materielle, kulturelle, soziale) Mittel verfügen, daß sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedsstaat in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist.“[8]

2.2 Ressourcenansatz

Folgt man dem Konzept des Ressourcenansatzes gilt als arm, wer einen fest-gelegten Prozentsatz des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens der hier bundesdeutschen Bevölkerung unterschreitet.[9] Demnach gelten Personen bzw. Haushalte als arm, deren Einkommen nicht ausreicht, um Güter und Dienst-leistungen, welche zur Abdeckung des sozio-kulturellen Existenzminimums erforderlich sind, käuflich zu erwerben.[10] Der Ressourcenansatz greift auf ökonomische Kriterien zurück und kann somit Zustände relativer Einkommens-armut erfassen.

Um die Einkommenssituation von Haushalten mit unterschiedlicher Größe und Zusammensetzung zu vergleichen, werden alle Haushaltseinkommen unter Verwendung der älteren OECD-Skala in so genannte Äquivalenzeinkommen umgerechnet.[11] Mit Hilfe dieser Methode wird in den international vergleichenden Studien, z.B. innerhalb der EU, gemäß den vom Statistischen Amt der EU (Eurostat) empfohlenen Schwellenwerten, Armut ermittelt. Als arm gilt demnach, „wer in einem Haushalt lebt, dessen Äquivalenzeinkommen weniger als 60% des Medians der Einkommen in der gesamten Bevölkerung beträgt.“[12] Die 40% Grenze wird des weiteren genutzt, um eine so genannte strenge Armut zu verzeichnen. Auch finden sich in der Literatur Armutsgrenzen, die aus dem arithmetischen Mittelwert abgeleitet werden. So gibt es die 50%-Schwelle und die dem Niedrigeinkommensbereich bzw. prekären Wohlstand beschreibende 75% Schwelle.

Im Sinne des Ressourcenansatzes wird der Sozialhilfebezug bzw. seit Jahresbeginn 2005 das Arbeitslosengeld II von vielen Armutsforschern als ein weiteres Indiz für von Armut betroffene Lebenslagen gesehen.

Den Sozialhilfebezug als Armutsindikator verwerfen jedoch diejenigen Wissenschaftler und Politiker, die eine solche Lebenslage als „bekämpfte Armut“ begreifen,[13] und den politisch-normativen Armutsbegriff als ein Indikator für eine mögliche Armutsbedrohung interpretieren, so dass deren EmpfängerInnen nicht als unmittelbar „arm“ bezeichnet werden. Dies bestätigt auch eine Stellungnahme der Bundesregierung im 10. Kinder- und Jugendbericht 1998: „Die Gleichsetzung von Armut und Sozialhilfebezug ist nicht akzeptabel. Sozialhilfe sichert nicht nur ein Existenzminimum ab, das das Überleben garantiert. Sie gewährleistet darüber hinaus in der Regel die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben.“[14]

Problematisch ist auch, dass dieser oft genutzte Armutsindikator die Zahl der „verdeckten Armut“ nicht mitberücksichtigt. So existieren zwar Personen und Haushalte, die bedürftig und anspruchsberechtigt sind, diese jedoch aus verschiedenen Gründe, wie Unwissenheit, Scham, Stolz oder Angst vor Stigmatisierungen in der Öffentlichkeit, nicht in Anspruch nehmen.[15] Laut Hauser und Hübinger trafen 1993 auf zwei Sozialhilfeempfänger nochmals ein bis zwei Personen, die ihren Anspruch nicht geltend machen.[16]

Der Ressourcenansatz ist zwar hilfreich bei der Messbarkeit und Identifizierung der in der Gesellschaft existierenden Armutspopulation, jedoch sollte Einkommensarmut nicht als alleiniges Kriterium für Armut verstanden werden. Gerade bei der Messung von Armut von Kindern und Jugendlichen kann so nicht beachtet werden, wie viel Geld tatsächlich bei dem Kind ankommt. Zwar spielt auch hier das Einkommen der Eltern eine Schlüsselrolle, die jedoch nicht isoliert betrachtet werden sollte, sondern in Relation zu weiteren Lebensbereichen. „Erst über das Zusammenfallen des Einkommenskriteriums mit anderen Unterversorgungslagen lassen sich Gruppen herauskristallisieren, die von Armut in einem umfassenden Sinn betroffen sind.“[17]

2.3. Lebenslagenansatz

Das aus der dynamischen Armutsforschung stammende Konzept der Armut als Lebenslage fokussiert die Multidimensionalität des Armutsphänomens, indem davon ausgegangen wird, dass neben dem Mangel an monetärem Einkommen weitere Unterversorgungslagen in zentralen Lebensbereichen vorhanden sind.[18] Folgende Aussage aus dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht unterstützt diese Ansicht:„Der Lebenslagenansatz berücksichtigt die individuelle Ausfüllung des Spielraums, der durch äußere Umstände bestimmt ist. Sind die Handlungsspielräume von Personen in gravierender Weise eingeschränkt und ist die gleichberechtigte Teilhabe an den Aktivitäten und Lebensbedingungen der Gesellschaft ausgeschlossen, so liegt im Sinne des Lebenslagenkonzeptes von G. Weisser `Unterversorgung´ vor.“[19] Unterversorgung kann bei der psychischen und physischen Gesundheit und Ernährung, beim Wohnen, Arbeiten und in der Bildung, im sozialen Umfeld und bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben vorhanden sein. Weisser und Neurath zählen zudem auch den Verlust oder die starke Einschränkung der subjektiven Handlungsspielräume sowie die Kategorien des subjektiven Wohlbefindens und der Zufriedenheit mit hinzu.[20] Demnach ist eine Person arm, die einen bestimmten von den Forschern festgelegten und an Normalitätsvorstellungen orientierten Lebensstandard unterschreitet.

Gerd Iben führt im Kontext dieses Lebenslagenkonzepts das viel zitierte systemisch-interaktionistische Modell „Pentagon der Armut“ auf, welches verschiedenste Faktoren beinhaltet, die sowohl Ursache als auch Folge von Armut sein können (Vgl. Abbildung S.6[21]).

Zwar herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass das Lebenslagenkonzept Armutslagen am ehesten zu erfassen vermag, doch gerade wegen der Multidimensionalität wird die forschungspaktische Anwendung und Messung der Armut nur schwer handhabbar, so dass empirische Belege bzw. eine Repräsentativität der Ergebnisse oftmals nicht gegeben ist.[22] So konstatierte Chassé zunächst, dass es beim Lebenslagenansatz lediglich um eine Leitidee handle, die es in weiterer Forschungsarbeit zu präzisieren und umzusetzen gelte.[23] Letztendlich wird die Definition von Weisser unbestimmt bleiben müssen, da die Festlegung von Mindeststandards eine normative Entscheidung ist und eine angebrachte Zahl an Typen von Lebenslagen zu finden, unmöglich scheint.[24] Dennoch ist all diesen Ansätzen gemein, „soziale Differenzierungen feingliedriger und Einschluss der horizontalen und vertikalen Dimensionen zu erfassen.“[25]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2.4 Ein kindbezogenes Armutskonzept

Neurath, Weisser und Nahnsen konzeptionierten ein Lebensraumkonzept, das Chassé, Zander und Rasch als Basis diente, um ein Spielraumkonzept mit Bezugnahme auf die kindlichen Lebenslagen zu gestalten. Mit Hilfe unten genannter Aufzählung lässt sich das Spektrum der Chancen und Möglichkeiten von Kindern verdeutlichen (Vgl. Abbildung[26]).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] Vgl. Hauser (1986) S.126.

[2] Vgl. Butterwegge (2002) S.60.

[3] Dietz (1997) S.14.

[4] Vgl. Beisenherz (2002) S.294.

[5] Beisenherz (2002) S.295.

[6] Bäcker (2000) S.232.

[7] Vgl. Internetquelle 1.

[8] Bundesministerium für Arbeit und und Sozialordnung (2001) S.13.f.

[9] Vgl. Chassé/ Rasch/ Zander (2003) S.17.

[10] Vgl. Bäcker (2000) S.233f.

[11] Vgl. Statistisches Bundesamt (2005) S.623.

[12] Statistisches Bundesamt (2005) S.623.

[13] Vgl. Butterwegge (2002) S.102.

[14] Stuke/ Pyde (1998) S.1.

[15] Vgl. Ruiss/ Schöning: (2000) S.122ff.

[16] Vgl. Internetquelle 2.

[17] Butterwegge/ Klundt/ Zeng (2005) S.102

[18] Vgl. Chassé/ Rasch/ Zander (2003) S.18.

[19] Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (2000) S.42.

[20] Vgl. Chassé/ Rasch/ Zander (2003) S.18.

[21] Vgl. Iben (1998) S.11.

[22] Vgl. Butterwegge/ Klundt/ Zeng (2005) S.104.

[23] Vgl. Chassé (1998) S.30f.

[24] Vgl. Butterwegge (2002) S.112

[25] Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (2002) S.106f.

[26] Vgl. Chassé/ Rasch/ Zander (2003) S.61.

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Kinderarmut in Deutschland - Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen in Armut
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
35
Katalognummer
V204271
ISBN (eBook)
9783656307907
Dateigröße
3204 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reichtum, Armut, Kinder, Armut- und Reichtumsbericht, Vernachlässigung
Arbeit zitieren
Nika Ragua (Autor:in), 2006, Kinderarmut in Deutschland - Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen in Armut, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204271

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