Literaturcomics, wie Bilderzählungen genannt werden, die sich auf eine literarische Vorlage beziehen, erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Dabei reicht die Bandbreite von Comics, die ein literarisches Werk sehr genau nacherzählen bis zu Comics, die nur auf solche anspielen. Die Frage, wie stark sich ein Comic auf seine literarische(n) Grundlagetext(e) bezieht, wirft gleichzeitig auch die Frage auf, in welchem Dienst der Comic steht. Soll er dazu dienen, den Lesern den Originaltext näher zu bringen oder handelt es sich um eine kreative Interpretation des Ausgangsstoffes, die möglicherweise parodistische Züge trägt und so mit dem Vorwissen des Lesers spielt?
Adaption oder Interpretation der Vorlage – diese Frage stellt sich auch hinsichtlich der Graphic Novel von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht, die sich, wie der Titel bereits verrät, auf E.T.A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi bezieht. ...
Literaturcomics, wie Bilderzählungen genannt werden, die sich auf eine literarische Vorlage beziehen, erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Dabei reicht die Bandbreite von Comics, die ein literarisches Werk sehr genau nacherzählen bis zu Comics, die nur auf solche anspielen. Die Frage, wie stark sich ein Comic auf seine literarische(n) Grundlagetext(e) bezieht, wirft gleichzeitig auch die Frage auf, in welchem Dienst der Comic steht. Soll er dazu dienen, den Lesern den Originaltext näher zu bringen oder handelt es sich um eine kreative Interpretation des Ausgangsstoffes, die möglicherweise parodistische Züge trägt und so mit dem Vorwissen des Lesers spielt?[1]
Adaption oder Interpretation der Vorlage – diese Frage stellt sich auch hinsichtlich der Graphic Novel von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht, die sich, wie der Titel bereits verrät, auf E.T.A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi bezieht. Eine Antwort auf diese Frage ist deshalb so wichtig, weil sie den Umgang mit dem Comic entscheidend beeinflusst. Ziel ist also, herauszufinden, auf welche Funktion und Zielgruppe diese Graphic Novel abzielt. Im Gegensatz zu Andreas Rauth, der im Rezensionsartikel für das Jitter Magazin davon ausgeht, dass ein „Medienwechsel ohnehin die Interpretation“[2] eines Ausgangstextes bedeutet, wird hier davon ausgegangen, dass im betrachteten Comic eben keine Interpretation des Hoffmann‘schen Ausgangstextes stattfindet. Im Folgenden soll dementsprechend die Gestaltung des Comics hinsichtlich der Vorlage bzw. der Interpretationsansätze vergleichend betrachtet werden.
Es ist zunächst wichtig, die zu Grunde liegenden Konzepte von Adaption und Interpretation genauer zu erklären, sodass der Comic zwischen beiden Polen besser eingeordnet werden kann. Eine Adaption ist eine „Transformation eines [literarischen] oder medialen Werks, die durch einen Gattungs- oder Medienwechsel bei Wahrung wesentlicher Handlungselemente gekennzeichnet ist“[3]. Eine Interpretation hingegen ist immer eine Bedeutungszuweisung.[4] Hinsichtlich der dem Comic zu Grunde liegenden Novelle findet man in der Literatur mehrere Interpretationsansätze. Einerseits wird Das Fräulein von Scuderi als Nachtstück, andererseits als Künstlergeschichte gesehen. Letzteres beinhaltet, dass Cardillac in den Mittelpunkt der Deutung gerückt wird. Verfechter dieser Lesart sehen ihn „als Prototyp des romantischen Künstlers“[5], der, besessen von seiner Arbeit, sich selbst nie gerecht werden kann. Als Nachtstück wird die Novelle gesehen, weil die Abgründe der menschlichen Natur dargestellt werden. Dem Goldschmied Cardillac, dessen Laster der Schmuck ist, steht in diesem Zusammenhang das für den Erhalt der Moral kämpfende Fräulein von Scuderi gegenüber, das dementsprechend als Lichtgestalt gesehen werden kann. Neben diesen beiden Lesarten wird die Novelle aber auch früh als kriminalistische Erzählung betrachtet, weil sie „ein kriminelles Geschehen zum Gegenstand“[6] hat. Unter anderem wird das Kriminalschema der Novelle auch als Kritik an der Justiz Hoffmanns Zeit interpretiert.[7] In Bezug auf die Funktion des Comics stellt sich nun die Frage, ob es sich um eine Adaption handelt oder ob bestimmte Elemente der Vorlage in den Mittelpunkt gerückt wurden, sodass man von einer Deutung des Originals sprechen kann.
Was beim Betrachten des Comics sofort ins Auge fällt, ist der Stil des Autorengespanns. Der Originaltext wurde auffällig modern verbildlicht. Die gewählten Farben sind grell, bunt und leuchtend; haben Eigenwert, aber keine narrative Funktion. An Stellen, an denen der Text die Farben vorgibt, hält sich der Comic an die gemachten Vorgaben – zeigt beispielsweise eine nächtliche Gasse oder die Scuderi in schwarz. Collagenartig sind über die flächig gefärbten, teilweise gemusterten Hintergründe die Gliederpuppen aus Pappe gelegt. Dieses an die Legetrick-Animation angelehnte Verfahren lässt die Figuren steif wirken und verleiht dem ganzen Comic eine eigenwillige Ästhetik.[8] An der Figur des Cardillac wird gezeigt, dass es sich nicht um gezeichnete Figuren, sondern um ausgeschnittene und zusammengesetzte Körperteile handelt: Nachdem das Fräulein von Scuderi den Schmuck seinem Macher gezeigt hat, ist dieser im inneren Konflikt darüber, ob er den Schmuck zurücknehmen soll oder nicht. Im Comic wird Cardillac in diesem Moment nur teilweise gezeichnet. Arme, Beine, Ober- und Unterkörper sind als ausgeschnittene Pappstücke, die nur übereinandergelegt wurden, erkennbar. Ist dies nun ein erkennbarer Ansatz einer Interpretation vom Schmuckmacher als „Wolf im Schafspelz“[9] ? Spiegelt die Offenlegung des Gestaltungsverfahrens des Comics die Offenlegung des wahren Cardillacs wieder? Zeigen die Pappteile das wahre Innere und geben einen Hinweis die Abgründe der Seele des Schmuckmachers? Da sich keine eindeutigen Beweise für diese Hypothese finden lassen, scheint es wahrscheinlicher, dass es zufällig die Figur des Cardillac traf. Angesichts der verschiedenen Interpretationsansätze zur Novelle Das Fräulein von Scuderi fällt auf, dass in der Bildebene nicht erkennbar ist, dass es sich beim Goldschmied um einen Bürger mit einem dunklen Geheimnis handelt. Als der Charakter das erste Mal im Comic erscheint, werden entscheidende Informationen zu seiner Person ausgespart. Die Bilder vermögen nicht auszudrücken, was der Novellenrezipient an gleicher Stelle erfahren hat: Cardillac ist ein uneigennütziger und hilfsbereiter Ehrenmann und der geschickteste Goldschmied seiner Zeit. Begierig stürzt er sich auf jeden Auftrag und kann nur zur Ruhe kommen, wenn am Ende ein makelloses Kunstwerk entstanden ist. Von jenem kann er sich nur schwer trennen und wird trotzig und grob wenn es an der Zeit ist, das Schmuckstück dem Auftraggeber zu übergeben.[10] All dies bleibt in der Graphic Novel unerwähnt. Ganz eindeutig besteht mit der Auslassung von Informationen zur Psyche des Schmuckmachers eine Entscheidung gegen eine Interpretation des Originals als Künstlergeschichte. Auch die menschliche Lasterhaftigkeit wird durch diese Auslassung nicht deutlich. Cardillac verliert an charakterlicher Tiefe, denn im Vordergrund des Comics steht nur die Suche nach dem Täter, welcher das Fräulein von Scuderi nachgeht. Dabei erscheint sie aber weder als Detektivin noch als Lichtgestalt, d.h. als Gegenspielerin des Bösen. Beide Lesarten der Novelle können bildlich nicht umgesetzt werden, da nur dargestellt wird, was der Text wortwörtlich sagt. Eine Deutung des Ausgangstextes ist in der Verwendung von Farben und Figuren also nicht wiederzufinden. Es scheint sich lediglich um eine Transformation des Ausgangstextes auf eine Bildebene mit modernen Elementen zu handeln. Zwischen den Bildern und dem Ausgangstext besteht keinerlei Spannung. Die Zeichnungen unterstreichen meist das im Text Gesagte und sprechen nur sehr selten für sich selbst. Besonders im ersten Teil des Comics besteht für den Rezipienten keine Notwendigkeit, sich mit den Bildern auseinander zu setzen, weil der zitierte Originaltext bereits alles vorwegnimmt.
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[1] Vgl. dazu Monika Schmitz-Emans: Literatur-Comics zwischen Adaption und kreativer Transformation. In: Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Hrsg. v. Stephan Ditschke, Katerina Kroucheva und Daniel Stein. Bielefeld: transcript 2009, S. 281-308.
[2] Andreas Rauth: Stilwechsel. E.T.A. Hoffmann. Das Fräulein von Scuderi. Eine Graphic Novel von Alexandra Kardinar und Volker Schlecht. In: Jitter – Magazin für Bildkultur. Online: http://www.jitter-magazin.de/jitter-scuderi.php (Stand: 09.06.2012).
[3] Metzler Lexikon Literatur. Hrsg. v. Burdorf, Dieter, Christoph Fasbender und Burkhard Moennighoff. Stuttgart: J.B. Metzler 32007, S. 5.
[4] Ebd., S. 356.
[5] Winfried Freund: E.T.A. Hoffmann. Das Fräulein von Scuderi. Lektüreschlüssel für Schülerinnen und Schüler. Stuttgart: Reclam 2003, S. 60.
[6] Winfried Freund: Die deutsche Kriminalnovelle von Schiller bis Hauptmann. Einzelanalysen unter sozialgeschichtlichen und didaktischen Aspekten. Paderborn: Schöningh 21980, S. 8.
[7] Zu den Interpretationsansätzen vgl. Freund: Lektüreschlüssel, S. 60-62.
[8] Siehe dazu auch Rauth: Jitter-Magazin, online.
[9] Freund: Lektüreschlüssel, S. 16.
[10] E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi. Erzählung aus dem Zeitalter Ludwig des Vierzehnten. In: E.T.A. Hoffmann. Das Fräulein von Scuderi. Graphic Novel. Hrsg. v. Alexandra Kardinar und Volker Schlecht. Frankfurt am Main: Edition Büchergilde 2011, S. 75-151, hier: S. 97ff.
- Arbeit zitieren
- Susann Dannhauer (Autor:in), 2012, Alexandra Kardinars und Volker Schlechts Graphic Novel "Das Fräulein von Scuderi" – Adaption oder Interpretation eines Klassikers?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204750
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