Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Dramatische Kommunikationsform nach Pfister
3 Figurengestaltung nach Pfister
3.1 Figur vs. Person vs. Charakter
3.2 Personal und Konfiguration
3.3 Figurenkonzeption
3.4 Figurencharakterisierung
4 Figurengestaltung in Holbergs Hexerie eller blind Alarm
4.1 Handlung
4.2 Hexerie eller blind Alarm und die commedia dell’arte
4.3 Personal und Konfiguration
4.4 Figurenkonzeption
4.5 Figurencharakterisierung
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Manfred Pfister hat mit seiner Studie Das Drama. Theorie und Analyse ein Buch vorgelegt, das mittlerweile seit vielen Jahren als Standardwerk der Dramentheorie gilt. Pfister hat es sich darin zur Aufgabe gemacht, die enorm große Bandbreite dramatischer Texte einzufangen und systematisch zu beschreiben. Dabei beabsichtigt er „eine allgemeine und systematische, nicht aber eine normativ-präskriptive Theoriebildung“ (Pfister: 13). In dieser Arbeit wird zunächst die dramatische Kommunikationsform nach Pfister dargestellt; der zweite Teil der Arbeit setzt sich mit dem Aspekt der Figurengestaltung nach Pfister auseinander. In einem dritten Schritt soll der vorangegangene theoretische Aspekt der Figurengestaltung helfen, Ludvig Holbergs Hexerie eller blind Alarm (im Folgenden Hexerie, V.B.) auf seine Figuren hin zu untersuchen. Dabei wird die Rechtschreibung in Holbergs Stück so wie sie ist übernommen.
2 Dramatische Kommunikationsform nach Pfister
Zwischen narrativen und dramatischen Texten liegt ein großer Unterschied in der Sprechsituation: In dramatischen Texten wird der Rezipient direkt mit den dargestellten Figuren konfrontiert. Dort spricht weder der Autor selbst, noch gibt es einen vermittelnden Erzähler, der sich – wie im narrativen Text – zwischen Rezipient und Figuren stellt. Im Kommunikationsmodell dramatischer Texte schlüsselt Pfister die Rolle von Sender und Empfänger auf (vgl. Pfister: 20-22). Gibt es im narrativen Text noch drei Kommunikationssysteme – ein äußeres, ein vermittelndes und ein inneres – so fehlt im dramatischen Text das vermittelnde Kommunikationssystem, das für den Erzähler steht, der als eine Art Mittelsmann zwischen den Figuren und dem Autor bzw. dem Rezipienten agiert. Den Verlust des vermittelnden Kommunikationssystems vermögen dramatische Texte jedoch durchaus zu kompensieren, da sie über eine Reihe von Codes und Kanälen verfügen, die die kommunikative Funktion der vermittelnden Instanz teilweise ausgleichen (vgl. Pfister: 21).
Die Absolutheit des dramatischen Textes gegenüber Autor und Publikum wird bedingt durch das fehlende Kommunikationssystem: „Das Drama ist lediglich als Ganzes zum Autor gehörend, und dieser Bezug gehört nicht wesenhaft zu seinem Werksein“ (Szondi, zitiert nach Pfister: 22). Da diese Absolutheit, von der Szondi spricht, jedoch nur Fiktion ist, kann sie auch durchbrochen werden – etwa durch Beiseitesprechen. Gerade dieses mögliche Durchbrechen der Absolutheit des Dramas bestätigt die Bedeutung des Kommunikationsmodells (vgl. Pfister: 22).
Das Fehlen eines fiktiven Erzählers führt bei dramatischen Texten außerdem zu Problemen in der Raum-Zeit-Struktur: Im narrativen Text kann der Erzähler nach Belieben die Erzählzeit raffen oder ausdehnen. Allein die Raum-Zeit-Struktur der dargestellten Handlung bestimmt in dramatischen Texten innerhalb der einzelnen Szenen den Textablauf. Wie Pfister ableitet, sei nur die Wahl des jeweiligen szenischen Ausschnittes in seinen raum-zeitlichen Proportionen und in seinen raum-zeitlichen Relationen zum Gesamtzusammenhang der Handlung intentional und somit kommunikativ relevant (vgl. Pfister: 23). Gerade der Ausfall des vermittelnden Kommunikationssystems führt dazu, dass in dramatischen Texten der Eindruck von Unmittelbarkeit und Gegenwärtigkeit entsteht – eine wichtige Voraussetzung für die konkrete Vergegenwärtigung in der Bühnenrealisation, in der Darstellung und Rezeption zeitlich zusammenfallen (vgl. Pfister: 22f.).
Die Figurenrede – damit ist vor allem die dialogische Figurenrede gemeint – wird von Pfister als „sprachliche Grundform dramatischer Texte“ (Pfister: 23) charakterisiert. Während in narrativen Texten der Erzähler die Rede aller fiktiven Figuren einführt und es oftmals zu einer Überlagerung von den Reden des Erzählers und der fiktiven Figuren kommt, finden die sprachlichen Äußerungen in dramatischen Texten ausschließlich in Monologen und Dialogen statt. Bei der Frage nach dem Verhältnis von Dialog und Handlung orientiert sich Pfister an Pirandellos azione parlata – gesprochene Handlung. Gemeint ist damit der Vollzug eines Aktes, der jeder dramatischen Äußerung, einhergehend mit ihrem jeweiligen propositionalen Aussagegehalt, anhaftet. Der Aspekt des Performativen – des Handelns durch Sprechakte – ist nach Pfister im dramatischen Dialog immer gegeben, da „immer die allgemeinste Bedingung des Performativen [gilt]“ (Pfister: 24): Die Figur will mit ihrer Handlung immer etwas erreichen.
Ein weiteres wichtiges Kriterium im Modell dramatischer Kommunikation ist die Plurimedialität der Textpräsentation. Anders als ein rein literarischer Text bedient sich der „bühnenrealisierte“ Text nicht nur sprachlicher, sondern auch außersprachlich-akustischer und optischer Codes. Dank des im Normalfall schriftlichen Fixierens eines dramatischen Textes, bleibt dessen textliche Ebene historisch gesehen relativ konstant. Relativ variabel dagegen ist die szenische Ebene der Bühneninszenierung eines dramatischen Textes – jeder Regisseur liest und inszeniert ein Drama anders. Diese szenische Komponente lässt sich durch die Merkmale der Konstanz und Variabilität weiter einteilen: So kann der dramatische Text ein bestimmtes Bühnenbild explizit bzw. implizit und konstant erfordern, während gleichzeitig ein anderer Part der Bühnenrealisation individueller Bestandteil der jeweiligen Inszenierung bleibt (vgl. dazu auch Pfister: 25). Pfister erarbeitet vier Klassifizierungskriterien des Repertoires der Codes und Kanäle, über die im plurimedialen dramatischen Text Informationen vergeben werden. Die fünf Sinne dienen als Kanäle der Informationsübertragung, wobei optische und akustische Sinneswahrnehmungen im plurimedial inszenierten Drama überwiegen. Der Code-Typ unterteilt alle Informationen in non-verbale und verbale Codes, letztere noch in linguistische und paralinguistische Codes. Der Sender der Information meint das Verhältnis von Figur und Nicht-Figur (Bühne) – wechselnde Beziehungen zwischen Figur, Kostüm und Requisit ergeben wechselnde Informationen. In der Art der Informationsvergabe unterscheidet Pfister zwischen durativen und nicht-durativen Informationen, die sich auch mit der Dauerhaftigkeit bestimmter übermittelter Informationen, wie etwa Bühnenbild und Beleuchtung, verschieben können (vgl. dazu Pfister: 25-29).
Letztlich zeigen Pfisters Kriterien, dass im plurimedial dramatischen Text ein Informationsüberschuss gegenüber dem reinen literarischen Textsubstrat herrscht. Selbst beim puren Vorlesen des schriftlich fixierten Textes durch Schauspieler schwingen durative und nicht-durative Informationen mit, die das Textsubstrat nicht liefert. Pfister kommt zu dem Schluss, das „[d]er inszenierte plurimediale Text […] eine präzisierende und konkretisierende Interpretation des literarischen Textsubstrats“ darstellt (Pfister: 29). Damit ist der inszenierte plurimediale Text häufiger mehrdeutig als das literarische Substrat.
Ein weiteres Kennzeichen dramatischer Texte ist die Kollektivität der Produktion und Rezeption. Zur gelungenen Bühnenrealisation ist besonders im modernen Theaterwesen ein ganzes Ensemble an spezialisierten Fachleuten vonnöten, neben Schauspielern und Regisseuren werden auch Licht- und Tontechniker, Bühnenbildner, Maskenbildner usw. gebraucht. Mag diese extrem arbeitsteilige Organisation historisch gesehen auch nicht immer erforderlich gewesen sein – seit jeher bedarf es zur Bühnenrealisation eines literarischen Textsubstrats einer Produktionszusammenarbeit, wie sie für rein literarische Textsorten nicht unbedingt gebraucht wird. (vgl Pfister: 29)
Doch diese soeben erläuterten Differenzkriterien zur zugleich offenen und geschlossenen Bestimmung des Dramas sind nicht alles, was ein Drama braucht, um die Kriterien für die literarische Gattung zu erfüllen. Es sind die Figuren, ohne die kein Drama funktioniert. Jegliche Darstellung einer Handlung ohne auch noch so reduzierte Figurendarstellung ist in einem Drama undenkbar. Der Frage, wie genau Figuren in dramatischen Texten gestaltet werden können, wird im nächsten Abschnitt ausführlich nachgegangen.
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