Die Karte als Medium zwischen Objektivität und didaktischer Suggestion

Kritischer Umgang mit Geschichtskarten


Hausarbeit, 2007

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Einleitung

[…] Es ist nicht unwichtig auf die Wirkung einer Karte hinzuweisen. Jede politische Karte ist eine Waffe oder kann zu einer Waffe werden. Sie muss deshalb so konstruiert sein, daß sie nicht nach hinten losgeht […][1]

Diese polemische Anweisung zur Gestaltung von Karten gab der Geopolitiker Rupert von Schumacher in seiner Abhandlung „Zur Theorie der Raumdarstellung“[2], die in der damals weltweit anerkannten „Zeitschrift für Geopolitik“ im Jahre 1934 veröffentlicht wurde.

Welche Funktionen können Karten haben? Kann eine Geschichtskarte einen historischen Tatbestand überhaupt objektiv wiedergeben? Welche gestalterischen Mittel werden von Kartografen eingesetzt, um Rezipienten zu beeinflussen? Wie muss Kartenarbeit im Unterricht aussehen, damit SchülerInnen die Suggestivkraft von Karten erkennen lernen?

Diese Leitfragen bilden den Kern der vorliegenden Arbeit, wobei das Hauptaugenmerk auf dem Quellen- und Erkenntniswert von Geschichtskarten und historischen Karten liegt.

Ziel dieser Untersuchung ist es folglich, die kartografischen Mittel anhand von ideologisch behafteten Karten herauszuarbeiten, um eine kritische Reflexion von Geschichtskarten darlegen zu können.

So soll im folgenden Abschnitt nicht nur der – gemäß den Leitfragen relevante – Forschungsüberblick vorgestellt, sondern auch die kartografischen und literarischen Quellen aus der der Zeit des Nationalsozialismus, die beispielhaft für die tendenziöse Interpretation von Karten stehen, als notwendiges Kriterium dieser Untersuchung kontextualisiert werden. Um der Fragestellung dieser Arbeit gerecht zu werden, werden historische Karten, welche unter völlig anderen gesellschaftlichen und politischen Bedingungen als heute entstanden sind und somit eine ganz andere Perspektive aufweisen, von Geschichtskarten abgegrenzt und in einem weiteren Schritt untersucht.

2. Forschungsstand

Es besteht ein beträchtliches Ungleichgewicht zwischen dem aktuellen Kartenangebot historischen Lernens und den geschichtsdidaktischen Publikationen zum Umgang mit Geschichtskarten im Unterricht.[3] Obwohl bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Wichtigkeit von Karten für geschichtliches Lernen erkannt worden war, dienten die systematisch erarbeiteten Schulgeschichtskarten und Schulgeschichtsatlaskarten nur dem Zweck der illustrativen Raumorientierung.[4] Erst in den 60er Jahren wurde im Bereich der Geowissenschaften die Karte als eigenständiges Informationsmittel deklariert. Obgleich die Geschichtskartografie ein genuiner Bestandteil der thematischen Kartografie ist, blieb dieser Bedeutungswandel in der Geschichtsdidaktik bis in die 90er Jahre weitgehend unreflektiert.

Einen Einstieg in das Problem der Kartenarbeit bieten die Veröffentlichungen der neueren geschichtsdidaktischen Forschung in den Zeitschriften „Geschichte Lernen“[5] und „Praxis Geschichte“[6]. Um dem neuen wissenschaftlichen Anspruch von Geschichtskarten gerecht zu werden, beziehen sich die Untersuchungen von Irmgard Hantsche[7] und Michael Sauer[8] auf eine kritische Betrachtung von Karten. Die Grundlagen für eine beurteilende Kartenarbeit im Geschichtsunterricht legt der einführende didaktische Beitrag von Herbert Raisch[9] dar. Vorgestellt werden die Funktionen einer Geschichtskarte, die Bedeutung der Karteninhalte und die verschiedenen Verfahren einer Kartenarbeit im Unterricht.

Da politische Plakate nach dem Ersten Weltkrieg verstärkt zu massenmedialen Propagandawerkzeugen avancierten, nimmt die vorliegende Arbeit kritisch Stellung zu der pseudowissenschaftlichen Arbeit des Geopolitikers Rupert von Schumacher.[10] Zwei ausgewählte NS-Propagandakarten[11], von denen die erste sogar als Unterrichtsmaterial benutzt wurde, sollen nach eingehender Analyse der Kartensprache beispielhaft aufzeigen, wie Karten zum Zwecke ideologischer nationalgeschichtlicher Erziehung suggestiv und manipulativ eingesetzt wurden.

3. Einsatz von Karten im Geschichtsunterricht

3.1. Die Rolle von Karten im heutigen Geschichtsunterricht

Das Medium Karte ist aufgrund seiner Polyfunktionalität sowohl für die Geschichtswissenschaft als auch für den Geschichtsunterricht unentbehrlich. Christina Böttcher grenzte das Medium mit einer klaren und von der Forschung anerkannten Definition ab, von der sich ebenfalls diese Vielschichtigkeit ableiten lässt. Demnach seien Geschichtskarten „maßstäblich verkleinerte, vereinfachte und verebnete Grundrissbilder historisch-geografischer Räume“[12], die für SchülerInnen eine große Hilfe seien, komplexe historische Vorgänge zu veranschaulichen.

Doch während die Karte im Geografieunterricht nicht wegzudenken ist, kommt ihr im Geschichtsunterricht immer mehr eine eher untergeordnete Rolle zu.[13] Es lassen sich methodische, aber auch didaktische Ursachen für den seltenen Einsatz von Geschichtskarten im Unterricht ausmachen. So kann das Kartenbild den Lehrplänen des Geschichtsunterrichts bis in die 1960er Jahre, die fast ausschließlich auf die politische Geschichte ausgerichtet waren, visuell genügen. Hingegen lässt sich die in den letzten Jahrzehnten aufkommende Sozialgeschichte in der Geschichtswissenschaft und im Geschichtsunterricht besser durch quantitative Methoden der Sozialwissenschaft darstellen. Aus diesem Grund ist heutzutage der Gebrauch von Geschichtsatlanten, die damals zur Grundausstattung eines jeden Geschichtsunterrichts gehörten, nicht mehr selbstverständlich.[14] Ferner ist ihr Einsatz im Unterricht mit einem gewissen Aufwand verbunden.

Da Geschichtskarten historisch-räumliche Verhältnisse durch Reduzierung und Verdichtung darstellen, weisen sie im Gegensatz zu geografischen Karten eine sehr viel komplexere Struktur auf, weshalb an die Schüler im Geschichtsunterricht wesentlich höhere Anforderungen gestellt werden.[15] So müssen die Sprache bzw. die Bausteine einer Geschichtskarte müssen zunächst gelesen, dechiffriert und in einem letzten Schritt kritisch hinterfragt werden, weshalb Kenntnisse in der Methodik des historischen Kartenlesens erforderlich sind. Heutzutage mangelt es aber bereits bei der Lehrerausbildung an der Einübung von kritischer Kartenarbeit, so dass den Lehrern die Vorteile des Karteneinsatzes häufig nicht genügend bewusst sind und nur die Schulbuchkarte oberflächlich im Unterricht erörtert wird.[16]

3.2. Anforderungen an Geschichtskarten

Am häufigsten werden also im heutigen Geschichtsunterricht Schulbuchkarten eingesetzt, da Lehrer in ihnen meist eine Arbeitserleichterung sehen. Das wirft die Frage auf, ob Karten aus dem Schulbuch wirklich den gewünschten Lerneffekt erzielen und welche Anforderungen überhaupt an Geschichtskarten gestellt werden müssen. Soll eine Karte entweder unmittelbar auf einen bestimmten historischen Sachverhalt abgestimmt sein, so dass die Schüler "auf einen Blick" die Kernaussagen der Karte treffend formulieren können? Oder soll sie ein differenziertes Bild entwerfen, das wegen seiner Multiperspektivität von den Schülern erst entschlüsselt werden muss?

Die Beantwortung dieser Fragen zielt genau auf zwei unterschiedliche Kartentypen ab. Im ersten Fall ist die Karte als Schulbuchkarte fester Bestandteil des Lehrstoffes und der didaktischen Konzeption.[17] Um sie als Ergänzung oder als Illustration eines Lehrbuchtextes direkt in den speziellen historischen Sachverhalt zu stellen, muss sie möglichst einfach dargestellt sein. Der Autor nimmt demnach eine Generalisierung nach lernzielorientierten Prinzipien vor und gestaltet die Karte individuell – bezogen auf eine ganz bestimmte Altersstufe oder Schulform.[18] Durch diese Beschränkung auf einen geringen Karteninhalt erhöht sich zwar für die Schüler die Einprägsamkeit des dargestellten Sachverhalts, gleichzeitig erhöht sich jedoch aufgrund der kartografischen Gestaltungsmöglichkeit die Suggestivkraft, weshalb Schulkarten viel leichter der Gefahr der Manipulation unterliegen und den Schülern oft ein falsches Bild vermitteln können.[19] Um dieser Gefahr der isolierten Betrachtung entgegen zu wirken, sind spezielle Arbeitsaufgaben an die SchülerInnen seitens der Schulbuchautoren oder Lehrer unabdingbar.[20]

Eine Atlaskarte hingegen ist ein äußerst komplexes Arbeitsmittel, welches vielfältiger einsetzbar sein muss, da es sehr viele Informationen zu unterschiedlichen Gesichtspunkten erfassen muss. Obwohl SchülerInnen einem erheblich größeren Arbeitsaufwand ausgesetzt sind, um das differenzierte Bild zu dekodieren, verkennen die meisten Lehrer, dass bei regelmäßiger Anwendung methodische Fähigkeiten des Kartenlesens ausgebaut werden können. Dabei ist es sogar möglich, Informationen über geschichtliche Ereignisse, Entwicklungen und Probleme aus einer einzigen Atlaskarte zu entnehmen und diese in einem Kartenvergleich zu anderen Epochen in Beziehung zu setzen.[21] Insgesamt muss natürlich auch bei Atlaskarten berücksichtigt werden, dass jedes Zeichen Reduktion bedeutet und somit eine subjektive Interpretation eines historischen Sachverhalts beinhaltet, selbst wenn Kartenautoren sich um möglichst große Genauigkeit und Objektivität bemühen.[22]

[...]


[1] Von Schumacher, „Zur Theorie der Raumdarstellung“, in: Zeitschrift für Geopolitik 11 (1934), S. 651.

[2] Ebd., S. 635-654.

[3] Vgl. Mayer, Ulrich, „Umgang mit Geschichtskarten“, in: Geschichte lernen 59 (1997), S. 19.

[4] Vgl. Böttcher, Christina, „Die Karte“, in: Hans-Jürgen Pandel (Hrsg.), Handbuch Medien im Geschichtsunterricht, Schwalbach 1999, S.173.

[5] Geschichte lernen (Heft 59), Arbeit mit Geschichtskarten, 1997.

[6] Praxis Geschichte (Heft 4/99), Kartenarbeit im Geschichtsunterricht, 1999.

[7] Hantsche, Irmgard, „Geschichtskarten im Unterricht“, in: Geschichte lernen 59 (1997), S. 5-12.

Ders., „Karten im Schulgeschichtsbuch“, in: Ursula A. J. Becher (Hrsg.), Internationale

Schulbuchforschung 19 (1997) (= Zeitschrift des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung), S. 383-398.

Ders., „Geschichtskarten – Ein Medium zwischen Objektivität und tendenziöser Beeinflussung“, in: Hans Süssmuth (Hrsg.), Geschichtsunterricht im vereinten Deutschland. Auf der Suche nach Neuorientierung (Teil II), Baden-Baden 1991, S. 257-273.

[8] Sauer, Michael, „Zwischen Deutung und Manipulation – Kritischer Umgang mit Geschichtskarten“, in: Geschichte lernen 59 (1997), S. 53-58.

[9] Raisch, Herbert, „Weniger ist oft mehr – Grundlagen der Kartenarbeit im Geschichtsunterricht“, in: Praxis Geschichte 12 (1999), S. 4-11.

[10] Von Schumacher, Rupert, „Zur Theorie des Raumes“, in: Zeitschrift für Geopolitik 11 (1934), S. 573-580.

Ders., Zur Theorie der Raumdarstellung, S. 635-654.

[11] Vgl. Abb.1 „Der große Betrug von Versailles“ in: Der Weg zum Reich, Hrsg. vom Reichsführer SS/SS Hauptmann, ca. 1942.

Wiederabgedruckt in: Hantsche, Irmgard, „Geschichtskarten im Unterricht“, in: Geschichte lernen 59 (1997), S.6,

ohne Untertitel in: Bsv Geschichte in vier Bänden (Band 4N, Das 20. Jahrhundert), Hrsg. von Joachim Cornelissen u.a., München 19872, S.31.

Vgl. Abb.2 „Ein Staat bedroht Deutschland“ in: Von Schumacher, Rupert, „Zur Theorie der Raumdarstellung“, in: Zeitschrift für Geopolitik 11 (1934), S. 645.

[12] Böttcher, Christina, Die Karte, S.173.

[13] In der Zeitschrift „Geschichte Lernen“ wird Kartenarbeit sogar als „Stiefkind des Geschichtsunterrichts […] [und] der Geschichtsdidaktik“ bezeichnet. Vgl. Geschichte lernen 59 (1997), S.3.

[14] Vgl. Hantsche, Irmgard, Karten im Schulgeschichtsbuch, S.384.

[15] Insbesondere die Schulbuchkarte ist einer bestimmten Reduktion ihres Inhaltes durch eine spezifische normierte Kartensprache unterlegen. Die Diskussion dieser Thematik erfolgt im folgenden Abschnitt. Vgl. Ebd., S.384-397.

[16] Vgl. Hantsche, Irmgard, Geschichtskarten im Unterricht, S.6ff.

[17] Vgl. Ders., Karten im Schulgeschichtsbuch, S.384–386.

[18] Christina Böttcher führt den Begriff der Generalisierung ein, der ihrer Ansicht nach die Verschlüsselung von Daten durch Zeichen in einer Grundkarte sei. Vgl. Böttcher, Christina, Die Karte, S.183.

[19] Vgl. Hantsche, Irmgard, Geschichtskarten, S.262–264.

[20] In den meisten Schulbüchern jedoch fehlen derartige Anweisungen, die sich in ausreichendem Maße auch auf die Karten beziehen. Vgl. Hantsche, Irmgard, Karten im Schulgeschichtsbuch, S.397.

[21] Vgl. Hantsche, Irmgard, Geschichtskarten im Unterricht, S.9.

[22] Vgl. Ebd., S.11.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Karte als Medium zwischen Objektivität und didaktischer Suggestion
Untertitel
Kritischer Umgang mit Geschichtskarten
Hochschule
Universität Münster  (Institut für Didaktik der Geschichte)
Veranstaltung
Einführung in die Geschichtsdidaktik
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
16
Katalognummer
V204844
ISBN (eBook)
9783656312468
ISBN (Buch)
9783656314578
Dateigröße
1204 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Geschichtskarte, historische Karte, Propagandakarte, Karten im Geschichtsunterricht, Kartenkompetenz
Arbeit zitieren
Joana Gasper (Autor:in), 2007, Die Karte als Medium zwischen Objektivität und didaktischer Suggestion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/204844

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