Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Darstellungsverzeichnis
Teil I
1. Einführung
1.1. Zielsetzung
1.2. Was ist ein Mindestlohn?
1.3. Aktuelle politische Diskussion in Deutschland
2. Der Niedriglohnsektor
2.1. Die Makroebene
2.2. Die Mikroebene
Teil II (Theorie)
3. Die Theorie des neoklassischen Arbeitsmarktes
3.1. Das Standardmodell
3.2. Das Monopson
Teil III (Empirie)
4. Mindestlöhne
4.1. Mindestlöhne in Deutschland
4.1.1. Tarifautonomie
4.1.2. Ergebnisse
4.2. National Minimum Wage - Mindestlohn in Großbritannien
4.2.1. Überblick
4.2.2. Ergebnisse
4.3. Mindestlöhne International
4.3.1. Ergebnisse
5. Fazit
6. Diskussion
Literaturverzeichnis
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellungsverzeichnis
Dar. 1: Mindestlöhne Ja oder Nein ?
Dar. 2: Anteil der abhängig Beschäftigten im Niedriglohnsektor von allen Erwerbstätigen bei bundeseinheitlicher Niedriglohnschwelle
Dar. 3: Entwicklung der Arbeitslosenquote in Deutschland von 1992 bis
Dar. 4: Determinanten für die Ausweitung des Niedriglohnsektors
Dar. 5: Arbeitsmarkt ohne Beschränkungen
Dar. 6: Arbeitsmarkt mit Mindestlohn
Dar. 7: Gesetzliche Mindestlöhne in Deutschland
Dar. 8: Indikatoren der Zielgrößen Arbeitnehmerschutz,Beschäftgung und Wettbewerb
Dar. 9: Lohnuntergrenzen in Deutschland
Dar. 10: Absolute Erhöhungen des NMW bis 2012 in Pfund (jeweils im Oktober)
Dar. 11: Höhe der Mindestlöhne gemessen in Euro und KKS im Jahr
Dar. 12: Internationale Befunde I
Dar. 13: Internationale Befunde II
Kapitel 1 Einführung
In einem Online-Artikel mit dem Titel „Mindestlohn. Ein Rezept für Arbeitslosigkeit“ schreibt die WirtschaftsWoche:
„Die CDU will den Mindestlohn einführen. Damit dürften die Zeiten rückläufiger Ar- beitslosenzahlen in Deutschland bald vorbei sein. Für Jugendliche drohen Zustände wie in Frankreich oder Großbritannien. Deutschland geht es wirtschaftlich gut. Zu gut of- fenbar. Wie sonst soll man sich erklären, dass CDU und CSU den Arbeitsmarkt nun mit einer „allgemeinverbindlichen Lohnuntergrenze“ überziehen wollen? Überall dort, wo es keine Tarifverträge gibt, sollen künftig Mindestlöhne Einzug halten, die von einer Kommission aus Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern festgelegt werden […] Setzt sich die CDU mit ihrem Konzept durch, dürften die Zeiten rückläufiger Arbeitslosen- zahlen in Deutschland bald vorbei sein. Denn die Dynamik kollektiv geführter Lohnver- handlungen wird die Untergrenze kräftig nach oben treiben […] Für die Unternehmen wird ihr Einsatz zum Verlustgeschäft. Entlassungen und Dauerarbeitslosigkeit gering Qualifizierter sind die Folge.“(Fischer: 2012).
In der vorliegenden Arbeit möchte ich folgende Hypothese untersuchen:
Die Einführung eines Mindestlohns hat negative Auswirkungen auf die Beschäftigung, die Einführung einer gesetzlichen Lohnuntergrenze führt naturgemäß zu negativen Beschäftigungseffekten.
1.1 Zielsetzung
Die vorliegende Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil behandelt die aktuelle politische Diskussion bzw. die Ansichten der Parteien zum Thema Mindestlohn ab. An- schließend werden die Gründe für die Ausbreitung des Niedriglohnsektors dargestellt. Im Zweiten Teil wird sich mit dem Standardmodell der neoklassischen Theorie beschäf- tigt. Wie wirkt sich ein Mindestlohn im neoklassischen Sinne auf dem Arbeitsmarkt aus? Im dritten Kapitel wird die Theorie einer empirischen Überprüfung unterzogen.
Hält die Theorie der Empirie stand? Führt ein Mindestlohn zwingend zu negativen Beschäftigungswirkungen? Hier werden die Auswirkungen von Lohnuntergrenzen auf die Zielgröße Beschäftigung ausgewählter Branchen in Deutschland anhand von Studien dargestellt. In den nachfolgenden Abschnitten wird ein Einblick über Beschäftigungs- wirkungen von den Mindestlöhnen in Großbritannien und auf internationaler Ebene gegeben.
1.2 Was ist ein Mindestlohn?
Bei einem gesetzlichen Mindestlohn handelt es sich um eine Lohnuntergrenze, die ge- setzlich festgelegt ist und nicht unterschritten werden darf. Die Festlegung bzw. Erhö- hung eines Mindestlohnes erfolgt je nach Land in unterschiedlicher Form. Es gibt Re- gierungen die den Mindestlohn gesetzlich festlegen (bspw. USA, Frankreich), Mindest- löhne durch Kollektivverhandlungen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden (bspw. Griechenland, Belgien), branchenspezifische Mindestlöhne (bspw. Deutschland, Österreich) und Mischsysteme bei denen eine unabhängige Kommission der Regierung Vorschläge unterbreitet (bspw. Großbritannien, Irland). (Krugman/Wells: 2010; Ragacs: 2003)
1.3 Aktuelle politische Diskussion in Deutschland
Auf dem Parteitag Ende 2011 in Leipzig einigte sich die CDU mehrheitlich darauf, ein Konzept für einen gesetzlichen Mindestlohn zu erarbeiten. Nach einer mehrwöchigen Ausarbeitungsphase stellte die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, das Konzept vor. Demnach sollte kein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden, sondern eine individuelle Lohnuntergrenze „Mindestlohn light“, die je nach Wirtschaftszweig von einer Kommission bestehend aus Mitgliedern der Tarifparteien unterschiedlich hoch angesetzt wird. Branchen mit geltenden Tarifverträgen bleiben davon unberührt (Neuerer:2012; Steffen:2011). In einem Flugblatt begründet die CDU die Lohnuntergrenze folgendermaßen:
“Die CDU setzt sich für faire Löhne in Deutschland ein. Die CDU hält es daher für notwendig, eine allgemeine verbindliche Lohnuntergrenze dort einzuführen, wo ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht existiert. […] Lohndrückerei setzen wir damit ein Ende. Zugleich schützen wir die große Mehrheit […] vor ruinöser wettbewerbsverzerrender Lohnkonkurrenz" (CDU: 2012).
Die Lohnuntergrenze soll den Zweck haben Lohndumping zu unterbinden und gleichzeitig die altbewährte Tarifautonomie in Deutschland erhalten. Der Koalitionspartner im Bundestag die FDP spricht sich klar gegen den Vorschlag aus. Bundewirtschaftsminister Rösler merkt dazu in einem Interview mit der Rheinischen Post an:
„Zu einem wichtigen Punkt der sozialen Marktwirtschaft gehört die Tarifautonomie. Die FDP wird nicht zulassen, dass daran gerüttelt wird.“(FDP:2012)
Nach Meinung der Liberalen führen gesetzliche Mindestlöhne und branchenspezifische Lohnuntergrenzen zu einer Unterwanderung der Tarifautonomie und einem Abbau von Arbeitsplätzen, besonders bei Jugendlichen und Geringqualifizierten. Unternehmen sind gezwungen durch steigende Personalkosten sozialversicherungspflichtige Stellen abzu- bauen. Des Weiteren wird Schwarzarbeit zusätzlich gefördert. Dadurch entstehen dem Staat Mehrbelastungen durch verminderte Steuereinnahmen, den erhöhten Verwal- tungsaufwand und Transferzahlungen an Arbeitslose. Als Alternative zum Mindestlohn sehen die Liberalen Änderungen in den Hinzuverdienstmöglichkeiten (bspw. Transfer- beziehern) und die Entlastung von Steuern und Abgaben der kleinen und mittleren Ein- kommensgruppen vor. Eine weitere Idee ist das Bürgergeld. Das bedeutet Transferbe- züge (bspw. ALG II, Sozialhilfe, Wohngeld) werden zusammengefasst und jeder Bun- desbürger erhält monatlich ein Mindesteinkommen und verdient sich den Rest dazu. Das Bürgergeld soll Anreize für die Aufnahme einer Tätigkeit schaffen (FDP:2011; FDP:2012).
Die SPD plädiert für einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro/Std. Brutto. Als Argumente werden soziale Gerechtigkeit, Stärkung der Kaufkraft und eine gute Binnennachfrage sowie fairer Wettbewerb genannt. Die Arbeit eines Arbeitnehmers soll im Verhältnis zu seinen Leistungen stehen. Eine starke Binnennachfrage sind wichtige Determinanten für Stabilität, Wachstum und Beschäftigung. Der Mindestlohn soll Lohndumping und unlauteren Wettbewerb unterbinden (SPD:2011). Die Aussagen der SPD spiegeln sich auch teilweise in politischen Lagern weiter außen wieder. Die Linke sieht in dem Mindestlohn ebenfalls ein Instrument zur Unterbindung von Lohndumping,gerechte Entlohnung für Arbeitnehmer und eine Stärkung der Binnennachfrage. Zudem stehen die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die dadurch entstehenden fiskali- schen Einnahmeausfälle von Steuern und Sozialversicherungen in der Kritik. Mit einem flächendeckenden Mindestlohn von 10 Euro/Std. Brutto soll dem entgegengewirkt wer- den (Die Linke:2012). Der Rechte politische Flügel der Parteien sieht in einem flächen- deckenden Mindestlohn vor allem einen Wachstumsmotor für die Binnennachfrage. Ein Mindestlohn von 8,80 Euro/Std. Brutto würde laut NPD sofort konsum- und beschäfti- gungswirksam werden und „Ausbeutungslöhne“ stoppen (NPD:20120).
Die Grüne Fraktion sieht die Notwendigkeit eines Mindestlohnes in den seit Jahren ex- pandierenden Niedriglohnsektor. Damit verbunden sind niedrige Löhne und wachsende Einkommensungleichheiten. Lohndumping soll vor allem im Bereich Zeitarbeit verhin- dert werden. Die Grünen sehen eine Mindestlohn-Kommission nach Vorbild Großbri- tanniens vor (dazu mehr in Kapitel 4), die einen generellen Mindestlohn festlegt und überwacht (Die Grünen:2011). Eine ähnliche Meinung zu Lohndumping und Leiharbeit vertritt die Piraten Partei. Ein Mindestlohn soll Leiharbeit eindämmen und vor allem eine gerechte Entlohnung für Arbeitnehmer gewährleisten. Sie spricht sich auch für ei- nen Mindestlohn aus, weist jedoch nicht auf eine bestimmte Höhe des Stundenlohns hin. Der Mindestlohn ist deren Ansicht nach ein vorübergehendes wirtschaftspolitisches Mittel. In Langfristig sieht die Partei im bedingungslosen Grundeinkommen in Deutsch- land die Zukunft (Piraten Partei:2011).
Zusammenfassend gibt es momentan zwei Konzepte für Lohnuntergrenzen in der politi- schen Debatte. Erstens eine Lohnuntergrenze, die von einer Kommission ins Leben ge- rufen wird und einen individuellen Mindestlohn für einen Wirtschaftszweig festlegt. Zweites einen flächendeckenden Mindestlohn, der für alle Branchen gilt. Die Politik verfolgt mit der Einführung eines Mindestlohnes verschiedene Ziele, jedoch gibt es un- ter den Parteien Konsens. Das Gerechtigkeitsempfinden spielt bei allen Parteien eine große Rolle, wobei Gerechtigkeit ein normativer Begriff ist und verschieden definiert wird. Im Großen und Ganzen versprechen sich alle betrachteten Parteien mehr soziale Gerechtigkeit in Form von fairer Entlohnung der Arbeitnehmer. Ausgenommen FDP, die den Status Quo als gerecht empfindet und andere Konzepte (Bürgergeld) vorantrei- ben will.
Dar. 1: Mindestlohn Ja oder Nein?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
Übereinstimmend sprechen sich einige der Parteien gegen Lohndumping, Begrenzung
des Niedriglohnsektors und bessere Wettbewerbsbedingungen aus. SPD, LINKE und NPD sehen in einer Erhöhung der Löhne eine Belebung der Binnenwirtschaft, da ihrer Idee nach höhere Löhne zu einer stärkeren Kaufkraft führen, frei nach dem Motto: „wer mehr Geld hat, der gibt auch mehr Geld aus.“ In einem Email-Interview äußerte sich Frau T. von der Bundesgeschäftsstelle der Linken und zuständig für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Binnennachfrage folgendermaßen:
„[…] wenn Leute, die heute weit unter 10.-€ arbeiten müssen, wenigstens 10.-€ kriegen würden, hätten sie mehr Geld, was sie ausgeben werden. Also sie kaufen mehr ein und damit erhöht sich die Binnennachfrage.“ (T.:2012).
Kapitel Der Niedriglohnsektor
Im vorherigen Kapitel wurde die aktuelle politische Diskussion dargestellt. Für einige Parteien sind die gerechte Entlohnung von Arbeitnehmern und die Begrenzung des Niedriglohnsektors wichtige Argumente für die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns. Der Niedriglohnsektor ist definiert als Bereich in dem „die gesetzlich zulässige Bezahlung von Arbeitnehmern unterhalb von Tariflöhnen oder dem durch- schnittlichen Lohnniveau auf dem regulären Arbeitsmarkt“ liegt (Gabler Wirtschaftsle- xikon:2012). Die Berechnung des durchschnittlichen Lohnniveaus erfolgt unterschied- lich. Die hier verwendete Studie nimmt die OECD Definition als Bemessungsgrundla- ge: „The Organisation for Economic Cooperation and Development defines low pay as less than two-thirds of median earnings for all full-time workers“ (Ioakimo- glou/Soumeli:2002).
Die Niedriglohnschwelle wird bei zwei Drittel des Medianbruttolohnes der Vollzeitbe- schäftigten angesetzt. Für Gesamtdeutschland lag die Niedriglohnschwelle im Jahr 2010 bei 9,15 Euro1 pro Stunde darunter fallen zirka 7,92 Millionen oder 23,1 % der Er- werbspersonen (inklusive Schüler, Studenten und Rentner). Tabelle 3 auf Seite 9 zeigt den relativen Anstieg der abhängig Beschäftigten im Niedriglohnsektor, der seit 1995 um über 2 Millionen Personen kontinuierlich angewachsen ist. Die Struktur des Nied- riglohnsektors setzt sich häufig aus geringfügiger Beschäftigung und befristeten Stellen zusammen. Etwas über 71 % (86,1 %2 ) der Beschäftigten im Niedriglohnsektor befindet sich im Minijob-Beschäftigungsverhältnis. Ein Fünftel der Arbeitnehmer arbeitet in der sozialversicherungspflichtigen Teilzeit (26,6 %) und 14,5 % (15,5 %) aller Stellen sind Vollzeit. 41,4 % aller Stellen sind zeitlich befristet.
Im Jahr 2010 verdienten in der Bundesrepublik 4,1 Millionen Beschäftigte weniger als 7 Euro die Stunde und davon 1,4 Millionen Arbeitnehmer weniger als 5 Euro die Stunde. (Kalina/Weinkopf:2012)
„Solche niedrigen Stundenlöhne sind auch häufig Ursache dafür, dass das Erwerbseinkommen nicht zur Existenzsicherung reicht und aufstockende Leistungen des Staates3 in Anspruch genommen werden müssen“ (Kalina/Weinkopf:2012).
Der Niedriglohnsektor hat sich in den letzten Jahren stetig ausgeweitet. Welche Gründe spielen dabei eine Rolle? Die wissenschaftliche Literatur bietet viele Gründe an, die zur Ausweitung des Niedriglohnsektors in Deutschland geführt haben. Die Zusammenhänge in ihren Wirkungsbeziehungen sind schwierig und teilweise eng miteinander verfloch- ten. Zur besseren Überschaubarkeit sind nachfolgende Gründe in zwei Ebenen unterteilt: Makro- und Mikroebene. Dabei umfasst die Makroebene globale bzw. großräumige Prozesse und die Mikroebene Prozesse auf der nationalstaatlichen und die Ebene der Unternehmen.
Dar. 2: Anteil der abhängig Beschäftigten im Niedriglohnsektor von allen Erwerbstätigen bei bundeseinheitlicher Niedriglohnschwelle.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: IAQ 2012 / Eigene Darstellung
2.1 Die Makroebene
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist eine stark wachsende Liberalisierung der weltweiten Waren, Dienstleistungs- und Finanzmärkte zu verzeichnen. Dazu trugen politische Ab- kommen wie Bretton-Woods, das GATT und Institutionen wie die Welthandelsorgani- sation (WTO), der Internationale Währungsfond (IMF) und die Weltbankengruppe ent- scheidend bei. Mit zunehmender Liberalisierung der Märkte im Zusammenspiel mit dem technologischen Fortschritt (verbesserte Transport- und Kommunikationsmöglich- keiten sowie Standardisierung) und der Verbreitung von Transnationalen Unternehmen begann sich die Welt ab Mitte des 20. Jahrhunderts nun Schritt für Schritt schneller zu drehen. Dieser Prozess wird als wirtschaftliche Globalisierung bezeichnet. (Giese et al.:2009; Backhaus:2009).
Die Öffnung der Volkswirtschaften für die Weltmärkte bringt einerseits Chancen und andererseits Risiken für international ausgerichtete Unternehmen. Sie haben besseren Zugang zu globalen Absatz- und Beschaffungsmärkten, treten aber verstärkt in den in- ternationalen Wettbewerb, der die Unternehmen dazu drängt auf die veränderten Rah- menbedingungen mit Anpassungen zu reagieren. Denn die Kostenlast der Unternehmen wird durch den Wettbewerbsdruck erhöht, die nun auf andere Konzepte der Unterneh- mensführung setzen. So gewinnt der „shareholder value“4, eine Anteilseigner orientierte Unternehmensstrategie, bei den deutschen Managern an Beliebtheit. Dies geschieht vor allem um Maßnahmen zur Steigerung der Rentabilität durchzusetzen, die als Wettbe- werbsvorteile dienen (Deutsche Bank Research:2009; Höpner:2003; Voppel:1999). Das kann einerseits durch Outsourcing von Unternehmensteilen an Externe (Make-or-buy) erfolgen. Andererseits erlaubt es der technische Fortschritt effizientere Rationalisie- rungsmaßnahmen einzuführen, um dadurch Personalkosten einzusparen, denn sie ma- chen im Schnitt 70 % der Gesamtkosten eines Unternehmens aus. Einfache Arbeit kann im Industriesektor entweder durch Maschinen, durch Offshoring5 oder durch den Import von Gütern, die kosten- und arbeitsintensiv sind, leichter substituiert werden. Die Globalisierung forciert Strukturwandel6, der aber wohlgemerkt nicht nur auf die Globalisierung zurückzuführen ist. (Deutsche Bank Research:2009; Mankiw:2004; Matthes:2008). Die grundlegenden Ursachen des Strukturwandels werden - grob gesagt - durch Verän- derungen in der Angebots-, Nachfrage- und Faktorseite erklärt. Zum Beispiel der Wan- del in der Bedürfnis- und Nachfragestruktur, technologische und organisatorische Ände- rungen in Produktionsprozessen, Produktinnovationen, Liberalisierungs- und Deregulie- rungsmaßnahmen usw. (Haas/Neumair:2008). Der Anteil an Erwerbstätigen bezogen auf alle Arbeitnehmer im industriellen Sektor nimmt stetig ab. Waren 1970 im alten Bundesgebiet noch 46,5 % der Erwerbsbevölkerung im Sekundärsektor beschäftigt, schrumpfte er 2009 auf 24,9 % zusammen. Die Beschäftigung im Dienstleistungssektor wuchs im gleichen Zeitraum von 45 % auf über 74 % (Statistisches Bundesamt: 2012). Zugleich konzentriert sich der deutsche Bankensektor, dessen Hauptaugenmerk in der Vergangenheit im Hausbanking lag und der als langfristiger Finanzierer der Industrie auftrat, ab den 1990er Jahren zunehmend im Investmentbanking und an kurzfristigen Renditen. Zwischen Banken und Privatanlegern formieren sich nun auch die institutio- nellen Anleger mit professionellem Portfoliomanagement und treten als Konkurrenz auf, was den Kostendruck auf die Unternehmen, die die „shareholder value-Strategie“ verfolgen, steigert. (Bosch/Weinkopf:2007; Krüsemann/Hochmuth: 2009).
Diese Prozesse zusammengenommen erhöhen das Angebot von „einfachen“ Arbeits- kräften bzw. Geringqualifizierten am heimischen Arbeitsmarkt mit der Konsequenz das Lohnniveau dämpfend bis negativ zu beeinflussen. Der technologische Fortschritt aber löst eine zunehmende Nachfrage an hochqualifizierten Arbeitnehmern aus, die aber in Deutschland durch das bestehende Angebot an Arbeitskräften gänzlich nicht vollständig abgedeckt wird (Fachkräftemangel) und dadurch höhere Löhne an Hochqualifizierte gezahlt werden zu Lasten der Geringqualifizierten (Matthes et al.:2008). Parallel trägt seit der Emanzipation ein Paradigmenwechsel im Rollenverständnis der Frau dazu bei, dass die Frauenerwerbstätigkeit zunimmt und das besonders im Dienstleistungssektor (Bähr:2004). Die Zunahme verstärkt nochmals das Angebot an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt und damit die Wettbewerbsintensität, die den Druck auf die Löhne inten- siviert.
2.2 Mikroebene
Die vierzigjährige Teilung zwischen West -und Ostdeutschland endete am 03. Oktober 1990 mit der deutschen Widervereinigung. Nachdem ein Jahr zuvor großangelegte Pro- teste und Massendemonstrationen dem SED-Regime den „Gnadenstoß“ gaben. Die Wi- dervereinigung beinhaltete eine Wirtschafts-, Sozial-, und Währungsunion der beiden deutschen Staaten (Gutzeit:2010). Die Ungleichheiten der beiden Systeme, einerseits freie Marktwirtschaft und andererseits zentralistisch gesteuerte Wirtschaft, trugen zu einer ökonomischen Wachstumskrise bei. Die deutsche Wirtschaft zeigte zwischen 1995 und 2005 nur eine schwache konjunkturelle Entwicklung und infolge dessen ein dauer- haft höheres Niveau an Arbeitslosigkeit (Matthes:2008; Krüsemann/Hochmuth:2009).
Dar. 3: Entwicklung der Arbeitslosenquote in Deutschland von 1992 bis 2005
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2012 / Eigene Darstellung
Im März 2000 beschlossen die Staats-und Regierungschefs der Europäischen Union die Lissabon-Strategie, eine Strategie die Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum auf der Welt machen sollte. Dazu gehörten auch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Investition in Humankapital und eine aktive Beschäftigungspolitik. In Deutschland wurde die Lissabon-Strategie von der damals amtierenden Rot-Grün Regierung mit der Agenda 2010 umgesetzt (Lahner:2011; Eurostat:2012).
"Wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt."
[...]
1 alle Stundenlohnangaben in Brutto
2 ohne Schüler, Studenten, Rentner. Sie werden normalerweise nicht berücksichtigt, da sie die typischen Gruppen von Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor darstellen (Kalina/Weinkopf:2012).
3 von 8 Mrd. Euro in 2005 auf rund 11 Mrd. Euro in 2009 (Zeit Online: 2010)
4 ist definiert als Anteilswert einer Aktie aus Sicht des Anteilseigners (Gabler Wirtschaftslexikon:2006)
5 unter Offshoring versteht man die geographische Verlagerung von unternehmerischen Funktionen in Billiglohnländer. Anders als der Begriff Outsourcing womit eine funktionale Ausgliederung von Bestand- teilen der Wertkette gemeint ist, um das Unternehmen auf das Kerngeschäft zu konzentrieren (Gel- brich/Müller:2011)
6 Verlagerung vom Wirtschaftsleistung und Beschäftigung vom landwirtschaftlichen (primären), zum industriellen (sekundär) hin zum Dienstleistungssektor (tertiär) (Kulke:2006)