Der Entschluss, eine Arbeit über Foucaults genealogische Methode zu schreiben, entwickelte sich aus der deprimierenden Erfahrung, die ich bei meiner erstmaligen Beschäftigung mit seinem Buch „Der Wille zum Wissen“ machen musste. Seine Begriffswahl und theoretische Perspektive, aber auch seine Ironie waren mir kaum verständlich, so dass ich mir unentwegt die Frage stellte, worauf Foucault denn nun hinaus wolle. So sah ich mich bald mit der Entscheidung konfrontiert, diese Befremdung entweder auf meine Unzulänglichkeit oder auf Foucaults theoretische Unklarheit zu attribuieren.
Letztendlich entschied ich mich für keine dieser nicht allzu verlockenden Alternativen und wandte mich der genealogischen Methode zu, um Foucaults wissenschaftliche Verortung nachvollziehen und seine theoretischen Überlegungen innerhalb eines übergeordneten Theorierahmens lokalisieren und verstehen zu können.
So beschäftigt sich der erste Teil meiner Arbeit mit der Frage, wodurch sich die genealogische Methode auszeichnet, worin sie sich gegebenenfalls von anderen Instrumenten historischer Betrachtung unterscheidet und welche analytischen Konsequenzen sich daraus ergeben.
Mit Hilfe des so gewonnen Verständnisses werde ich im zweiten Teil dieser Hausarbeit die grundlegenden Thesen des erwähnten Werkes „Der Wille zum Wissen“ hinsichtlich der Evidenz des modernen abendländischen Sexualitätsdispositivs nachzeichnen und innerhalb des Bezugsrahmens einer kritischen Analyse moderner Macht verorten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die genealogische Methode
2.1 Kritik an klassischen historischen Erklärungsmodellen
2.1.1 Kritik am kartesianischen Subjektbegriff
2.1.2 Kritik am Strukturbegriff:
2.1.3 Abgrenzung zu teleologischen Methoden
2.1.4 Die Genealogie: Eine Historie der Ereignisse?
2.1.5 Ablehnung einer auf den Vorrang des Sinns gestützten Hermeneutik
2.1.5.1 Produktion von Wissen
2.1.5.2 Produktion von Wahrheit
2.2 Der Diskursbegriff in der genealogischen Methode
2.3 Resümee: Zu einer Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse
3 Die genealogische Methode und die Analyse moderner Macht
3.1 Historische und analytische Entgegnungen zur Repressionshypothese
3.2 Das Prinzip der ‘Selbstverschleierung’
4. Gesellschaftliche und diskursive Transformationen
4.1 Diskursive Strategien zur Produktion der Sexualität
4.1.1. Das 17. Jahrhundert
4.1.2. Das 18./19. Jahrhundert
4.1.2.1 Operationen zur Produktion der Sexualität
4.2 Resümee
5 Literatur
1 Einleitung
Der Entschluss, eine Arbeit über Foucaults genealogische Methode zu schreiben, entwickelte sich aus der deprimierenden Erfahrung, die ich bei meiner erstmaligen Beschäftigung mit seinem Buch „Der Wille zum Wissen“ machen musste. Seine Begriffswahl und theoretische Perspektive, aber auch seine Ironie waren mir kaum verständlich, so dass ich mir unentwegt die Frage stellte, worauf Foucault denn nun hinaus wolle. So sah ich mich bald mit der Entscheidung konfrontiert, diese Befremdung entweder auf meine Unzulänglichkeit oder auf Foucaults theoretische Unklarheit zu attribuieren.
Letztendlich entschied ich mich für keine dieser nicht allzu verlockenden Alternativen und wandte mich der genealogischen Methode zu, um Foucaults wissenschaftliche Verortung nachvollziehen und seine theoretischen Überlegungen innerhalb eines übergeordneten Theorierahmens lokalisieren und verstehen zu können.
So beschäftigt sich der erste Teil meiner Arbeit mit der Frage, wodurch sich die genealogische Methode auszeichnet, worin sie sich gegebenenfalls von anderen Instrumenten historischer Betrachtung unterscheidet und welche analytischen Konsequenzen sich daraus ergeben.
Mit Hilfe des so gewonnen Verständnisses werde ich im zweiten Teil dieser Hausarbeit die grundlegenden Thesen des erwähnten Werkes „Der Wille zum Wissen“ hinsichtlich der Evidenz des modernen abendländischen Sexualitätsdispositivs nachzeichnen und innerhalb des Bezugsrahmens einer kritischen Analyse moderner Macht verorten.
2 Die genealogische Methode
Ausgangspunkt der genealogischen Methode ist die kritische Analyse eines historisch determinierten ‚Macht-Wissen-Komplexes’ und dessen Implikationen für die Gesellschaft. Hierbei betrachtet Foucault die Verquickung bzw. die Möglichkeit der Verquickung „einer politischen Ordnung, deren Institutionen und eine(s) bestimmten Denkmodell(s)“[1] und verwendet die so gewonnenen Ergebnisse als Basis zur Formulierung seiner Machttheorie.
Hauptaugenmerk liegt auf dem Zusammenwirken jener Diskurse, Machtpraktiken und Herrschaftsstrukturen, die sich auf die Verquickung von Wissen, Macht, Körper und Sexualität beziehen.
Um den Einstieg in Foucaults methodische Vorgehensweise sinnvoll nachvollziehen zu können, werde ich zu Beginn seine wissenschaftliche Verortung im Poststrukturalismus und die daraus erwachsenden erkenntnistheoretischen Konsequenzen nachzeichnen.
Auf diese Weise wird die genealogische Methode schrittweise an Kontur gewinnen.
2.1 Kritik an klassischen historischen Erklärungsmodellen
Adaptierte der Poststrukturalismus auch einige Prämissen der Semiologie und des Strukturalismus, so konstituierte er sich dennoch gerade durch eine strikte Abgrenzung zu grundlegenden Postulaten klassischer, historisch argumentierender, Analysemodellen.
Interpretieren jene „Kultur“ als übergreifende Zeichen- bzw. funktionale Bedingungssysteme, versteht Foucault Kultur als Gesamtheit von „Praktiken“, die sich einer hermeneutischen Näherung insofern entziehen, als kein Sinn, keine tiefere Bedeutung hinter dem Bezeichneten vermutet wird. Damit negiert er die Vorstellung eines Soseins außerhalb gesellschaftlicher Rahmung. Vielmehr seien alle menschlichen Interaktionen, Institutionen und Erzeugnisse Resultat interpretativer Akte. Kulturelle Praktiken sind dann immer nur in bezug auf ihre soziale und historische Verortung erklär- und verstehbar. Auch gesellschaftliche Transformationen sind stets nur durch Rückgriff auf frühere institutionelle Praktiken denkbar.
So vermerkt auch Nancy Fraser, dass kulturelle Praktiken immer „kontingent und unbegründet“[2] seien.
Die poststrukturalistische Kritik stellte vor allem das neuzeitliche erkenntnistheoretische Modell und dessen Voraussetzungen in Frage.
Demgemäß wies Foucault mittels seiner genealogischen Methode einige bis dato akzeptierte historische Prämissen zurück:
2.1.1 Kritik am kartesianischen Subjektbegriff
Der Poststrukturalismus bezweifelt die Evidenz der Kategorie eines souveränen, „ auf ein Bewußtsein reduzierte(n) Wissensubjekt(s)“[3].
Definiert Foucault Geschichte als eine Folge von Machtkämpfen, folgt daraus, dass das jeweilige Selbstverständnis des Menschen und das ihm zur Verfügung stehende Wissen durch die historisch vorherrschende Machtkonstellation bestimmt wird, innerhalb deren seine Entstehungsbedingungen verschleiert und es aufgrund dieser Irreführung auf ein „Selbstbewusstsein“ reduziert werde.
So plädiert Foucault für eine sogenannte ‘Dezentralisierung des Subjekts’: Durch die Bloßlegung und Denaturalisierung der eigenen Konstitutionsbedingungen und -umstände werde das Gefängnis des homogenen Subjektverständnisses gesprengt und die Möglichkeiten individueller Selbst-Verortung auf vielfältige unterschiedliche soziale Codes erweitert.
Das Bewusstwerden der sozialen Konstruiertheit komme gemäß Foucault einer „rettenden Kritik“ an gesellschaftlichen Missständen gleich, wobei er unter Kritik „die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“[4], versteht.
So setzte sich Foucault zum Ziel, die Entstehung geschichtlicher Zusammenhänge zu enträtseln und zwar mittels einer genealogischen Methode, welche „von der Konstitution von Wissen, von Diskursen, von Gegenstandsfeldern usw. berichtet, ohne sich auf ein Subjekt beziehen zu müssen, das das Feld der Ereignisse transzendiert und es mit seiner leeren Identität die ganze Geschichte hindurch besetzt.“[5]
2.1.2 Kritik am Strukturbegriff:
Foucault erteilt der Vorstellung ahistorisch und überkulturell geltender Strukturen und Gesetze - die gleichsam unbewusst und kollektiv wirksam seien - eine Absage und leugnet die Existenz eines in sich ruhenden, abgeschlossenen und regelhaften Systems, da dieses nicht imstande sei, sozialen Wandel hinreichend zu erklären.
Sozialer Wandel gehe eben über eine bloße Umgestaltung und Neukombination der stets gleichen Elemente hinaus. Solchermaßen betont Foucault den diskontinuierlichen Charakter sozialer, d. h. auch interaktiver Strukturen.
Fink-Eitel beschreibt jene Betrachtungsweise als aus der ‘Froschperspektive’ angewendet, da sie sich mit dem alltäglichen Leben beschäftigt und zwar ohne dieses in einen einheitlichen historischen Zusammenhang stellen zu wollen. Ganz im Gegenteil versucht die genealogische Methode, die uneinheitliche Vielfalt von verschiedenen Entwicklungslinien nachzuzeichnen, ein Vorgehen das die pluralistischen Machtkämpfe innerhalb der Geschichte in den Mittelpunkt seiner Beobachtung rückt.
2.1.3 Abgrenzung zu teleologischen Methoden
Foucault distanziert sich von der Verwendung historischer Kategorien, die seiner Ansicht nach auf einer teleologischen Geschichtsphilosophie gründen, nach welcher Fortschritt und Kontinuität zu den Grundpfeilern menschlichen Seins gehöre und soziale Phänomene in ein Korsett künstlicher Homogenität, Einheit und Linearität gezwungen werden.
Das Prinzip jener ‘evolutionären Einheit’ wird vom Gegenprinzip der ‘Diskontinuität’ abgelöst: geschichtliche Ereignisse verknüpfen sich in heterogenen, kontingenten und diskontinuierlichen „Serien“, deren Elemente sich durch ihre Vielfältigkeit auszeichnen.
Demzufolge betrachtet Foucault also Geschichte nicht aus einer Metaperspektive, erteilt damit der humanistischen Vorstellung von der Existenz einer übergeschichtlichen, und -kulturellen Wahrheit eine Absage.
Gesellschaftliche Phänomene begreift er als „Äußerlichkeit des Zufälligen“[6], schlicht als Effekte zufälliger Machtkonstellationen, die in steten Konflikten und Kämpfen auftauchen, um Vorherrschaft streiten, sich zeitlich begrenzt zu verfestigen scheinen, um dann im Strudel geschichtlicher Ereignisse von anderen abgelöst zu werden. So geht es ihm darum „die Historie für immer vom - zugleich metaphysischen und anthropologischen - Modell des Gedächtnisses zu befreien“[7]. Moralische Werte und Normen, sowie gesellschaftliche Institutionen können vor diesem Hintergrund niemals als nützlich, sinnhaft oder „natürlich“ erscheinen, da ihnen jene Attribute gleichsam erst nach ihrer gesellschaftliche Setzung durch die Zuschreibungen einer Funktion zugeordnet werden.
Auch das stete Fortschreiten der Menschheit hin zum Ziel einer totalen Bewusstwerdung der eigenen Wesenhaftigkeit betrachtet er als Trugschluss. Das Individuum sei stets untrennbar mit seinen gesellschaftlichen Bedingungen verknüpft, verankere sich in „Regelsystemen“, die anfangs zwar von jenen, die zur gegebenen Zeit an der Macht sind, angeeignet und bestimmt, also interpretiert, später jedoch auch von diesen so verinnerlicht und „normalisiert“ werden, dass sie gänzlich unbewusst wirken. Wenn jedoch gerade in jener Interpretationsleistung das Zeichen gesellschaftlicher Determination verborgen liegt, dann handelt es sich bei der Entwicklung der Menschheit nicht um ein stetes Fortschreiten hin zu einem Ziel, vielmehr um einen unablässigen Wandel und Wechsel von Interpretationen. Damit erhalten die humanistischen Ansprüche selbst, die jenen historischen Prämissen zugrunde liegen, den Stellenwert direkter Effekte von zufällig „erfolgreich durchgesetzte(n) Interpretationen“[8], wobei die Genealogie als Historie dieser verschiedenen Interpretationsreihen verstanden werden soll.
2.1.4 Die Genealogie: Eine Historie der Ereignisse?
Trotz seiner ablehnenden Haltung gegenüber teleologischen Vorstellungen sucht Foucault keineswegs die Vorstellung einer homogenen Einheitlichkeit der Geschichte durch ein Postulat des Primats des einzelnen Ereignisses zu ersetzen.
Vergegenwärtigt man sich die vorangegangenen Ausführungen[9], so stellt sich gewiss die Frage, ob das Ereignis - „als de(r) Ort des Irrationalen, des Nicht-Denkbaren“[10] - in der Lage sein könnte, einen Gegenpol zur These einer homogenen historischen Struktur darzustellen und damit eine Möglichkeit zu bieten, durch die Betrachtung alltäglicher Ereignisse, kleiner Begebenheiten und Zufälle eine - in den Augen Foucaults - adäquatere Vorstellung der Geschichte zu erhalten.
Foucault verneint dies entschieden. Diese Vorgehensweise würde vielmehr den strukturalistischen Fehler wiederholen, den Fokus historischer Analyse auf eine einzige Wirkungsebene zu beschränken. Er plädiert dafür, sich mit der Vorstellung einer Anordnung verschiedener Ebenen anzufreunden, auf welchen unterschiedliche Arten von Ereignissen verortet sind. So haben beispielsweise nicht alle Ereignisse die gleiche Bedeutung, wirken selbstverständlich in unterschiedlichen zeitlichen Parametern und sind nicht zuletzt in sehr unterschiedlichem Maße dazu befähigt, Wirkungen zu zeitigen.
Sein wissenschaftlicher Anspruch liegt also in der Unterscheidung von Ereignissen und deren Einordnung in ein heterogenes Beziehungsgeflecht wechselseitiger, nichtsdestotrotz hierarchischer Bedingtheiten.
Foucault weist durch die Verwendung seiner genealogischen Methode ganz entschieden darauf hin, dass die „(...) Geschichtlichkeit (...) nicht zur Ordnung der Sprache (gehört)“[11], die einzelnen Begebenheiten nicht innerhalb eines Sinnverhältnisses, sondern innerhalb eines Machtverhältnisses zu interpretieren sind.
[...]
[1] Raab, Heike: Foucault und der feministische Poststrukturalismus. Dortmund 1998, S. 19
[2] Fraser, Nancy: Widerspenstige Praktiken. Macht, Diskurs, Geschlecht. Gender studies. Suhrkamp. Baden-Baden 1994, S. 34
[3] Raab, Heike, a. a. O., S. 16
[4] Foucault, zit. nach Raab, Heike, ebd. S. 20
[5] Foucault, Michel: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Merve Verlag. Berlin 1978, S. 32
[6] Foucault, zit. nach Raab, Heike, a. a. O., S. 31
[7] ebd, S. 31
[8] Raab, Heike, a. a. O., S. 32
[9] Hiermit ziele ich vor allem auf die These ab, dass im Blickfeld genealogischer Betrachtung nicht die kontinuierliche bzw. chronologisch beschreibbare Entwicklung diskursiver Inhalte und Praktiken steht, sondern die Analyse jener Unzahl heterogener diskursiver „Regimes“, die sich im Verlauf gesellschaftlicher Kämpfe ihr Machtposition gegenseitig streitig machen.
[10] Alessandro Fontana und Pasquale Pasquino, In: Foucault, Michel, a. a. O., S. 27
[11] Foucault, Michel: Dispositive der Macht, a. a. O. S. 29
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