Leseprobe
Gliederung
I. Problem des staatlichen Handelns in wirtschaftlichen Krisen
II. Die Rolle des Staates bei Keynes und Friedman
1. Die Rolle des Staates bei Keynes
1. Wirtschaftliche Theorien vor Keynes
1. Die Politik des „Laissez faire“
2. Das Saysche Gesetz
2. Keynes' Staatsverständnis
3. Keynes' Ablehnung der „Laissez-faire“-Politik
4. Keynes' „Allgemeine Theorie“
1. Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt
2. Nachfragemangel als Grund für Rezessionen
3. Bildung des Zinses
4. Aufgaben des Staates bei Keynes
2. Die Rolle des Staates bei Friedman
1. Friedmans Theorien
1. Liberalismus und Freiheit
2. Die Stabilität des Wirtschaftssystems
3. Die Aufgaben des Staates bei Friedman
3. Vergleich der Positionen Keynes' und Friedmans
1. Beurteilung des Kapitalismus
2. Die Rolle des Staates bei der Allokation
3. Die Rolle des Staates bei der Distribution
4. Die Rolle des Staates bei der Stabilisierung
III. Bleibende Entscheidungsschwierigkeit über staatliche Maßnahmen
IV. Literaturverzeichnis
I. Problem des staatlichen Handelns in wirtschaftlichen Krisen
In einer Zeit der wirtschaftlichen Krise stellen sich die Bürger ebenso wie Politiker und Ökonomen stets dieselbe Frage: was kann die Regierung tun, um schnellstmöglich wieder einen wirtschaftlichen Aufschwung einzuleiten? Die Frage nach der geeigneten Rolle des Staates in Bezug auf das Wirtschaftssystem stellt kontinuierlich eines der Hauptprobleme der Ökonomie dar. Auch im 20. Jahrhundert wurde diese Frage viel diskutiert. Zwei der bekanntesten und wichtigsten Ökonomen dieser Zeit, die sich auch zu diesem Thema äußerten, waren John Maynard Keynes und Milton Friedman.
Im Folgenden werden deren wirtschaftliche Theorien sowie die Annahmen, auf denen sie dabei aufbauen, dargelegt. Ausgehend davon wird den Fragen nachgegangen, welche Rolle der Staat nach den Auffassungen der beiden Autoren in Bezug auf das Wirtschaftssystem eines Landes spielen soll, in welchen Bereichen und bei welchen Gegebenheiten eine Intervention erforderlich ist, sowie – was ebenso wichtig ist – wann der Staat nicht eingreifen darf.
Die Arbeit stützt sich dabei vor allem auf John Maynard Keynes' „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“, sowie Milton Friedmans „Kapitalismus und Freiheit“. Aufschlussreich für das Verständnis von Keynes' Auffassungen ist auch dessen Text „Das Ende des Laissez Faire“. Für einen Einstieg in dessen Theorien ist dabei das Buch von Steven Kates hilfreich. Jürgen Försterer liefert eine anschauliche Darstellung der Vorstellungen Friedmans, wobei er diese gleichzeitig kritisch hinterfragt. Einen Vergleich der beiden Anschauungen findet sich bei Anne Karrass.
II. Die Rolle des Staates bei Keynes und Friedman
1. Die Rolle des Staates bei Keynes
1. Wirtschaftliche Theorien vor Keynes
1. Die Politik des „Laissez faire“
Um die Tragweite von Keynes' Theorien zu verstehen, muss man nachvollziehen, vor welchen politischen, geschichtlichen und ökonomischen Hintergründen er diese verfasste. Seine Schriften zeigten nicht nur neue Wege für Ökonomie und Politik auf, sondern brachen bewusst und gezielt mit bis dahin als allgemeingültig angesehenen Modellen. In seinen Werken wendet er sich gegen die Politik des „Laissez faire“ und dekonstruiert das Saysche Gesetz, das den bis dahin entwickelten Modellen zugrunde lag.
Der Begriff „Laissez faire“ kennzeichnet eine Form des Liberalismus, die ihre Anfänge in 17. Jahrhundert hat und insbesondere im 19. Jahrhundert verbreitet war. Sie ist gekennzeichnet dadurch, dass sie dem Staat eine kleinstmögliche Rolle zugesteht und eine Einmischung des Staates in gesellschaftliche und wirtschaftliche Belange ablehnt.[1] Neben philosophischen und religiösen Argumenten war für die Ökonomie das Werk von Adam Smith zentral, das für den Markt eine „unsichtbare Hand“ vorsah, welche die Märkte ordnete und durch die eine Intervention oder Begrenzung durch den Staat nicht nur als unnütz, sondern als schädlich angesehen wurde.[2] Nach dieser Auffassung wurde das Gemeinwohl durch die individuelle Verfolgung von Eigeninteressen am besten sichergestellt und maximiert. Doch dies brachte auch einige Probleme mit sich. Es traten Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten sowohl bei Produzenten als auch Arbeitern immer deutlicher zu Tage. Es kam zu einer „zunehmenden Vermachtung der Märkte“[3] durch die Herausbildung von Monopolen und Kartellen, während Arbeiter ausgebeutet wurden und verelendeten.[4] Trotzdem blieb diese Überzeugung bei viele Ökonomen verbreitet. Nach Keynes' Auffassung war sie dies eher aus Tradition und „weil sie die einfachste ist, nicht weil sie den Tatsachen am nächsten kommt.“[5] In „Das Ende des Laissez faire“ wendet er sich gegen die verbreitete Meinung und stellt Konzepte vor, wie der Staat nicht durch vollkommene Enthaltung und Passivität, sondern durch maßvolle Eingriffe die Wirtschaft unterstützen und stabilisieren kann.
2. Das Saysche Gesetz
Keynes widersetzte sich also der vorherrschenden Meinung damaliger Ökonomen. Jedoch kritisierte er nicht nur die politische Implikation der wirtschaftlichen Modelle – eine minimale Einmischung des Staates – sondern griff sogar die Grundlage bisheriger klassischer und neoklassischer ökonomischer Theorien an. „Zentral ist die Ablehnung des Say'schen Gesetzes“[6] durch Keynes' „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“.
Dieses Gesetz besagt, dass „jedes Angebot an Gütern über die damit verbundene Einkommensentstehung auch zu einer entsprechenden Güternachfrage führt.“[7] Eine Überproduktion ist nicht möglich, da sich jedes Angebot seine Nachfrage schafft. Daraus ergeben sich zwei Aspekte: erstens, dass die Nachfrage durch das Angebot bestimmt wird, und zweitens, dass deshalb Rezessionen und massenhafte Arbeitslosigkeit nicht durch das Fehlen von effektiver Nachfrage ausgelöst werden können.[8] Mangelnde Nachfrage ist somit nicht das Problem, sondern nur das Symptom einer schwachen Wirtschaft. Kurzfristige Ungleichheiten zwischen Angebot und Nachfrage waren auch nach Say möglich. Allerdings wären diese nicht von langer Dauer, da sich die Produktion und die Preise schnell anpassen würden, wodurch die Wirtschaft wieder zum Normalfall, der automatischen Gleichheit von Angebot und Nachfrage, zurückkehren würde. Auf lange Sicht wird sich daher in einer Gesellschaft Vollbeschäftigung einstellen, weshalb es auch keine Notwendigkeit für eine Intervention von Seiten des Staates zur Stabilisierung der Wirtschaft gibt.
Nach Keynes' Ansicht war die Vernachlässigung der Nachfrage der Hauptkritikpunkt an den klassischen und neoklassischen Theorien. Für ihn war der Glaube an die Gültigkeit des Sayschen Gesetzes der Grund dafür, dass Ökonomen keine Erklärungen für die Massenarbeitslosigkeit hatten, welche in den Dreißiger Jahren vorherrschte. Er hielt den damaligen Ökonomen vor, durch die Ignorierung der mangelnden Nachfrage sei nach ihren Modellen die real existierende unfreiwillige Arbeitslosigkeit theoretisch unmöglich.[9] Daher entwickelte er eine Theorie, die nach seiner Ansicht nicht nur die bessere Erklärung für die damalige wirtschaftliche Situation lieferte, sondern überhaupt die erste und einzige sinnvolle Darstellung.
Nach Steven Kates ging Keynes jedoch in seiner Verurteilung der bisherigen Modelle zu weit.[10] Er kritisiert, dass Keynes die mangelnde Nachfrage als einzigen Grund für die Rezession sah und daraus ableitete, wenn dieser Grund wegfalle gäbe es überhaupt keine Erklärung für Arbeitslosigkeit. Jedoch hätten auch klassische Ökonomen gesehen, dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit oft entstand und lange andauerte. Auch behaupteten diese nicht, dass alles, was produziert wurde, immer auch zu einem die Produktionskosten deckenden Betrag verkauft werden könne. Im Unterschied zu Keynes sahen sie aber die Ursache nicht in Angebotsüberschuss und Nachfragemangel, sondern versuchten es durch andere Umstände zu erklären. Dabei suchten die Gründe in den Unternehmen, die ihr Angebot nicht auf die Konsumenten abgestimmt hätten und in Fehlern im Austauschmechanismus.[11]
2. Keynes' Staatsverständnis
Der Keynes-Biograph Robert Skidelsky stellt fest, dass Keynes unter dem Begriff „Staat“ etwas anderes versteht als viele moderne Ökonomen oder Politikwissenschaftler heutzutage.[12] Er fasste den Begriff in manchen Teilen enger, in manchen weiter als wir heute. Er sah neben der Ebene des Individuums und der des Staates eine weitere Zwischenebene, der er eine große Bedeutung zumaß.
Für Keynes war das besondere Merkmal nicht „mechanism or function, but motive“[13]. Entscheidend war, dass Institutionen nicht eigennützige Privatinteressen und kurzfristige Gewinne anstrebten, sondern das Allgemeinwohl im Sinne hatten – auch wenn sie in Privatbesitz waren. Dagegen zählten Politiker nicht uneingeschränkt zur Ebene des Staates. Wenn sie, zum Beispiel durch Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik, bei der Ausübung des öffentlichen Amtes ihre eigenen Interessen verfolgten, strebten sie nicht die Vermehrung des Allgemeinwohls an und gehörten somit nicht der Staatenebene an.[14]
Die Ebene zwischen Individuum und Staat war Keynes sehr wichtig. Er war der Ansicht, dass die „ideale Größe für die Organisations- und Kontrolleinheit irgendwo zwischen Individuum und dem modernen Staat liegt“[15]. Deshalb sprach er sich für die „Entwicklung und Anerkennung halb-autonomer Körperschaften im Rahmen des Staates“[16] aus. Diese Institutionen seien zwar größtenteils autonom und könnten sogar in privatem Besitz stehen, würden aber frei von egoistischen Privatinteressen nach dem Allgemeinwohl handeln. Dabei seien sie nicht an die Regierung weisungsgebunden, sondern könnten im Rahmen ihres Aufbaus eigenständige Entscheidungen treffen, die dann vom Parlament kontrolliert würden.[17] Als Beispiele für diese Körperschaften in England nennt er Universitäten, die Bank von England, den Londoner Hafen und die Eisenbahngesellschaften.[18]
Neben diesen Beispielen verortete er noch eine andere Art von Institution auf der Zwischenebene, welche eigentlich vollkommen privates Eigentum ist. Keynes glaubte, dass sich große Aktiengesellschaften auf natürlichem Wege von selbst von der Art der meist kurzfristig denkenden, ihren eigenen Gewinn verfolgenden Unternehmen abrücken und langfristige, gemeinwohlorientierte Ziele in Sinn hätten. Er begründete dies mit der hohen Streuung des Besitzes durch die Aktienverkäufe. Dadurch seien die Eigentümer – die Aktionäre – vollständig getrennt von der Leitung und Verwaltung des Unternehmens.[19] Wenn aber die Manager nicht gleichzeitig die Eigentümer seien, seien sie auch an kurzfristigen großen Profiten nicht interessiert. In den Fokus würden nun „allgemeine Stabilität und das Ansehen der Institution“[20] rücken, um das langfristige Überleben und den Erfolg sicherzustellen – was auch dem Allgemeinwohl entspräche. Die Aktionäre könnten wegen der starken Verteilung des Besitzes kaum Einfluss auf die Unternehmensführung nehmen. Als Beispiele hierfür werden große Banken und Versicherungen genannt.
Diese Institutionen sollten eine wichtige Rolle für die Wirtschaft spielen. Er hoffte, dass diese halb-autonomen Körperschaften einen großen Anteil an den Investitionen stellen und damit die Wirtschaft antreiben würden.[21]
3. Keynes' Ablehnung der „Laissez-faire“-Politik
Vor allem in „Das Ende des Laissez Faire“ widerlegt Keynes die Auffassung, eine Einmischung des Staates in die Wirtschaft würde nichts nützen, sondern nur Schaden anrichten. Er entkräftet die „metaphysischen und allgemeinen Prinzipien“[22], welche dieser Politik zugrunde liegen.
Nach Keynes' Ansicht gründet sich die „Laissez-faire“-Politik auf unzutreffende Voraussetzungen. Eine Hypothese ist, dass wirtschaftlicher Fortschritt dadurch entstehe, dass sich bei der Produktion zahlreiche Individuen im Wettkampf gegenüberstehen. Nur derjenige, der den effizientesten Weg einschlägt, kann dabei Erfolg haben. Die weniger Geschäftstüchtigen werden dabei von den Gesetzen des Marktes aussortiert; sie unterliegen den Stärkeren und gehen Pleite. Deshalb fallen die Produktionsmittel dann demjenigen zu, der sie am besten einzusetzen versteht, wodurch höchste Effizienz gewährleistet ist.[23] Genauso natürlich und wirkungsvoll verläuft auch die Verteilung der Konsumgüter. Jeder Einzelne kann entscheiden, wieviel ihm ein bestimmtes Gut wert ist und kann dementsprechend viel bieten. Die Güter gelangen also automatisch zu dem, der sie am meisten begehrt. Die zweite Hypothese ist, dass unbeschränkte Möglichkeiten des Geldverdienens freigegeben werden müssten, um genug Anreize zu wirtschaftlichem Einsatz zu bieten.[24]
Für Keynes sind dies jedoch nur „der Einfachheit halber angenommene unvollständige“[25] Aussagen, die der Wirklichkeit nicht entsprechen. Bei dem nach Laissez-faire-Denkweise effizienten und im Grunde genommen darwinistischen Verfahren des Überleben des Stärkeren werden nur die vorteilhaften Ergebnisse betrachtet, nicht aber „die Art und die Kosten des Daseinskampfes [...] sowie die Tendenz zur Verteilung des Reichtums an den Stellen, an denen er nicht am meisten geschätzt wird.“[26] Es ist nicht zu verantworten, die in diesem Kampf oft ohne eigenes Verschulden durch unglückliche Umstände Unterlegenen, das heißt die Pleite Gegangenen, ohne jegliche Gnade und Unterstützung sich selbst zu überlassen, während sich andererseits die Glücklicheren über alle Maßen auf deren Kosten bereichern können. Die von selbst ohne Staatseingriff entstehenden materiellen Ungleichheiten in der Gesellschaft sind weder zu rechtfertigen, noch sind sie als Anreiz zu wirtschaftlicher Tätigkeit und Engagement nötig.[27]
[...]
[1] Keynes 1926, S. 9.
[2] Boelcke 1980, S. 41.
[3] Ebd., S. 44.
[4] Ebd., S. 44.
[5] Keynes 1926, S.21.
[6] Karrass, S.39.
[7] Graf 1977, S. 515.
[8] Vgl. Kates 1998, S. 2.
[9] Vgl. ebd., S. 16.
[10] Vgl. ebd., S. 19f.
[11] Vgl. Kates 1998, S. 19.
[12] Vgl. Skideksky 1989, S. 144.
[13] Ebd., S. 144.
[14] Vgl. ebd., S. 149.
[15] Keynes 1926, S. 31.
[16] Ebd., S. 31.
[17] Vgl. Hödl 1986, S. 12.
[18] Vgl. Keynes 1926, S. 32.
[19] Vgl. ebd., S. 32ff.
[20] Ebd., S. 33.
[21] Vgl. Skidelsky 1989, S.150.
[22] Keynes 1926, S. 30.
[23] Vgl. Keynes 1926, S. 22.
[24] Vgl. ebd., S.23.
[25] Ebd., S. 24.
[26] Ebd, S. 25.
[27] Vgl. Keynes 1974, S. 316.