Kindheit im Kloster. Das Beispiel Sankt Gallen im 8. / 9. Jahrhundert


Hausarbeit, 2012

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Weg ins Kloster

3. Das Leben im Kloster
3.1 Die Klosterschule
3.2 Erziehungsziele und Erziehungsmethoden im Kloster
3.3 Der Tagesablauf im Kloster

4. Abschließende Betrachtung

1. Einleitung

Die Erforschung von Kindheit in der Vergangenheit wird vor allem in den letzten 30 Jahren durch die kontrovers diskutierten Arbeiten von Philippe Ariès immer mehr zum Teil der Beschäftigung mit Familien und Verwandtschaftsbeziehungen. Widmet man sich der Forschungsliteratur zu diesem Thema, ist allgemein zu erfahren, dass auch im Mittelalter bereits bei der Geburt die christlichen Kinder einer Bezugsperson in Form des Paten anvertraut werden, die zusätzlich neben den Eltern eine Orientierung für die Kinder bietet. Im städtischen Umfeld werden die Mütter bei der Erziehung der Kinder von einer „Kindsdirn“ unterstützt. Eine ähnliche Rolle übernehmen auch ältere Geschwister. Besonders im bäuerlichen Milieu werden die Kinder bereits in jungen Jahren mit unterschiedlichen Aufgaben betraut. Sie erhalten früh einen Einblick in die Arbeit der Erwachsenen, wird doch die Arbeit am bäuerlichen Hof, allen voran die Erntearbeiten, in der Regel von den Eltern und Kindern übernommen. Bei Bedarf werden weitere Mägde und Knechte hinzugeholt.

Für viele junge Menschen bedeutet der Eintritt in den Gesindedienst und somit die Aufnahme von unterschiedlichen Formen des Dienstes in einem anderen Umfeld der endgültige Abschied vom Elternhaus. Ebenso führt der Antritt der Lehrzeit in einem fremden Haus im städtischen Handwerk des Spätmittelalters die Kinder weg von ihrer Familie.

Eine weitere Einrichtung, die die Kinder von ihrer Familie trennt, ist das Kloster. Kindheit im Kloster am Beispiel St. Gallen im 8./ 9. Jahrhundert stehen im Zentrum dieser Arbeit.

Die Erforschung des Lebens der Kinder im Kloster zur Zeit des Früh- und Hochmittelalters steht vor der großen Herausforderung, dass die Quellenlage nur sehr dünn ist. In einer Zeit, in der der größte Teil der Bevölkerung keinen Zugang zur geschriebenen Sprache hat und die Klöster zu den wenigen Orten gehören, an denen die Schriftsprache erlernt und praktiziert wird, wird Alltägliches kaum schriftlich festgehalten und für die Nachwelt überliefert. In dieser Zeit werden in den Skripturalen der Klöster vor allem Werke von großem religiösen und wissenschaftlichen Rang von den Schreibermönchen erstellt.

Das Benediktinerkloster St. Gallen mit seiner über eintausend Jahren alten Geschichte ermöglicht durch noch heute vorhandene Quellen einen Einblick in den Alltag der Kinder im Kloster. Zahlreiche Mönche und Äbte des St. Galler Klosters erlangen nicht nur zu Lebzeiten Berühmtheit. Ihre Namen sind in den noch heute überlieferten Quellen zu finden und sie haben dazu beigetragen, dass es gegenwärtig möglich ist, einen Blick in den Alltag der Mönche in den ersten Jahrhunderten nach Gründung des St. Galler Klosters im 8. Jahrhundert zu werfen. Das Kloster St. Gallen zeichnet sich ganz im Sinne der familiären Tradition der Benediktinerklöster aus: Viele der Lehrer, Äbte und Bischöfe sind selbst Schüler in St. Gallen gewesen und gehören auch über die Jugend hinaus, nach Verlassen der klösterlichen Gemeinschaft weiterhin zu dieser Familie.

In einem ersten Schritt soll im Folgenden untersucht werden, welche Informationen den Quellen über die Entscheidung für den Weg in ein Kloster zu entnehmen sind, wie die Übergabe der Kinder an das Kloster erfolgt und welche Kinder das Kloster besuchen.

Anschließend wird im dritten Kapitel das Leben der Kinder im Kloster behandelt. Der erste Teil des Kapitels widmet sich der Klosterschule. Nachdem kurz auf die Organisation der Schule im Kloster St. Gallen eingegangen wird, sollen Methoden, Inhalte und Ziele des Unterrichts offengelegt werden.

Daran schließt der zweite Teil des Kapitels an, der anhand von Beispielen aus den überlieferten Quellen, auf die Erziehungsmethoden und Erziehungsziele im Kloster Bezug nimmt. Untersucht werden soll die Position, die die Kinder in der Klostergemeinschaft einnehmen. Darüber hinaus soll herausgearbeitet werden, wie die Betreuung der Kinder durch die erwachsenen Mönche im Kloster St. Gallen organisiert ist und welchen Strafen die Kinder ausgesetzt sind, wenn sie sich nicht entsprechend der Klosterregeln verhalten.

Im dritten Teil soll der Tagesablauf der Kinder im Kloster, ihre Pflichten und eventuellen Freiheiten, genauer betrachtet werden. Allem voran das Stundengebet, das den Rahmen für den Tagesablauf im Kloster bildet sowie der Unterricht, der ausführlicher bereits im ersten Teil behandelt wird. Ebenso sollen Bezüge zwischen diesen beiden Beschäftigungsfeldern hergestellt werden.

Die Arbeit wird durch eine zusammenfassende Betrachtung der Ergebnisse abgeschlossen.

2. Der Weg ins Kloster

Die Beschäftigung mit Kindern und Bildung im Kloster führt zunächst unausweichlich zu der Frage, welche Kinder den Weg in das Kloster finden und welche Motive hinter dieser Entscheidung liegen. Ein Blick in die Regula Bendicti, dem im 6. Jahrhundert im Kloster Monte Cassino von Benedikt von Nursia verfassten Regelwerk, das als Anleitung für das Leben im Kloster vor allem für die Benediktinerorden gilt, verdeutlicht, dass Benedikt die Aufnahme von jungen Menschen nicht von ihrem sozialen Status abhängig macht. Unterschiedlichen Quellen zufolge werden nicht heiratsfähige Töchter, nicht erbberechtigte Söhne und schwache oder auch nicht für das Rittertum geeignete Kinder in die Obhut eines Klosters gegeben.[1] In Heiligenviten begegnen dem Leser behinderte, buckelige, schwerhörige und verkrüppelte Kinder in den Klostermauern.[2] Ebenso gibt es Quellen, die von unehelichen Kindern adeliger oder wohlhabender Herkunft berichten. Im Kloster sollen die Bastarde vom „Makel der Geburt“[3] befreit werden. Dennoch sind kaum Hinweise darauf zu finden, dass Schüler aus der untersten Schicht ihren Weg ins Kloster finden. Traditionell treten Söhne von Bauern, Handwerker und Kaufleute in die Fußstapfen ihres Vaters, indem sie seinen Beruf ergreifen.

Ekkehard IV. ist selbst Schüler und später, bis zu seinem Tod um das Jahr 1057, Leiter der Klosterschule St. Gallen. Die ursprünglich vom Benediktinermönch Rapert begonnene Klosterchronik Casus sancti Galli wird von Ekkehard IV. für die Jahre 883 bis 971 weiter geführt. Die Chronik ermöglicht einen wertvollen Einblick in das Leben der jungen Mönche in der Benediktinerabtei St. Gallen. Die Schülerschaft im Kloster St. Gallen setzt sich in Ekkehards Geschichten aus Söhnen des Adels und der mittleren Schicht, aus „mediocres et nobiles“[4], zusammen: Die Schüler Salomo und Waldo entstammen adeligen Familien[5], ebenso ist der Lehrer Iso Sohn wohlhabender und frommer Eltern.[6]

Versucht man mehr über die Motive herauszufinden, die Eltern im Früh- und Hochmittelalter dazu veranlasst haben, ihre Kinder dem Kloster zu überlassen, stößt man in den Quellen auf unterschiedliche Aussagen. Zunächst besteht bei vielen Adeligen der Wunsch, einen der Söhne zum Priester ausbilden zu lassen. Für den Dienst Gottes „opfern“ die Eltern ihre Kinder bereits im frühen Kindesalter. Kinder werden in der Regel vor Erreichen des Schulalters, bis zum 12. Jahrhundert im Alter von fünf oder sechs Jahren, in ein Kloster gegeben. Im Alter von sieben Jahren empfangen die Jungen ihre Tonsur sowie niedere Weihen, die ordines minores.[7]

Der frühe Eintritt ist mit der Vorstellung verbunden, die Kinder vor negativen und schädlichen Einflüssen der Außenwelt und familiären Erziehung zu bewahren, bevor sie von der Sünde befleckt werden. Dennoch sollen die jungen Mönche in der Lage sein, die Klosterregeln, auf denen das gemeinschaftliche Zusammenleben im Kloster beruht, zu verstehen.

Die Bildung, Erziehung und das Wissen, dass die Kinder in der Obhut eines Klosters erfahren, verspricht verbesserte Lebenschancen, die Kinder ohne diese Qualifikation beim Übergang in das Erwachsenenleben nicht besitzen. So übergeben die angesehenen Eltern Salomos in Ekkehards St. Galler Klostergeschichten ihren Sohn dem Mönch und Lehrer Iso verbunden mit dem Wunsch einer Ausbildung und Vorbereitung auf ein geistliches Amt.[8] Ähnlich geht es Ulrich von Augsburg: Auch er wird von seinen Eltern in ein Kloster übergeben, um dort die „wertbringende Schrift“ zu erlernen und damit „seine Gesinnung zu geistlicher Disziplin“ geformt wird.[9]

Sowohl für die Verwaltungsarbeit und Beratung an Herrschaftssitzen als auch für die Kirche werden Männer benötigt, die die Schrift beherrschen. Eine adäquate Ausbildung für diese Aufgaben bieten im Untersuchungszeitraum nur die Klöster an. Zur Bildung von weiteren Schulformen und Universitäten kommt es weitestgehend erst zum Ende des Hochmittelalters sowie im Spätmittelalter. So ist die Ausbildung im Kloster auch unter dem Gesichtspunkt des praktischen Nutzens für die Gesellschaft zu betrachten. Nicht zuletzt ist die lateinische Sprache nicht nur für die Gestaltung der christlichen Liturgie von großer Bedeutung. Die lateinische Schriftsprache stellt ebenso ein wichtiges Werkzeug für die Herrscher dar.[10] Eine Episode in Notker Balbulus Gesta Karoli Magni, in der sich besonders die Kinder von niedriger Herkunft in Vorträgen vor Karl dem Großen auszeichnen und Begeisterung wecken, belegt, dass diese Kinder die Gelegenheit bekommen, sich durch Bildung für spätere Aufgaben an Herrschaftssitzen zu qualifizieren.[11]

[...]


[1] Šûlāmît Šahar, Kindheit im Mittelalter, München 1991, S. 213.

[2] Ebd., S. 214.

[3] Ebd.

[4] Ekkehard IV, St. Galler Klostergeschichten, hg. u. übers. v. Hans F. Haefele, Darmstadt 1980. S.184.

[5] Ebd., S.19.

[6] Ebd., S.71.

[7] Šahar, Kindheit (wie Anm. 1), S. 218.

[8] Ekkehard IV., Klostergeschichten (wie Anm. 4), S. 19.

[9] Peter Ochsenbein, Die Klosterschule als Fundament des literarischen Aufstiegs, in: Werner Wunderlich (Hrsg.), St. Gallen, Geschichte einer literarischen Kultur, Kloster- Stadt- Kanton- Region. Bd. 1, St. Gallen 1999, S. 125- 140, hier: S 131.

[10] Heinrich Feilzer, Jugend in der mittelalterlichen Ständegesellschaft, Ein Beitrag zum Problem der Generationen, Wien 1971,S. 233.

[11] Peter Ochsenbein, Die Klosterschule als Fundament des literarischen Aufstiegs, in: Werner Wunderlich (Hrsg.), St. Gallen: Geschichte einer literarischen Kultur. Kloster- Stadt- Kanton- Region. Bd. 2, St. Gallen 1999, S. 95-114, hier: S. 99.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Kindheit im Kloster. Das Beispiel Sankt Gallen im 8. / 9. Jahrhundert
Hochschule
FernUniversität Hagen
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
18
Katalognummer
V205647
ISBN (eBook)
9783656321057
ISBN (Buch)
9783656322603
Dateigröße
527 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kindheit, kloster, beispiel, sankt, gallen, jahrhundert
Arbeit zitieren
Julia Schriewer (Autor:in), 2012, Kindheit im Kloster. Das Beispiel Sankt Gallen im 8. / 9. Jahrhundert , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205647

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