Die Nation als Lösung globaler Ungerechtigkeit?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

18 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Millers Verteidigung des Begriffs „Nation“
1. Die Grenzen des Universalismus
2. Das Wesen einer Nation
3. Die Rationalisierung der Nation

III. Pogges kritischer Kontextualismus

IV. Resümee

V. Literatur

I. Einleitung

Die Globalisierung dauert in ihrer heutigen Form nun schon seit der Erholung Europas in der Nachkriegszeit an. Signifikant ist für sie, dass sie speziell den Nationen Nordamerikas, Europas und Südostasien einen Lebensstandard beschert hat, den diese Regionen bis weit in das 20.Jahrhundert, trotz einer damaligen ebenfalls vorherrschenden Globalisierungsphase, nicht kannten. Dieser Zustand schlägt sich in Zahlen derart nieder, dass die wohlhabenden Staaten 15% der Weltbevölkerung ausmachen, aber gleichzeitig 79% des Welteinkommens haben. Die restlichen 85% der Weltbevölkerung befinden sich damit zwangsläufig in Armut, dabei leben sogar 950 Millionen Menschen unter der extremen Armutsgrenze. Es gibt offensichtlich ein massives Problem innerhalb der Verteilungsgerechtigkeit auf globaler Ebene. Sei es nun, dass dieser für einen Großteil der Weltbevölkerung verheerenden Missstand, erst dadurch in den Mittelpunkt politischer und ethischer Diskussionen rückte, da die wohlhabenden Länder mittlerweile Überschüsse erwirtschaften mit denen sie mühelos die globale Ökonomie zu Gunsten der armen Länder umgestalten könnten, ohne ihre eigene zu belasten. Oder ob wir nicht durch fortschreitende Technologisierung der Kommunikationswege über Regionen in Kenntnis gesetzt werden, deren Schicksal durch globale Entwicklungen derart negativ beeinflusst wird, dass wir realisieren, wie weit überhaupt Armut verbreitet ist. Jedenfalls wird der Anspruch diesen Zustand zu ändern immer größer.1

Die Arbeit möchte sich dieser Lösung zunächst nun über einem Philosophen und seinem Ansatz von Gerechtigkeit nähren, der gerade in unserer Zeit der internationalisierten Organisationsstrukturen nicht sofort plausible erscheint: David Miller. Er ist englischer Philosoph und Schüler Karl Poppers, und damit prominenter Vertreter des Kritischen Rationalismus. Miller hat sich vor allem durch die wissenschaftliche Verteidigung des Kritischen Rationalismus hervorgetan, indem er Poppers Wissenschaftsansatz erläutert, erweitert und verarbeitet hat.2 Millers zweites Hauptanliegen ist die Interpretation der Nation als Organisationsstruktur mit ethischem Anspruch.3 Hierbei ist er einer soziologischen wie ethischen Ausrichtung zuzurechnen, die auch tragend für die Arbeit ist: der Kontextualismus: Nach dieser relativistischen Auffassung rühren der Sinn und

Gültigkeit von Sätzen und Normen aus ihrem kulturellen und geschichtlichen Kontexten her. Das Regelwerk, das der Verwendung und Verständnis von Äußerung und Handlungsweisen zugrunde liegt, generiert sich nur in bestimmten Lebenspraxen und kommt eben nur da zum Tragen. Eine allgemeine Gültigkeit haben diese speziellen Prinzipien nicht. Innerhalb dieser Strömung gibt es noch den gemäßigten Kontextualismus, der an einer minimalen universalistischen Orientierung festzuhalten versucht. Der Kontextualismus wird im Gültigkeitsstreit mit dem Universalismus vor das Problem gestellt, dass er dann doch bestimmte implizite Gültigkeitsideen voraussetzt.

Während aber innerhalb der Arbeit der Schwerpunkt auf Millers Interpretation der Nation gelegt wird, soll dennoch diesem kontextualistischen Ansatz nicht völlig kritiklos gegenüber getreten werden. Denn natürlich lässt sich globale Ungerechtigkeit nicht allein dadurch entgegentreten, sie berührt in hohem Maße auch die universalistische Perspektive. Diese ordnet generell das Allgemeine dem Besonderen über. Die moralische Richtigkeit von Handlungen und Normen hängt von einem universalgültigen Prinzip ab, das keiner Einschränkung unterliegen darf. Dieses ist damit gleichsam überindividuell und transkulturell. Begründet wurde der ethische Universalismus mit Kant (Metaphysik der Sitten, Kritik der praktischen Vernunft), ist aber vielfach dem Vorwurf ausgesetzt, dass er unzulässiges Verallgemeinerungsprinzip ohne Situationsbezogenheit sei. Befeuert wurde der Diskurs um den ethischen Universalismus vor allem durch die Gewaltstaaten des 20. Jahrhunderts und Bedrohung durch eine fortschreitende Technisierung. Einer ihrer Exponenten ist der deutsche Philosoph und John Rawls Schüler Thomas Pogge. Seine Werke zur globalen Gerechtigkeit und Ethik dienen der Arbeit als Argumentationsgrundlage, warum es trotz der kontextualistischen Sichtweise auch einer Universalistischen bedarf. Zudem bietet sich Pogge auch deshalb an, da er ebenso wenig wie Miller ein radikaler Partikularist ist, er auf einen allzu naiven Universalismus besteht.

II. Millers Verteidigung des Begriffs „Nation“

Miller Haupanliegen ist es die Nation als Objekt zu definieren, das nur schwer über bloßen Universalismus oder Partikularismus greifbar zu machen ist. Nach ihm können die speziellen Auflagen, die wir normaler Weise unseren Mitbürgern einräumen, nicht mit einer universalistischen Terminologie begründet werden. Er verteidigt die nationale Loyalität gegen den Vorwurf, dass sie notwendiger weise von einem Glauben abhängt, der keiner rationalen Reflektion standhält. Die nationale Loyalität ist nach Miller in keiner schlechteren Verfassung als andere Organisationsstrukturen und, dass es nur für sie spricht, dass sie effektiv Verteilungsgerechtigkeit unterstützt. Letzterer Punkt, so behauptet er, sollte die nationale Loyalität sogar für die Universalisten vertretbar machen.

1. Die Grenzen des Universalismus

Hauptanliegen Millers ist, den Standpunkt zu verteidigen, dass nationale Abgrenzung ethisch signifikant sein kann. Prinzipiell wird die Aufwändigkeit der Pflichten gegenüber den Mitmenschen darin bemessen, ob sie nun zur Nation gehören oder Fremde sind. Grund warum Miller eben diesen Standpunkt verteidigt, ist in der seiner Meinung nach herrschenden Sichtweise der ethischen Theorie, dem Universalismus zu suchen: Der Universalismus nimmt keine Rücksicht auf die Personen und deren Einbindung in örtliche Verbindungen und Verhältnisse, sondern stellt die Fundamentalfragen der Ethik in Form der Fragen 1.Welchen Pflichten bin ich meinen Mitmenschen gegenüber schuldig und 2. welche Rechte könne sie gegen mich anwenden. Miller kritisiert, dass die zwei Prinzipien in keinster Weise einen Bezug zur sozialen Abgrenzung nehmen, und zugleich die Tatsache, dass normaler Weise Abgrenzungen eine größere Wichtigkeit zugeschrieben wird, als moralischer Fehler erklärt wird. Es wird gleichsam impliziert, dass hier Felder durch irrationale emotionale Verbindungen anstatt durch objektive Gründe beherrscht werden.4

Millers Anliegen ist es - trotz der Tatsache, dass das Individuum in einem speziellen Verhältnis zu den Mitgliedern einer Nation steht - nicht mit diesen Beziehungen einem ethischen Universum dem Boden zu entziehen. Er räumt ein, dass es sehr wohl abstrakte Verpflichtungen gegenüber den Mitmenschen gibt. Vielmehr will Miller herausarbeiten, warum nationale Abgrenzungen einen Unterschied machen, um anschließend den verbliebenen Raum zu definieren, indem man diese Grenzen überschreiten kann. Er will damit weder einen exklusiven Nationalismus verteidigen, noch jeder nationalen Identität vorbehaltlos gegenübertreten. Vielmehr will er einem allzu naiven Internationalismus gegenübertreten, der für Schwierigkeiten in den internationalen Verpflichtungen leichte Lösungen vorgibt, ohne noch Rücksicht auf die tatsächliche Gedankenwelt zunehmen. Miller stellt dabei dem Universalismus eine Idee der Nationalität gegenüber, die sich weder durch Staatsgrenzen definiert, noch nur durch Sprache, Volkszugehörigkeit oder Religion, obwohl all diese Kriterien mit zu einer nationalen Identität beitragen.5

Nationalität ist mehr ein subjektives Phänomen, das sich auf den gemeinsamen Glauben einer Gemeinschaft gründet, zusammenzugehören. Dieser Glaube stützt sich auf die Annahme eines Zusammenlebens in der Vergangenheit, das auch weiter für die Zukunft andauern wird. Diese Gemeinschaft unterscheidet sich von anderen hingehend der unterschiedlichen Charakteristik der Mitglieder, die eine Loyalität zu jeweiligen Gemeinschaft empfinden und bereit sind für diese Opfer zu bringen. Ein Staat ist keine notwendige Voraussetzung für die Nation, diese sollte aber dennoch politische Autonomie besitzen. Dennoch muss so etwas wie politische Ansprüche bei einer Nation geben, anderenfalls ist diese Gemeinschaft nur als Ethnie zu klassifizieren. Ob eine Nation existent ist, hängt nur von dem Glauben ihrer Mitglieder ab, dabei ist unerheblich ob dieser als wahr oder falsch begründbar ist. Allerdings wirft das die Frage auf, wie in einem nationalen Zusammenschluss, der sich auf einem falschen Glauben begründet, sich eine rationale Institution - wie Moral - einfügen kann.6

Zunächst scheint es so, als ob der ethische Universalismus der ethische Standpunkt überhaupt sei. Aber es ist zweifelhaft, ob alle Regeln von universellen, rational fußenden Grundsätzen herrühren. Denn genau dieser Standpunkt birgt eine sehr kontroverse Sicht auf die ethische Kraft. Das moralische Subjekt wird nur als abstraktes Individuum aufgefasst, das durch die allgemeinen Kräfte und Eigenschaften des menschlichen Seins bestimmt wird: Auf eine spezielle Beziehung zu Personen, Gruppen und Institutionen wird keine Rücksicht genommen. Das Subjekt kann sich aus diesen Beziehungen lösen und sich nur noch als Mitglied eines ethischen Universums betrachten, das ebenfalls sich nur gleichartigen Personen zusammensetzt, die alle die selben menschlichen Eigenschaften besitzen.

Für den Universalisten basiert das Verhalten des Individuums gegenüber bestimmt Gruppen auf abstrakten Grundsätzen. Die Verpflichtungen gegenüber bestimmten Gruppen werden von ihm nicht als fundamentale Bindungen angesehen, die wesentlich das Handeln bestimmen. Das moralische Selbst definiert sich durch rationale Eigenschaften, die sich auf allgemeine Prinzipien gründen. Dagegen hält der Partikularist vor, dass innerhalb der ethischen Kraft sich das Individuum durch seine soziale Einbettung und Beziehungen zu Rechten und Pflichten definiert. Die Persönlichkeit handelt also nicht nach objektiven Grundsätzen, sondern durch die Vielzahl der Bindungen bedingt. Diese machen überhaupt erst die Persönlichkeit aus. Dabei kann das Individuum durchaus rational handeln: Diese ist aber nicht durch abstrakte Prinzipien zu erklären, sondern durch eine Vielzahl von Handlungsmustern die variieren können.

Es ist möglich das Gruppen gar nicht existieren und damit die Loyalitätsbekundung eines Individuums hinfällig sind, wenn es entdeckt, dass es der einzige ist, der diese Gruppenbindung für gegeben ansah. Ebenso wird die Identität durch die speziellen Beziehungen zu einzelnen Gruppen definiert: Es muss abwägen zu welchem Zeitpunkt es welcher Gruppe mit einem gewissen Verhalten gegenübertritt. Ein Individuum ist also immer durch die Vielschichtigkeit und Variationen von Gruppen geprägt. David Miller möchte den ethischen Partikularismus vom Vorwurf befreie, er würde irrationale Ansichten zur objektiven Wahrheit zu erheben. Eine ethische Theorie muss nämlich einen praktischen Anspruch haben, damit Menschen diese in ihrer Lebenswirklichkeit anwenden können. Sollte sie ohne Bezug zu dieser Lebenswirklichkeit stehen, verliert sie jeden Gültigkeitsanspruch. Zwar gibt es durchaus immer objektive Gründe, die eine bestimme Handlungsabfolge begründen, aber als Individuum ist man an sie nicht zwangsläufig gebunden, da man immer in Einfluss und Bindung an spezielle Gruppen steht.7

Unternimmt man den Versuch, unter universalistischen Gesichtspunkten zu demonstrieren, dass Menschen ihren Mitmenschen gegenüber gewisse Pflichten schuldig sind, so finden sich dafür zwei Wege. Da bietet es sich zunächst an, die Signifikanz von sozialen Abgrenzungen unter kontraktualistische Bedingungen zu interpretieren. Doch ist dieses Unterfangen bei näherem Hinsehen mit Schwierigkeiten versehen. So muss zunächst demonstriert werden, dass der Bereich des gegenseitiges Profitierens mit existierenden gesellschaftlichen Grenzen zusammenfällt, anstatt zu diesen gegenläufig zu sein. Auch ist es wichtig zu beachten, dass die Logik des gegenseitigen Profitierens tatsächlich die Verpflichtung uns und unseren Mitmenschen gegenüber gestaltet. Dahin gehend ist es nicht unerheblich, dass diese Verpflichtungen immer an eine gewisse Praxis gebunden sind. Wenn es bspw. üblich ist, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft sich gegenseitig aushelfen, also jeder eine gewisse Leistung erbringen muss, um später im Zweifelsfalle auch von der Hilfe seiner Mitmenschen zu profitieren, so ist auch ein Nutznießer dazu verpflichtet, jederzeit Hilfe zu leisten. Sollte es aber an einem solchen System innerhalb einer Gesellschaft mangeln und sei es für den jeweiligen noch so profitable, dann ist niemand in irgendeiner Weise Verpflichtungen der gegenseitigen Förderung und Hilfe unterworfen.

[...]


1 Thomas Pogge, World Poverty and Human Rights: Cosmopolitan Responsibilities und Reforms, Cambridge 2002, S.97f. und ders., Preface, in. Thomas Pogge und Keith Horton (Hrsg.), Global Ethics: Seminal Essays, Cambridge 2008, S.13-24, hier: S.16.

2 David Miller, Critical Rationalism: A Restatement and Defence, Chicago 1994

3 David Miller, On Nationality, Oxford 1995

4 David Miller, The Ethical Significance of Nationality, in. Thomas Pogge und Darrel Moellendorf (Hrsg.), Cambridge 2005, Global Justice: Seminal Essays, S.235-253, hier: S.235f.

5 Ebd. S.236.

6 Ebd. S.237.

7 Ebd. S.238f.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Nation als Lösung globaler Ungerechtigkeit?
Hochschule
Eberhard-Karls-Universität Tübingen  (Philosophisches Seminar)
Note
2,5
Autor
Jahr
2010
Seiten
18
Katalognummer
V205711
ISBN (eBook)
9783656326298
ISBN (Buch)
9783656327141
Dateigröße
458 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Praktische Philosophie
Arbeit zitieren
Sebastian Ostendorf (Autor:in), 2010, Die Nation als Lösung globaler Ungerechtigkeit?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205711

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