Köln, bei Pierre du Marteau - Ein fingiertes Impressum erobert Europa


Hausarbeit, 2010

26 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Im Vorfeld: historisch-politische und literaturgeschichtliche Situation

3 Entstehung und Merkmale des Impressums

4 Umfang der Ausgaben
4.1 Die französische Verlagsproduktion
4.1.1 Politische Schriften Die Darstellung des Hoflebens am Beispiel der „Carte géographique de la cour, et autres galanteries“
4.1.2 Antiklerikale Schriften
4.1.3 Literatur mit erotischem Einschlag am Beispiel des Brief- romans „La fille de Joye, ouvrage quintessiencié de l’anglois
4.2 Die deutschsprachige Verlagsproduktion
4.3 Entwicklung der Verlagsproduktion zwischen 1670 und 1870 als Reflexion der politisch-gesellschaftlichen Umstände

5 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Über mehr als 200 Jahre hinweg erschienen unter dem Impressum „Köln: Bei Pierre Marteau“ über tausend Werke politischer, satirischer und erotischer Natur – doch wer war dieser offensichtlich sehr erfolgreiche, aktive und langlebige Drucker, von dem selbst Voltaire, Montesquieu und Friedrich der Große ihre Schriften veröffentlichen ließen? „Er hat eine exakte Wissenschaft von Büchern/ insonderheit von Frantzösischen Memoirs, hat dabey viel gelesen/ und ist ein Mann der bey seiner grossen Erfahrung ein reiffes Urtheil fället/ deswegen er bey den Hrn. Jesuitern und Augustinern sehr beliebt“[1] – reicht diese (übrigens satirische) Aussage etwa schon zur Erklärung des Erfolgs eines Mannes und seines Unternehmens?

Die möglicherweise nicht überraschende Wahrheit: Eine solche Druckerfirma hat es nie gegeben. Die Nutzung fiktiver Orts- und Druckerangaben war zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert ein beliebtes Mittel, den Fängen der strengen Zensur zu entgehen, die von kirchlichen wie politischen Obrigkeiten durchgeführt wurde. Wie Wellers Auflistung aller unter falschen Druckvermerken zwischen 1508 und 1863 erschienenen Werke mit dem Titel „Die falschen und fingirten [sic!] Druckorte“ (1864) verdeutlicht, wurden Drucker und Verleger nicht müde, ihrem kreativen Geist die abenteuerlichsten Erscheinungsorte und Pseudonyme zum Schutze ihres Berufsstandes zu entlocken. Doch wie gelangte nun gerade Pierre Marteau zu solcher Popularität? Zur Klärung dieser Frage wird in der folgenden Arbeit die Entstehung des fingierten Impressums durch die niederländische Druckerfamilie Elzevier beschrieben und die gesamte Verlagsproduktion eingehend portraitiert. Kern der Arbeit soll dabei die exemplarische Analyse einiger Werke sein, die in Titel und Thematik besonders interessant und typisch für die unter Marteau erschienenen Schriften sind. Das darauf folgende Kapitel liefert zusammenfassend einen Überblick zur Entwicklung der Verlagsproduktion in den aktivsten Jahren zwischen 1670 und 1870. Dabei interessiert besonders, inwiefern die politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Umbrüche in diesen Jahren die Nutzung des fingierten Impressums beeinflussten und so zu den Hochphasen und schließlich dem – vorläufigen – Ende Pierre Marteaus beitrugen. Schließlich werden im Schlussteil alle gewonnenen Erkenntnisse noch einmal resümiert dargestellt und die sich daraus ergebenden etwaigen Forschungslücken aufgedeckt. Die bis dato wichtigste Vorarbeit für alle auffindbaren Auseinandersetzungen mit dem fingierten Impressum lieferten Weller mit der erwähnten Bibliographie aller deutschen, lateinischen und französischen Schriften mit falschem Druckvermerk und Janmart de Brouillant mit seinem „Catalogue des impressions françaises portant l’adresse A Cologne, chez Pierre du Marteau“, dem Ergebnis fünfjähriger Arbeit unter Auswertung von nahezu 11.000 Katalogen, der 502 Drucke von 1660 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erfasst.[2] Zu Beginn der vorliegenden Arbeit soll eine Übersicht zu den geschichtlichen und politischen Umständen, die der Produktion vorausgingen, eine historische Einordnung der folgenden Ausführungen ermöglichen und vorab Hinweise darauf geben, was Autoren, Drucker und Verleger zur Nutzung eines falschen Impressums bewog.

2 Im Vorfeld: historisch-politische und literaturgeschichtliche Situation

Die Verschleierung der Urheberschaft einer Schrift gehörte zu den Mitteln, mit denen Autoren, Drucker und Verleger die Verfolgung durch die strengen Zensurbehörden und die von den politischen oder kirchlichen Machthaber angedrohten Sanktionen zu umgehen versuchten. die Zensur des 17. und 18. Jahrhunderts ist zwar laut Walther nicht zu vergleichen mit etwa jener, die ein faschistischer Staat des 20. Jahrhunderts auszuüben in der Lage war. Trotzdem waren die Konsequenzen für das Verfassen, die Herstellung und Verbreitung eines Textes, der aufgrund seiner kritischen und vermeintlich „verunglimpfenden“ Haltung zu Staat oder Kirche von den Zensurbehörden aus dem Verkehr gezogen wurde, doch unangenehm: Die Strafen reichten von der Konfiszierung und Verbrennung des Corpus delicti bis hin zur Strafe an Körper und Besitz für die an der Publizierung des Werkes Beteiligten.[3] Sowohl die Kontrollbestimmungen als auch die Härte der Sanktionen waren jedoch sehr unterschiedlich geregelt: In den absolutistisch regierten Ländern herrschten rigorose Zensurbestimmungen, um Staat und Kirche vor aufklärerischen Gedanken zu schützen. Deshalb wurde die Verbreitung nicht genehmer Schriften mit allen Mitteln, die den herrschenden Mächten zur Verfügung standen, zu verhindern versucht. Eine Ausnahme hiervon bildeten England und Holland, wo freiere Staatsformen bestanden. Am stärksten war die Unterdrückung in den deutschen Staaten, Italien und vor allem Frankreich. Hier sahen sich das absolutistische Königtum unter Ludwig XIV., die aristokratische Oberschicht und die katholische Kirche durch eine Fülle von im Lande verbreiteter Schriften gefährdet. Schon 1543 hatte König Franz I. auf Veranlassung der Sorbonne ein Dekret erlassen, das jede Drucktätigkeit in Frankreich kurzerhand untersagte und mit der Todesstrafe bedrohte. Das Dekret musste infolge des Widerstandes durch das Parlament jedoch wieder aufgehoben werden. Stattdessen wurde ein Gesetz ins Leben gerufen, das die Zahl der in Paris zugelassenen Drucker auf zwölf beschränkte und bestimmte, dass nur vom König genehmigte Schriften und Bilder gedruckt werden durften. Die königliche Druckerlaubnis wiederum war von der Prüfung durch die geistlichen Behörden abhängig, die mit außerordentlicher Strenge durchgeführt wurde.[4] Behandelte ein Werk delikate theologische Fragen, wurden von den Zensoren Mitarbeiter der Sorbonne (normalerweise Dozenten der Theologiefakultät) hinzugezogen, die das Werk noch einmal untersuchten. Verdächtige Werke wurden danach abgewiesen.[5]

Aus diesem Grund musste die Herstellung und Verbreitung von Schriften, die sich auf kritische oder satirische Art und Weise mit den herrschenden Mächten auseinandersetzte, in Frankreich entweder heimlich unter bereits beschriebener Fortlassung oder Verschleierung des Impressums oder im Ausland geschehen. Unter Einfluss spielerischer Neigungen in der zeitgenössischen Literatur kam es ab Mitte des 17. Jahrhunderts zu einer Zunahme von Pseudonymen und fingierten Erscheinungsorten, vor allem im deutschen Sprachgebiet. Bei aller Ernsthaftigkeit, die von den drohenden Konsequenzen für Autoren und Drucker ausgeht, kann man sich beim Studieren der zahlreichen Pseudonyme in Wellers Bibliographie des Eindrucks nicht erwehren, dass es den Täuschern einen Heidenspaß bereitete, die Regierung und ihre Zensoren mittels der eigenen Kreativität an der Nase herumzuführen.

Mit Wirken einer politisch-publizistischen Opposition verstärkten sich die Tendenzen zur Identitätsvertuschung. Das Zusammenspiel ihrer Mitglieder funktionierte nach dem Prinzip der wissenschaftlichen Kommunikation: Gelehrte, Politiker und Schriftsteller taten sich mit Verlegern und Druckern oder im politischen Exil lebenden Landsleuten zusammen und bildeten ein europaweites (und darüber hinausgehendes) Kommunikationsnetz, das sich durch Schnelligkeit und relative Zuverlässigkeit der Nachrichtenübermittlung auszeichnete. Eines der Zentren der politisch-publizistischen Opposition, dessen Druckergarde auch das in dieser Arbeit vorgestellte Impressum um Pierre Marteau entstammt, befand sich in den Niederlanden. Deren Lage, weltweite Verbindungen und liberales politisches und geistiges Klima bei relativ ausgeprägter Selbstständigkeit der Städte machten das Land für die Herstellung und den Vertrieb kontroverser Literatur in den gängigen Sprachen so attraktiv. Hierin flüchteten sich französische Hugenotten und Jansenisten sowie englische Gegner der Stuartmonarchie. Aus diesem Grund sind allen von diesen Opfern der Regierungen stammenden Werken die Abneigung und der Kampf gegen das feudalabsolutistische Regime Ludwigs XIV. und die Herrschaft der Stuarts sowie die Vertretung der Ideen der englischen Revolution und der einsetzenden Aufklärung gemein. Das niederländische Druck- und Verlagsgewerbe war besonders gut entwickelt, was für einen hohen Qualitätsstandard bei den Druckerzeugnissen sorgte und den hier ansässigen Firmen wie den Elzeviers beherrschende Marktanteile in Europas Druckgewerbe sicherte.[6] Die Erschaffung eines fingierten Impressums war jedoch auch für niederländische Drucker ratsam: Zwar herrschte in Holland eine recht großzügige Meinungs- und Pressefreiheit, doch hätten Schriften, die in verbündeten Ländern Anstoß erregt hätten, zu schädigenden Repressalien gegen die Drucker führen können, etwa zu Einfuhr- und Absatzbeschränkungen für ihre Erzeugnisse.[7]

Spätestens mit dem Angriff Frankreichs auf die Niederlande 1672-78 im Zuge des Niederländischen Krieges genoss die von den Niederlanden ausgehende antifranzösische Presse den Schutz der niederländischen Behörden gegenüber Frankreich.[8] Unter der Herrschaft Ludwigs XIV. erhielt die nach Amsterdam, Leiden und Den Haag verlegte Produktion systemkritischer Werke einen neuen Schub: 1685 hatte der „Sonnenkönig“ das Edikt von Nantes wieder aufgehoben, das den Protestanten Frankreichs seit 1598 eine wenn auch eingeschränkte Religionsfreiheit gewährt hatte. Obwohl dieser Entscheid von der Mehrheit der Franzosen, die es für unnormal und gefährlich für den Staat hielten, wenn Menschen eine andere Religion als der Fürst praktizierten, enthusiastisch gefeiert worden war, zog er verhängnisvolle Konsequenzen nach sich: Zwei- bis dreihunderttausend Hugenotten verließen das Land, unter ihnen viele Intellektuelle und Pastoren, die in dem Königreich verfolgt wurden und in den Niederlanden, England und Preußen Zuflucht fanden. Diese Verfolgung erregte großen Hass in allen protestantischen europäischen Ländern und ließ die Koalitionen enger zusammenwachsen, gegen die Ludwig XIV ab 1688 kämpfen musste.[9] Die im Exil hergestellten Satiren, erotischen Literaturwerke und politischen Streitschriften wurden, um der Grenzkontrolle und der strengen Zensur zu entgehen, auf Schleichwegen nach Frankreich gebracht.[10] Der Weg einer von einem französischen Autor stammenden Schrift sah folgendermaßen aus: Ein Text wurde auf Französisch verfasst und in Umgehung der französischen Zensur in den Niederlanden hergestellt, von wo aus er ungehindert ganz Europa erreichte und – unter der Hand – zurück nach Frankreich gelangte, wo er illegal auf den Markt kam.[11] Diese Vertriebswege waren seit der Mitte des 17. Jahrhundert eingeübt, als der Aufstand der Fronde gegen die Politik Mazarins zum ersten Mal eine Flut von Streitschriften nach Frankreich gebracht hatte. Je mehr sich die Regierung bemühte, das illegale Verlegen von Büchern zu stoppen, desto raffinierter wurden die Tricks der Buchhändler und Leser, um in den Besitz der „gefährlichen“ Bücher zu gelangen. Es wurden Handelsstrecken organisiert, um Frankreich auf dem Land- oder Flussweg zu durchqueren. Für die Regierung und ihre Schergen war es nicht einfach, Kontrollen durchzuführen, da der geographische Bereich sehr groß war und man nicht immer fähige Leute fand, die die „Gefahr“ aller Bücher einschätzen konnten. Doch wurden Autoren, Drucker oder Schmuggler entlarvt, drohte ihnen Übles – hieran erinnert eine bemerkenswerte Versepistel, in der sich der „Drucker“ Marteau mit folgenden Worten an die Musen wendet:

Da ihr die Töchter des Meisters der Götter seid, werdet ihr euch möglicherweise gegen Gott versündigen, wenn ihr einen armen, unbekannten Buchhändler seht, der nichts außer dem Abfall von anderen druckt, aber widmet ihm zwölf Briefe, in denen eure Bitterkeit überwiegt und die bestimmt den meisten Leuten gefallen werden.

Doch die Musen antworteten sehr verständnisvoll:

Da wir niemandem ein Buch widmen ohne für diese Hommage bezahlt zu werden, versuchen wir im Bereich des Möglichen etwas für Sie zu tun; aber arbeiten Sie, wenn das möglich ist, unter weniger gefährlichen Bedingungen als Sie es in der Vergangenheit gemacht haben. Sie können sich glücklich schätzen, dass Köln die Methode Tod durch erhängen nicht kennt, wenn Sie in Paris wären, hätte man sie längst erdrosselt.[12]

Diese Warnung war keinesfalls übertrieben, wie Hausmann betont. Erst ab 1705 konnten Straftaten von Buchhändlern, die zehn Jahre zuvor wegen der Veröffentlichung oder des Vertriebs von Werken, die die Religion und die Regierung angriffen, mit dem Tod bestraft worden waren, nur noch von der Bastille mit einer Geld- oder Haftstrafe belegt werden.[13]

Hiermit ist die Darstellung der gegebenen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die der Entstehung des fingierten Impressums vorangingen und sie bedingten, abgeschlossen. Wie sich das politische Klima auf die Verlags produktion auswirkte, wird ab Kapitel 4 zu lesen sein.

3 Entstehung und Merkmale des Impressums

Ins Leben gerufen wurde das fingierte Impressum „Köln: bei Pierre Marteau“ nach heutigem Kenntnisstand durch die niederländische Druckerfamilie Elzevier. Stammvater des Hauses war der flämische Buchbinder Lodewijk Elzevier, der sich 1580 in der Stadt Leiden niederließ. Unter Fortführung durch die kommenden Generationen erstreckte sich das Unternehmen bald über Amsterdam, Den Haag und Utrecht. Durch den Erfolg mit Klassikerausgaben im Duodezformat wurden die Elzeviers zum bedeutendsten Druckhaus Westeuropas. Die Enkel Lodewijks des Älteren, die Amsterdamer Drucker Daniel und Lodewijk der Jüngere Elzevier, bedienten sich erstmals des Kölner Impressums; sein Urenkel Jan aus Leiden nutzte im Jahre 1660 als Erster die Bezeichnung „A Cologne, chez Pierre du Marteau“ für das Werk „Recueil de divers pièces servans à l’histoire de Henri III, roy de France et de Pologne“.[14] Seine konkreten Motive waren zu dieser Zeit, etwaigen Schwierigkeiten mit den niederländischen Behörden aus dem Weg zu gehen, die fremde Souveräne vor Beleidigungen schützen wollten, und die Beziehung zu Frankreich zu schonen, da die Académie Française Elzevier die Druckaufträge hätte entziehen und auch seine anderen Druckerzeugnisse hätte behindern können.

„Pierre du Marteau“, der Name des fiktiven Druckers, und seine Ansiedlung in Köln bieten in Forscherkreisen Anlass zu Spekulationen. So vermutet Schäfke, dass es in Jan Elzeviers Bekanntenkreis einen Pierre Marteau gegeben haben könnte, da der Drucker für einen anderen falschen Vermerk den Namen seines Vetters Jan Sambix wählte.[15] Walther hingegen ist der Ansicht, die Elzeviers hätten sich den Namen als Hommage an die Stadt Köln ausgedacht, die eine Art Knotenpunkt von Waren und Ideen war und diese zum Teil an die Niederlande übermittelte.[16] Die bekannten Druckerfamilien Mylius und Hierat hatten in der Kölner Unterfettenhennenstraße 9 ein Atelier in einem Haus, das den Namen „Zum Hammerstein“ trug. Die Elzeviers könnten diesen Namen ins Französische übersetzt haben, dies ergäbe Pierre (= Stein) du Marteau (= Hammer). Walther vermutet weiter, dass die Wahl dieses Impressums als Erinnerung an das Erscheinen der ersten Auflage des berüchtigten „Hexenhammers“ (Malleus maleficarum), dienen sollte, einem als Kommentar gedachten Werk zur Hexenbulle von Papst Innozenz’ VIII., das die überlieferten Elemente des Hexenglaubens zu einem Gesamtbild verknüpfte und damit entscheidend die Hexenvorstellung bis ins 17./18.Jahrhundert prägte.[17] Diesem „Beleg des existenten Hexenwahns“ hatte unter anderem ein gefälschtes Gutachten der Kölner Universität zugrunde gelegen. Rutger Hausmann hält diese Möglichkeiten bei allem Einfallsreichtum für unwahrscheinlich: „Quelque ingénieuses que soient ces explications, elles ne convainquent guère, parce qu’il est peu probable que les Elzevier aient connaissance de ces détails.”[18] Andere Meinungen gehen dahin, dass der Name „Marteau“ – der „Hammer“ – wie auch andere gebräuchliche fingierte Druckernamen aufgrund seiner symbolhaften Bedeutung gewählt wurde (so auch etwa „Jacques l’Enclume“ – der „Amboss“).[19] Diese Symbolik nutzen nachweislich auch andere Druckerfamilien:

La valeur emblématique du marteau et de l’enclume étant bien connue dans les pays protestants, c’est pourquoi une des plus célèbres familles d’imprimeurs bâlois du XVIe siècle, les Petri ou Henricpetri, s’est servie de ce même emblème: Une main sort des nuages et frappe avec un marteau de fer la pointe d’un rocher. Éole, dieu des vents, attise la flamme sur la pierre. Le fondateur de la maison Petri, Adam, réunit ainsi feu, flamme et marteau, les différents éléments de la fable du rocher Adamas, l’invincible[!], telle qu’elle est transmise dans le Physiologue.[20]

Auch Simons schreibt: „Pierre Marteau war Franzose, sein Name – Hammer – steht für den Mann, der in Köln schaffte, was effektiv nur in den Niederlanden zu schaffen war.“[21] In der Wahl der Stadt Köln sieht Walther eine Form subtiler Ironie, wie es bei antikatholischen Schriften mit dem fiktiven Erscheinungsort Rom der Fall ist. Denn Köln war zu jener Zeit Sitz des Erzbischofs, der Ende des 17. Jahrhunderts eine tragende Rolle in der Landes- und Reichspolitik einnahm. Aus diesem Grund war die Stadt gleichzeitig das Zentrum strenger katholischer Observanz im Rheinland, dessen Konflikte auch die Niederlande berührten.[22] Aus geographischer Sicht boten sich Den Haag und Köln ebenso für den Druck in französischer Sprache und den Rücktransport der Ware nach Frankreich an – doch „politisch war nichts so unwahrscheinlich wie ein Erscheinen frankreichfeindlicher, antikatholischer Schriften im frankreichfreundlichen, wittelsbachisch-katholischen Erzbistum Köln“.[23]

Das Pseudonym wurde angesichts des Erfolgs der Elzeviers im In- und Ausland bald auch unter anderen niederländischen Druckern beliebt. Sie ahmten die Drucke nach, indem sie ähnliche Ornamente nutzen und ebenfalls im Duodezformat[24] druckten. Solche Imitationen sind den echten Elzevier-Drucken so täuschend ähnlich, dass eine Identifizierung manchmal äußerst schwierig ist. Diese Drucker kamen aus Den Haag, Amsterdam, Brüssel und Frankreich, hier vor allem aus Rouen.[25] Moeltzner geht soweit zu sagen, dass jene Druckerfirmen wie Vlacq, Wolfgang, Gebrüder Steucker, van Zyll, Marchant usw. das Pseudonym Pierre Marteau nicht nur übernahmen, sondern unmittelbar an ihm beteiligt waren, weshalb es nicht den Elzeviers allein zugeschrieben werden könne – „deshalb ist und bleibt Pierre du Marteau weiter nichts als ein Drucker-Kollektivpseudonym.“[26]

Léonce Janmart de Brouillant fand jedoch heraus, dass lediglich die Elzeviers konsequent den Namen „Pierre du Marteau“ verwendeten. Das Fehlen des „du“ lässt demnach vermuten, dass es sich um einen Konkurrenzdruck handelt.[27]

Das erste deutsche Werk mit dem Druckvermerk „Cölln bei Marteau“ erscheint in den 1680er Jahren (genaueres hierzu in Kap. 4.2). Abweichungen des Vornamens sind keinesfalls ungewöhnlich. Durch Nachforschungen ist bekannt, dass allein die Elzeviers 74 verschiedene Tarnnamen verwendeten.[28] Orts- und Verlagsbezeichnungen wechseln sich oft ab, neben Köln werden Danzig, Hamburg, Amsterdam, London und selbst absurde Druckorte wie Germanien und Utopien angegeben, neben Pierre und Peter auch Pieter und Wilhelm, neben Marteau auch Martenau, Pierre Marteau Witwe, Peter Hammer der Ältere oder der Jüngere, Peter Hammers Erben usw.[29] Scheinbare Fakten zu „dem Drucker“ ergeben sich aus den Druckvermerken jedoch zur Genüge:

Name, Ortsangabe und die Art seiner Druckerzeugnisse scheinen darauf hinzudeuten, dass er ein in Köln ansässiger und tätiger, den Bestrebungen der Revolution und der Aufklärung nahestehender Franzose gewesen sein muss. Seine Bücher lassen einen hohen Bildungsgrad des Druckers erkennen wie auch darauf schließen, dass er enge Verbindungen mit den führenden schöngeistigen und fortschrittlichen Kreisen Frankreichs unterhalten hat.[30]

[...]


[1] Barthold Feind, zitiert in Walther, Karl Klaus: Köln: Bei Peter Hammer. Befunde zu einem fingierten Impressum. Halle 1979, S. 28/29.

[2] Bielschowsky, Ludwig: Die sonderbare Geschichte des Kölner Druckers Pierre du Marteau. Frankfurt a. M. 1977, A 261-275 (= Aus dem Antiquariat. 7), A262.

[3] Walther (1983), S. 15.

[4] Bielschowsky (1977), A261.

[5] Hausmann, Frank-Rutger: Pierre Marteau ou Pierre du Marteau, imprimeur imaginaire à l’époque de Louis XIV. 1994, S. 237.

[6] Walther, Karl Klaus: Köln: Bei Peter Hammer. Befunde zu einem fingierten Impressum. Halle 1979, S. 303.

[7] Bielschowsky (1977), A268.

[8] Simons, Olaf:Marteaus Europa oder Der Roman, bevor er Literatur wurde. Eine Untersuchung des deutschen und englischen Buchangebots der Jahre 1710 bis 1720. Amsterdam [u.a.] 2001, S. 665.

[9] Hausmann (1994), S. 238.

[10] Schäfke, Werner: Pierre Marteau, ein Kölner Drucker, den es nie gab, S. 1419/1422.

[11] Simons (2001), S. 665.

[12] Hausmann (1994), S. 236.

[13] ebd., S. 238.

[14] Bielschowsky (1977), A268.

[15] Schäfke (1976), S. 1422.

[16] Hausmann (1994), S. 232/233.

[17] Vgl. Brockhaus Enzyklopädie Online

[18] Hausmann (1994), S. 233.

[19] Bielschowsky (1977), A268/269.

[20] Hausmann (1994), S. 234/235

[21] Simons (2001), S. 669.

[22] Walther (1983), S. 18.

[23] Simons (2001), S. 669.

[24] Das Duodez (von lat. duodecimus = „der zwölfte“) ist ein kleines, selten verwendetes Buchformat, bei dem der Papierbogen so gefalzt wird, dass zwölf Blätter entstehen; vgl. Brockhaus Enzyklopädie Online.

[25] Bielschowsky (1977), A269.

[26] Moeltzner, August: Zwanzig Jahre maskierte Druckarbeit. Pierre du Marteaus Drucke aus den Jahren 1660-1680 in der Königl. Bibliothek zu Berlin. Berlin 1913, S. 199.

[27] Bielschowsky (1977), A269.

[28] Walther (1983), S. 18.

[29] Heydemann, Viktor: Über den Buchverlag von Peter Hammer und einige bei ihm erschienene Schriften. 1928, S. 52.

[30] Bielschowsky (1977), A268/269.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Köln, bei Pierre du Marteau - Ein fingiertes Impressum erobert Europa
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Deutsche und Niederländische Philologie)
Veranstaltung
Literatur und Zensur in der Frühen Neuzeit
Note
1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
26
Katalognummer
V205725
ISBN (eBook)
9783656323587
ISBN (Buch)
9783656324218
Dateigröße
686 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Frühe Neuzeit, Zensur, Verlag, Herausgeber
Arbeit zitieren
Wiebke Hugen (Autor:in), 2010, Köln, bei Pierre du Marteau - Ein fingiertes Impressum erobert Europa, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205725

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