Husserls Intersubjektivitätstheorie und Heideggers Mitseinsanalyse


Hausarbeit, 2012

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Husserl
2.1 Der Weg zur transzendentalen Phänomenologie
2.2 Die Intersubjektivitätstheorie

3. Heidegger
3.1 Die Mitseinsanalyse
3.2 Dasein und Subjektivität

4. Schlusswort

Literaturverzeichnis

Quellen

Literatur

1. Einleitung

Die folgende Arbeit stellt den Versuch dar, Husserls Intersubjektivitätstheorie und Heideggers Mitseinsanalytik aus einer vergleichenden Perspektive zu beleuchten. Das reizvolle an diesem Thema besteht darin, die radikalen Ansätze und Entwicklungswege zweier der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts zu thematisieren und im Hinblick auf ihre Berührungspunkte und entscheidenden Divergenzen hin zu untersuchen.

Der Anspruch, den Husserl an sein umfangreiches Werk stellt, besteht in dem Versuch die Philosophie auf radikale Weise auf eine neue Basis zu stellen. In den Logischen Untersuchungen verkündet er den Leitgedanken “auf die Sachen selbst zurückgehen”, was für seinen Assistenten Heidegger ein entscheidendes Prinzip wird. Nur die Phänomenologie kann als Methode zu einer erstrebten Voraussetzungslosigkeit führen. Obwohl Heidegger den phänomenologischen Ansatz in den frühen 1920er Jahren als absolute Ursprungswissenschaft an und für sich bezeichnet und am Programm seines Lehrers nicht zweifelt, werden die Weichenstellungen seiner Entwicklung bis zu seinem Frühwerk Sein und Zeit deutlicher. Explizit kritisiert er Husserl nicht. Sein streben richtet sich auf die Gewinnung einer Ursprungsphilosophie, die konsequenter, überzeugender und ausgearbeiteter sein soll. Husserl misst der Intersubjektivitätstheorie eine grundlegende Stellung in seiner Phänomenologie bei. Sie ist die bedingungslose Seinsgrundlage aus der sich alles Seiende Sinn und Geltung schöpft. Der Solipsismusvorwurf sowie in diesem Zusammenhang auftauchende Schwierigkeiten erfordern eine Ausarbeitung, die sich von einer egologischen zu einer transzendental-soziologischen Phänomenologie wandelt.

Heideggers Kritik im Rahmen seiner Weltlichkeit-Darlegung zielt auf eine Denktradition, deren Anfang auf Descartes zurückgeführt werden kann und die transzendentale Phänomenologie Husserls einschließt. Dass die Welt als ein Relationssystem konstituiert gedacht und erst in einem Denken gesetzt wird, wurde bei Husserl zu einem Höhepunkt ausgearbeitet. Doch Heideggers Analytik distanziert sich von dieser Philosophie des Ichs. Zwar folgt Heidegger in wesentlichen Zügen die Ansätze Husserls, doch seine Überzeugung ist, dass die Intersubjektivitätstheorie einer Egologie verhaftet ist. Als nur vorhandenes ist das Ich ein Subjekt ohne Welt und verliert seine spezifische Faktizität.

Die Arbeit orientiert sich im Wesentlichen chronologisch und bezieht grundlegende Elemente der Systeme beider Denker ein. Zuletzt werden in einem abschließenden Kapitel die entscheidenden Ansätze zusammengefasst und ein Gesamtblick vermittelt.

2. Husserl

Der Schwerpunkt in Husserls Arbeit liegt zunächst in der Gründung einer originären Methode der Erkenntnis. Zwar teilte er vor seinem ersten Hauptwerk den damals weit verbreiteten Ansatz, dass die Grundlagen der Logik auf die Regeln der Psychologie zurückzuführen seien, jedoch wandte er sich mit den Logischen Untersuchungen entschieden von dieser Lehre ab. Der Empirismus und der Psychologismus weisen in der Rechtfertigung der Erkenntnis grundsätzliche Mängel auf. So wird kritisch bemerkt: „Die Richtigkeit der Theorie setzt die Unvernünftigkeit ihrer Prämissen, die Richtigkeit der Prämissen die Unvernünftigkeit der Theorie (bzw. These) voraus.“ (Hua. 18, S. 95).

Die Phänomenologie als ein neuartiger Weg eines einwandfreien Begründungsverfahrens nimmt neben Naturwissenschaften eine Sonderstellung an. Sie wird von Husserl als die „Grundwissenschaft der Philosophie“ (Hua 3, S.3) bestimmt, die ihre eigene Erkenntnisleistung aus sich selbst begründen soll. Eine absolute Rechtfertigung erfordert eine metaphysische Neutralität, also darf sie keine zu beantwortende Frage voraussetzen. Das unmittelbar Anschauliche, das was von den Sachen selbst Erfahren werden kann, dient als Orientierungspunkt. So wird ausdrücklich gegen eine Unterscheidung der Welt in die Sachen an sich selbst einerseits, und deren Erscheinungen andererseits Stellung genommen. Das Prinzip der Voraussetzungslosigkeit wird von Husserl als die Bedingung eines wissenschaftlichen Anspruchs definiert. Entscheidend ist für ihn hierbei der Begriff der „Theorie“ der für ihn, die „ja nichts anderes als Besinnung und evidente Verständigung darüber bedeutet, was Denken und Erkennen überhaupt ist.[...] Daß sich die Denkakte gelegentlich auf transzendente oder gar auf nichtexistierende und unmögliche Objekte richten, tut dem keinen Eintrag.“ (Hua 18, §7). Der Erkenntnisgewinn darf nicht fraglos angenommen werden und bedarf einer Rechtfertigung. Ausgehend von seiner frühen Theorie der Intentionalität, entwickelt sich Husserls Denken über die Psychologismuskritik und transzendentale Phänomenologie hin zu den späten Arbeiten über die Intersubjektivität und die Lebenswelt.

2.1 Der Weg zur transzendentalen Phänomenologie

In den frühen Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts befinden sich die Naturwissenschaften in einem bedeutenden Aufschwung. Die Technik erreicht den bis dahin höchsten Stand ihrer Entwicklung. Ein Unbehagen lässt sich erkennen, das auf eine immer mehr rational organisierte Gesellschaft zurückzuführen ist. Die mathematischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse werden verstärkt praktisch umgesetzt. Husserl, der unter anderem Mathematik studierte, befasste sich mit psychologischen und philosophischen Grundlagen. Klare Begriffsbestimmung sowie logische Prägnanz sind Merkmale seiner ersten Versuche in größere Problemtiefen vorzudringen. Eine eingehende Grundlagenanalyse ist bereits seiner Habilitationsschrift Über den Begriff der Zahl (1887) zu entnehmen. Eine besondere Aufmerksamkeit richtet er auf die „elementaren Wahrheiten [...] und Methoden, durch welche sie jederzeit als das Muster streng-wissenschaftlicher Deduction gegolten hat“[1], die in seinem ersten Buch Philosophie der Arithmetik (1891) erneut aufgegriffen werden. Dieses Werk wurde von Gottlob Frege kritisiert, weil der Versuch, die Logik auf psychische Gesetzlichkeiten zurückzuführen, keine ursprungshafte Grundlage sein könne. Zwar ist es strittig in wieweit Freges Rezension an Husserls Umdenken beteiligt ist, doch die Psychologismuskritik und die Beschäftigung mit der Aufgabe, eine absolute Rechtfertigung der Erkenntnis zu erreichen lässt sich in seinem ersten Hauptwerk Logische Untersuchungen (1900-01) ausmachen. Husserl betrachtet sein erstes Hauptwerk als ein Schlüsselwerk zur Phänomenologie (vgl. Hua 18, S.6). Das Werk besteht aus zwei Abschnitten. Zu dem Hauptgehalt des ersten Teils (Prolegomena zur reinen Logik) gehört die kritische Auseinandersetzung mit dem Psychologismus, der um 1900 eine weitgehend vorherrschende Position darstellte. Der folgende Teil (Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis) befasst sich mit der Analyse der Intentionalität des Bewusstseins.

Zunächst soll in der Prolegomena der Frage nachgegangen werden ob die logischen Grundsätze von idealer Art sind oder aus faktischen Denkabläufen kausal hervorgehen. Eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Psychologismus legt die Eigenart der logischen Gesetze dar. Die Logik gehört in den Bereich des Allgemeingültigen und ist durch die Unabhängigkeit von jeglichem Erkenntnisgehalt bedingt. So lassen sich zwei Konsequenzen ableiten: empirische Begründungen sind einerseits nicht ausreichend präzise und können den Anspruch auf absolute und notwendige Geltung nicht erfüllen, andererseits ist unverzichtbare Einsicht (apodiktische Evidenz) nur durch einen bestimmten Maß an Wahrscheinlichkeit formulierbar (vgl. Hua 18, S.181). Der Versuch die Logik auf die Psychologie zu reduzieren basiert demzufolge auf einem grundsätzlichen Irrtum, da er die unverkennbaren Merkmale der Logik, also die Idealität, die Apodiktizität sowie die apriorische Gültigkeit fehldeutet (ebd. S.79-80). Zudem besteht eine Schwäche des Psychologismus darin, dass nicht zwischen dem Gegenstand der Erkenntnis und dem Vollzug des Erkennens differenziert wird.

Husserl bezeichnet die Intentionalität als ein elementares Thema in seiner Arbeit und expliziert sie als einen eigenen Begründungsversuch der reinen Logik: „Der Problemtitel, der die ganze Phänomenologie umspannt, heißt Intentionalität. Er drückt eben die Grundeigenschaft des Bewußtseins aus“ (Hua 3, S.303). Die Intentionalität wird als die grundlegende Struktur des Bewusstseins bestimmt. Bereits Brentano bezeichnete diese Struktur als ein Gerichtetsein auf etwas. Gleichgültig ob der intendierte Gegenstand existiert oder nicht, jeder mentale Akt des Bewusstseins ist auf etwas gerichtet, was außerhalb des Bewusstseins liegt: „Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisirt was die Scholastiker des Mittelalters die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz eines Gegenstandes genannt haben, [...], die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Object“[2]. Husserl greift die Ansätze Brentanos auf. Der Ausgangspunkt einer Erkenntnisgewinnung kann demnach nicht in einer kausal erklärenden Psychologie liegen, vielmehr muss man sich an den „Sachen selbst“ (vgl. Hua. 3, Einleitung zu Bd. 2.) orientieren und diese ins Licht bringen: „das Wesen der Erkenntnis kann ich nur zur Klarheit bringen, wenn ich sie mir selbst ansehe, und wenn sie mir im Schauen, so wie sie ist, selbst gegeben ist. Ich muß sie immanent und rein schauend im reinen Phänomen, im, 'reinen Bewußtsein studieren[...]' (Hua 2, S.46).

Doch wie korrelieren die Bestandteile eines intentionalen Erlebnisses mit der Wirklichkeit? In welcher Art und Weise wird z.B. ein grünes Buch auf einem Tisch wahrgenommen. Unterschieden wird hierzu zwischen dem sinngebenden inhaltlichen im Bewusstsein (Noesis) und dessen transzendiertem Korrelat (Noema). Um eine eingehende Untersuchung fortzuführen sind zudem methodische Maßnahmen zu treffen, die die subjektive Einstellungen ausklammern und einen Zugang zum wahren Wesensgehalt ermöglichen (Epochè)[3]. Die Empfindungen an sich sind nicht für ein intendieren hinreichend und führen nicht zu einem Bewusstwerden von Gegenständen. Erst eine objektivierende sowie synthetisierende Bewusstseinsleistung ermöglicht eine konstitutive Wahrnehmung (Hua 19, S.399). Seine eingehende Untersuchung der Konstitution um eine adäquate und apodiktische Gewissheit zu erreichen weisen mit Descartes' methodischem Zweifel Gemeinsamkeiten auf. Dessen Suche nach unbezweifelbarer Erkenntnis führt bekanntlich zum denkenden Ich. Zwar bemängelt Husserl Descartes Rückführung auf das Leiblich-Körperliche, durch die es scheint, als ob ein „kleines Endchen der Welt gerettet“ (Hua 1, §10) ist,jedoch sein Ausgangspunkt bleibt auch die Region des reinen Bewusstseins.

Kennzeichnend für Husserls frühe deskriptive Phänomenologie ist, dass sie eine statische, strukturell gesehen synchrone Beschreibung der Intentionalität liefert. Eine Weiterentwicklung zur transzendental Phänomenologie, die auch die zeitliche Dimension einbezieht, wird erst mit dem Werk Ideen (1903) eingeleitet.

2.2 Die Intersubjektivitätstheorie

Husserls Überlegungen zur Intersubjektivität stellen, da sie lediglich in einer Ansammlung von mehreren Einzeluntersuchungen dokumentiert sind, keine abgeschlossene Theorie dar. Die Konzepte wurden unter häufig wechselnder Betrachtungsweise im Rahmen einer Ausgestaltung der transzendentalen Phänomenologie weiterentwickelt. Die methodisch verfahrende Reflexion ist ein essentieller Bestandteil in Husserls transzendentaler Phänomenologie. Die Erkenntnis der Erkenntnis hat ihren Ursprung im jeweiligen Ich selbst. Ausgangspunkt ist der eigene Erlebnisstrom.

[...]


[1] Husserl, Edmund Über den Begriff der Zahl, Halle a. S.: Heynemann, 1887, S.2

[2] Brentano, Franz §5, Psychologie vom empirischen Standpunkt, Leipzig, Von Duncker & Humblot, 1874.

[3] Die Orientierung nach dem Gegebenen ist zwar bei Husserl und Heidegger gleich bedeutsam, jedoch wird die Frage bei Husserl als die Anschaulichkeit und bei Heidegger als die Faktizität weiter konkretisiert.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Husserls Intersubjektivitätstheorie und Heideggers Mitseinsanalyse
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Philosophie)
Veranstaltung
Sozialphilosophie, Modul P5
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V205875
ISBN (eBook)
9783656330448
ISBN (Buch)
9783656331513
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Heideggers Philosophie unterscheidet sich von der seines Lehrers Husserl nicht nur methodisch, sondern im Falle der Frage der lntersubjektivität auch sachlich erheblich. Trotz aller Verwandtschaft sind die Ausgangspunkte zu unterschiedlich als daß sich die Resultate ähneln könnten. Diese Lage zeichnet die Arbeit mit einem überdurchschnittlichen Verständnis für die erkenntnistheoretischen und methodischen Grundlagen der Theorien nach und erörtert plausible Bezüqe und Differenzen. Das alles geschieht sprachlich und sachlich auf hohem Niveau." Betreuer.
Schlagworte
Heidegger, Husserl, Sozialphilosophie, Intersubjektivität, Mitsein, Daseinsanalyse, Philosophie, Der Andere, Dasein, Fundamentalontologie, Welt, Phänomenologie
Arbeit zitieren
Cem Bozok (Autor:in), 2012, Husserls Intersubjektivitätstheorie und Heideggers Mitseinsanalyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/205875

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