Blutiger Sand: Stierkampf – Ein tödliches Ritual


Fachbuch, 2012

326 Seiten


Leseprobe


Inhalt

Vorbemerkung

Einführung in das Thema

I. Stierkampf mit Konsequenzen
Reise nach Mallorca
Die plaza de toros in Palma
Der Einmarsch (paseo) der Toreros
Mit Degen und puntilla – der erste Stier
Sprung über die barrera – der zweite Stier
Die tienta – Tapferkeitstest der zweijährigen Kälber
Der Tod des Siegers – der dritte Stier
Ein Ohr für den Matador – der vierte Stier
Die Pferde im Stierkampf und ihre Reiter (picadores)
Der Schrei eines Pferdes – der fünfte Stier
Das schnelle Ende – der sechste Stier
Mit Eleganz in den Tod – der rejoneo
Das Ende einer Freundschaft
Die Zeit nach Mallorca

II. 65 ganzseitige Originalaufnahmen in Farbe Erläuterungen der Bilder

III. Vom mythischen Stier zur „Fiesta Nacional“
Die Geschichte des Stierkampfes
Der moderne Stierkampf und seine Matadore
Stierkampf und Tradition
Begriff des Stierkampfes
Wesen des Stierkampfes und seine aficionados
Toreros, Manager und Züchter
Sind die Spanier Tierquäler?
Schon Kinder schwenken ein rotes Tuch
Argumente und Gegenargumente
Die katholische Kirche und der Stierkampf

IV. Politik und Tierschutzrecht in Spanien, Frankreich und der Europäischen Union
Tierquälerei – ein Verbot mit Ausnahmen
Stierkampf in Spanien – ein nationales Kulturgut?
Zwei feindliche Brüder – Katalonien und Madrid
Katalonien ächtet den Stierkampf
Madrid bleibt eine Hochburg
Ein frischer Wind im Baskenland
Der Stierlauf in Pamplona (Navarra)
Bilbao
Donostia/San Sebastián
Kulturschande statt Kulturgut in Frankreich

V. Politik und Tierschutz in der Europäischen Union
Die Politik
Subventionen retten den Stierkampf
Auch die Bundesrepublik Deutschland hilft mit
Blutzoll der politischen Organisation EU

VI. Stierkampf soll Weltkulturerbe werden

VII. Stierkampf in Mexiko Nicaragua Ecuador Kolumbien und der Dominikanischen Republik
Mexiko
Nicaragua
Ecuador
Kolumbien
Dominikanische Republik

VIII. Der Stierkampf und seine Zukunft
Glossar
Literatur
VITA

Vorbemerkung

Mehr als 2000 Autoren haben sich bisher literarisch mit dem Stierkampf auseinandergesetzt. Nur zum geringen Teil wurden die Bücher, Broschüren und zahlreichen Gedichte jedoch in deutscher Sprache verfaßt oder ins Deutsche übersetzt. Dem bekannten Schriftsteller Ernest Hemingway (1899 – 1961) gelang es dabei mit seinem Bestseller „Tod am Nachmittag“ – u.a. in deutscher Sprache –, auch den Nichtspaniern Wesen und Regeln des Stierkampfes nahezubringen. Aber er war ein aficionado (Stierkampfliebhaber), das heißt, einer, der sich auf Stierkämpfe im allgemeinen und besonderen versteht und sie dennoch mag. Hemingway selbst darf man darüber hinaus wohl ohne Übertreibung als leidenschaftlichen Liebhaber und Kenner der Stierkampfszene bezeichnen. Zumindest Freunde solcher Veranstaltungen aber sind letztlich die meisten Stierkampfautoren, mit denen ich mich auseinandergesetzt habe. Wissenschaftlich neutral beschäftigt sich allein Karl Braun in „Der Tod des Stiers“ mit dieser Thematik. Mariella Mehr dagegen drückt in ihrem Buch „Das Licht der Frau“ in emotionaler und mutiger Sprache ihr Mitgefühl mit der gequälten Kreatur beeindruckend aus und behandelt zugleich das Problem ritualisierter Gewalt.

Diese drei Autoren sind Beispiele für das kontrovers diskutierte Thema.

Dennoch bleiben sehr viele Lücken und offene Fragen, die zu füllen bzw. zu beantworten es einen Versuch zu wagen lohnt.

Denn nur wer etwas zu sagen hat, so meine ich, der hat auch das Mandat, es anderen mitzuteilen.

So widme ich denn meine niedergeschriebenen Gedanken insbesondere allen deutschen Touristen, die aus Neugier, aber auch aus Begeisterung die Arenen füllen, ebenso allen nationalen und internationalen aficionados, die sich mit dem Stierkampfgeschehen identifizieren. Neben den passiven Gästen möchte ich schließlich auch die aktiven Teilnehmer an diesen Veranstaltungen ansprechen und wenigstens zum Nachdenken anregen. Dabei kann ich kaum erwarten, bei empresarios (Unternehmer, Organisator) und Toreros (Stierkämpfer) bis hin zu den ganaderos (Viehzüchter, auch Züchter von Kampfstieren) eine Zustimmung zu kritischen Ausführungen zu erhalten, auch wenn sie noch so begründet sein mögen.

Die Rolle der katholischen Kirche verdient in diesem Zusammenhang besonderen Raum.

Einführung in das Thema

Bei dem Versuch einer kritischen Betrachtung stellt sich für die Erforschung des Phänomens Stierkampf gleich zu Anfang ein Bündel von Fragen.

Woher kommt der Stierkampf?

Wo wird er veranstaltet?

Ist er, wie seine Befürworter behaupten, Tradition, und damit ein Kulturgut oder sogar eine Kunst?

Wer besucht solche Veranstaltungen und aus welchen Gründen?

Steht die Unterhaltung im Vordergrund oder identifiziert sich der Zuschauer mit dem Sieg des Matadors (Stiertöter) über die böse Bestie?

Sind es vorwiegend Touristen, die aus Neugier dieses Spektakel wenigstens einmal erlebt haben wollen, oder sind die aficionados in der Überzahl, die die Begegnung des Matadors mit dem ihm kraftmäßig so weit überlegenen Tier bewundern möchten?

Was sagt eigentlich die breite Bevölkerung der veranstaltenden Länder zu Stierkämpfen?

Wer verdient an diesen Kämpfen? Der Züchter, die Veranstalter, die Medien (Fernsehen, Journalisten, Tageszeitungen)?

Sind damit die finanziellen Erfolge der Hintergrund für diese Veranstaltungen?

Auch die Einstellung der Politiker im Vereinigten Europa gegenüber dem Tierschutz gilt es zu beleuchten und zugleich eine entsprechende Gesetzeslage zu prüfen.

Schließlich müßte vor allem die Haltung der Kirche in einem so katholisch geprägten Land wie Spanien entscheidenden Einfluß auf die Gewissensbildung der Gläubigen vor dem Besuch solcher Darbietungen haben.

Hauptakteure bei Stierkämpfen sind neben den aktiv beteiligten Personen (Matadore , banderilleros [siehe Glossar] , picadores [Lanzenreiter] und ihre Helfer) die Stiere selbst, und unverzichtbar sind auch die Pferde. Wie sind hier die Chancen und Risiken verteilt?

Die Auswahl der aufgeworfenen Fragen mag Hinweis auf die Vielschichtigkeit und zahlreichen Facetten der Stierkampfproblematik sein, die zahllose Schriftsteller, Dichter, bildende Künstler wie Maler und Bildhauer, Tierfreunde und Tierschützer, aber auch Theologen, Politiker und Geschäftsleute bewegt hat, sich positiv oder negativ zu diesem Thema zu äußern.

I. Stierkampf mit Konsequenzen

Reise nach Mallorca

Es war an einem Spätsommerabend im August 1959. Mein Studienfreund Hubert Falkenberg hatte mich auf sein Zimmer in einem Kölner Studentenheim eingeladen. Er war allerdings mehr Reiseleiter bei Dr. Tigges als Student. Wir unterhielten uns über Mallorca, und insbesondere über die Cala Mesquida, wo er in einem Urlaubercamp deutsche Touristen betreute. Seine Schilderungen über diesen wohl paradiesischen Platz an einer einsamen Meeresbucht, etwas nördlich von Cap de Peira, ließen bald meinen Entschluß reifen: Da möchte ich nach meiner anstehenden ersten großen juristischen Staatsprüfung im nächsten Sommer hinfahren. Meine damalige Freundin war auch bald begeistert von diesem Plan. Endlich war im Juli 1960 das Examen erfolgreich geschafft. Das notwendige Urlaubsgeld mußte ich als Tankwart in Köln-Braunsfeld verdienen. Freund Hubert hatte mir bei rechtzeitiger Anmeldung einen Bungalow zugesichert, der – wie sich zeigen sollte – neben seinem eigenen Domizil lag. Er hielt also sein Versprechen! Außerdem vermittelte er uns über einen Gewährsmann in Barcelona die Tickets für die Überfahrt mit der Autofähre nach Mallorca, deren Erwerb ohne frühe Buchung im Hochsommer nur mit längeren Wartezeiten über Tage möglich gewesen wäre. Ende Juli 1960 ging es dann los. Der Motorroller, eine 200 ccm starke Zündapp, schleppte Marianne, meine Freundin, und mich samt Gepäck, das fast höher getürmt war als die Beifahrerin, auf die damals noch abenteuerliche Fahrt nach Barcelona. In der Hocheifel schüttete der Regen. Die vermeintlich wasserdichte Regenkleidung zwang uns bald durchnäßt in eine Dorfgaststätte. Die Gastwirtin, heute kaum noch vorstellbar, bügelte ihre Wäsche in der Gaststube und dann auch noch mitleidig unsere durchnäßte Kleidung trocken. Da konnte man nur noch hoffen! Unsere Reisefrist bis Barcelona war kurz bemessen, wenn nicht das begehrte Ticket verfallen sollte. Oh Gott, was dann? Es goß weiter. Erst am Abend war eine Weiterfahrt möglich. Der Regen ließ nach, aber ohne Quartier war in Luxemburg-Stadt Ende, wollten wir nicht riskieren, die kühle Nacht durchfahren zu müssen. In Metz und Nancy reichte es zeitlich leider nur für kurze Stadtbesichtigungen, denn wir mußten in jedem Fall am nächsten Tag Dijon erreichen mit unserem Gefährt, das überladen meist nur 70 Stundenkilometer hergab. Das „französische Doppelbett“ war selbst für junge, aber ermüdete Pärchen eine Zumutung. Stets trafen wir uns bei jeder Bewegung in der Mitte. Da war nicht viel mit gutem Nachtschlaf. Über Lyon schafften wir es trotzdem bis Valence ohne Autobahn über die Dörfer. Dann folgte der Endspurt. An einem Tag quälten wir uns über Nimes, Montpellier, Beziers und Perpignon bei teilweise starkem Mistral, der uns sogar bei langsamer Fahrt von der Straße zu tragen drohte, schließlich bis Barcelona. Am späten Abend, bei Dunkelheit und völlig verstaubt von den teilweise schlechten Straßen, war die Herbergssuche nicht so leicht. Erst als ich in einem Restaurant einem Servierer gegen Bezahlung sein eigenes Zimmer abschwatzte, fiel eine Last von uns beiden ab. Mein fast geschwärztes Fahrergesicht, im Kontrast zu den von der Motorradbrille geschützten weißen Augenpartien, ließ mich vor dem Spiegel herzhaft lachen. Kaum zu glauben, aber ich war es! Ohne Dusche mußte die Gesamtreinigung am Waschbecken erledigt werden. Egal, Hauptsache, wir hatten eine Unterkunft und konnten nun am nächsten Vormittag in letzter Stunde unsere Schiffskarten abholen. Am Abend nämlich stach unsere Mallorca-Fähre schon in See. Trotz teurer Zwei-Bett-Reservierungen wurden wir in primitiven Vier-Bett-Kabinen untergebracht. Jeder Protest war zwecklos. Der Steward verstand plötzlich kein Deutsch mehr! Die See war unruhig. Alle, außer mir, mußten das die ganze Nacht büßen. Aber am Morgen, ein unvergeßlicher Anblick, lag Palma in der schon aufsteigenden Sonne vor uns. Durch das Bullauge sah ich zum ersten Mal die Silhouetten der Stadt auf der schönen Insel für einen Urlaub ohne festen Zeitpunkt für die Rückreise. Eine erste neugierige Visite der Stadt, dann ging es mit dem Roller über zum Teil kurvenreiche Bergstraßen auf die Ostseite der Insel nach Cala Ratjada und von dort weiter auf teils unbefestigtem Weg nach Norden zu der wunderschönen Sandbucht Cala Mesquida. Freund Hubert empfing uns sehr herzlich, wies uns unmittelbar neben seiner eigenen Bleibe einen selbst für die damalige Zeit recht spartanisch eingerichteten Reihenbungalow zu und lud uns sogleich für den nächsten Abend in das zentral gelegene Hauptgebäude mit dem gemeinsamen großen Speisesaal in einen Nebenraum zum „Stierkampfunterricht“ ein. Als Reiseleiter und offensichtlicher aficionado versuchte er, uns über die geschichtliche Entwicklung von Auseinandersetzungen zwischen Mensch und Stier mit martialischer Begeisterung in die neuzeitlichen Abläufe und wesentlichen Regeln solcher Veranstaltungen einzuführen. Alle Zuhörer, so meine ich, waren anschließend äußerst gespannt auf einen solchen Kampf am Sonntagnachmittag um 17.00 Uhr in der plaza de toros (Stierkampfarena, Arena) von Palma de Mallorca. Wir fuhren schon morgens mit dem Roller in die Stadt. Den ganzen Tag beherrschte uns die Spannung auf ein für uns doch wohl außergewöhnliches Ereignis. Heiß war es, sehr heiß!

Die plaza de toros in Palma

Wir wollten natürlich möglichst frühzeitig die plaza de toros erreichen, um unseren nicht ganz billigen Sperrsitz im unteren Bereich auf der Schattenseite sichern und im Bedarfsfall auch verteidigen zu können. Nach meiner Erinnerung waren die einzelnen Kategorien der preisabhängigen Platzgruppen zwar genau bestimmt und überwacht, aber nicht numeriert. Die Qualitäten sind in allen Stierkampfarenen gleichermaßen aufgeteilt und entsprechend benannt.

Die Sonne stand noch hoch, als wir gegen 16.00 Uhr die plaza de toros erreichten. Das steinerne Theater war im Stil eines römischen Amphitheaters erbaut. Durch den Haupteingang gelangten wir in einen hohen Rundgang innerhalb des dicken Gemäuers, von dem aus Treppen die Zuschauer je nach gewählter Eintrittskarte aufwärts durch die Ausgänge zu den entsprechenden Abschnitten und Plätzen führten. Das Stadionrund war zu dieser Zeit noch reichlich leer. Deshalb nutzte ich die Gelegenheit, um von dem uns zugewiesenen Platz weg noch einmal hochzusteigen und von möglichst hoch oben einen Gesamteindruck der Anlage zu bekommen. Die Platzanweiser kamen mir dabei nach Prüfung meines Tickets freundlich entgegen. Der große Kessel mit den ausladenden Zuschauerrängen wirkte von oben wie ein runder Krater, der sich nach unten zunehmend zu einem Trichter verjüngt. Dort gab er den meist 50 m im Durchmesser großen und mit gelbem Sand bedeckten eigentlichen ruedo (Arena, Kampfplatz) frei. Nur in Ronda, eines der ersten großen Stadien in Spanien (Baujahr 1785), erreicht die Arena einen Durchmesser von 65 m. Er ist stets von einer rot-braun gestrichenen, 1,60 m hohen barrera (hölzerne Trennwand) umgeben. Diese besteht aus dicken Balken, die in Betonpfeiler eingelassen sind. Außen und innen läuft eine weiß gestrichene, 45 cm hohe Stufe an der barrera entlang. Dieser Sockel bildet für den Torero eine Art Sprungbrett, um sich im Bedarfsfall auf der Flucht vor dem Stier mit eleganter Flanke über die barrera in Sicherheit bringen zu können. Hinter der barrera verläuft dann zwischen der roten Bretterwand und der ersten Zuschauerreihe der callejón (schmaler Gang), in dem sich die nicht beschäftigten Toreros mit ihren Hilfskräften aufhalten. Ferner nutzen die Photographen, die Polizisten, die Journalisten und Ärzte sowie die Limonadenverkäufer diesen Umlauf. Die barrera hat ihrerseits vier Durchgänge, die durch ebenso viele burladeros (Schutzwände für den Stierkämpfer) geschützt sind. Ein Mensch kann da hindurch in den callejón schlüpfen, der Stier nicht. Die erste Zuschauerreihe hinter dem callejón mit ihren Plätzen heißt barreras, die Plätze in der zweiten Reihe contrabarreras. Alsdann folgen ansteigend die Reihen der tendidos (Sperrsitze). Ihre unteren und deshalb teureren Plätze heißen tendidos bajos und die höheren, weiter vom ruedo entfernteren und somit billigeren Platzreihen tendidos altos. Von besonderer Bedeutung ist, ob die Sperrsitze in der Sonne (tendidos sol) oder auf der Schattenseite im Westen (tendidos sombra) liegen, die qualitätsabhängig wieder oft bis zum dreifachen Preis teurer als die heißen und blendenden Sonnenplätze sind. Die zunächst in der Sonne (sol) und später im Schatten (sombra) liegenden Plätze (sol y sombra) haben mittlere Preise. Sie alle sind nicht überdacht. Nur in den großen Stadien beginnen hinter und über den Sperrsitzblöcken die überdachten Plätze, zunächst die gradas (Rangreihen). Deren erste Reihe hat unbeschränkte Sicht und ist die teuerste. Hinter und über den gradas wiederum liegen die andanadas (oberste Rangreihen). Auf ihrer Höhe schließlich, rechts und links vom Haupteingang angeordnet, findet man die palcos (Logen). In ihrer Mitte, hoch über dem Haupteingang auf der Schattenseite, aber weit weg vom Geschehen in der plaza de toros, residiert der Präsident, umgeben von seinen Beratern (siehe auch Bild Nr. 1 im Mittelblock). Der Präsident jeder corrida de toros (Stierkampf) ist ein sachkundiger Behördenvertreter. Mit einem weißen Taschentuch leitet er den Verlauf der gesamten Veranstaltung.

Dieses Schema gilt allerdings nur für die großen Stierkampfarenen, zu denen auch die in Palma zählt, und die heute von der Regierung als Arenen der ersten Kategorie klassifiziert werden mit mehr als 15.000 Plätzen. Auf dem Festland gehören dazu außer Las Ventas in Madrid die plazas in Bilbao, Cordoba, San Sebastian, Valencia, Zarragoza und Sevilla, die jeweils mehr als 15 Veranstaltungen im Jahr ausrichten. Die meisten anderen Arenen sind kleiner. Sie bieten im Durchschnitt höchstens 5.000 Zuschauern Platz und werden in der zweiten Kategorie geführt. Man findet sie meist in den Provinzhauptstädten. Alle übrigen festen Kampfstätten bilden die dritte Kategorie. Die mobilen Arenen gehören rangmäßig in eine vierte Kategorie.

Die rangmäßige Listung einer Arena ist entscheidend für den Umfang ihrer Auflagen sowie für die Bezahlung der Toreros und der Züchter.

Die Sitze der meisten Stierkampfarenen bestehen nur aus Steinstufen. Die Gänge unter den Stufen sind so schmal, daß jeder seinem Vordermann die Knie unterhalb der Lehne in den Rücken preßt. Die Plätze werden günstigstenfalls durch Armlehnen, meist aber nur durch Linien und auf die Rückenlehne geschriebene Zahlen markiert. Deshalb gibt es fast überall zu geringen Preisen Kissen für die kalten und unbequemen Stufen zu mieten.

Zurück nach Palma de Mallorca: Der Blick von den oberen Reihen hinab in den noch weitgehend leeren Stadiontrichter – die geschilderten Einzelheiten habe ich mir natürlich erst später erarbeitet – war beeindruckend. Vor dem großen Zuschauerstrom konnte ich um diese Zeit noch ohne Gedränge und Hektik wieder zurück zu meiner Partnerin auf meinen noch freien tendido sombra hinuntergehen. Für uns als Erstbesucher einer corrida de toros waren diese Sperrsitze in einer der unteren Reihen auf der Schattenseite, wie sich herausstellte, zwar teuer, aber gerade nicht besonders geeignet. Sie lagen für uns viel zu nahe an dem grausamen Geschehen in der plaza de toros. Wir mußten die Abläufe dort aus unmittelbarer Nähe erleben und beurteilen. Freund Hubert wollte uns mit diesen meist nur schwer zu ergatternden Karten zwar einen besonderen Vorzugsplatz ermöglichen, erreichte aber damit, wie sich zeigen sollte, das Gegenteil.

Der Einmarsch (paseo) der Toreros

Es heißt, die corrida de toros sei die einzige spanische Veranstaltung, die pünktlich beginne; sie dauert bei sechs Stieren rund zwei Stunden. Dieser Zeitplan konnte auch heute ungefähr eingehalten werden, obwohl es außer den sechs vorgesehenen Stieren einen zusätzlichen Kampf gab, bei dem ein rejoneador (Stierkämpfer zu Pferd) auftrat, der nur mit wechselnden Pferden den Stier allein vom Pferd aus bekämpfen sollte. Wenige Minuten vor dem offiziell auf 17.00 Uhr angesetzten Beginn der corrida de toros gab es eine musikalische Eröffnung. Eine Kapelle schmetterte unter rauschendem Beifall einen pasodoble (spanischer Tanz) in das inzwischen vollbesetzte Zuschauerrund, eine rhythmisch bestimmte, populäre spanische Tanzmusik mit auch deutlichen Elementen einer sentimentalen Melodie, Ausdruck der spanischen Volksseele. Unsere Spannung wuchs alsdann auf das äußerste, als der Präsident pünktlich ein weißes Taschentuch über die Brüstung seiner Loge hängte und sogleich Trompeter das Signal für den Einmarsch der Toreros gaben. Vor ihrem Einmarsch ritten zwei historisch gekleidete Männer zur Präsidentenloge, zogen ihre Hüte, verneigten sich und ritten wieder zurück. Diese sogenannten alguaciles (Gerichtsdiener) zeigen symbolisch an, daß sie den ruedo von Zuschauern geräumt haben, und bitten deshalb um die Erlaubnis, den Stierkampf beginnen zu dürfen. An der Spitze ritt allein und ohne Gefolge auf einem temperamentvollen, rassigen Schimmel der rejoneador. Wie alle berittenen Matadore trug auch er ein historisches Adelskostüm aus Andalusien. Zu dieser Tracht gehört zunächst der flache, schwarze Cordoba-Hut mit breiter Krempe. Die Stadt Cordoba gilt als Heimat des modernen rejoneo (Stierkampf zu Pferd). Die mit Metallknöpfen besetzte samtfarbene Reithose steckt unterhalb der Knie in schwarzen Schaftstiefeln. Die breiten Spitzenmanschetten an den Ärmeln eines weißen Hemdes bleiben frei unter den goldbestickten Stulpen des schwarzen Seidenjacketts mit Stehkragen. Bis auf die Ärmel ist das rundum mit einem Goldrand abgesetzte Jackett mit ebenso goldenen Ranken bestickt. Hinter dem rejoneador folgten in zweiter Reihe nebeneinander die drei Matadore zu Fuß, von denen jeder zwei Stiere töten muß. Hinter jedem Matador marschiert dessen cuadrilla (Team, Mannschaft), jeweils drei banderilleros und zwei picadores auf ihren mattenbehängten Pferden genau hintereinander. Der Matador ist der Chef seiner cuadrilla, die er auch bezahlt. Er wird auch espada (im Stierkampf Matador) genannt; auf den Plakaten steht sein Name groß und fett gedruckt. Er ist der gefeierte oder auch ausgebuhte und ausgepfiffene Held der Veranstaltung. Entsprechend prunkvoll ist auch seine Kleidung, das sogenannte traje de luces (Lichtgewand). Auf den Plakaten, so meine ich mich zu erinnern, war der Name eines Matadors besonders fett gedruckt: Ordónez. Der Vorname Manuel oder Antonio – so glaube ich – war wohl, nach den kleineren Druckbuchstaben zu urteilen, weniger bedeutsam. Jedenfalls fiel mir wegen seiner besonders auffallenden Kleidung der meinem Sitzplatz beim Einmarsch nächste Matador am meisten auf. Er trug, über die linke Schulter gelegt, einen fürstlichen Umhang aus brauner Seide, und dieser war, wie das ganze Kostüm, über und über mit Gold bestickt, die sogenannte capote de paseo, die allerdings nicht im Kampf, sondern nur beim Einmarsch getragen wird. Darunter glänzte ebenso prunkvoll die mit lauter Goldstickereien besetzte kurze Jacke. Die auch mit Gold besetzte Weste gab vorne ein weißes Hemd und eine rote Krawatte frei, die durch das Fernglas einen kunstvoll verschlungenen Knoten zeigte. In den Brusttaschen der Jacke steckten zwei Taschentücher in gleichem Rot wie die Krawatte und die breite Binde um die Taille. Die braunseidene Kampfhose, an den Nähten mit schweren Goldstickereien besetzt, endete unterhalb der Knie unter einer offensichtlich festgeschnürten, mit Goldquasten besetzten Kordel. Die roten Strümpfe werden auf diese Weise faltenlos glatt und rutschsicher gehalten. Leichte Halbschuhe sorgen für Beweglichkeit und Eleganz. Über die Schläfen fielen Locken, vom Nacken hing schnurgerade über den Rücken herab der zum Kampfornat gehörende Zopf mit schwarzer Bandschleife, der unter der ebenfalls schwarzen montera (Stierkämpferkappe) mit runden Bauschen über den Ohren wahrscheinlich mit Nadeln befestigt war. Die beiden anderen – aus meiner Sicht rechts – einherschreitenden Matadore trugen ähnliche, wenn auch etwas weniger prunkvolle Bekleidung mit allerdings roter bzw. ganz weißer Grundfarbe ihrer seidenen trajes de luces.

Weniger auffällig folgten den drei Matadoren ihre banderilleros, zwar auch in farbigen und reich bestickten Anzügen, aber ohne Gold- bzw. Silberbeschläge. Das bleibt stets nur den espadas vorbehalten. Die banderilleros haben die Aufgabe, banderillas (geschmückte Stechlanzen), das sind 65 cm lange und mit bunten Papierbändern umwickelte hölzerne Stäbe mit stählernen Widerhaken an ihren Enden, paarweise in den Widerrist der Stiere einzustechen. Hinter den banderilleros schließlich ritten je zwei picadores auf mit Steppdecken gepanzerten Pferden. Seit 1928 tragen die Pferde zu ihrem Schutz einen peto. Das sind schwere gesteppte Matten um Brust, rechte Flanke, Bauch und Hinterhand, die fast bis zu den Hufen hinunterreichen und die Bewegungsfreiheit der Tiere erheblich einschränken, aber das Eindringen der Stierhörner ausschließen. Der Kopf der Pferde, ihr Hals, ihr Rücken und der obere Teil der Hinterhand bleiben weiterhin ungeschützt. So können die Pferde im Bereich der sie schützenden Matten zwar nicht mehr von den Hörnern des angreifenden Stiers durchbohrt werden und haben „nur noch“ die stumpfen Stöße des Stiers zu ertragen, die allerdings sehr schmerzhaft sein und auch zu schweren inneren Verletzungen führen können. Zudem ist ein kräftiger Stier problemlos in der Lage, ein Pferd in den Sand zu werfen oder es mit einem gewaltigen Stoß über die barrera befördern zu können. Das rechte Auge der Pferde wird vor der Begegnung mit dem Stier mit einem schwarzen Tuch oder einer Augenklappe zugebunden. Es wird dann so aufgestellt, daß es den von rechts anstürmenden Stier nicht mehr sehen kann. Seine Ohren werden mit Watte verstopft oder mit einem Bindfaden zugebunden, um auch die akustische Wahrnehmung bei Annäherung des Stiers und demzufolge Panikausbrüche zu verhindern. Außerdem erhält das Pferd vor dem Auftritt eine beruhigende Injektion. Lediglich sein empfindlicher Geruchssinn läßt sich nicht ausschalten. Ihre Reiter, die picadores, trugen bei ihrem Einmarsch reich bestickte kurze Jacken mit Schulterklappen, darunter eine kurze Weste, Hemd, Krawatte sowie einen flachen runden Hut mit breiter Krempe und einem roten Pompon auf der Seite. Der rechte Fuß der picadores ist stets unter ihrer Lederhose gepanzert und steckt in einem stählernen Steigbügel. Aufgabe der picadores ist es, den angreifenden Stier mit einer fast 3 m langen pica (Lanze), die in einer 10 cm langen Stahlspitze endet, durch Stiche in den Muskelhöcker im Nacken zu schwächen und zu ermüden.

Sie alle, Matadore , banderilleros und picadores, nennt man Toreros (Oberbegriff).

Den cuadrillas der Toreros folgten die areneros (Arenadiener), die man mit ihrem Spitznamen monosabio (dressierter Affe) nennt, in knallroten Hemden mit den Maultiergespannen, die später die toten Stiere aus der Arena schleifen.

Der ganze Zug marschierte nun vor die Loge des Präsidenten auf der Schattenseite der Arena. Grüßend zogen die Matadore ihre montera, deren beide Spitzen nach rechts und links auf die Schultern zeigen, und verneigten sich tief, bevor sich die gesamte Truppe auflöste. Während die picadores aus der Arena ritten, legten die Matadore ihre Prunk- capas ab, die, an den Verhältnissen so mancher Zuschauer gemessen, ein kleines Vermögen gekostet hatten. Einer schickte seinen mit Silber reich verzierten Brokatmantel wohl einem Freund, der ihn vor seinem Sitz ausbreitete. In der Arena blieb nur der Matador, der als erster kämpfen mußte, ein Vorrecht, das dem Rangältesten zusteht. Das ist derjenige, dessen Wiederholung seiner „Meisterprüfung“ (alternativa) in Madrid zeitlich am längsten zurückliegt. Doch darüber später. Die beiden anderen Matadore zogen sich mit ihren banderilleros in den callejón, das Gäßchen hinter der Bordwand, zurück. Der verbliebene Matador stellte sich hinter einen der kleinen Verschläge aus flachen Planken, einen burladero, der der barrera vorgebaut ist. Zuvor hatte er eine von außen rosenfarbige und von innen gelbe Kampf- capa mit einem weiten, gestreiften Kragen gewählt. Die alguaciles ritten unterdessen unter die Präsidentenloge und erbaten den Schlüssel zu dem roten Tor, hinter dem der Stier wartete. Der Präsident warf den Schlüssel hinunter, und der alguacil fing ihn geschickt mit seinem Hut auf. Dafür bekam er reichlich Beifall von den Zuschauern. Im Galopp überbrachte er den Schlüssel dem Mann, der das rote Tor öffnen sollte, galoppierte zurück, verneigte sich vor dem Präsidenten und ritt hinaus. Die Arenadiener glätteten eilig die Spuren, die von den Schuhen und Pferdehufen beim paseo in die Arena verblieben waren.

Aus dem Unterricht bei unserem Freund Hubert wußten wir, daß die Form der Arena als Kreis deshalb gewählt wird, weil ein geschlossener Kreis dem Stier keine Fluchtmöglichkeit bietet und verhindert, daß er geeignete Zonen (querencias) in der Arena findet, in denen er sich ungefährdet fühlt, und die er deshalb gerne aufsucht und dann nur unwillig wieder verläßt. Der kreisrunde ruedo war mit zwei weißen Linien versehen, die verschiedene Zonen kennzeichnen sollten. Das innere, zentrale Drittel heißt medios, der äußere, an die barrera grenzende Streifen tablas, und das zwischen medios und tablas liegende Drittel nennt man tercios. Von Hubert hatten wir weiter erfahren, daß die Dreiteilung der Arena deshalb erfolgt, um dort die jeweils verschiedenen im Stierkampf im voraus bestimmten Manöver (suertes) auszuführen.

Mit Degen und puntilla – der erste Stier

Als der Sand ausreichend geglättet war, befanden sich außer dem Matador hinter dem burladero nur noch zwei banderilleros – jeweils einer auf jeder Seite der Arena – dicht an der barrera. Es war sehr still. Alle blickten gespannt auf das Tor aus roten Planken, auch „Das Tor der Angst“ genannt, das der Präsidentenloge genau gegenüberlag. Als der Präsident ein Zeichen mit seinem weißen Taschentuch gab, ertönte sogleich ein Trompetensignal. Der Trompetenstoß war für den Arenadiener, der zuvor den Schlüssel von dem alguacil bekommen hatte, das Zeichen, das rote Tor zu öffnen. Er zog es heftig auf und lief rückwärts, um den Gang freizugeben, aus dem der erste Stier herausstürmen sollte, der erste Kampfstier, den wir beide sahen. Er fegte mit der Schnelligkeit und Gewandtheit einer Katze in einem Orkan von Wildheit aus dem dunklen Gang in das grelle Sonnenlicht, das ihn offensichtlich stark blendete. Ein Fähnchen aus blauen und weißen Bändern, den Farben der Züchterei, flatterte von der in seinen Widerrist gebohrten Kokarde. Auch dem Publikum schien der Stier besonders schön und wild zu sein. Deshalb begleitete es seinen Auftritt mit seinem ersten Olé in die Stille des großen Kessels. Nach seinem Sturmlauf mit wilden Sprüngen hielt der Stier mitten in der Arena inne, blieb stehen und versuchte, sich an seine Umgebung zu gewöhnen. Vor uns stand nun ein kraftvoller schwarzer Kampfstier. Das glänzende Fell spannte sich straff über die prallen Muskeln. Auf dem herrlich modellierten, dreieckig erscheinenden Kopf mit Stirnlocken trug er zwei fast weiße Hörner. Ein prachtvoller Körper mit breiter Brust und schmalem Hinterteil auf kräftigen Beinen. Treffender als Georg Hensel in seinem Buch „Stierkampf“ läßt sich solch ein Anblick kaum beschreiben: „Ein Kampfstier, das sind nicht einfach 400 bis 700 kg Knochen, Fleisch und Muskeln. Ein Kampfstier ist auf seinen schlanken Beinen über kurze Strecken schneller als jedes Rennpferd. Im Profil sieht er aus, als hätten ein Aerodynamiker und ein Bildhauer gemeinsam an ihm gearbeitet: Vom schmalen Hinterteil bis zum mächtigen Muskelpaket im dennoch windschlüpfrigen Nacken ist er ein Geschoß, und die gebogenen Hörner kommen nicht aus der Brezelbäckerei, sondern aus der Waffenschmiede. Es ist ein Geschoß, das im Fluge plötzlich seine Richtung ändern kann – ein schwarzes, witterndes Zentrum von Energie: 400 bis 700 kg brutale Kraft, höchste Startgeschwindigkeit, katzenhafte Geschmeidigkeit, lauernde Angriffslust und, so unglaublich es klingen mag, tänzerische Eleganz. Kurz: Eine der schönsten aller Tierarten!“ Da wird jedem Unerfahrenen sogleich bewußt, gegen ein solches Kraftpaket hat auch der stärkste menschliche Gladiator nur bewaffnet eine Chance. Während der Matador sich hinter dem burladero mit dem Gesicht von der Arena weg den Tribünen zugewandt hatte, als wolle er den Stier erst gar nicht sehen – ob aus Aberglauben oder Angst –, trat zuerst einer der beiden banderilleros von der Bordwand aus dem Stier entgegen. Er versuchte, ihn für die außen kirschrote und innen gelbe capa zu interessieren, die er in einer Hand hinter sich herzog. Das Tier folgte dem Bogen dieser capa und steigerte mit ihr sein Tempo, stieß mehrmals nach ihr, bis es ihm gelang, dem banderillero mit den Hörnern die capa zu entreißen. Der floh sofort und sprang mit elegantem Satz über die barrera. Der Matador beobachtete derweil hinter dem burladero das Geschehen. Aus der Vorinformation wußten wir, daß von dieser Beobachtung und ihrer richtigen Beurteilung das Leben des Matadors abhängen würde. Er sieht dabei, ob der Stier mit dem rechten oder linken Horn bevorzugt zustößt bzw. mit welcher Energie er der im Zickzack vor ihm hergezogenen capa nach beiden Seiten, rechts und links, folgt, und ob er davon leicht abzulenken ist. Vor allem aber ist für ihn wichtig, zu erkennen, ob der Stier auf einem Auge einen Sehfehler hat und deshalb von dieser, manchmal sogar blinden Seite her nicht für das Tuch interessiert werden kann. Als sein banderillero die Arena im Sprung verlassen hatte, trat nun der Matador dem Stier mit ausgebreiteter capa in beiden Händen entgegen. Er tat dies langsam, hielt die capa vor seinen Körper, wie alle spanischen Statuen der Heiligen Verónica das Schweißtuch. Deshalb nennt man die folgende Figur des Matadors verónica (bestimmte Stierkampffigur mit der capa). Sie ist das klassische Grundmanöver mit der capa, von dem andere Varianten abgeleitet werden. Sofort stürmte der vor Kraft strotzende Stier auf den Matador los. Der hatte das linke Bein ein wenig vorgeschoben und blieb auch mit seinem ganzen Körper völlig unbeweglich, als sein Gegner ihn von vorne angriff. Erst als das Tier seine Hörner senkte, um in die mit leichtem Zucken bewegte capa zu stoßen, führte der Matador die capa mit einer gleitenden Bewegung seitlich nach rechts. Die Arme abgesenkt, ließ er den Kopf des Stiers und dessen ausgestellte Hörner unter der schnell angehobenen capa hindurch hautnah an seiner Schulter und Taille vorbeigleiten. Nachdem der Stier mit seinem ganzen Körper den Mann passiert hatte, drehte sich der leicht auf den Fußspitzen nach rechts. Am Ende dieses Manövers stoppte der so getäuschte Stier auf kurzer Distanz seinen kraftvollen Lauf, drehte sich trotz seines wuchtigen Körpers fast auf der Stelle, um dann aus der Gegenrichtung einen neuen Angriff zu starten. Der Matador erwartete ihn bereits mit wieder links leicht vorgestelltem Bein und vor seinem Körper ausgebreiteter capa.

Er schien den Stier mit den Falten seines Umhangs zu beherrschen, als er diesen langsam zur rechten Seite wegbewegte. Dadurch lenkte er den heranstürmenden Gegner so ab, daß dieser erneut nur wenige Zentimeter an seiner Hüfte vorbeistreifte. Hier ist wichtig, zu wissen, daß ein Stier nicht auf Farbe reagiert, sondern nur auf Bewegungen. Der capa als vermeintlichem Gegner und nicht dem bewegungslos dastehenden Mann gilt deshalb sein Angriff. Es folgten fünf oder sechs weitere verónicas und andere Figuren, mit denen er seinem Publikum zeigte, wie elegant er mit seiner auch optisch kunstfertigen Technik den noch im Vollbesitz seiner Kraft befindlichen Gegner meisterte. Nach jedem Durchgang wendete der Stier schneller, kam zurück und beschrieb dabei zunehmend ein Oval, das den Matador immer enger einkreiste. Plötzlich jedoch hielt ich gespannt den Atem an. Als der Stier wieder kurz die ihm angebotene capa annahm, ließ der Matador vor dem heranstürmenden Tier das Tuch an seiner Seite zusammenfallen. Damit veranlaßte er den Stier aus seinem Lauf zu so schnellem Stop, daß der in den Vorderbeinen einknickte. Das offensichtlich völlig über den Verlust seines vermeintlichen Tuchgegners verdutzte Tier blieb alsdann desorientiert und ratlos auf der Stelle stehen. Wie ich später erfuhr, ist dieses Manöver unter dem Namen media verónica (halbe verónica) bekannt. Der Stier blieb auch dann auf der Stelle fixiert stehen, als ihm der Matador den Rücken zuwandte und, ohne sich umzuschauen, in Richtung barrera davonging. Begeisterter Beifall von den Rängen empfing ihn! Die ästhetische Demonstration menschlicher Intelligenz gegen überlegene, ungebändigte tierische Kraft hatte auch mich beeindruckt. Der Matador war anscheinend sicher, daß die neue Situation den Stier hinter ihm so verunsichert hatte, daß er nicht von hinten angreifen werde, während er die Ovationen des Publikums entgegennahm.

Das gesamte Vorspiel darf nur zwei oder höchsten drei Minuten dauern, damit der Stier nicht zuviel lernt, und deshalb zu gefährlich wird.

Ein Trompetenstoß übertönte den Beifall. Das über die Brüstung gehängte weiße Tuch des Präsidenten kündigte das erste tercio an, die suertes de vara, die sogenannten Prüfungen mit der Lanze.

Aus dem „Eingang der Toreros“ gegenüber der Präsidentenloge wurden die picadores auf ihren mit schweren gesteppten Matten geschützten Pferden von areneros in die Arena geführt und zu beiden Seiten der barrera gegenläufig so aufgestellt, daß ihre jeweils gepanzerte Seite dem ruedo zugewandt war. Sie standen, begleitet von einem Pfeifkonzert des Publikums, also in der tablas -Zone, d.h. zwischen der barrera und dem äußeren Kreidestrich, den sie nicht überschreiten durften. Wegen ihrer meist hinterlistigen und regelwidrigen Tätigkeit straft sie das Publikum weitgehend schon vorsorglich mit Verachtung, die sich in Pfiffen und Buhrufen bis hin zu Wurfgeschossen äußern kann, die aber hier ausblieben. Die rauhe Gemütsstruktur der picadores macht sie jedoch gegen diese Mißfallenskundgebungen weitgehend gleichgültig. Der picador darf den Stier niemals angreifen, sondern muß diesen angreifen lassen, um ihn schon jetzt zu ermüden und seine Angriffsart erkennen zu lassen. Das tat auch der picador auf der Schattenseite, ganz in unserer Sitznähe. Der picador auf der gegenüberliegenden Seite hätte nur einzugreifen brauchen, wenn der Stier entweder dorthin ausgebrochen oder der picador auf der Schattenseite durch eigenen Unfall oder den seines Pferdes ausgefallen wäre. Das rechte Auge beider Pferde war mit einem schwarzen Tuch zugebunden, damit sie, wie bereits geschildert, den angreifenden Stier nicht sehen konnten. Unter dem rechten Oberarm trugen die picadores ihre 2,50 bis 2,80 m lange Lanze (pica). Aus unserer Vorinformation wußten wir, daß der hölzerne Schaft jeder Lanze in einer 10 bis 11 cm langen Stahlspitze endet, die auf 7 cm mit einer Schnur umwickelt und 3 cm blank ist. Die Umwicklung und ein Quersteg an deren oberem Ende sollen übermäßiges Eindringen der Schneide in den Muskel verhindern. Ferner hatten wir erfahren, daß die picadores kraftvolle, schwere Männer sein müssen, damit sie überhaupt in der Lage sind, eine Attacke des Stieres zu bremsen. Dennoch, der Stier in der Arenamitte nahm zunächst von dem picador vor uns keinerlei Kenntnis. Erst als er ihn entdeckte, wandte er sich ihm mit gezielter Aufmerksamkeit zu. Daraufhin klemmte der picador seine Lanze unter die rechte Achsel, richtete die Stahlspitze auf den Stier, und rief ihm ein mir nicht verständliches Wort zu, um ihn zum Angriff zu ermuntern. Jetzt hob der Stier den Schwanz und spurtete aus dem Stand auf das Pferd zu. Der picador faßte in diesem Augenblick die Lanze weit vorn, um genau treffen zu können. Er beugte sich vornüber und trieb die Stahlspitze offenbar so brutal in den schwellenden Nackenmuskel des Stiers, daß dieser seinen Lauf bremste und nicht mehr mit voller Wucht die mit der schweren Matte geschützte Flanke des Pferdes rammen konnte. Dennoch reichte die Wucht des Stoßes aus, um Reiter und Pferd gegen die barrera zu schmettern. Wenn auch die Hörner durch den peto daran gehindert wurden, in die Flanke des Pferdes einzudringen, reichte der Stoß in jedem Fall aus, um dem Pferd große Schmerzen zu verursachen. Nach dieser Ernüchterung wandte sich der Stier vom Pferd ab und wurde nun vom dienstältesten Matador, so will es die Regel, mit Hilfe der capa in den zentralen Kreidekreis des ruedo manövriert und dort wieder in Richtung picador auf der Schattenseite aufgestellt. Tief atmend, das war zu sehen, verharrte der Stier zunächst auf der Stelle. Erst auf den erneuten Lockruf des picadors hin stürmte das bereits verletzte Tier erneut auf das Pferd als seinen vermeintlichen Gegner zu. Und wiederum wurde der Stier mit einer weiteren pica durch den picador bestraft, ohne daß es ihm gelang, Pferd oder Reiter in Bedrängnis zu bringen. Diesmal war es der zweitdienstälteste Matador, der das Tier mit verónicas und sonstigen kunstvollen Schwüngen und Showfiguren (sogenannten quites) in die Mitte der Arena zurücklenkte. Tief atmend, der kräftige Körper wogte wie ein Blasebalg, verharrte das Tier dort wiederum unentschlossen. Das rote Blut besudelte in breiter Bahn das schöne schwarz glänzende Fell. Und erneut sollte er angreifen. Mit der capa stellte nun der dritte und dienstjüngste Matador das jetzt schon schwer verletzte Tier in Richtung des auf unserer Schattenseite wartenden picadors auf. Mit einigen Schwenks seiner capa versuchte er, den Angriff des Stiers zu beschleunigen. Dieser ließ sich erneut täuschen. Mit jetzt tiefer gesenktem Kopf rannte er auf das Pferd als seinen immer noch vermeintlichen Gegner los. Zum dritten Mal erwischte der picador den Angreifer, indem er ihm schon frühzeitig die unter den rechten Arm geklemmte Lanze ziemlich weit hinten in den Rücken bohrte. Von der tief eingestemmten pica und der großen Armeskraft gebremst, drängte das Tier trotz der ihm zugefügten massiven Schmerzen dennoch unablässig vorwärts und steigerte trotz der Züchtigung seinen wütenden Ansturm, um das Pferd als seinen vermeintlichen Gegner zu erreichen. Sein Reiter vermied das jedoch, indem er in diesem Moment das Pferd um eine Vierteldrehung wendete, so daß die Hörner längs der Matte an der Flanke entlangglitten und der heftige Rammstoß ins Leere verpuffte. Um nun den toro (Stier) in seiner blinden Angriffswut vom Brennpunkt seines Interesses abzulenken, eilte sofort der Matador herbei und versuchte, den Stier mit seiner capa in die Mitte des ruedo zurückzulocken. Während dieser, vielleicht aus Angst, vielleicht aus Vorsicht, sich dem aufgebrachten Tier nur zögerlich näherte, stocherte der picador mit seiner Lanze weiter in der Wunde, um den Angreifer loszuwerden. Der versuchte jedoch, den mißlungenen Angriff doch noch erfolgreich zu gestalten, indem er sich, mit der pica im Rücken, noch einmal dem Pferd zuwandte. In dieser Situation gelang es dem Matador indes, dem Stier das Tuch so auffällig entgegenzuschleudern, daß er ihm zurück in die Arenamitte folgte. Stehend und sogar kniend, führte auch er nach seinen Fähigkeiten, wie seine Vorgänger, Showmanöver vor. Auf mich wirkten diese Darbietungen jeweils zwischen der Arbeit der picadores wie ein Wettkampf um die beste Leistung und den größten Applaus, der diesmal besonders frenetisch erfolgte. Die aficionados kürten damit ihn wohl als den Besten. Das Blut floß inzwischen in breiter Bahn rot und dick vom Nacken über die linke Flanke des Stiers bis hin zu seinem Knie. Drei Lanzenstöße sollten offenbar für diesen Stier reichen. Das über die Brüstung der Präsidentenloge gehängte weiße Taschentuch war für die Akteure das Zeichen für die Beendigung des ersten Drittels. Die picadores ritten aus der Arena, und es ertönte das Trompetensignal für das zweite Drittel, das tercio de banderillas genannt wird. An der barrera stand, ziemlich weit vom Stier entfernt, der erste banderillero, in jeder Hand eine banderilla, das heißt einen mit bunten Papierbändern umwickelten 65 bis 70 cm langen Stock mit einer 4 cm langen Stahlspitze mit Widerhaken am unteren Ende. Von einem Stierkampfexperten erfuhr ich später viele Einzelheiten über das zweite Drittel, auch suertes de banderillas genannt. Nach seiner Fachkenntnis gehören die Manöver mit den banderillas zu den wichtigsten Neuerungen der modernen Tauromaquia (Tauromachie, Stierkampfkunst), obwohl die Toreros sie unverständlicherweise halbwegs für überflüssig halten. Sie wurden sehr gezielt in den Ablauf der corrida de toros eingebaut. Da der Stier durch seine Erfahrungen und schweren Verletzungen im ersten Drittel mit der Lanze einen Teil seiner wilden Angriffslust verloren hat, neigt er nun dazu, aus sehr kurzer Entfernung zu attackieren. Er begrenzt deshalb den Kampf auf einen Kreis von nur wenigen Metern Durchmesser. Dadurch braucht er seine Position kaum zu verändern, um immer wieder auf seinen Gegner einstoßen zu können. Nach einer Regel der tientas (Mutprüfungen bei zweijährigen Stieren) reagiert der Stier nur auf Verwundungen. Diese Erfahrungen vergißt er auch nach Jahren nicht. Sie behalten deshalb in der Arena ihre Gültigkeit. Die banderilleros fügen dem Stier deshalb Verletzungen zu, die ihn veranlassen, wieder über größere Distanzen hinweg anzugreifen. Der Torero fordert den Stier von weitem heraus anzugreifen und stößt ihm bei der Begegnung die eisernen Widerhaken an den hölzernen Stäben paarweise in den Widerrist. Wenn der Stier nun den Mann, der ihn aus der Entfernung herausfordert, erkannt hat, wird er ihn immer stürmisch angreifen, sobald er ihn sieht. Drei solche Aktionen genügen regelmäßig, um die Angriffslust des Stiers nach seinen deprimierenden Erlebnissen während der Lanzenprüfung erneut zu wecken. Ohne eigene Kenntnis dieses raffiniert ausgenutzten Instinktverhaltens von Kampfstieren erlebte ich die Bestätigung dieser Regel. Breitarmig hielt der banderillero die beiden Stöcke über seinem Kopf, bewegte sie und imitierte damit die Hornstellung eines Artgenossen seines Gegners. Während das Tier bisher nur die capote (großer Umhang) oder das Pferd angegriffen hatte, bot sich ihm nun erstmals ein menschlicher Körper als Ziel. Der banderillero besitzt in diesem Augenblick nichts, womit er den Stier von seinem Körper ablenken kann. Er ist, außer seiner Schnelligkeit, völlig schutzlos. Wohl deshalb hielten sich zwei Toreros mit capas in der Nähe der barrera auf, um ihm notfalls mit einer quite (dem Ablenken des Stiers mit der capa) helfen zu können. Der Stier musterte zunächst seinen Gegner mit leicht drehenden Kopfbewegungen und stürmte dann mit rasantem Anlauf auf den Torero los. Zugleich startete auch der banderillero in einer kreisartigen Bewegung in Richtung seines Angreifers. Kurz vor der Begegnung reckte der Torero sich auf die Zehen, um mit nebeneinanderliegenden Händen von oben die banderillas in den Nackenmuskelberg (morillo) einzustechen. Der dabei gemachte seitliche Ausweichschritt war zu groß. Dabei war offensichtlich Angst im Spiel. Deshalb traf er nur mit einer banderilla viel zu weit nach hinten, statt hoch oben in den Nackenbereich. Die zweite banderilla fiel unverbraucht zu Boden. Außerdem war der Einstich viel zu heftig. Die banderilla blieb aufrecht im Rücken des Tieres stecken. Dabei sollen die banderillas nicht aufrecht und tief in dem Muskel stecken, sondern herunterhängen und baumeln. Sie sollen unter der Haut nur von ihrem Widerhaken festgehalten werden, und dadurch die Angriffslust des Stiers steigern. Ein mißbilligendes Pfeifen von Teilen des Publikums war die Folge. So etwas nimmt man nicht hin!

Es gibt aber auch andere Interpretationen von Fachleuten (Neuhaus, Der Stierkampf, Seite 228), wonach die banderillas nur dann technisch perfekt eingestochen sein sollen, wenn sie dicht nebeneinander emporgerichtet stehenbleiben und nicht an den Flanken herabfallen. Das aber ist nicht überzeugend, wie oben dargestellt, da gerade durch das Baumeln der banderillas, deren Stahlspitzen mit Widerhaken unter dem Fell steckenbleiben, dem Stier bei jeder Bewegung Schmerzen bereitet werden, durch die seine Angriffslust nach der Frustration durch die pica- Stiche wieder gesteigert werden soll. Weiter schreibt Neuhaus: In dem Augenblick, in dem der Stier den Kopf senkt, um den banderillero aufzuspießen, soll der Mann genau vor dem Stier stehen, seinen Oberkörper über dessen Kopf beugen und die Arme zum Einstich weit über den Nacken des Stiers recken. Nur so kann er die Stäbe an der richtigen Stelle placieren. Zur Perfektion dieser Aktion gehört, daß anschließend der Torero möglichst gelassen mit stolz erhobenem Haupt davonstolziert, um sich in Sicherheit zu bringen.

Derselbe Torero ließ sich neue banderillas von einem Gehilfen aus dem callejón reichen. Derweil stand der Stier verunsichert, ohne erkennbaren Feind, mitten im ruedo. Erst als der banderillero auf Zehenspitzen nahe der barrera erneut mit hochgereckten Armen die nach unten baumelnden banderillas bewegte, wiegte der Stier wie zuvor prüfend seinen Kopf hin und her und scharrte mit den Vorderhufen, blieb aber auf der Stelle stehen. Als der Torero ihm dann in einem Bogen entgegenlief, senkte auch er seinen Kopf und startete ebenfalls auf seinen Gegner zu, wenn auch infolge seiner schweren Verletzungen und des starken Blutverlustes verlangsamt. Kurz vor der Begegnung beider machte der Torero einen kräftigen, schnellen Ausfallschritt nach links aus der Gefahrenzone der Hörner heraus, um nach dem Passieren der Hörner mit einem schnellen Step nach rechts fast die blutige Flanke des Stiers zu streifen. Die gleichzeitig eingesteckten banderillas landeten dabei zwangsläufig statt im Nacken viel zu weit hinten im Rücken des Tieres. Die Spanier nennen solche Manöver feige. Die sachkundigen Zuschauer ließen sich durch dieses Manöver offensichtlich auch nicht täuschen. Kein Applaus, nur vereinzelte Pfiffe waren die Quittung. Das kurze Verhalten des getroffenen Stiers vor seiner Wende nutzte der ungeschützte Torero, um im schnellen Spurt vor seinem Verfolger den Schutz des nahe gelegenen burladero zu erreichen. Zugleich versuchten andere peones (Gehilfen des Stierkämpfers), den Stier mit ihren capas zu beschäftigen und in die Mitte des ruedo zu locken, bis ein neuer banderillero aus dem burladero in die Arena trat. In jeder Hand eine banderilla, erhob er provozierend wieder die Arme hoch über den Kopf. Der Stier musterte neugierig den Mann, den er zu gerne endlich auf die Hörner nehmen wollte. Erst als sich der Torero mit einem unverständlichen Ausruf in flachem Bogen in Lauf setzte, überwog die Angriffslust die Vorsicht des Stieres. Soweit seine Kraft dies noch zuließ, spurtete er ebenfalls in einer ihm vom Torero aufgezwungenen flachen Kreislinie, die ohnehin unvermeidlich sein Tempo drosselte, auf seinen Gegner zu. Die Aktion gelang diesmal besser. Am Kreuzungspunkt der beiden Lauflinien, als der Stier seinen Kopf zum Stoß senkte, gelang es dem Mann, beide Stäbe von senkrecht oben dicht nebeneinander in den Widerrist zu stoßen, nachdem er sich mit kurzem side-step hinter die Hörner gerettet hatte. Die banderillas verankerten sich in der Haut und baumelten regelgerecht herunter. Durch den Schmerz irritiert, warf der Stier den Kopf hoch und nach hinten. Diese Schrecksekunde bis zum Stop und der Wende des Stieres nutzte der banderillero zur Flucht, diesmal gemessenen und Lässigkeit vortäuschenden Schrittes. Der Stier stockte zwar und drehte sich um, ohne jedoch den Mann zu verfolgen. Mit fünf banderillas gespickt, blieb er schwer atmend zwischen dem ersten und zweiten Kreidekreis in der Arena stehen. Offensichtlich zum Unmut der Zuschauer sprangen jetzt zwei Toreros in den ruedo und versuchten, den frustrierten und erkennbar geschwächten Stier mit ihren capas und allerlei Figuren zum Angriff zu locken. Eine solche Ermüdungstaktik der Helfer ist unbeliebt. Der Stier soll ohnehin zu diesem Zeitpunkt seine schon erheblich geminderte Kraft für den Matador aufbewahren.

Der Präsident hatte in diesem Moment bereits sein weißes Taschentuch als Aufforderung für den Beginn des letzten Drittels, tercio de muerte genannt, über die Logenbrüstung gehängt. Da trat dann auch bald der Matador aus einem der burladeros in die Arena und ließ sich, in die Ränge winkend, vorab von seinem Publikum bejubeln. Zugleich begleitete die Musikkapelle kurz diesen Auftritt. Die Trompete leitete den Beginn des letzten Drittels ein. Vor der Loge des Präsidenten zog der Matador seine montera, im linken Arm muleta und Holzdegen, und bat um Erlaubnis, den Stier töten zu dürfen. Dann schwenkte er die montera im Kreis um sich und warf sie hinter sich in den Sand. Damit hatte er den Stier dem Publikum gewidmet. Ihr folgte nun die faena (Gefecht des Stierkämpfers), die Arbeit mit der muleta.

Die muleta – so hatten wir im Unterricht gelernt – ist ein herzförmiges rotes Tuch, das über einem zugespitzten hölzernen Stock gefaltet und doppelt gelegt wird, mit einer scharfen Stahlspitze an der schmalen Seite und einem ausgekehlten Griff an der Breitseite außen. Die scharfe Spitze wird durch das Tuch gestochen, wo auch dieses zu einer Spitze zusammengefaltet ist. Das lose Ende ist mit einer Flügelschraube am Griff befestigt, so daß das Holz die Falten des Tuches trägt. Dabei ist der Stock 60 cm lang, das Tuch hat 120 cm Durchmesser. Da der Holzstab also nicht von der Herzkerbe bis zur Herzspitze reicht, sondern nur bis zur Herzmitte, muß das Tuch in Falten gelegt werden oder fällt ab der Mitte ab. Das ist natürlich sehr viel gefährlicher, weil die so um die Hälfte verkleinerte muleta den Stier viel dichter am Körper des Matadors vorbeiführt. Das geschieht, wenn er die muleta in die linke Hand nimmt. Deshalb wählte hier der Matador den ungefährlicheren Weg. Er nahm die muleta in die rechte Hand und spreizte mit einem Holzdegen, ebenfalls in der Rechten, den roten Flanell ganz auf.

Theoretisch schwer zu verstehen. Ich mache den Versuch, es zu erklären: Der Matador faßt dabei mit der rechten Hand den Stock mit dem, wie beschrieben, daran befestigten Flanell am Beginn des oberen Drittels. Stab und Tuch stehen fast senkrecht zum Arm. Gleichzeitig hält er ebenfalls mit der Rechten den hölzernen Degen am Griff, der im spitzen Winkel von dem Holzstab nach rechts abweist und die Spitze des Flanells erreicht, somit das Tuch aufspreizt. Zu Beginn der faena stand der Matador aufrecht mit geschlossenen Füßen und ohne Bewegung im Profil zur Angriffsrichtung des Stiers und hielt die aufgespreizte muleta in Taillenhöhe. Als der Stier nicht angreifen wollte, ging er ihm mit einigen kleinen Schrittchen entgegen. Er selbst stand dann wieder völlig bewegungslos da. Das war für den Stier zuviel. Er griff die leicht bewegte muleta an, die der Matador langsam hob, dieser ließ das Tier darunter hinwegstürzen und hinter der angehobenen muleta so in die Luft steigen, daß der Schwung des Angriffs es von dem Mann wegtrug. Dieses einleitende Manöver nennt man den pase de la muerte (Todespassage). Die Figur gilt als wenig riskant. Aber der Torero muß dennoch ohne Seitschritt auf der Stelle stehenbleiben, wenn der Stier angreift. Keinesfalls darf er fortlaufen, sonst erntet er das Gelächter des Publikums. Den kurzen Moment bis zur Wende nutzte der Torero, um sich nach einer 90-Grad-Drehung, die einem Viertelkreis entspricht, in Laufrichtung des Stiers auf den nächsten Angriff vorzubereiten. Diesmal stand er frontal zum Stier und führte mit der rechten Hand, in der er das voll aufgespreizte Tuch hielt, den Stier in respektvollem Abstand um sich herum. Dabei drehte sich der Mann in Laufrichtung des Stiers so, daß beide eine kreisförmige Bewegung beschrieben. Auch diese Figur, der sogenannte pase derechazo (rechtshändiger Durchgang), ist unter Fachleuten höchst risikoarm, weil die gespreizte muleta die doppelte Größe bzw. Breite wie die menschliche Gestalt hat und es deshalb ermöglicht, das Tier außerhalb des Gefahrenbereichs mit gebührendem Abstand zum Körper um sich herumzuführen. Nach etwa 4 oder 5 dieser pases zog er plötzlich die muleta abrupt hoch und ließ sie mit gekonntem Schwung über den Rücken des Stieres schleifen, der plötzlich ohne Gegner nach oben stieß und ins Leere schoß. Ohne ausführliche und präzise theoretische Vorbereitungen im Unterricht von Freund Hubert und konzentrierte Beobachtungen des jeweiligen Geschehens hätten sich mir als Laien die einzelnen Abläufe niemals erschließen können.

Der Matador ließ seine muleta zusammenfallen und holte sich nahe der barrera seinen Beifall beim Publikum ab. Die faena wurde weiterhin von einem gedämpften pasodoble der Musikkapelle begleitet. Der Stier stand offenbar frustriert und erschöpft im ruedo und harrte unentschlossen der Dinge, die da kommen würden. Nun näherte sich der Torero dem Stier bis auf wenige Meter. Die muleta nahm er in die linke Hand, ließ den Arm gestreckt hinunterhängen und hielt den Holzdegen in der Rechten. Das Tuch fiel in einer Falte über den Stock. Diesmal frontal, nahm er mit geschlossenen Füßen vor dem Stier Aufstellung. Dazu gehört sicher großer Mut und große Geschicklichkeit. Denn der Mann stand nun unverhüllt vor dem Stier, da die ungespreizte muleta gerade mal die Hälfte der menschlichen Gestalt ausmachte. Das Tier konnte sich also aussuchen, ob es das tiefhängende, wenn ihm auch schon bekannte Tuch oder den Mann als Angriffsziel wählen wollte. Ein leichtes Zucken mit der muleta sollte den Stier zum Angriff reizen. Der aber reagierte nicht. Der Matador wiederholte das Rütteln mit der muleta und verband dies bewegungslos mit einem Zuruf. Nun senkte das erschöpfte und stark blutende Tier seine Hörner, um diese in die ihm vorgehaltene muleta zu stoßen. Vergebens. Das Tuch wurde ihm in kurzer, gleichbleibender Distanz in einem Viertelkreis entführt. Der Matador blieb dabei auf der Stelle stehen. Dann ließ er das Tier körpernah vorbeilaufen und drehte sich selbst in einem Viertelkreis, also um 90 Grad, in Laufrichtung mit. Das Manöver konnte neu beginnen. Dadurch führte er den Stier automatisch um sich herum in eine scheinbare Kreisform hinein. Er selbst blieb nach der ersten Passage der Hörner nah an seinem Körper vorbei in der Körpermitte des Stiers, also hinter den Hörnern, als er das Tier wie einen breiten Gürtel um sich herumwickelte. Er blieb dadurch außerhalb der Gefahrenzone der Hörner. Für den Stier sind diese Drehungen auf engstem Raum sehr schädlich, weil er sich dadurch die Wirbelsäule und auch die Gelenke verrenken kann. Die drei- oder viermal wiederholten scheinbaren Kreise – bestehend aus jeweils vier Viertelkreisen – täuschten sogenannte pases naturales vor, das Fundament jeder muleta- Arbeit. Der korrekte pase natural (natürlicher Vorbeilauf) dagegen birgt höchstes Risiko, weil bei jeder Passage des Körpers in einem Viertelkreis die Hörner des Stiers in Taillenhöhe eng vorbeigehen, während hier der Mann nach einmaliger Passage sich – wie beschrieben – hinter den Hörnern des kurz wendenden Stieres gehalten hatte. Nachdem der Stier wieder einmal auf kurzer Distanz gedreht hatte und von neuem angriff, entließ ihn der Mann mit einem Vorwärtsschwenk der angehobenen muleta von sich weg in den ruedo. Erneut spendete das offensichtlich nicht qualifizierte Publikum begeisterten Beifall. Die relativ risikolosen Manöver mit dem Körper hinter den Hörnern des Stiers, die korrekte pases naturales nur vorgetäuscht hatten, waren in ihrer minderen Qualität nicht erkannt worden. Nun stach der Matador den Degen wieder in die muleta und vergrößerte sie damit auf das nahezu Doppelte. Er nahm sie diesmal in beide Hände, senkte sie ab und schwenkte sie in angemessenem Abstand von seinem Körper aus kurzer Entfernung vor den Nüstern des Stieres, um ihn mit gesenktem Kopf zum Angriff zu locken und rechts an sich vorbeizuführen. Der Stier wirkte zwar wieder etwas erholt, startete aber erst, mißtrauisch geworden, bei dem zweiten Versuch auf das Tuch los, das ohne Widerstand für die Hörner nachgab und das Tier ins Leere laufen ließ. Sein wahrer Gegner drehte sich dabei im Halbkreis. Er veranlaßte dadurch den getäuschten Stier zu einer so engen Wende, daß dieser mit den Vorderbeinen einknickte, einen Moment nur auf die Knie fiel, um dann sofort nach der Wende das ihm diesmal höher vorgehaltene Tuch von der Gegenseite anzunehmen. Während der Passage hob der Matador die muleta an und zog den Stier diesmal mit erhobenem Kopf so hinter dem hochgeschwenkten Tuch her, daß es anschließend über seinen Rücken glitt. Diese Manöver nennt man ayudados. Sie gelten als Test, wieviel Angriffslust und Kraft dem durch die Lanzenstiche, den großen Blutverlust und die banderillas schwer verletzten Tier noch geblieben sind. Das Ergebnis schien unbefriedigend. Denn der Matador zwang den Stier zu weiteren Manövern der beschriebenen Art. Das Tier wirkte dabei bewegungseingeschränkt. Wahrscheinlich hatte es sich bei der letzten, zu kurzen Wende eine Verletzung der Wirbelsäule zugezogen. Durch Schmerzen und fortschreitende Ermüdung wurden die Pausen zwischen den Angriffen immer länger. Die Erschöpfung gestattete dem Matador, so nahe an den Stier heranzugehen, daß er ihm mit der Hand auf die Stirn tapsen und ein Horn streicheln konnte – ein sogenannter adorno. Mit dem Ruf „ Ho Ho Toro “ und mit der tief vorgehaltenen muleta ruckelnd, gelang es ihm alsdann, mühsam einen weiteren Angriff zu provozieren. Als der Stier den Mann passiert hatte, legte der die muleta zusammen, ohne den Stier hinter sich auch nur eines Blickes zu würdigen. Er wußte, von dort drohte keine Gefahr mehr. Das Tier war entkräftet, frustriert und nach der ganzen Folter hilflos.

Das war sein Todesurteil. Der Matador ging an die barrera und tauschte dort bei seinem mozo de estoques den leichten Holzdegen gegen den schweren Stahl.

Mein Puls schlug höher, meine Erregung stieg noch weiter. Ich spürte, jetzt würde wohl bald das Ende des so tapferen Tieres nahen.

Der Matador ging zurück zu seinem Stier, der ihn noch immer bewegungslos erwartete.

Die Spanier nennen diesen Zustand aplomado (schwerfällig, bleiern, matt). Das vor einer Viertelstunde noch so temperamentvolle Kraftpaket wirkte so geschunden und gedemütigt, daß ich nur noch Mitleid mit der gefolterten Kreatur empfinden konnte.

Der Matador baute sich nun wenige Meter vor dem Stier in Profilstellung so auf, daß er dem Stier die linke Hüfte zuwandte. Mit geschlossenen Füßen, in der linken Hand die muleta, visierte er über die waagerecht mit der rechten in Höhe der Kinnspitze gehaltenen Klinge die Schulter des Stieres an. Dort zielte er regelgerecht genau auf die Stelle, wo der Degen eindringen muß. Im Umfang einer großen Münze liegt sie im Nacken zwischen Rückgrat und Schulterblättern. Sie wird aber nur freigegeben, wenn alle vier Beine ein Rechteck bilden und die Vorderhufe möglichst eng beieinanderstehen. Dadurch werden die Schulterblätter von der Wirbelsäule abgespreizt und ermöglichen dem Matador, die so freigegebene Stichstelle (rubios) zu treffen. Wenn es gelingt, den Degen dort in voller Länge einzustechen, durchtrennt der Stahl in seinem Stichkanal die Aorta und tötet das Tier auf der Stelle. Um zu prüfen, ob der Stier der Bewegung der muleta noch genau folgen kann, hob und senkte der Matador das Tuch vor dessen Augen hoch und nieder. Offensichtlich zufrieden mit den Reaktionen des ahnungslosen, erschöpften Tieres, kreuzte der Mann mit dem linken Arm seinen Körper nach rechts, senkte die muleta ab und lief jetzt geradlinig auf den Stier zu, der seinen Kopf in Richtung muleta abgesenkt hatte. Er hatte immer noch nicht erkannt, daß der Mensch sein wahrer Feind war, nicht das Tuch. Für beide Akteure ist das stets der gefährlichste Moment, der sogenannte „Augenblick der Wahrheit“. Der Matador versuchte nun, mit dem linken Arm möglichst weit nach rechts den Stier bei dem zu erwartenden Gegenangriff von seinem Körper wegzuleiten, um dadurch sicherer an den Hörnern vorbeizukommen und den an der Spitze etwas gekrümmten Degen an der beschriebenen Stelle zu versenken. Der Versuch mißlang. Der Torero war aus Sicherheitsgründen dann doch zu weit nach links ausgewichen, um korrekt treffen zu können. Außerdem war der Stahl für eine erfolgreiche estocada viel zu weit hinten auf einen Wirbelknochen oder auf eine Rippe gestoßen. Der Matador ließ daraufhin sofort den von der Wucht des Stoßes wie eine Stahlfeder gebogenen Degen los, bevor dieser zurückschnellte und in die Arena flog. Auf die gleiche Weise folgten sieben weitere Versuche. Entweder schüttelte das getroffene Tier den Degen aus seinem Rücken, oder er flog von selbst durch die Schnellkraft der elastischen Klinge aus seinem Stichkanal heraus in den Sand des ruedo.

Inzwischen hatte der Präsident als Warnung für die erfolgte Zeitüberschreitung des dritten tercios diesmal ein rotes Tuch über die Brüstung seiner Loge gehängt. Er sorgte auf diese Weise dafür, daß zum Schutz des Matadors ein Kampf nicht länger als 20 Minuten dauert. Denn unter Fachleuten heißt es: „Der Stier lernt in 20 Minuten mehr, als ein Mensch in seinem ganzen Leben.“ Erfahrungsgemäß hat der Stier in dieser Zeit soviel gelernt, daß er den Menschen als seinen Feind erkennt und nicht mehr das Tuch. Wenn er alsdann nur noch den Torero gezielt angreift, hat dieser kaum noch eine Chance. Die Nichtbeachtung der Entscheidungen des Präsidenten durch farbige Tücher hat Folgen. Während das weiße Tuch den Beginn eines tercios ankündigt oder dem Matador Ohr bzw. Schwanz gewährt, bedeutet das grüne Tuch, daß ein ungeeigneter Stier gegen einen anderen ausgetauscht werden muß; das rote Tuch warnt sogar zweimal vor Zeitüberschreitungen, bevor das blaue Tuch den Stier lebend aus der Arena entläßt, wenn der Matador nach endgültigem Zeitablauf, d.h. nach der zweiten Warnung mit dem roten Tuch, den Stier nicht getötet hat.

Es ist zwar verständlich, daß ein Matador versucht, einen Stier zu töten, indem er ihm aus sicherer Distanz den Degen in den Hals oder in die Flanke sticht, die das Tier nicht verteidigen kann. Das geschieht zwar ohne großes Wagnis für den Mann, gilt aber als feige und regelwidrig. Deshalb fordert die Regel, die beschriebene münzgroße Stelle im Nacken des Stieres zu treffen, die dieser verteidigen kann. Er gibt sie nur frei, wenn der Matador den Regeln entsprechend seinen Körper in die Reichweite des linken Hornes bringt, um den Degen genau in diese Stelle stoßen zu können. Das bedeutet logischerweise ein hohes Risiko für den Torero und erfordert besondere Geschicklichkeit, wenn er dabei die große Gefahr vermeiden will, von dem Stier erwischt und aufgespießt zu werden.

Auch bei dem insgesamt achten Versuch – ich habe entsetzt mitgezählt – ging der Akteur dieses Risiko nicht ein. Er begleitete den Degen nicht auf dem ganzen Weg mit seinem Körper, als es ihm mit Glück diesmal gelang, wenigstens die Hälfte der Klinge zu versenken, weil der Stier auch dann meist schon stirbt, er selbst aber in größerem Sicherheitsabstand bleibt, als wenn er die Klinge in ganzer Länge hineinbringen müßte. Der Degen traf das Tier trotzdem zu weit seitlich und zu weit hinten. Er hatte offenbar in die Lunge gestochen. Denn bald danach brach ein dicker Blutstrahl aus dem Maul. Aber der Stier brach immer noch nicht zusammen. Er gab schreckliche Laute von sich, mehr ein Röcheln oder Gurgeln, weil er mit dem Ersticken zu kämpfen schien. Längst schon wurden die regelwidrigen Aktionen des Matadors von gellenden Pfiffen begleitet. Die erbärmliche, stümperhafte Stecherei quittierte das Publikum mit Empörung. Es hatte die Ränge in einen Hexenkessel verwandelt. Der Matador gab nun endlich auf. Zwei seiner Helfer versuchten, das qualvoll sterbende Tier mit ihren capas nach rechts und links zu bewegen. Dadurch sollte der Degen tiefer in die Stichwunde eindringen. Es half alles nichts. Das Tier konnte nicht sterben, bis ein dritter Helfer mit einem kurzen Dolch im Nacken hinter dem gesenkten Kopf zwei Wirbel durchtrennte. Wie vom Blitz getroffen brach der Stier zusammen, stürzte zunächst auf die Seite und dann auf den Rücken. Alle vier Beine ragten starr in die Luft. Ich war entsetzt!!

Und so etwas schauen sich Leute ständig an! Was mögen die wohl empfinden, dachte ich, und wäre am liebsten schon weggegangen.

Mit einem Maultiergespann wurde nun der Kadaver hinausgeschleift. Dann kamen Arenadiener, die den Sand des ruedo wieder glätteten und das Blut im Sand verscharrten. Auch die weißen Linien für die Abgrenzung der tercios mußten neu gezogen werden. Der ruedo war für die nächste Paarung vorbereitet.

Sprung über die barrera – der zweite Stier

Ein arenero drehte nun im ruedo eine an einer Stange befestigte Tafel mit Alter und Gewicht des nächsten Stiers für alle Zuschauer mehrmals rundum. Kaum hatte der Arenadiener den ruedo verlassen, wurde der toril geöffnet, das Tor, aus dem der zweite Stier in den ruedo stürmte. Er mußte geblendet sein, weil er aus dem abgedunkelten chiquero kam, einer Box, in der die Stiere nach der Trennung die letzten vier Stunden vor dem Kampf verbringen. Es war ein herrlich gebautes und proportioniertes Tier, das wild mit hoch erhobenem Kopf in rasanten Sprüngen in eine ihm unbekannte Welt galoppierte. Unter dem schwarzen, glänzenden Fell wölbten sich die prallen Muskeln an der Brust, im Nacken und an den Schultern, während er den mächtigen, dreieckigen Kopf hin und her warf. Da drängt sich wohl jedem unbefangenen Zuschauer der Gedanke auf: So ein Kraftpaket, wie du nach längstens 20 Minuten aussiehst!! Ein blutiges, verwundetes, gefoltertes Tier, nur zum Vergnügen von abgestumpften, zutiefst brutalen und perversen Menschen! Wie dein Vorgänger hast auch du gegen diese bewaffnete Meute keine Chance.

Schon warteten an der barrera die Toreros . Sie führten ihn im Kreis an ihren ausgebreiteten capas vorbei, ließen die für das beachtliche Gewicht geschmeidige Gestalt und die vollendete Sichel seiner armdicken Hörner mit den hellen Spitzen in wildem Galopp vorbeistürmen. Die Menge brüllte vor Begeisterung! Aus schnellem, kurzem Spurt sprang ein Torero hinter den sicheren burladero. Der Stier, der bisher nur auf die bewegte capa konzentriert war, prallte nun mit voller Wucht so gegen die hölzerne Wand, daß der Widerstand den massigen Körper so hoch hob, daß das Tier, nur noch auf den Hinterhufen stehend, mit dem Kopf über den barrera- Rand hinaufgewuchtet wurde und das Holz der Bretterwand von dem Aufprall krachte. Der hat keinen heilen Knochen mehr im Leib, bemerkte meine Nachbarin. Entsetzt mußte ich ihr zustimmen. Das schaute wirklich so aus. Aber das ganze Manöver hatte Methode, um das Tier systematisch zu ermüden und zu schwächen. Der Stier schien zusätzlich gereizt, zeigte keine Verletzungsspuren und jagte hinter jeder ihm vorgehaltenen capa her, während seine Gegner behende hinter einen schützenden burladero sprangen, um ihm alsdann durch den offenen Spalt die capa wechselnd vorzuhalten. Der Stier durchschaute diese Finte nicht und rammte immer wieder mit seinen Hörnern die Bretterwand. Was soll dieser Unfug? Gehört diese sinnlose Hatz auch zu einem Stierkampf, fragt sich der nicht informierte Zuschauer. Der aficionado weiß, daß das Ziel dieser Übung neben der vorzeitigen Ermüdung die Beobachtung seiner Angriffsform ist und mit welchem Horn er zuerst zustößt. Dies zu wissen, ist für den Matador hinter der barrera überlebenswichtig. Die Intensität und Dauer einer solchen Vorführung liegt auch im Interesse eines zweitklassigen Matadors , erfolgt wahrscheinlich sogar in seinem Auftrag. Nun lockte ein von der Gegenseite in die Mitte des ruedo gelaufener Torero den Stier mit seiner capa, der nach kurzem Zögern auf ihn zustürmte und plangemäß alsdann hinter dem fliehenden Mann herstürmte. Das Spiel wiederholte sich. Der Torero sprang hinter den burladero und wedelte mit der in den ruedo gehaltenen capa. Diesmal mißlang das Manöver. Der Angreifer schien begriffen zu haben. Er stoppte aus dem vollen Lauf vor der barrera, ohne ein weiteres Mal gegen die Bretter zu donnern. Nach wenigen Schritten rückwärts stieß er zwar noch einmal in die ihm aus dem Spalt im burladero vorgewedelte capa. Aber dann wandte er sich einfach ab. Inzwischen war der Matador erschienen und lenkte die Aufmerksamkeit des Stiers auf sich. Nach einem kurzen Kreuzzeichen kniete er mit dem rechten Bein nieder. Aus dieser Stellung muß das kraftvolle Tier noch viel bedrohlicher erschienen sein, als aus dem Stand. Mit ausgebreiteter capa beobachtete er seinen Gegner wenige Sekunden, bevor er den Umhang locker bewegte. Der Stier justierte und galoppierte dann erwartungsgemäß los, aber nicht auf den ungeschützt und wehrlos vor ihm knienden Mann. Er lenkte vielmehr seinen Hornstoß mit gesenktem Kopf nur knapp an dessen Körper vorbei in das mit beiden Händen nach rechts geführte Tuch. Der Angriff ging natürlich ins Leere. Während der Stier seinen Lauf bremste, um sich nach schneller Wende wieder seinen vermeintlichen Gegner, nämlich die capa, vorzunehmen, hatte der Matador den Umhang links von seinem Körper ausgebreitet. Er selbst kniete dabei weiter in unveränderter Stellung. Er blieb dabei völlig bewegungslos, und erwartete also den Angriff aus seiner Position von hinten. Ein leichtes Rütteln der capa genügte, der Stier stürzte nach kurzem Zögern nach vorne los. Seine Hörner versuchte er in das zappelnde Tuch zu bohren, das aber keinen Widerstand bot, ein für das Tier wohl frustrierendes und gleichzeitig provozierendes Erlebnis. Der Matador blieb verschont und erhob sich unter frenetischem Beifall seiner Bewunderer. Das Geheimnis seiner Unversehrtheit lag in seiner Ruhe. Er kniete völlig unbeweglich. Der Stier darf an seinem Körper keinerlei Bewegung wahrnehmen. Bewegen darf sich nur die capa. Der Matador darf auch niemals mit dem Profil zu ihm stehen bzw. knien, sonst sähe das Tier die Atembewegung der Brust und würde möglicherweise nicht die capa, sondern den Menschen angreifen. Damit soll mit dem Aberglauben aufgeräumt werden, das „rote Tuch“ sei Anreiz für den Angriff. Der Stier reagiert niemals auf Farben, auch nicht auf Rot, sondern auf Bewegungen. Der Empfang des Stieres im Knien aber war eine wohl nicht sehr häufige Einleitung von Paraden, mit denen der Matador das Verhalten seines künftigen Opfers testet. Wiederum stand er deshalb still, als der Stier erneut anstürmte. Dabei bewegte er die capa langsam mit beiden Armen vor den Hörnern des Stiers hin und her. Dann ließ er mit einer langsamen Bewegung der capa die Hörner des Stiers dicht an seinem Körper vorbeigleiten. Das gleiche gelang ihm, als der Stier versuchte, auf kürzerem Raum als seiner eigenen Körperlänge zu wenden, um einen neuen Angriff zu starten. Diese Manöver, im einzelnen schon beschrieben, heißen verónicas und wurden fünfmal nacheinander ausgeführt. Nach dem sechsten Angriff von vorne ließ der Matador den Stier passieren und beendete die Manöver mit dem Rücken zum Stier durch einen Rundschlag mit der capa, die er in der rechten Hand hielt, und ging in Richtung barrera. Die capa zog er hinter sich her, blieb stehen, verneigte sich vor dem Beifall zollenden Publikum. Die Figuren hatten ihm genutzt, um herauszufinden, ob der Stier auf beiden Augen sieht, welches Horn er beim Stoß bevorzugt, ob er gerade läuft oder dazu neigt, abzuschneiden, wenn er zum Angriff startet. Dann stellte er sich erneut dem Stier zu einem chicuelina, einer Passage, die von einem Torero namens Chicuelo erfunden wurde. Die capa in beiden Händen rechts neben dem Körper, die rechte Hand höher als die linke, provozierte der Matador den Angriff, ließ den Stier passieren und machte eine Pirouette, bei der er sich die capa um seinen Körper wickelte, während der Stier wendete. Nach Abschluß der Pirouette stand er dann wieder dem Stier gegenüber in Bereitschaft, ihn mit einer neuen Parade zu empfangen. Ob es wohl doch Folgen innerer Verletzungen nach dem brutalen Aufprall gegen die barrera waren oder fehlendes Temperament: Der mächtige Koloß blieb schwer atmend auf der Stelle stehen. Der Rumpf blähte sich und gab wieder nach bei den schnellen Atemstößen. Man konnte glauben, er überlege sein weiteres Vorgehen. Jetzt war die Reihe am Matador, die nächste Aktion einzuleiten. Das tat er auch dann. Mit ganz kurzen Trippelschrittchen und Bewegungen mit der capa näherte er sich dem Stier von etwa 4 oder 5 Metern bis auf etwa 1,5 m. Offensichtlich sah er am Verhalten des Stieres die nun unmittelbar bevorstehende neue Attacke, denn er blieb regungslos stehen, nur die Falten der capa zeigten Bewegung. Das reichte, um die Aufmerksamkeit des Tieres von seiner Person auf den ihm angebotenen, wackelnden Umhang zu lenken. Und sogleich stieß der wieder orientiert wirkende Stier ohne Zögern in die Attrappe als den vermeintlichen Gegner. Als danach die Angriffslust erneut erloschen zu sein schien, gab der Präsident aus seiner Loge das Zeichen für das Ende dieses „Vorspiels“, und ein Trompetensignal verkündete zugleich den Beginn des ersten Drittels von drei Akten, die spanisch „ los tres tercios de la lidia “ heißen oder die drei Drittel des Kampfes.

Die picadores waren inzwischen schon aufgestellt. Zwei Toreros bemühten sich durch auffälliges Wedeln mit ihren capas, den Stier in Richtung barrera zu locken, wo er von einem berittenen Lanzenträger bereits erwartet wurde. Der Geruch des Pferdes und dessen langsame Bewegung mit verbundenen Augen und zugestopften Ohren genügten, um den gewünschten Erfolg, d.h. den Angriff des Stieres, auszulösen. Aber mit dem ihn erwartenden Empfang hatte er wohl nicht gerechnet. Der große, schwere Mann wuchtete ihm von oben die Lanze viel zu weit hinten in den Rücken, ohne den Angriff stoppen zu können. Der Stier bohrte weiter seine Hörner in den peto des Pferdes. Erst das verbotene Drehen der mit Kordel umwickelten Stahlspitze der Lanze in der Wunde ließ das Tier einen halben Schritt zurücktreten, um dann mit neuer Wucht zuzustoßen. Er versuchte, das Pferd mit tief gesenktem Kopf hochzuheben, während der picador in den Steigbügeln stand und sich bemühte, die Lanze mit seinem ganzen Körpergewicht noch tiefer in die Wunde zu treiben. Alle drei Matadore hatten sich während des ganzen Manövers in der Nähe aufgehalten. Sie eilten nun herbei, um den Stier mit ihren capas fortzulocken, was der nur widerwillig akzeptierte. Es gelang ihnen, das Tier ein Stück weit in den ruedo zu führen, um es alsdann wieder auf das neu in Stellung gebrachte Pferd zu lenken. Der Stier zeigte dafür wenig Begeisterung. Deshalb entschloß sich der picador, das Pferd zu drehen und ihm langsam entgegenzugehen. Bei der jetzt folgenden Begegnung konnte der picador dem anstürmenden Stier nicht ganz ausweichen. Dieser erwischte das Pferd, nahm den vorderen rechten Lauf von unten zwischen die Hörner und hob Pferd und Reiter hoch, um dabei nicht regelgerecht im morillo, sondern erneut weiter hinten im Rippenbereich die pica zu empfangen. Mit solchen Mißhandlungen zerstört man auch gute Stiere, insbesondere dadurch, daß der picador sich schon wieder aus dem Sattel hob und mit dem ganzen Körpergewicht auf die vara stützte. Dabei riß offensichtlich der Sattelgurt. Der picador stürzte zu Boden und dem Stier direkt vor die Hörner. Der aber versuchte blitzschnell, dieses Angebot in seinem Sinne zu nutzen. Mit der Nase rollte er den Körper seines Gegners einige Umdrehungen weiter, spießte ihn, nun für die Hörner leicht erreichbar, auf und warf ihn die Luft. Das Publikum schrie auf. Aber es war außer der unsanften Landung im Sand nicht allzuviel passiert. Bevor der Stier zum nächsten Wurf ansetzen konnte, machten alle drei Matadore die quite. Sie sprangen kühn unmittelbar vor das plötzlich erfolgreiche und deshalb hoch animierte Tier. Mit ihren capas gelang es ihnen in zwei, drei Versuchen, den Stier von Pferd und Reiter fortzulocken. Denn der Stier sah außer dem Mann ja nun auch das scheuende Pferd, ein weiteres willkommenes Opfer. Quite nennen die Spanier das Fortholen des Stiers von jedem, der von ihm in unmittelbare Gefahr gebracht worden ist. Der picador konnte sich ohne fremde Hilfe selbst erheben, mußte aber wegen seiner sperrigen Schutzmontur aus Metall von zwei Helfern hinter den nahen burladero, das Pferd indes in Gegenrichtung zum Ausgang geführt werden. Unterdessen traten aus der Mitte des ruedo die Matadore, gefolgt von dem noch immer aufgebrachten Stier, ihren nicht ganz ungefährlichen Rückzug in Richtung barrera an.

Ein Trompetenstoß beendete das erste Drittel. Der Weg wurde frei für die banderilleros. Der zweite Akt begann. Der Stier stand derweil enttäuscht schnaubend und mit den Vorderhufen scharrend da, als er den ersten banderillero aus der Entfernung mit hoch erhobenen banderillas wahrnahm. In breiter Bahn lief das Blut aus den ihm zugefügten großen Wunden über die Flanke und tropfte teilweise in den gelben Sand. Der wohlgeformte breite Schädel wiegte hin und her. Erst als der Mann sich aus einem Viertelkreis heraus in die zu erwartende Angriffsrichtung in Bewegung setzte, startete auch der Stier ihm entgegen. Vor der Begegnung kreuzte der banderillero den Lauf des Stiers. In dem Augenblick – falls ich das richtig wahrnehmen konnte –, als der Stier den Kopf senkte, um seinen Gegner aufzuspießen, wich dieser kurz seitlich aus und placierte die Stöcke sofort nach dem Passieren der Hörner in den unteren Muskelhöcker im Nacken des Stiers. Dabei drehte er sich ganz schnell von der frontalen in die Profilstellung zum Stier, so daß man glauben konnte, er werde das vom Blut gerötete Fell streifen. In kurzen Sprüngen eilte er wohl erleichtert hinter den sicheren burladero, für den Stier nicht mehr erreichbar, weil sich der, zunächst geschockt über die in seinem Nacken gesteckten Spieße, die sich mit ihren Widerhaken unter dem Fell festhielten, nicht auf der Stelle drehen konnte, um nach dem völlig unbewaffneten Feind zu stoßen. Er verharrte sogar nach dem Stop zunächst ratlos auf der Stelle. Als hätte er eine Entscheidung getroffen, trabte er schließlich in seine querencia an der barrera auf der Sonnenseite des ruedo und suchte, an ihr entlanglaufend, nach einem Ausgang. Jeder Stier hat irgendwo im ruedo eine Stelle, an der er sich am sichersten fühlt, und an der er sich am liebsten aufhält. In der Regel ist das irgendwo an der barrera. Von dort ist er auch am schwersten wegzulocken. Für den Torero ist es zudem auch gefährlich, ihn dort abzuholen, zumal er von der Mitte her kommt und beim Angriff des Stiers einen weiten Weg bis zum schützenden burladero hat. Aber die Möglichkeit, einen Ausgang zu finden, war dem Stier versperrt. Einmal im ruedo, gibt es keinen Weg zurück! Feige nennen die Spanier solche Stiere, die sich nicht, wenn auch selbst chancenlos, bis zuletzt immer wieder zum Angriff stellen. Aber warum soll ein Stier feige sein, wenn er erkennt, daß er gegen Lanzen und Spieße letztlich keine Chancen hat. Hier verwechseln sadistische Tierquäler Feigheit mit einer natürlichen Angst aller Lebewesen vor dem Tod durch einen nicht besiegbaren Feind.

Angst entwickeln die in Freiheit auf riesigen Weideflächen aufgewachsenen Stiere in nur seltenen Fällen in der Enge des ruedo mit verriegeltem Ausgang unterhalb der mit Menschen gefüllten Ränge, auch ohne vorher blutig bekämpft worden zu sein. Sie wollen zurück in die Freiheit und versuchen, einen Fluchtweg zu erzwingen. Das geschah am 18. August 2010 im nordspanischen Tafalla in der Region Navarra. Bei einem Wettkampf von recordadores floh das unverletzte Tier aus der Arena mit einem gewaltigen Satz über die barrera, überwand sogar den callejón (Gang hinter der barrera) und landete mit einem weiteren Sprung in den Zuschauerreihen. Recordadores sind Akteure, die den Stier nicht töten, sondern ihn nur zum Angriff reizen, um ihm dann auszuweichen, aber stets in seiner Nähe bleiben. Auf seinem weiteren Fluchtweg über die Stufen nach oben entstand Panik unter den kreischenden Menschen. Die Tageszeitung „Diario de Navarra“ berichtete über einen Mann, den das Tier mit den Hörnern aufspießte, und einen 10jährigen Jungen, der schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht wurde. 30 Besucher wurden verletzt. Fernsehsender in aller Welt zeigten dramatische Szenen, bevor das außer Kontrolle geratene Tier nach ca. 15 Minuten getötet wurde.

Auch das gehört zum spanischen „Kulturerbe“.

Viel Zeit blieb dem geschundenen und schwer verletzten Stier nicht. Schon erschien der nächste banderillero und näherte sich von der Mitte des ruedo her der Sicherheitszone. In den hoch erhobenen Händen zwei hin und her bewegte banderillas haltend, suchte er mit kleinen Trippelschrittchen die Aufmerksamkeit des Stiers auf sich zu lenken. Der aber zeigte wenig Lust zum Angriff. Aber ihm blieb keine andere Wahl. Als sich der Torero bis auf wenige Meter genähert hatte, folgte der Stier seinem Instinkt. Mit gesenktem Kopf ging er auf seinen Gegner los. Der wiederum drehte sich nach einem side-step ins Profil, ließ aus für ihn ziemlich sicherem Abstand die Hörner passieren und versenkte dann die beiden banderillas viel zu weit hinten in den Rippenbereich anstatt in den Muskelhöcker. Hier zeigen sich Mut, Erfahrung und Geschmeidigkeit des Toreros. Nur wenn er, meist auf Zehenspitzen mit aufrechtem Körper und hoch erhobenen Armen, die Hörner eng an seinem Körper vorbeistreifen läßt, kann er kurz dahinter die Stöcke im morillo placieren. Alle diese Fähigkeiten fehlten offensichtlich bei dieser Aktion. Wieder verharrte nun der erfolglos gebliebene Stier. Jetzt aber geschah etwas völlig Unerwartetes und wahrscheinlich auch Seltenes. Das Tier drehte sich um, nahm einen beherzten Anlauf in Richtung barrera im Bereich seiner querencia und versuchte, mit einem mächtigen Sprung den roten Zaun zu überspringen. Das Manöver mißlang. Die Sprungkraft des verletzten Stieres reichte nicht mehr aus, um den massiven Körper über die ca. 1,5 m hohe barrera zu wuchten. Es reichte gerade noch für den vorderen Körperteil. Mit dem Bauch blieb das schwere Tier auf der Kante hängen. Die Hinterbeine suchten vergebens nach Halt im Luftraum. So schwankte der Stier in Panik leicht nach vorn und zurück nach hinten auf der Holzkante. Ein grotesker Anblick. Ein gellendes Pfeifkonzert von den Rängen galt nicht den Toreros als den verantwortlichen Initiatoren dieser Situation, sondern ausschließlich dem bemitleidenswerten, gequälten Tier, das dem vergnügungsträchtigen Publikum die blutige Show zu stehlen drohte. Um dem makaberen Anblick ein schnelles Ende zu setzen, eilten zwei Toreros heran und versuchten, das Tier am Schwanz und an den Hinterbeinen in den ruedo zurückzuziehen. Aus dem Gang hinter der barrera flohen die Gehilfen und Händler nach beiden Seiten davon. Einer kehrte sogleich zurück und schlug oder stach mit einem Gegenstand auf den Stier ein, um ihn zurück in den ruedo zu drängen, obwohl das Tier völlig hilflos auf der Bretterwand hing. Schließlich fiel der Stier zurück in den Sand, knickte mit den Hinterbeinen ein und überschlug sich mit seinem massigen Körper nach hinten, lag kurz auf dem Rücken, rollte zur Seite ab und sprang wieder auf die Beine. Die aficionados nennen einen solchen Fluchtversuch feige. Aber was ist daran feige, wenn das Tier nach den bisher erlebten Aktionen zu Recht überhaupt keine Chance sah, sich gegen seine mit Lanzen und Spießen bewaffneten Gegner zu wehren?

Jeder vernünftige Mensch würde ebenso handeln. Und weiterkämpfen wollte er eben nicht.

Das gellende Pfeifkonzert galt wahrscheinlich auch dem Züchter, der in solchen Fällen erheblichen Imageschaden erleidet. Der dritte banderillero verzichtete wohl auf Anweisung des Matadors auf seinen Auftritt. An seiner Stelle betrat der Chef jetzt mit der muleta in der rechten Hand den ruedo, um vielleicht doch noch das geplante Spektakel zu retten. Bevor er sich jedoch dem Stier nähern konnte, lief dieser erneut an der barrera entlang in Richtung seiner querencia. Diesmal traten ihm die Helfer des Matadors mit ausgebreiteten capas entgegen, um ihn von Mann zu Mann zur Umkehr und damit auf seinen wahren Gegner, den Matador , hinzuleiten.

Häufig werden derart unerwünschte Szenen dadurch vermieden, daß bei einem ungeeigneten Stier ein Dutzend Ochsen in den ruedo geführt werden. Diese kastrierten Bullen nehmen sogleich den Stier in ihre Mitte. Dieser wiederum reagiert im Kreis seiner Artgenossen ganz beruhigt, als fühle er sich nun sicher, und läßt sich mit den Ochsen von einem Treiber willig hinausführen. Er ahnt nicht, daß in der Schlachterei neben den Stiergehegen die Metzger bereits auf ihn warten. Kein Stier hat da eine Chance. Das Betreten des ruedo bedeutet zugleich sein Todesurteil. Entweder er stirbt im Sand des ruedo oder im Schlachthof dahinter. Das ist sogar gesetzliche Vorschrift, weil ein Kampfstier niemals ein zweites Mal zum Einsatz kommen darf, weil er eben erfahrungsgemäß in sehr kurzer Zeit mehr lernt, als ein Mensch in seinem ganzen Leben. Ein trauriges Werturteil für den Menschen! Jedenfalls steht fest, daß der Stier während einer Veranstaltung den Schwindel mit dem Tuch durchschaut. Sein Instinkt gibt ihm zwar vor, hinter jeder Bewegung von Mensch oder Tuch seinen Gegner zu suchen und anzugreifen. Aber er lernt, entgegen seiner Veranlagung, auch schnell herauszufinden, daß der Mensch, und nicht das Tuch oder auch das Pferd, sein Feind ist, den es zu attakkieren gilt. Das aber wäre das sichere Ende der in ihrer List durchschauten Toreros trotz jahrelanger Ausbildung.

Nicht der Metzger, sondern der Matador sollte diesmal den Tod bringen. Statt der Ochsen stoppten drei Helfer den Fluchtversuch des kampfunwilligen Tieres und wendeten ihn mit ihren capas in Richtung des wartenden Matadors . Dieser stellte sich so vor dem Stier auf, daß er ihm eine Hüfte zuwandte, hob mit beiden Händen die durch den Holzdegen aufgefaltete muleta in Hüfthöhe und erwartete ohne jede Bewegung den Angriff. Bald standen sich beide Kontrahenten auf wenige Meter Abstand gegenüber. Der Stier zögerte, blieb aber mit erhobenem Kopf einfach stehen und musterte die Situation. Die Reihe, etwas zu tun, war am Matador . Er ging mit kleinen, trippelnden Seitschrittchen bis auf etwa einen Meter auf den Stier zu und blieb wieder regungslos stehen. Endlich war es soweit. Der Stier senkte den Kopf und stieß nach vorne in das ihm tief vorgehaltene Tuch. Erst ganz kurz vor den Hörnern riß dann der Matador die muleta hoch. Der Stier folgte dem Tuch mit ebenfalls schnell erhobenem Kopf und stürzte ziemlich dicht an seinem Gegner vorbei. Die Aktion erfolgte so plötzlich und schnell, daß er sich mit den Hörnern in der muleta verfing und sie dem Matador aus der Hand riß. Sogleich sprangen aus dem nahe gelegenen burladero zwei banderilleros aus seiner cuadrilla und lenkten mit ausgebreiteten capas den Stier von dem nun schutzlosen Mann ab. Das gab diesem Gelegenheit, seine vom Stier einige Meter weit mitgeschleifte muleta wieder an sich zu nehmen und sich erneut seiner faena -Arbeit zu widmen. Auf die Beschreibung der nun folgenden Manöver verzichte ich zur Vermeidung von Wieder­holungen. Die letzte Serie von pases naturales schien auch für den Nichtfachmann deshalb besser als bei seinem Vorgänger gelungen zu sein, weil ich gelernt hatte, daß eine solche Serie meist mit einem pase de pecho (Brustpassage) abgeschlossen wird, dies aber nur möglich ist, wenn der Mann sich nicht hinter den Hörnern aufhält, sondern den Stier mit den Hörnern körpernah passieren läßt und dann die zunächst tief gehaltene muleta in der Linken am Ende der Figur ruckartig hochreißt und so den Stier ohne Gegner in den ruedo entläßt. So geschah es auch hier. Der Matador riß das Tuch ruckartig hoch und ließ es über den Rücken des von sich weggeleiteten Stieres gleiten. Die Angriffslust des überraschend aufgewachten Stieres aber war nun verbraucht. Er folgte nach seiner Wende der ihm vorgehaltenen muleta einfach nicht mehr, sondern blieb stehen und verweigerte weitere Angriffe. Alle Bemühungen des Matadors blieben ohne Erfolg. Auch das „Ho Ho Toro“, das er dabei ausrief, half nicht. Er näherte sich dem Stier bis zu den Hörnern, rieb seine linke Hand über dessen Stirn und zog sie dann über das linke Horn. Das wollte ich nun doch durch mein Fernglas vergrößert sehen. Mit leerem Blick in die Ferne, als denke er über etwas nach, stand der Stier unbewegt da, dem Geschehen im ruedo völlig entrückt. Über die mir zugewandte Flanke zog sich eine breite Blutbahn. Der Matador gab auf. Er begab sich an die barrera und ließ sich von seinem ihm immer auf gleicher Höhe im callejón gefolgten mozo de estoques den stählernen Degen reichen. Wie schon beschrieben, stellte sich der Matador den Stier zunächst in einem Abstand von einigen Metern zurecht und visierte dann mit vorgeschobener linker Schulter über den in der rechten Hand in Kinnhöhe gehobenen Degen sein Ziel an. Ich sah nur noch, wie er seinen Körper straffte und auf den Stier zulief, bis er an den Hörnern vorbei war. Der Versuch, den Degen im Nacken des Stiers neben der Wirbelsäule zwischen den oberen Rippen hindurch zu versenken, mißlang wieder einmal völlig. Das schon von den Lanzen, den banderillas und dem mißglückten Sprung über die barrera schwer verletzte Tier zuckte zusammen und schüttelte den offenbar nur bis auf einen Knochen eingedrungenen Degen aus seinem Rücken heraus. Der Degen flog in die Luft, überschlug sich und landete im Sand. Die Erschöpfung ließ das von seinen Peinigern zum Vergnügen oder zumindest zur Unterhaltung tausender sadistischer Menschen gequälte Tier auf der Stelle verharren. Der Stier verlor Urin. Das Manöver wurde wiederholt. Noch einmal senkte der Stier seinen Kopf und fixierte die über den Stock zum Teil aufgerollte – sie würde sonst über den Boden schleifen – tief gehaltene muleta. Ein kurzes Zucken mit dem Tuch. Der Stier ließ sich mit letzter Kraft noch einmal zum Angriff verleiten. Der Matador bewegte sich gleichzeitig auf das Tier zu. Und wieder ragte der Degen aus seinem Nackenmuskel heraus, als der Matador vergebens versucht hatte, ihn zwischen den Schultern zu versenken. Er muß den Handgriff des Degens sofort loslassen, sonst droht ihm eine Verletzung des Handgelenkes. Bei einem Aufbäumen des Stiers schüttelte dieser zugleich mit der Kraft seiner Muskulatur den Degen erneut in die Luft, bevor er wieder im Sand des ruedo landete.

Was mag bei solchen Grausamkeiten das hilflose, schwer verletzte Tier empfinden? Ein Mensch würde sicher um Hilfe rufen oder gar um Gnade bitten in seinem Elend. Der Stier aber mußte das Martyrium bis zum bitteren Ende durchstehen. Er hatte aufgrund des Reglements keine Chance. Ich fühlte mich angewidert. Zu gerne hätte ich dem Tier mit gleichen Mitteln – man möge mir verzeihen – geholfen. Insbesondere deshalb, weil sich dieses primitive und die Akteure in meinen Augen zutiefst erniedrigende bestialische Ritual weitere drei Male wiederholte. Teilnahmslos, zu einer erfolgreichen Gegenwehr außerstande, ließ der Stier dieses schändliche Gemetzel über sich ergehen. Bei seinem letzten Versuch hatte der „Held“ wieder einmal, wie sein Vorgänger, sein jämmerliches Werk mit einem für ihn ungefährlichen Lungenstich von der Seite gekrönt. Der Stier erlitt als zwingende Folge einen Blutsturz, begleitet von kräftigen Konvulsionen am ganzen Körper. Das ist ein sich in Serien wiederholendes tonisches Krampfgeschehen der Muskulatur. Es wechseln dabei kurze Muskelkontraktionen mit kurzen Entspannungsintervallen, ausgelöst im Krampfzentrum des Gehirns oder Rückenmarks. Aber auch dieser Stier fiel selbst dann nicht um, als die banderilleros herbeieilten, um das sterbende Tier mit Schwingen ihrer capas aus unmittelbarer Nähe zu wechselseitigen Bewegungen zu veranlassen, wieder mit dem Ziel, den Stichkanal des Degens zu erweitern und zu vertiefen. Dabei gerät Luft in die entstandene Wunde und führt auch zu weiterem Blutverlust. Dazu führt die an der Spitze für leichteres Eindringen in die Muskulatur nach unten gebogene, etwa 75 cm lange Klinge eine oder mehrere Rinnen längs des Klingenrückens, damit sie nicht als Pfropf für die Wunde dient. Das Tötungsinstrumentarium ist also, wie man sieht, raffiniert durchdacht. Dennoch blieb der Erfolg aus. Jetzt half nur noch der descabello (Genickstoß), den der Matador selbst ausführte. Während der schwer verwundete Stier seinen Kopf tief in die muleta gesenkt hatte, stach er mit dem Degen zwischen die ersten Halswirbel unterhalb der Schädelbasis und durchtrennte damit das Rückenmark. Das kraftlose, dem Tod längst ergebene Tier brach daraufhin auf der Stelle zusammen. Es wirkte auf mich albern fürsorglich, als ein banderillero zusätzlich mit einer puntilla (Dolch mit breiter Schneide) in die Wunde stach, um damit endgültig den Eintritt des Todes zu sichern.

Ein gellendes Pfeifkonzert begleitete wieder dieses schauerliche Geschehen. Das Opfer war vollbracht.

Tradition, Kultur, ja sogar Kunst nennen die Spanier ihre corridas!! Darüber wird später zu diskutieren sein. Meine Begleiterin war so erschüttert und angeekelt, daß sie die Pause für das Hinausschleifen des toten Tieres nutzen wollte, um die Stätte des Grauens fluchtartig zu verlassen. Wie sich herausstellen sollte, wäre es jedenfalls für sie noch schlimmer gekommen, wenn sie denn geblieben wäre. So begleitete ich sie aus den Rängen die Treppen hinunter bis in den Rundgang im Innern der plaza. Wir verabredeten uns für einen Kaffee in dem Lokal, in dem wir vor der Veranstaltung einen Imbiß genommen hatten. Dann kehrte ich mit Genehmigung eines Kontrolleurs, der beim Verlassen des Ausgangs mein Ticket mit einem Zeichen markiert hatte, wieder an meinen Platz zurück. Eigentlich hatte auch ich schon genug gesehen, wollte aber nun doch das Ende dieser Veranstaltung erleben, um mir ein eigenes Urteil über diese Art der in Spanien bekanntlich verwurzelten Form von Unterhaltung machen zu können.

Nun werden die Freunde des Stierkampfes sagen, gerade das Pfeifkonzert habe doch gezeigt, daß dies nicht der Regelverlauf des Rituals sei. Die Technik des Tötens bei einem erfahrenen Matador sähe völlig anders aus.

Man muß zunächst wissen, daß ein Stier, anatomisch bedingt, nicht durch einen Degenstich ins Herz getötet werden kann. Der Degen ist zu kurz, um das Herz zu treffen, auch wenn er an der hierfür bestimmten Stelle hoch oben zwischen den Schulterblättern hineingestoßen wird. Dort geht er vielmehr an der Wirbelsäule vorbei, zwischen den obersten Rippen hindurch, und durchschneidet bei korrekter Ausführung die Aorta. Falls dies der Matador schafft, bricht der Stier sogleich tot zusammen. Für das Gelingen einer solchen Aktion benötigt der Töter aller­dings auch Glück. Denn die Spitze des Degens darf weder die Rippen noch die Wirbelsäule treffen. Außerdem muß das Tier beim Stoß den Kopf unten halten. Bei angehobenem Kopf oder auch in normaler Kopfhaltung ist der Degen nicht lang genug, um über die Hörner hinweg bis auf die Schultern und in den Körper bis zur Aorta zu reichen. Der Stier gibt aber, wie schon geschildert, nur bei gesenktem Kopf die Stelle frei, an der ihn der Matador tödlich treffen soll. Er muß sich dabei über den gesenkten Kopf und den Nacken hinüberlehnen, damit er den Degen dort versenken kann. Falls der Stier allerdings beim Einstich den Kopf heben sollte, würde er unvermeidbar den Mann aufspießen und in die Luft werfen. Deshalb muß der Matador zu seinem Schutz, wenn er auf den Stier zuläuft (volapié = Töten mit fliegenden Füßen), an den Hörnern des Stiers beim Todesstoß vorbei sein und dazu mit der in seiner linken Hand gehaltenen und vor seinem Körper gekreuzten muleta den Stier nach rechts wegleiten und blitzschnell nach dem Passieren der Hörner den Degen hineinstoßen.

Das gleiche gilt auch für das Töten poder a poder. Dabei starten Matador und Stier gleichzeitig und treffen sich in der Mitte. Neben der beschriebenen Technik poder a poder oder volapié zu töten, gibt es noch eine dritte Form, die recibiendo genannt wird. Der Matador erwartet hierbei den Stier, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Die Tötung recibiendo ist außerordentlich gefährlich und wird kaum noch praktiziert.

Noch einmal anders ausgedrückt: Der Matador kann nur verhindern, auf die Hörner genommen und durch die Luft geschleudert zu werden, wenn er vor dem Todesstoß, bei dem der Stier regelmäßig den Kopf hebt, entweder wartet, bis er beim Töten volapié (mit fliegenden Füßen) an den Hörnern des Stieres vorbei ist, und dann erst, nach vorne gebeugt, zusticht, oder er muß mit geschlossenen Füßen auf der Stelle verharren, bis der Stier, von der muleta abgeleitet, mit seinen Hörnern an ihm vorbei ist (recibiendo), während beim Töten poder a poder Mann und Tier gleichzeitig starten und in der Mitte zusammentreffen.

Leider hatte ich bei beiden Stieren aber nur Aktionen erlebt, die mit einer korrekten estocada keine Ähnlichkeit hatten.

Die tienta – Tapferkeitstest der zweijährigen Kälber

Vor dem dritten Stier zur Auflockerung noch etwas Information:

Schon mit einem Jahr beginnt für alle Kälber der Ernst des Lebens. In diesem Alter erhalten sie das Brandzeichen der Zucht auf die Flanke, und auf dem Rumpf eine große Nummer, die man von weitem erkennen kann. Meist besteht das Zeichen aus einer Buchstabenkombination oder aus einer Krone und zehn Eisen, die Nummern von Null bis Neun tragen. Die Eisen werden vorher im Feuer zur Glut gebracht und dann glühend vom mayoral (Aufseher) eingebrannt, eine für die Kälber qualvolle Tortur. Zu diesem Zweck werden sie von einem corral (Gehege) einzeln in den Brand- corral – beide corrales sind durch ein verschließbares Gatter miteinander verbunden – getrieben und umgeworfen. Vier bis fünf Männer sind notwendig, um solch ein Stierkalb zu halten. Nach dem Brandzeichen werden die Ohren mit dem Zeichen der Zucht gekerbt oder geschlitzt. Danach wird das Kalb freigelassen. Von den schmerzhaften Eingriffen gereizt, springt es wütend auf, greift seine Umgebung an, bevor es dann wild aus dem geöffneten Gatter stürmt.

Danach bleibt einem Kalb nur ein Jahr Ruhe auf den Weiden vergönnt. Denn mit zwei Jahren müssen sich alle Jungtiere dem echten Tapferkeitstest, der sogenannten tienta, stellen. Sie werden nach Geschlecht und Region unterschiedlichen Prüfungen unterzogen. Mit einem Jahr sind sie dafür noch zu jung und nicht genügend entwickelt, um diesen Test auszuhalten. Das Prüfungsergebnis aller männlichen und weiblichen Tiere entscheidet über ihre Zukunft.

Der Test der Färsen, das sind die weiblichen Jungtiere bis zur ersten Geburt eines Kalbes, findet in einem geschlossenen corral, der Privatarena des jeweiligen Züchters, mit meist 25 m Durchmesser – also halb so lang wie der in großen Arenen – statt. Nur die besten Färsen werden später zur Zucht zugelassen. Auch die Jungbullen werden in Kastilien, Navarra und dem Bezirk Salamanca in einem solchen Ring geprüft, weil sie der Situation in der Arena am nächsten kommt. Sie werden aus einem benachbarten corral einzeln in den Test- corral getrieben. Dort erwartet sie der tentador (Prüfer) auf einem Pferd mit verbundenen Augen, damit das Tier den Jungstier nicht sieht und scheut. Der Prüfer hat eine etwa 3 m lange Lanze unter den rechten Arm geklemmt, mit einer dreieckigen Metallspitze, die aber, anders als in der Arena, nur 1 cm lang ist. Auch hier ist das Pferd durch eine dicke Matte, den peto, geschützt. Es herrscht absolute Ruhe, auch bei den geladenen Gästen. Jetzt wird beobachtet, ob und wie das Jungtier das Pferd angreift. Ob es zum Beispiel von weitem angreift, ohne zuerst im Sand zu scharren, und vor allem noch nicht mit voller Kraft zustößt, um das Pferd zu erreichen, wenn ihm der tentador die pica in den Nackenmuskel gebohrt hat.

Greift ein Kalb aber wild und mit voller Kraft an und versucht es, auch mit der Lanzenspitze im Nacken, ungebremst das Pferd zu erreichen und ein zweites Mal zuzustoßen, ruft der Besitzer „ toro“. Das heißt, der Jungstier ist für die Arena oder auch für die Zucht geeignet und bestimmt. Die meisten Züchter lassen aber die Tiere nur ungern zweimal oder höchstens dreimal angreifen. Deren Belastung ist bei jedem Angriff so groß, daß nach allgemeiner Erfahrung das Tier dann später in der Arena nur entsprechend weniger picas erträgt.

Die besonders sorgfältige Selektion der zweijährigen männlichen und auch weiblichen Jungtiere erfolgt auch deshalb, weil das Ansehen des Züchters, und damit zugleich die Höhe der erzielbaren Preise, von der Qualität seiner Stiere abhängt. Somit wird nachvollziehbar, warum für die Kühe die gleichen Prüfungskriterien gelten. Sie kommen getrennt und außer Sichtweite ihrer Artgenossen in die Arena. Wenn ein weibliches Jungtier dann brüllend nach seinen Artgenossen sucht, oder furchtsam hin und her läuft oder sich sogar abwendet, wenn es sich auch durch Zurufe und Provokationen mit capa oder muleta nicht zum Angriff auf den Tester bewegen läßt, ist sein Schicksal für den Schlachthof besiegelt. Sollte das Jungtier jedoch den picador sofort angreifen, ohne sich von der pica abhalten zu lassen, darf es den Angriff oft zwölf- bis fünfzehnmal wiederholen. Die Toreros testen bei dieser Prüfung auch die Qualität der Jungtiere beim Angriff und ihre Fähigkeit, der capa oder muleta ausdauernd zu folgen. Denn diese Eigenschaften soll die Kuh auch auf ihre Abkömmlinge vererben. Besteht sie den Test, ist ihre Zukunft in der Zucht gesichert.

Häufig genug werden zweijährige Jungtiere auch von Stierkampfschülern bekämpft und qualvoll umgebracht.

In Andalusien findet die tienta der Jungstiere nicht nur im corral, sondern auch im Freien statt. Denn in Freiheit können die Tiere ihre wahre Tapferkeit zeigen, wenn sie von Lanzenreitern solange verfolgt und umgeworfen werden, bis sie den Reiter angreifen, denn in der geschlossenen Arena sind die Fluchtmöglichkeiten der Bullen durch die Banden sehr beschränkt, und der picador bleibt in ihrer Nähe. Wenn der Stier aber nicht aus Aggressionslust angreift, sondern nur, um sich zu verteidigen, wäre dies ein sicherer Beweis seiner Tapferkeit. Im corral dagegen fühlt sich jedes Tier in die Enge getrieben, wird aggressiv und wehrt sich.

Damit allein dürfte die wenig überzeugende Begründung der aficionados widerlegt sein, daß die Stiere vier bis fünf Jahre ein herrliches Leben auf riesigen Weidegründen führen dürfen, was zwanzig Minuten Todeskampf in der Arena mehr als wettmache. So ein zynischer Unsinn! Denn einmal werden sie, wie beschrieben, schon mit zwei Jahren zu Testzwecken bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit geführt. Außerdem wird ein großer Teil der Tiere bereits mit drei Jahren auf novilladas von zweitklassigen Stierkämpfern häufig erbärmlich und qualvoll abgeschlachtet. Dennoch nutzen manche Stiere ihre Siegeschance in der Arena, indem sie ihren Gegner, den Matador, dadurch bezwingen, daß sie ihm Hornwunden (cornadas) bei­bringen, und ihn so kampfunfähig machen. Eine Überlebenschance aber haben sie trotzdem niemals. In einem solchen Fall droht ihnen ihr sofortiges Ende im Schlachthaus hinter der Arena, d.h. auch der Sieger muß sterben, wenn er denn ein Stier ist, wie das Gesetz es befiehlt.

Der Tod des Siegers – der dritte Stier

Das Brennen nach einem Jahr und die tienta nach zwei Jahren hatte auch der dritte Stier hinter sich, als er mit wilden Sätzen kraftstrotzend in die Mitte des ruedo sprang. Es war auch diesmal wieder ein beeindruckender Anblick, als das äußerlich noch unversehrte, kompakte und funktionstüchtige Tier mit glänzend schwarzem Fell nach mehrstündiger Dunkelhaft in seiner Zelle durch das Tor des torils bei strahlendem Sonnenschein in den geglätteten Sand des ruedo stürmte. Mit einem Alter von vier Jahren hat ein Kampfstier genügend Kraft, um ein Pferd zusammen mit seinem Reiter hochzuheben und über die barrera oder über den Rücken zu schleudern, eine unglaubliche Kampfmaschine also.

Wenn auch die meisten Leute Kampfstiere mit einem schwarzen Fell verbinden, so sind längst nicht alle Kampfstiere schwarz. Es gibt vielmehr auch kastanienbraune, schwarz-braune, schwarzweiße oder rot gefleckte Tiere. Manche haben ein meliertes oder geschecktes Fell. Ferner sieht man ein helles Fell mit schwarzen Läufen oder Stiere mit Blessen. Die Unterschiede bedeuten Hinweise auf eine bestimmte Blutslinie. Zu der Farbe des Fells tritt die Form der Hörner als Unterscheidungsmerkmal für gewisse Zuchten. Ob die Hörner aufge­richtet sind oder nach vorne stehen, ob sie nach unten geneigt, sichelförmig bzw. nach außen gerichtet sind, der Fachmann kann daraus die verschiedenen Zuchten ausmachen. Während die einen Stiere durch eine breite Brust auffallen, sind andere mittelgroß oder haben eine besonders kräftige Nackenmuskulatur, schmale Hüften und hohe Beine. Bei allen farblichen oder anatomischen Unterschieden, imposant und schön sind sie alle.

Gezüchtet werden Kampfstiere in den Provinzen von Burgos, Palencia, Zaragoza, Logrono, Valladolid, Navarra, Zamora, Segovia, Madrid, Toledo, Salamanca, Extremadura, Albacete und Andalusien. Von allen sind Salamanca, Kastilien und Andalusien die bedeutendsten. Die größten Stiere mit den besten Zuchtmerkmalen stammen aus Kastilien und Andalusien. In Salamanca dagegen bemühen sich die Züchter am meisten, den Wünschen der Stierkämpfer entgegenzukommen. Vor allem versucht man, die Hornlänge auf das zulässige Mindestmaß zu reduzieren.

Doch jetzt zurück zu dem Auftritt des dritten Stiers in der Arena von Palma.

Mit voller Kraft aus der gestreckten Hinterhand also stürmte der Stier wie ein Geschoß, in dem sich geballte Energie und vollblütiges Temperament vereinen, bis in die Mitte des ruedo, um sich überrascht in der für ihn neuen Situation zu orientieren. Die für ihn enge Begrenzung der Arena war er nicht gewohnt. Die runde Sandfläche ohne Ausgang, die rote Bretterwand, die vielen Menschen auf den Rängen, die fehlenden Artgenossen auf den riesigen Weidegründen in aller Freiheit waren nicht da. Alles war neu. Diese Zwänge mußten einfach ein so selbstbewußtes Tier unsicher und aggressiv machen, als ihm plötzlich zwei ihm fremde Personen mit ihren ausgebreiteten capas entgegentraten, die banderilleros nämlich. Durch einfache Bewegungen mit dieser capa in verschiedene Richtungen gelenkt – solche Manöver habe ich bereits beschrieben –, sollte der Stier überschüssige Kraft verlieren. Zugleich beobachtete der Matador hinter einem burladero jede Reaktion seines baldigen Kontrahenten, seine Angriffstechnik, welches Horn er beim Zustoßen bevorzugen würde, ob er auf beiden Augen gleich gut sah oder – wie sehr häufig – einen Sehfehler hatte. Sein Blick war vornehmlich zur Seite gerichtet. Wenn ein Stier dann auf einem Auge sehr schlecht sieht oder gar blind ist, kann er auf dieser Seite nicht auf die capa oder später auf die muleta reagieren. Besonders wichtig ist natürlich die Beobachtung, ob er leicht abzulenken ist oder dazu neigt, dem Torero den Weg abzuschneiden, weil er hinter dem Tuch den Mann sucht. Das tut er aber nur dann, wenn er das Täuschungsmanöver mit dem Tuch schon kennt. Wenn z.B. auf seinen früheren Weidegründen heimlich ehrgeizige Schüler vor allem nachts mit Tüchern oder Kleidungsstücken das Tier zu Übungszwecken zum Angriff gereizt und es so, streng verbotswidrig, über die Täuschung des Matadors aufgeklärt haben.

Der Stier ist generell ein imposantes, im Grunde friedliches Tier, das auf Weiden grast und den übrigen Tag schläft. Stiere leben in Herden und sind von Natur aus territoriale Tiere. Wenn ein Stier Gefahr wittert, sucht er zunächst sein Heil in der Flucht. Er geht erst zum Angriff über, wenn die Flucht ausgeschlossen ist, mit dem Ziel, sein Territorium und die Kühe seiner Herde zu verteidigen. Solange man also einen Stier in Ruhe läßt und ihn nicht unnötig reizt, greift er auch nicht an. Das jedenfalls behaupten die Züchter. Spanische Kampfstiere werden aber entgegen ihrer natürlichen Anlage so gezüchtet, daß sie schon auf eine geringe Provokation reagieren. Wenn ein Stier jedoch von der Herde getrennt wird und sich in einem abgeschlossenen Raum befindet, ohne eine Möglichkeit zu entkommen, greift er alles an, was sich bewegt, bis er wieder sein eigenes Territorium hat. Der Angriff eines Stieres ist im Ergebnis deshalb nichts anderes als Verteidigung. Für diese Charakterisierung spricht auch, daß die Personale, die täglich mit den Tieren bei der Nahrungsversorgung Kontakt haben, noch niemals Opfer eines Angriffs geworden sind. Trotzdem sollte ein Fremder sich meines Erachtens stets in angemessener Distanz und außerhalb der abgegrenzten Koppeln halten, die von langen Hecken umgeben sind. Die Verteidigung seines Reviers gegenüber fremden Menschen wäre doch wohl eine natürliche Reaktion. Hecken teilen auch zur Trennung der Herden die bis zu 50 Hektar großen Parzellen. Die riesigen Weidegründe haben Eichen- und Eukalyptuswälder, Trinkwasserquellen und sumpfige Stellen. Oft verschönern Kräuter und Büsche die meist hügelige Landschaft. Die Stiere leben hier getrennt von den Kühen. Bis zu 20 % der bereits mit zwei Jahren für die corrida ausgewählten und separierten Kampfstiere erreichen allerdings das Mindestalter von vier Jahren nicht. Einige erleiden Sehfehler oder erblinden sogar durch Augenverletzungen im Gebüsch oder bei Rangkämpfen mit Rivalen. Andere beschädigen bei diesen Kämpfen ihre Hörner und sind dann für die corrida nicht mehr einzusetzen. Bei nur kleineren Sehfehlern oder Fehlstellungen der Hörner werden sie allerdings mit drei Jahren als novillos (Jungstiere) mit einem Gewicht um 400 kg verkauft und bei novilladas eingesetzt. Das sind Veranstaltungen mit Stieren, die für eine regelgerechte corrida zu jung, also unter vier Jahre alt, oder auch ungeeignet, weil über fünf Jahre alt sind, Sehfehler oder fehlerhafte Hörner haben und von Toreros bekämpft werden, die noch nicht den Titel „Matador“ führen dürfen oder auf ihn verzichtet haben.

Den Leser bitte ich um Verständnis für die, wie mir schien, an dieser Stelle passende Ablenkung vom aktuellen Geschehen in der Arena, dessen weitere Schilderung nun wieder aufgenommen werden soll.

Nach der obligatorischen Ermüdungshetze des Stiers durch die banderilleros mit ihren capas vor und hinter den burladeros trat der Matador selbst in den ruedo. Er zeigte zuerst eine Serie von verónicas, die mit einer rebolera abgeschlossen wurde. Dabei schwang er die capa bei voller Entfaltung in weitem Kreis wie einen im Wind hochfliegenden Frauenrock, der dann einer Scheibe um die Hüfte des Matadors glich. Plötzlich fiel die capa zu einem Bündel gerafft so zusammen, daß sie den Stier auf der Stelle fixierte. Der stoppte völlig verblüfft so kurz, daß er in die Knie ging. Trotz der Verletzungsgefahr für das Tier ein für den Zuschauer ästhetischer Vorgang! Ebenso der höchst gefährliche Versuch einer mariposa, einer Figur, die ganz sicher große Geschicklichkeit und Mut erfordert. In Hüfthöhe spreizte der Matador die capa hinter seinem Rücken und ließ die Saumenden im Wechsel nach rechts und nach links schwingen. Er selbst zog im Rückwärtsgang, mit Ausfallschritten nach rechts und links, den Stier hinter sich her, der entsprechend im Wechsel einmal rechts und einmal links zustieß. Dabei war der Körper des Matadors ständig den Blicken des Angreifers unverhüllt ausgesetzt. Als ihm der Stier im Vorwärtsgang dann zu nahe kam, leitete er ihn mit einem kräftigen Ruck der nun weiter seitlich ausgestellten capa an seinem Körper vorbei. Das Manöver gelang und wurde mit anerkennenden Olé-Rufen des Publikums belohnt. Der Stier wendete und wurde sofort mit einer weiteren verónica empfangen, bei der der Matador regelkonform mit geschlossenen Füßen auf der Stelle stehen blieb. Wenn er aus Angst einen Ausfallschritt zur Seite gemacht hätte, wäre die verónica zwar ungefährlich gewesen, aber sie hätte als mißlungen gegolten, weil der Matador dabei eine verrenkte Figur gemacht hätte und das Tuch, anstatt auszuschwingen, ohne diesen Schwung formlos zerfallen wäre. Dazu heißt es bei Georg Hensel: „Ein Matador, der sich und den Stier lächerlich bewegt, zeigt damit, daß er Angst hat: Die Ästhetik des Stierkampfes muß durch Lebensgefahr erkauft werden – Schönheit ist eine Funktion des Mutes.“ Diese Schwärmerei zeigt den aficionado. Der gut ausgebildete Matador läuft bei konzentrierter Aufmerksamkeit erheblich seltener als z.B. ein novillero Gefahr, von dem angreifenden Stier erwischt zu werden. Geschieht das trotzdem, sind häufig cornadas (Hornwunden) die Folge. Die Todesrate von Stierkämpfern dagegen ist im Verhältnis zur Anzahl der corridas gering. Hier krönte der Matador nach einigen weiteren gelungenen verónicas zum Abschluß das Vorspiel mit einem farol. Dazu schwang er die capa über den Rücken aufwärts in hohem Bogen über den Kopf und drehte sich dabei in Laufrichtung des Stiers. Wieder kräftiger Beifall von den Rängen! Der Stier blieb weiterhin unverletzt, kein Blut von den Lanzenstichen lief über seine Flanken. Auch die Bestrafung durch die banderilleros blieb ihm erspart. Seine Angriffsfreude und seine Kraft blieben voll erhalten. Hier war auch ich bereit, von der häufig in der Literatur schwärmerisch und verklärt beschworenen Einheit von Mensch und Tier zu sprechen. Der schnelle Ablauf der Manöver und die Nähe des Stiers ließen durch die meisterhaft geführte capa beide zu einer Skulptur verschmelzen. Wenn es doch nur so bliebe, die Kritiker des Stierkampfs würden bald verstummen. Aber es blieb nicht so. Der Ästhetik folgte der Abscheu. Dem Vorspiel folgte das Drama, widerlich und abstoßend. Die Verachtung des Rechts eines jeden Tieres auf anständige und faire Behandlung empfand ich im weiteren Verlauf des Geschehens als schwere menschliche Entgleisung. Hier wurden natürliche Instinkte des Stieres genutzt, um niedrigste Bedürfnisse von Menschen durch Tierquälereien gegen hohe Geldeinnahmen zu befriedigen. Urteile ich hier zu hart? Ich hoffe nicht. Jedenfalls habe ich das, was ich bisher gesehen hatte, und erst recht das, was mir noch bevorstehen sollte, so empfunden.

Nach maximal drei Minuten – der Stier soll nicht zuviel lernen – wurde die elegante und ästhetische Vorführung mit der capa jäh durch einen Trompetenstoß beendet, der den Übergang zum ersten tercio (Drittel) ankündigte. Die beiden picadores auf ihren alten, mit dem peto geschützten Pferden wurden an der barrera entlang von areneros in die Arena geführt, da die Pferde ja mit verbundenen Augen selbst nichts sehen konnten.

Zwei banderilleros lenkten den Stier auf das Pferd an der Schattenseite, von meinem Sitzplatz aus gut einzusehen. Das Publikum begrüßte auch diesmal die Reiter mit einem Pfeifkonzert. Der picador erledigte seine abstoßende Aufgabe mit drei aufeinanderfolgenden Lanzenstichen nach ebenso vielen Angriffen. Auch die im zweiten Drittel agierenden banderilleros konnten ohne Beanstandungen durch das Publikum dem Stier sechs banderillas wechselweise einstechen.

Der Trompetenstoß für das letzte Drittel ließ mich gespannt auf den so elegant aufgetretenen Matador warten. Der Stier wirkte allerdings jetzt nach den erlittenen Zermürbungsphasen und gespickt mit sechs banderillas schon reichlich deprimiert und müde. Dieser Zustand aber wich schnell einem beherzten Angriff auf die ihm vom Matador angebotene und mit Hilfe des Holzdegens zu voller Größe aufgespreizte muleta. Der Torero erwartete regungslos mit vorgestellter Hüfte diesen Angriff. Erst kurz vor den Hörnern hob er die muleta hoch. Der Stier riß daraufhin seinen Kopf zur muleta hoch und stürmte mit einem Aufbäumen dicht am Körper des Mannes vorbei. Nach der kurzen Wende des Stiers empfing ihn der Matador frontal mit der Außenfalte des großen Tuches und führte ihn in gebührendem Abstand schlangenförmig in einem Kreis um sich herum. Er selbst blieb nach dem Passieren der Hörner immer außerhalb der Gefahrenzone in der Körpermitte des Stieres hinter den Hörnern. Die Wendemanöver erweckten den Anschein einer Serie, die aber gar nicht stattfand, weil eben der Vorbeilauf jedesmal entfiel. Es mögen drei oder vier Kreise gewesen sein, als der Matador den Stier in den ruedo schickte, indem er das Tuch hochzog und dadurch das Tier mit hochgerissenem Kopf ins Leere laufen ließ. Der Stier wendete und suchte nach seinem Gegner. Der Matador hatte inzwischen zügig den Holzdegen aus der muleta gezogen, diese in die linke Hand genommen, um den Stier nun mit dem Degen in der Rechten linksseitig anzulocken. So stand er frontal mit geschlossenen Füßen wenige Meter vor dem Stier. Das rechte Bein war etwas vorgestellt. Der linke Arm mit der verkleinerten muleta hing neben seinem Körper lässig herunter. So bereitete er mutig einen pase natural vor. Diese Figur ist bekanntlich äußerst gefährlich, weil die muleta so auf etwa die Hälfte verkleinert wird. Die unverdeckte Gestalt des Matadors schien den zunächst verunsicherten Stier nun doch zu interessieren. War wirklich das Tuch oder doch der Mann der richtige Gegner? Er schien zu überlegen, bewegte den Kopf leicht nach rechts, auf den Matador gerichtet. Erst als der die muleta mit einem kräftigen Ruck bewegte, stürmte der Stier los. Jetzt ging alles so überraschend schnell, daß ich nicht sämtliche Einzelheiten genau beobachten konnte. Ich sah nur, wie der Mann von dem Stier erwischt und hoch in die Luft geschleudert wurde. Dann fiel er, offensichtlich ohne schwerere Verletzungen, zurück in den Sand. Bei diesem Geschehen hatte ich vor allem nicht gesehen, ob der Stier das linke Horn zwischen beide Beine hindurchgestoßen hatte, oder ob der Mann zwischen beiden Hörnern nur mit der breiten Stirnplatte des gesenkten Kopfes hochgeschleudert worden war. Jedenfalls konnte er sich völlig orientiert und geistesgegenwärtig augenblicklich aus der Reichweite der Hörner wegrollen und blitzschnell aufspringen. Holzdegen und muleta waren getrennt aus der Luft auf den Boden geflogen. Zwei banderilleros sprangen über die barrera und lenkten den von seinem Erfolg aufgebrachten Stier in den ruedo ab. Dann hob einer von ihnen Holzdegen und muleta auf und reichte sie auf Anforderung dem Matador zurück. Der Aufschrei des Entsetzens aus dem Publikum wechselte in begeisterten Beifall, als der Mann sich mutig erneut dem Stier stellte. Wie zuvor lockte er ihn mit dem Degen in der rechten und der muleta in der linken Hand mutig mit einem Rütteln des Tuches zum Angriff. Das sollte ihm jedoch zum Verhängnis werden.

Entweder war es ein Konzentrationsmangel infolge des noch nicht ganz verarbeiteten Schockerlebnisses auf Seiten des Matadors, oder der Stier hatte besonders schnell gelernt und das Täuschungsmanöver mit der muleta durchschaut oder beides. Mit tief gesenktem Kopf nahm er Anlauf und bohrte das linke Horn diesmal treffsicher in den vorgestellten rechten Oberschenkel des Mannes. Der wurde mit weit gespreizten Beinen, den Kopf nach unten hängend und dem Horn des Stiers in seinem Oberschenkel in die Luft gehoben. Der Stier drehte ihn auf dem Horn in der Luft herum und schleuderte ihn gegen die barrera. Die Kapelle mit ihrem leise gespielten pasodoble verstummte. Statt dessen waren wieder laute Entsetzensschreie von den Rängen zu hören. Ich selbst sah keinen Grund, mich daran zu beteiligen.

Der Stier schien erstaunlicherweise einen Moment verblüfft von der wehrlosen Gestalt am Boden. Dieser kurze Augenblick reichte für die erneut herbeistürzenden Helfer, um mit wilden Schwüngen ihrer capas den quite auszuführen. Derweil blieb der Matador weiterhin bewegungslos am Boden liegen, bis ihn sogleich zwei weitere Toreros aufhoben und, auf ein Bein gestützt, das verletzte Bein abgewinkelt hochhaltend, den Schwerverletzten in Richtung Krankenhaus durch den Ausgang wegschleppten.

Auch wenn diesmal der Stier Sieger geblieben war, er hatte keine Chance!

Eine Reihe gutmütiger Ochsen, es mögen sechs oder acht gewesen sein, wurden in die Arena getrieben, nahmen den Stier – hierfür dressiert – in ihre Mitte und strebten mit ihm gemein­sam widerstandslos dem Ausgang zu, durch den sonst nur die toten Stiere geschleppt werden.

Dieser Ausgang führte zu einem Schlachtraum, in dem auch jeden siegreichen Stier sein unvermeidbares Ende erwartet.

Ein Ohr für den Matador – der vierte Stier

Der Sand wurde, wie gehabt, von den areneros geglättet und auf einer weißen Tafel in schwarzen Zahlen und Buchstaben Gewicht, Alter und, ich glaube, auch Name des Züchters des nächsten Stieres angezeigt.

Nun geschah etwas für mich unvorstellbar Verwegenes. Der Matador, der schon den ersten Stier getötet hatte, erschien ohne seine banderilleros allein in der Arena und erwartete seinen zweiten Stier. Nur mit seiner Kampf- capa „bewaffnet“, kniete er etwa drei bis vier Meter vor dem geöffneten Tor zum toril, dem Tor der Angst, nieder, aus dem der nächste Stier erwartet wurde. Er hatte gerade noch Zeit, sich zu bekreuzigen und seine capa auszubreiten. Da stürmte auch schon aus dem Dunkel der Ställe der mächtige Bulle in das blendende Sonnenlicht. Mit weitem Schwung der capa leitete er den Stier an seinem Körper vorbei. Ganz schnell drehte er sich auf den Knien (cambio de rodillas – Wechsel auf den Knien) und empfing den sich ebenfalls kurz wendenden Gegner erneut. Dabei zwang er ihn mit einer Bewegung des Tuches, nun auf der anderen Seite vorbeizuschießen. Mit dem äußerst gefährlichen, gelungenen Manöver allerdings erntete der Matador lautstarke Begeisterung. Dabei stellte ich mir vor, der Mann hätte die Laufrichtung des Stiers nicht richtig eingeschätzt und die capa so ausgeschwenkt, daß sein Körper dem Blick des Stieres freigegeben gewesen wäre. Er wäre von dem Tier überrannt und anschließend aufgespießt worden. Von dieser Aktion ermutigt und vom rasenden Beifall getragen, sprang der Torero in den Stand und leitete eine Serie von verónicas ein, die mit einem sehr tief am Boden gehaltenen Tuchschwenk ausgeleitet werden sollten. Der höchst aggressive Stier stieß im Verfolg der über den Boden zuckenden capa seine Hörner so tief in den Sand, daß er sich überschlug und dabei sicher das Genick verstauchte und zugleich auch die Wirbelsäule verrenkte. Trotzdem sprang er wieder hoch und stellte sich zum nächsten Angriff. Der Mann hielt seine capa in Schulterhöhe dergestalt hinter sich, daß er selbst dem Körper eines Schmetterlings und die capa rechts und links dessen Flügeln gleichen sollte. Im Rückwärtsgang zog er alsdann sogleich, mit dem Kopf und den Flügeln wechselweise nach rechts und links ruckend, den Stier hinter sich her. Diese Figur nennt man mariposa (Schmetterling). Der Stier stieß dabei irritiert mal rechts und mal links zu. Der Körper des Matadors war ihm dabei unverdeckt preisgegeben. Als das Tier ihm nachfolgend zu nahe kam, leitete er mit einem kräftigen Tuchruck an einer Körperseite das Tier an sich vorbei und ließ den Stier, ohne sich noch einmal umzuschauen, hinter sich zurück. Damit wurde das wieder mit frenetischem Beifall belohnte Vorspiel beendet. Der Matador raffte mit schneller Bewegung die capa zusammen und ging davon. Der Stier blieb verdutzt nach der Wende auf der Stelle stehen. Die weggehende Person mit der zusammengelegten capa im Schlepp konnte er nicht einordnen.

Die Schönheit und die Ästhetik der gelungenen Figuren, die Harmonie von Mensch und Tier waren es, die die Begeisterung des Publikums ausgelöst hatten. Dem kann auch ich mich anschließen. Denn der Stier ging unverletzt und ungeschwächt nach leider nur maximal zugelassenen zwei bis drei Minuten aus dieser Vorführung heraus. Er war noch nicht gezeichnet von den blutigen Bändern auf seinen Flanken, die von den Lanzenstichen herrühren. Auch die banderillas, deren Placierung er nicht verhindern können würde, zerrten noch nicht schmerzvoll bei der Bewegung an seiner Haut.

Dennoch weiß jeder Besucher, daß sich mit Ablauf dieser durchaus bewundernswerten Einführung, in deren Verlauf der espada das Verhalten des Stiers, seine Bewegungen und Reaktionen genau studiert, im ersten tercio das Bild häßlich verzerren wird.

Während noch über der Brüstung das weiße Taschentuch des Präsidenten hing, zogen dann auch schon an der barrera entlang die Lanzenreiter auf. Sogleich wurde aus dem Beifall ein Pfeifkonzert. Das blutige Drama warf seinen Schatten voraus. Erwähnenswert bleibt lediglich aus dem ritualisierten Fortgang des am Ende für den Stier stets tödlichen Ausgangs: Nach „nur“ dreimaligem Versuch gelang es dem Matador, den Degen so tief in den Widerrist seines Opfers zu versenken, daß der Stier wie vom Blitz getroffen auf der Stelle tot zusammenbrach.

Für die gesamte Leistung erkannte der Präsident dem Sieger sogar, vom Publikum gefordert, ein Ohr zu, das sich der „Meister“ abschnitt, bevor das Maultiergespann den toten Körper nach einer Ehrenrunde in das Schlachthaus schleppte.

Die Pferde im Stierkampf und ihre Reiter (picadores)

Bevor ich den für mich erschütternden weiteren Verlauf der Veranstaltung erzähle, schulde ich dem Leser zum besseren Verständnis und zur eigenen Beurteilung solcher Geschehensabläufe notwendige, allgemeine Erklärungen, auch wenn manche Einzelheiten davon bereits bekannt sind. Ich hatte damals nur die Unterrichtsstunden meines Freundes Hubert als Information. Darin kamen aber diese Grausamkeiten gegenüber den Pferden nicht vor. Mein heutiges Wissen stammt aus eigenen Erlebnissen und der später studierten Fachliteratur.

Bis zum Jahr 1928 trugen in der Vergangenheit die Pferde keinen Schutz. Für den spanischen Zuschauer war und ist das Schicksal des Pferdes nicht von Interesse. Denn er hatte und hat nur den Gesamtablauf der corrida im Blick, und dabei das Verhalten von Stier und Torero . Dementsprechend wurden bei jeder corrida viele Pferde schwer verwundet und noch mehr getötet. Bis zu zehn und mehr dieser wehrlosen Tiere kamen im Verlaufe nur einer Veranstaltung ums Leben. So soll im Sommer des Jahres 1869 der Stier Gordito während einer corrida 21 Pferde getötet haben. Das war möglich, weil eben bis zum Jahr 1928 die Pferde ungepanzert und völlig schutzlos den Hörnern des Stieres ausgesetzt waren. Gordito ertrug seinerseits 30 Lanzenstiche während des ersten tercios. Dafür wurde er begnadigt. Dazu muß allerdings erläuternd gesagt werden, daß damals die Lanzen dreieckige Stahlspitzen hatten, die so umwickelt und abgeschirmt waren, daß nur eine kleine Spitze von wenigen Zentimetern Länge in den Rücken der Stiere eindringen konnte. Mit den heutigen Lanzen hätte auch Gordito eine solche Bestrafung nicht ausgehalten. Denn die jetzt verwendete fast 3 m lange vara endet in einer 10 cm langen Stahlspitze, die auf 7 cm mit Schnur umwickelt und 3 cm lang ist. Die Umwicklung und ein Quersteg verhindern ein tieferes Eindringen in den Muskel. Aber selbst bei korrekter Placierung verursacht eine solche Waffe schwere Verletzungen. Die Schäden sind um so größer, wenn der picador die Lanze nicht placiert und aus der Distanz abschießt, bevor der Stier am Pferd ist. Denn der Stier muß dann versuchen, das Pferd als sein Ziel noch zu erreichen und zu heben, wenn der meist zwei Zentner schwere Mann sein ganzes Gewicht auf den Schaft der Lanze legt, um die Stahlspitze möglichst tief in die Nackenmuskeln oder den Widerrist hineinzutreiben. Läßt der picador es dagegen zu, daß der Stier zuerst das Pferd erreicht, bohrte das Tier früher natürlich sofort sein Stoßhorn in den Bauch des Pferdes, was heute nur möglich ist, wenn das Pferd zu Fall gebracht und an seinen vom peto nicht geschützten Körperstellen durchbohrt wird. Dem Stier gibt das Befriedigung. Er spürt erstmals Widerstand bei seinem Angriff und erreicht so sein Ziel. Wenn in früherer Zeit der picador zuließ, daß der Stier vor dem Lanzenstoß das Pferd erreichte und sein Horn in den Bauch des Pferdes bohrte, konnte der picador seinerseits die Lanze zielgenau in den Stier unter ihm placieren. Für einen Kampfstier ist es kein Problem, sodann Pferd und Reiter hochzuheben oder sogar über die barrera zu befördern. Meist aber wurden Pferd und Reiter nur hochgehoben und gegen die barrera gerammt. Während das Pferd zusammenbrach, mußte es wehrlos am Boden mit weiteren Hornstößen rechnen, bis es den Toreros gelang, mit ihren capas das Tier abzulenken. Wurde das Pferd dabei getötet, wurde es mit einer Plane abgedeckt und blieb so bis zum Ende der Veranstaltung im ruedo liegen. Da der Hauptakteur auf der Schattenseite durch einen solchen Unfall ausfiel, stand auf der Sonnenseite der Ersatzreiter bereit zum Einsatz in Warteposition. Das nächste Opfer wartete auf sein Ende.

Ernest Hemingway beschreibt in seinem Buch „Tod am Nachmittag“ die Situation dieser armen Pferde so: „Die Frage, warum der Tod eines Pferdes in der Arena einen nicht berührt, d.h. manche Menschen nicht berührt, ist schwer zu beantworten, aber die eigentliche Ursache hierfür mag sein, daß der Tod des Pferdes oft grotesk komisch wirkt, während der des Stiers tragisch ist. In der Tragödie des Stierkampfs ist das Pferd die komische Figur. Dies mag empörend klingen, aber es ist wahr. Je schlechter daher Pferde sind, desto komischer sind sie, vorausgesetzt, daß sie hoch genug in den Beinen und stabil genug sind, so daß der picador seine Aufgabe mit der Eisenspitze bewehrten Stange, der vara, vollbringen kann. Man sollte entsetzt und angewidert sein von diesen Karikaturen von Pferden und was mit ihnen geschieht, aber es ist keineswegs gesagt, daß man das sein wird, sofern man es sich nicht ohne Rücksicht auf seine Gefühle vorgenommen hat. Sie sind so gar nicht wie Pferde; in gewisser Weise sind sie wie Vögel, wie irgendwelche jener unbeholfenen Vögel, jener Kropfstörche oder jener breitschnabeligen Störche, und wenn sie durch den Stoß der Nacken- und Schultermuskeln des Stiers hochgehoben werden, und ihre Beine hängen, und ihre großen Hufe baumeln, und die Kruppe sich senkt, und der ausgediente Körper von dem Horn hochgehoben wird, sind sie nicht komisch, aber auf mein Ehrenwort: tragisch sind sie nicht. Die Tragödie ist völlig auf den Mann und den Stier beschränkt.“ … „Dies ist nicht zur Verteidigung des Stierkampfes geschrieben, sondern ist ein Versuch, den Stierkampf als Ganzes darzustellen, und um das zu tun, muß eine Reihe von Dingen zugegeben werden, über die ein Verteidiger, der einen Fall durchzufechten hat, hinweggleiten oder die er umgehen würde. Das Komische, was diesen Pferden zustößt, ist also nicht der Tod – der Tod ist nicht komisch und verleiht den komischsten Figuren eine zeitweilige Würde, obgleich diese Würde vergeht, sobald der Tod eingetreten ist –, sondern die seltsamen und burlesken Dinge, die mit den Eingeweiden geschehen. Es ist nach unseren Wertmessern bestimmt nichts Komisches, wenn man zusieht, wie ein Tier sich seines Eingeweideinhalts entäußert, aber wenn dies Tier, statt etwas Tragisches, d.h. etwas Würdevolles zu tun, in einer steifen, altjüngferischen Art um eine Arena galoppiert und das Gegenteil von Ruhmeswolken hinter sich herschleift, ist es ebenso komisch, wie wenn die Fratelinis eine Burleske daraus machen, in der die Eingeweide von Gazerollen, Würsten und anderen Dingen verkörpert werden. Wenn eines komisch ist, dann ist es das andere auch; der Humor hat denselben Ursprung. Ich habe es gesehen – eine vollendete Parodie der Tragödie –, wie die Leute liefen, das Pferd sich entleerte, und wie in dem Besudeln und Hinterherschleifen seiner innersten Werte alles an Würde zerstört wurde. Ich habe diese – nennen wir sie mit dem schlimmsten Wort hierfür – Ausweidungen gesehen, wenn sie, dank dem gewählten Zeitpunkt, sehr komisch waren. Derartiges sollte man nicht eingestehen, aber gerade weil diese Dinge nicht eingestanden werden, ist der Stierkampf niemals erklärt worden.“

An anderer Stelle schildert Hemingway in diesem Zusammenhang, wie ein „freundlicher Veterinär“ Sägemehl in den Bauch eines vom Stier durchbohrten Pferdes stopfte, um eine Leere zu füllen, die durch den Verlust irgendwelcher Organe entstanden war. Er räumt aber ein, daß dies nur eine Übergangsmaßnahme sei, die niemand so recht billigen könne.

Hemingway, das muß man wissen, hat selbst eine Ausbildung als Stierkämpfer erlebt und galt als ausgezeichneter Kenner und Fachmann der Szene. Seine Ausführungen sind also keine Phantasien eines kranken Hirns, sondern reale Wirklichkeit. Deshalb zeigt eine solche Schilderung wohl für die meisten zivilisierten Menschen, in welche geistigen und seelischen Niederungen man hinabsteigen muß, um derartige Empfindungen eines dekorierten Schriftstellers nachvollziehen zu können. Hier werden wehrlose Mitgeschöpfe des Menschen benutzt, gequält und öffentlich gefoltert bis zum sicheren Tod, um die unverzichtbar notwendige Ermüdung der Nackenmuskulatur des Stieres zu erreichen. Der Versuch Hemingways, das Schauspiel des modernen Stierkampfes gefühlsmäßig wie faktisch zu erklären, erscheint allein in der oben wiedergegebenen Szene als eigene gefühlsmäßige Beichte. Da mag jeder Leser selbst entscheiden, was er von dem als Schriftsteller hochbegabten, leider aber dem Alkohol ergebenen Mann und dem Stierkampf halten mag. Allein seine Beziehung zu den insbesondere in Westeuropa als Freunde des Menschen geschätzten Pferden läßt da keine Zweifel oder Interpretationsunsicherheiten zu.

Nach diesem eigenen emotionalen Bekenntnis habe ich das Bedürfnis, auch andere Stimmen zu diesem Geschehen zu Wort kommen zu lassen, die mir den Empfindungen der Mehrheit unserer Bevölkerung, übrigens nach neueren statistischen Erhebungen auch der spanischen Bevölkerung, näher zu sein scheinen.

Hierzu drei wahre Geschichten von Collins/Lapierre aus seinem Buch „… O llevarás luto por mi“, von Jack London: „Der Schrei des Pferdes“ und von Wilbur Smith: „Adler über den Wolken“. Selbst bei distanzierter Betrachtung bleibt die Erkenntnis, daß eine kleine, am Leid und an der Qual der Pferde und Stiere viel Geld verdienende Gruppe es immer noch versteht, trotz hoher Eintrittspreise das Interesse sogenannter aficionados und vor allem von Touristen weiterhin wachzuhalten. Dabei steht fest, daß die meisten Spanientouristen wenigstens einmal einen Stierkampf gesehen haben wollen, um das „Nationale Schauspiel“ der Spanier aus eigener Anschauung beurteilen zu können. Ohne diese Touristen, vor allem entlang der spanischen Mittelmeerküste bis Valencia und Benidorm, aber wären nach neuerer Statistik diese Veranstaltungen nicht mehr ausreichend wirtschaftlich. Die hohen Zuchtkosten, die hohen Verdienste der Züchter, der empresarios (Veranstalter), Manager, Matadore und der zahlreichen übrigen Toreros ließen ohne diese ausländischen Zuschauer die Stierkämpfe aussterben. Das gilt auch trotz der erheblichen Einnahmen aus dem Fernsehen. Die vielen jährlich neuen Urlauber, die zudem durch die Werbung und Programmangebote ihrer Reiseveranstalter in die Arenen geführt werden, erreichen mehrere hunderttausend Menschen, auf deren finanzielle Beiträge die genannten Akteure nicht verzichten können.

Nun zu den Schilderungen der wahren Geschichten der angesprochenen Literaten in einer Broschüre „Über Qual und Leiden der Pferde im Stierkampf“ mit einem Vorwort von Gisela Hofherr. So schreibt Frau Hofherr:

Vorwort

Über das traurige Schicksal der Pferde im „Stierkampf“ oder für den „Stierkampf“, von denen in der gesamten spanischen „Stierkampfwerbung“ kein einziges Wort erwähnt wird, hierüber möchten wir Sie, liebe Pferdefreunde, mit dieser Broschüre informieren. Diese erbarmungslos ausgenutzten und benutzten Tiere sind ausgediente Reit-, Renn- und Zirkuspferde, denen die Stimmbänder durchgeschnitten werden, die Augen zugebunden, die Ohren mit nassem Zeitungspapier verstopft, um für diesen, ihren letzten Dienst noch Geld für die Stierkampf-Manager einzubringen und den abartigen „Blutrausch“ der verrohten Zuschauer dieses grauenvollen Spektakels noch zu erhöhen. Diese Pferde werden als erster Auftritt dem Stier als lebende Stoßdämpfer von den peónes mit ihren roten Tüchern zugeführt. Auf diesen oft sehr mageren Pferden sitzt in beinahe „Ritterrüstung“ der Picador, dieser muß dem ohnehin schon vor dem „Kampf“ durch Folterung schmerzgepeinigten Stier mit der Stoßlanze, in offiziell verbotener, aber immer durchgeführter Drehbewegung, ein tiefes Loch im Widerrist zufügen, damit ein hoher Blutverlust die Folge ist. Während dieser Schmerzensqual bearbeitet der Stier mit seinen Hörnern unter dem Bauch das ihm völlig ausgelieferte Pferd. Die meisten Pferde erleiden schwerste Bauchverletzungen, aber hinter den Kulissen werden sie schnell ohne Betäubung notdürftig zusammengeflickt und dem nächsten Stier zugeführt, denn in einer Corrida werden sechs Stiere nacheinander niedergemetzelt. Um über dieses traurige Schicksal eines der edelsten Tierarten, „das Pferd“, für viele Pferdefreunde ein wahrer Kamerad, nachzudenken und jeglichen „Stierkampf-Veranstaltungen“ fernzubleiben, haben wir Ihnen drei wahre Geschichten aus der Literatur ausgezogen.

Gisela Hofherr

I Ankauf und Leidensweg der Pferde für den „Stierkampf“

Übersetzung aus dem Buch „… O llevarás luto por mi …“ von Collins/Lapierre

Fünfzehn Kilometer weiter in Richtung Süden unterbrach ein Geräusch die gespannte Stille einer Gruppe von Personen, die vor dem Fernsehgerät der Bar „LOS CORRALES“ versammelt war. Es stammte von einem Alten, der in einem der grünen Diwane des Cafés saß. Es war ein Husten, kräftig genug, den Schleim des irritierensten Halses zu lösen. Sein Urheber spuckte mit der größten Natürlichkeit seinen riesigen Auswurf auf den mit Sägemehl bestreuten Boden. Dies war, wie die Männer um ihn herum wohl wußten, das Zeichen, daß Antonio Cruz besorgt war. Und ob er es war! Er war besorgt um das Pferd, welches gerade im Begriff war, vom Stier „IMPULSIVO“ aufgespießt zu werden.

Antonio Cruz, er war der wichtigste spanische Ausbeuter in einem der am meisten verachteten und lukrativen kommerziellen Nebenprodukte des Stierkampfes. Er war Lieferant von Pferden. Er besorgte die Pferde, die von den Picadores in allen wichtigen Stierkampf­plätzen von Madrid bis zum Süden benutzt wurden. So führend war seine Position auf diesem Gebiet, daß er in ganz Spanien als der „Bürgermeister der Pferde“ bekannt war.

Auch wenn man von seinem exzentrischen Schleim ausspucken absieht, war Antonio Cruz ein Mann von merkwürdigem Aussehen. Die Finger seiner rechten Hand waren ein einziger Nikotinfleck, Folge eines halben Jahrhunderts von Kettenrauchen. Sein Gesicht war fast immer mit weißen Härchen bedeckt, die wie silbriges Roßhaar aus Wangen und Kinn sprossen. Sein Kiefer war zahnlos. Sein Mund wirkte wie ein runzliger Strich. Ein zerbeulter Hut bedeckte seinen Kopf nicht nur im wachen, sondern z. T. auch im schlafenden Zustand. Das Fehlen der Zähne hat seiner Eßlust keinen Abbruch getan, und sein runder Bauch drückte gegen die Hosenwand wie ein riesiges hartes Ei.

Nachdem er sich im Café „LOS CORRALES“ niedergelassen hatte, knöpfte er als erstes seinen Hosenbund und die zwei obersten Knöpfe des Hosenschlitzes auf, was seine Hemdflügel, seine Unterhose und seinen runden Magen zum Vorschein kommen ließ. Während 70 Jahren von den 80, die er jetzt zählte, hat er seinen Lebensunterhalt verdient, indem er Pferde zu den Stierkampfplätzen schickte. Seit 22 Jahren war sein Büro der Diwan des Cafés, wo er jetzt saß, jeden Tag, von morgens neun bis nachmittags um drei vereinbarte dort Antonio Cruz die Einzelheiten seines anrüchigen und makaberen Geschäfts.

Wie so viele andere, die in der Peripherie der Stierkampfplätze lebten, hatte Antonio Cruz anfänglich Ambitionen gehabt, Stierkämpfer zu werden. Doch er hatte sehr wenig Erfolg. Eines Tages im Sommer 1905 bat er einen Impresario in der Nähe von Huelva um einen Stierkampf. Der sagte ihm, er könnte an jeder Ecke einen Stierkämpfer finden. Was er brauche, seien Pferde, und ganz speziell Pferde für den nächsten Sonntag. Cruz, der gerade knapp bei Kasse war, versprach, sie ihm zu besorgen.

Er kehrte nach Huelva zurück, wo sein Vater eine Finca (Bauerngehöft) hatte, und begann die Suche nach Pferden. Stolz und triumphierend führte er am Sonntag 30 Pferde zum Stierkampfplatz von San Juan del Puerto.

Der Impresario war starr vor Staunen. Es wäre ihm nie eingefallen, das Angebot von Cruz ernstzunehmen. Er hatte selbst schon 10 Pferde gekauft. Doch war er von dem Eifer des jungen Toreros so beeindruckt, daß er ihm einen Vertrag anbot, seine drei anderen Stier­kampfplätze für die ganze Saison mit Pferden zu beliefern. Cruz überlegte und entschloß sich, seine wenig versprechende Laufbahn als Torero aufzugeben. Nie wieder hat er einen Lichter­anzug getragen.

Die finanziellen Bedingungen seines neuen Geschäfts waren einfach: Er mußte 36 Pferde für die Stierkämpfe mit ausgewachsenen Stieren und 24 Pferde für „NOVILLADAS“, solche mit Jungstieren, haben. Dafür erhielt er 4.000 Peseten pro Stierkampf. Dieser Betrag war fest und änderte sich nicht durch die Zahl der Pferde, die er bei jedem Stierkampf verlor, in einer Zeit, als die Pferde noch nicht durch den „Peto“ (Schutzpanzer) gegen den Angriff der Stiere geschützt waren.

Cruz kaufte die Pferde, wo er konnte: in den Schlachthöfen, auf den Festplätzen und von den Zigeuner-Dieben. Wenn er von Platz zu Platz zog, machte er es auf Feldwegen und kaufte den Bauern ihre alten Pferde ab. Oft kam er nach solchen Ausflügen mit einem halben Dutzend hinkender alter Gäule an.

„Es war mir gleichgültig, was für eine Art von Pferden es war“ – sagte er später – „jedes war zu gebrauchen, solange man es satteln und es sich auf dem Stierkampfplatz auf den Beinen halten konnte. Es kam ja sowieso nicht mehr lebend heraus, deshalb war sein Aussehen unwichtig und auch das, was mit ihm geschah. Solange es sich auf den Beinen halten und einen Mann tragen konnte, war es gut fürs Geschäft.“

Für jedes dieser armen gebrechlichen Pferde, die unweigerlich in der Leimfabrik gelandet wären, zahlte er drei- oder vierhundert Peseten. Er hielt sie auf einem großen Weideplatz in der Nähe von Huelva. Anfangs hielt er 100 Pferde vor Beginn der Saison. Nachdem sein Geschäft aufblühte, erhöhte er die Zahl auf 400 Pferde.

Der Transport der Pferde von der Weide bis zu den Plätzen ging zu Fuß vonstatten. Manchmal legten er und seine Stallburschen 300 Kilometer lange Strecken zurück. Sie schliefen am Straßenrand. Den Reisesack hatte der rüstigste Gaul zu tragen.

Die finanzielle Stabilität seines Reiter-Imperiums ruhte auf schwachen Säulen. Cruz versuchte, nicht mehr als ein Pferd pro Stier zu verlieren. Verlor er mehr als 10 in einer einzigen Corrida, so war dies eine Katastrophe. Das bedeutete nämlich, daß er, bei einem Preis von vierhundert Peseten pro Pferd, mehr als die viertausend, die er pro Stierkampf verdiente, verlor. Dagegen machte er ein gutes Geschäft, wenn ein Pferd den konzentrierten Angriffen eines Stieres standhalten und noch ein zweites Mal zur Arena geführt werden konnte, um eine zweite Runde über sich ergehen zu lassen, das bringt einen Profit. Dieser Profit verdoppelt sich, wenn es auch nach der dritten Runde noch lebt usw. …

„Die alten Aficionados (Stierkampf-Anhänger) erinnern sich voll Abscheu an das gräßliche Schauspiel, das diese armen schreienden und blutüberströmten Tiere boten, den Bauch klaffend und das Gedärm heraushängend, welche die Stallburschen mit Stockhieben noch fast lahm schlugen, um sie wieder auf die Beine zu zwingen.“ Noch grauenhafter war die Rückkehr zur Arena. Den Bauch und die Flanken grob zusammengeflickt, sah man Stücke von blutigem Gewebe und Darm zwischen den Stichen hervorquellen. Vor Angst halb irr, nahmen die Pferde, von den Sporen der PICADORES gepiekt, taumelnd den Weg zu ihrem Martyrium wieder auf. Die Feinde von Cruz – geschäftlich gesehen – waren die Stierkampf-Präsidenten. Diese konnten beschließen, wenn ein Pferd zu schwer verletzt war, um auf die Plaza zurückzukehren, und befahlen, es zu töten, um seine Qual zu verkürzen. Cruz verachtete diese Gefühle der Barmherzigkeit. Sie kosteten ihn vierhundert Peseten. Seiner Meinung nach gab es kein Pferd, das nicht mehr zu reparieren war, solange der Bursche es noch zum Stall führen konnte, wo er es mit seinem Lederschurz und seinen „Operations-Instrumenten“ erwartete.

Die Schnellbehandlung, die er bei den verwundeten Pferden anwandte, war primitiv-notdürftig. „Er drückte mit der Faust die Därme in den Bauch zurück und nähte ihn dann mit Nadel und Schnur zu.“ Schaute ein Stück der Anatomie des Pferdes zwischen den eilig ausgeführten Stichen durch, schnitt er es mit der Schere ab.

Die Instrumente, die er für diesen Zweck gebrauchte, führte er in einer Reisetasche ständig bei sich. Er nannte sie seine „Operationsinstrumente“. Sie bestanden aus einem alten Federmesser, einer Schere, ein paar dicken, aber spitzen Sacknadeln und einigen Knäueln Schnur. Die erste Aktion von Cruz war, den Stallburschen der Plaza ein gutes Trinkgeld zu geben, damit diese schnellstens die Pferde zum Stall zurückführten, nachdem die „Suerte de Varas“ (Stechen des Stiers mit der Stoßlanze) beendet war. Jedes Pferd, das ihm wieder­gebracht wurde, wie schwer verletzt es auch immer war, bedeutete ein kleines Extra-Trinkgeld.

Das Maximum, was man damals erwarten konnte, war, daß ein Pferd drei Stiere aushielt. „Die Tatsache, daß eines nach zwei Stieren noch lebte, war ein wahres Wunder“, pflegte er zu sagen. Wenn ein Pferd ein drittes Mal hinausging, „hatte es auf seinem Leib mehr Stiche als Haut“. Da es unmöglich war, daß ein Pferd, das die Hornstöße eines Stieres empfangen hatte, eine Nacht überlebte, oder es gar bis zum nächsten Stierkampfplatz schaffen würde, boten die Pferde, die Cruz für den letzten Stier aufhob, einen besonders erbarmenswerten Anblick. Es waren nämlich jene, die während des Stierkampfes die schlimmsten Verwundungen abbe­kommen hatten. „Gebrauche nie ein neues Pferd für den letzten Stier“, war die unwiderrufliche Regel in Cruz’ Geschäft. Cruz war stolz auf seine Geschicklichkeit als improvisierter Pferde-Chirurg. „Nie hat ein Veterinär meine Pferde angefaßt“ – pflegte er später zu sagen – „ich habe alles selbst gemacht. Ich habe wirklich viel von Pferden verstanden.“ Diese Kenntnisse haben allerdings nicht verhindern können, daß Cruz einige finanzielle Pleiten erlebte. Das Jahr 1925 zum Beispiel bedeutete für den „Pferde-Bürgermeister“ eine Katastrophe, vergleichbar mit der von 1929 für viele Wall-Street-Kunden. In jener Saison zeigten die Stiere einen merkwürdigen Groll gegen seine Pferde. In 97 Stierkämpfen verlor er 694 Pferde. Es war das schlimmste Jahr seines Lebens.

Sein „schwarzer Freitag“ war der 15. August 1923, in Badajoz, wo er in einem Stierkampf mit Juan Belmonte durch die Stiere von Pedro Coquilla 18 Pferde verlor. Ein so starker Verlust verringerte die Reserven von Cruz auf weniger als die obligatorischen 36 Pferde. Und da die übrigen Pferde sich auf der Weide von Huelva, 250 km entfernt, befanden, tat er das Einzige, was zu tun war. Er stopfte sich die Taschen voll Geldscheine und begann, die Straßen von Badajoz nach Pferden abzusuchen. Das erste fand er außerhalb der Stadt, in einem Zigeunerlager, zwischen Kindergeschrei und Töpfeklirren.

Er bestieg es, nachdem er einen „sündhaften Preis“ dafür bezahlt hatte, die Kinder schrien noch mehr, und die Zigeuner zählten die Scheine, die sie bekommen hatten. Doch fand er in dieser Augustnacht keine Zigeuner mehr und auch keine Bauern, die ihm ihre alten Gäule für den Stierkampf verkaufen wollten.

Traurig und entmutigt ritt Cruz auf dem einzigen Pferd, das er gefunden hatte, zum Stierkampfplatz zurück. Er führte es in den Stall und rief eine Droschke, um zum Hotel zurückzufahren. Als er die Hand in die Tasche steckte, um zu bezahlen, kam ihm eine geniale Idee. Er schlug dem Kutscher vor, ihm sein Pferd, welches an dem Gefährt angespannt war, zu verkaufen. Zu seinem Erstaunen willigte der Mann ein.

Von neuem Enthusiasmus angetrieben, graste Cruz nun die Droschkenhalteplätze von Badajoz auf der Suche nach Pferden ab. Wenn er einen Kutscher fand, der bereit war, zu verkaufen, machte er den Kauf sofort perfekt und schirrte das Pferd ab. Und so zog er durch die Stadt, gefolgt von einer immer größer werdenden Pferdeschar. Hinter sich ließ er die leeren Droschken, deren leere Deichseln unheilvoll und skelettenhaft zum Himmel zeigten, wie zur Erinnerung an Antonio Cruz.

Als er sein siebzehntes und letztes Pferd fand, befahl er dem Kutscher, ihn, bevor er ihm sein Tier gab, zum Stierkampfplatz zu fahren. Bequem im Droschkensitz zurückgelehnt, fuhr Cruz triumphierend, 16 Pferde hinter sich hertrabend, zum Stierkampfplatz zurück. Seine Ehre als Geschäftsmann war gerettet.

Aber all dies hörte auf, als 1928 die Schutzpanzer eingeführt wurden. Es war fraglich, ob die Schutzpanzer die Schmerzen der Pferde verringerten, wenn diese den Ansturm des Stiers empfingen, aber auf alle Fälle verlängerten sie ihr Leben. Der Mann, der 13.000 Pferde – mehr, als Napoleon in seinem Rußlandfeldzug verlor – in den Stierkampfplätzen in einen grausamen Tod geschickt hatte, konnte denen, die sein Vermögen begründet hatten, jetzt den Luxus erlauben, im Schlachthof zu sterben. Einige seiner Pferde hielten jetzt mehrere Stierkampfjahre durch.

Cruz notierte die Auftritte jedes Einzelnen in einem alten grünen Notizbuch, welches er, an einem Gummiband baumelnd, immer bei sich trug. Er machte seine Notizen mit einem Bleistift, dessen Spitze er ständig leckte, um sie weicher zu machen. Manche der Tiere waren von Natur aus für die Aufgabe, die ihnen der „Pferde-Bürgermeister“ auferlegen wollte, ungeeignet. Wenn sie die Gegenwart des Stieres wahrnahmen, trotz verbundenen Augen, scheuten sie oder versuchten, dem Stoß auszuweichen. Manche versuchten, von Panik erfaßt, davonzugaloppieren. Dieses Benehmen war Grund zu einem speziellen Vermerk im grünen Heft von Cruz. Nach dreimaligem Vermerk wurde das Tier zurückgezogen und zum Schlachthof gebracht. Auf diese Weise beschleunigte sich sein Geschick, das es instinktiv versucht hatte zu vermeiden.

Die Pferde haben sich Cruz gegenüber anständig benommen, wahrscheinlich anständiger, als es die Stiere getan hätten. Der Mann fuhr täglich zum Café „LOS CORRALES“, neben seinem livrierten Chauffeur im schwarzen Mercedes mit Klima-Anlage sitzend. Er wohnte in einem eleganten Bungalow im Außenbezirk von Sevilla und besaß einen Sommersitz an der Costa del Sol. Das Geschäft, das er führte, produzierte jetzt mehr Geld denn je. Der Grund war das neu erwachte Interesse für den Stierkampf und nicht zuletzt der junge Verrückte, genannt EL CORDOBES, der in diesem Augenblick gerade versuchte, den Stier von der Flanke eines seiner Pferde abzulenken.

Cruz hatte ein spezielles Interesse, daß dieses Pferd dem Ansturm von IMPULSIVO standhielt. Kurz vor dem Lanzenstich hatte er in seinem Notizbuch nachgesehen und festgestellt, daß es sich um ein fünfjähriges Pferd handelte, das er erst vor einigen Wochen gekauft hatte. Es war sein vierter Kampf und sein Verlust wäre vom geschäftlichen Standpunkt unwirtschaftlich.

Cruz holte nervös seinen Tabaksbeutel aus seiner Jackentasche, um sich eine Zigarette zu rollen. Dieser Tabaksbeutel war ein spezieller Talisman. Er benützte ihn seit 40 Jahren. Darin eingelegt war ein goldenes Medaillon mit dem Bild eines verwundeten Pferdes. Dieses Pferd starb auf dem Stierkampfplatz von Sevilla am 18. April 1925, und der Tabaksbeutel war aus der Haut jenes Pferdes gemacht.

Es fällt auf, daß bei der Übersetzung der spanischen und französischen Version des Buches „… oder du wirst Trauer tragen“ von Collins/Lapierre in die deutsche Ausgabe (Molden-Taschenbuch) 9 1/2 Buchseiten unterschlagen worden sind, die die bedauernswerte Rolle der Pferde beim Stierkampf schildern. Die Verfasser, selbst Freunde des Stierkampfes, wollten offensichtlich die Deutschen als bekannte Pferdefreunde nicht verschrecken und gegen den Stierkampf einnehmen.

II Der Schrei des Pferdes

von Jack London

Dies ist eine wahre Geschichte. Sie geschah in der Stierkampfarena von Quito. Ich saß in einer Loge mit John Harned, Maria Valenzuela und Luis Cervallos. Ich sah, wie es geschah. Ich sah es von Anfang bis zum Ende.

Ich reiste auf dem Dampfer „Ecuador“ von Panama nach Guayquil. Ich bin Spanier – Ecuadorianer allerdings. Ich bin Manuel de Jesus Patino. Prägen Sie sich diesen Namen ein. Eines Tages wird er Geschichte machen.

John Harned war Amerikaner. Ich traf ihn das erste Mal im Tivoli-Hotel in Panama. Er hatte viel Geld – das hatte ich gehört. Er ging nach Lima, aber im Tivoli-Hotel traf er Maria Valenzuela. Maria Valenzuela ist meine Cousine, und sie ist die schönste Frau in Ecuador. Alle Männer sahen ihr nach, und das tat John Harned auch. Maria Valenzuela war sehr reich, aber John Harned machte sich nichts aus ihrem Geld. Er hatte ein Herz – ein komisches Herz. Er ging nicht nach Lima, sondern begleitete Maria nach Quito. Sie sagte: „Kommen Sie nach Quito und ich werde Ihnen einen Stierkampf zeigen – tapfer, schön, glänzend!“ Und er reiste mit ihr.

Es kam alles daher, daß Maria Valenzuela sagte: „Ihr Engländer seid – wie soll ich sagen? – wild – nicht wahr? Ihr liebt das Boxen. Zwei Männer schlagen sich mit den Fäusten, bis ihre Augen blind und ihre Nasen gebrochen sind. Abscheulich! Und die andern Männer, die zuschauen, sind ganz verrückt und toben vor Begeisterung. Das ist barbarisch!“

„Aber es sind Männer“, sagte John Harned, „und sie boxen zum Vergnügen. Keiner zwingt sie zum Boxen. Sie tun es, weil sie mehr Lust dazu haben, als sonst irgend etwas auf der Welt.“

„Aber der Stier“, sagte John Harned, „der Stier wird oft und immer beim Stierkampf getötet, und die Stiere kommen nicht zu ihrem Vergnügen in die Arena. Es ist kein ehrliches Spiel dem Stier gegenüber. Er wird zum Kampf gezwungen. Aber der Boxer – nein, ihn zwingt keiner.“

„Aber der Stierkampf – ach! Sie haben nie einen Stierkampf gesehen, nicht wahr? Der Torero ist tüchtig. Er ist ausgebildet. Er ist modern. Er ist romantisch. Er ist nur ein Mensch, schwach und gebrechlich, aber er tritt dem wilden Stier entgegen. Und er tötet mit einem Degen, einem schwachen Degen, mit einem einzigen Stoß, so, gerade ins Herz der großen Bestie. Es ist herrlich. Man bekommt Herzklopfen, wenn man es sieht – der kleine Mann, das große Tier, die weite mit Sand bestreute Arena, die Tausende von atemlosen Zuschauern! Das ist tapfer. Es ist prachtvoll! Ach! Ich könnte einen Torero lieben. Aber der Boxer – er ist eine Bestie in Menschengestalt, ein Wahnsinniger, der unzählige Schläge in sein dummes Gesicht empfängt und sich darüber freut. Kommen Sie nach Quito, und ich werde Ihnen tapferen Männersport zeigen: den Torero und den Stier. Luis Cervallos ist mein Freund. Er besitzt Kakaoplantagen und Zuckerplantagen. Er liebt Maria Valenzuela.“

Wir saßen zu viert in der einen Loge von Luis Cervallos. Ich saß direkt neben der Präsiden­tenloge. Auf der anderen Seite befand sich die Loge General José Eliceo Salazars. Bei ihm befanden sich Joaquin Endara und Urcisino Castilo, beide Generäle, sowie Oberst Jacinto Pierro und Hauptmann Baltazar de Echevarria. Nur die Stellung und der Einfluß eines Luis Cervallos konnte ihnen die Loge neben der des Präsidenten sichern. Ich weiß bestimmt, daß der Präsident den Wunsch ausgedrückt hatte, Luis Cervallos zum Nachbarn zu bekommen.

Das Orchester hatte gerade die Nationalhymne von Ecuador gespielt. Der Präsident gab durch Kopfnicken das Zeichen zum Anfang. Die Hörner erschallten, und der Stier kam hereingestürmt – Sie kennen das, aufgeregt, wildgemacht durch die Wurfpfeile, die wie Feuer in seiner Schulter brannten, suchte er rasend nach einem Feind, um ihn zu vernichten. Plötzlich erschienen auf allen Seiten die Capeadores, fünf im Ganzen, mit ihren bunten, flatternden Umhängen. Beim Anblick eines solchen Überflusses von Feinden blieb der Stier stehen; offenbar wußte er nicht recht, wen er angreifen sollte.

Der erste Angriff des ersten Stiers ist immer interessant. Nach einiger Zeit wird man ganz natürlicherweise ein wenig müde, und die Aufmerksamkeit erlahmt. Aber der erste Angriff des ersten Stiers! John Harned sah es zum ersten Mal, und, ob er wollte oder nicht, es riß ihn mit – der Anblick des Mannes, der nur mit einem Stück Tuch bewaffnet war, und des Stiers, der mit weit auseinanderstehenden spitzen Hörnern gerade auf ihn zuraste.

„Sehen Sie!“ rief Maria Valenzuela. „Ist das nicht prachtvoll?“ John Harned nickte, sah

sie aber nicht an. Seine Augen funkelten und waren nur auf die Arena gerichtet. Der Capeador trat beiseite und wich dem Stier mit einer raschen Bewegung des Umhangs aus und warf ihn ihm über die Schulter.

„Was sagen Sie dazu?“ fragte Maria Valenzuela. „Nennen Sie das nicht Sport – sagen Sie!“

„Wahrhaftig“, sagte John Harned. „Das war gut gemacht.“

Sie klatschte vor Vergnügen in die Hände. Das ganze Publikum klatschte. Der Stier machte kehrt und kam wieder zurück. Wieder wich der Capeador aus und warf ihm den Umhang über die Schulter. Dreimal wiederholte sich das. Hierauf hefteten sie die banderillas an den Stier, an den Schultern, zu beiden Seiten des Rückgrats, je zwei auf einmal. Dann trat Ordónez, der erste Matador, mit der langen Klinge und dem scharlachroten Umhang vor. Die Hörner gaben das Signal für den Tod. Er war nicht so geschickt wie Matestini. Aber er war doch ganz tüchtig und trieb die Klinge mit einem einzigen Stoß in das Tier. Der Stier knickte in den Knien ein, legte sich nieder und starb. Der Beifall war dann auch stark, und viele der Zuschauer warfen ihre Hüte in die Arena. „Sie mögen das?“ fragte er. „Immer“, sagte sie und klatschte weiter in die Hände. „Schon als sie ein kleines Mädchen war“, sagte Luis Cervallos. „Ich erinnere mich ihres ersten Stierkampfes. Sie war damals vier Jahre alt und klatschte in die Hände, genau wie jetzt. Sie ist eine echte Spanierin.“

„Jetzt haben Sie es gesehen“, sagte Maria Valenzuela zu John Harned, als Maultiere vor den toten Stier gespannt wurden, um ihn hinauszuschleppen. „Sie haben einen Stierkampf gesehen, und er gefällt Ihnen, nicht wahr? Was meinen Sie?“

„Ich meine, daß der Stier keine Chance hatte“, sagte er. „Der Stier war von Anfang an zum Tode verurteilt. Der Ausgang war unzweifelhaft. Noch ehe der Stier in die Arena kam, wußte jeder, daß er sterben mußte. Bei einem wirklichen Sport muß der Ausgang zweifelhaft sein. Es war ein dummer Stier, der nie mit einem Menschen gekämpft hatte, gegen fünf kluge Männer, die mit vielen Stieren gekämpft hatten. Vielleicht wäre es ehrlicheres Spiel, wenn es nur ein Mann gegen einen Stier wäre.“

„Oder ein Mann gegen fünf Stiere“, sagte Maria Valenzuela, und wir lachten alle, und Luis Cervallos lachte am lautesten.

„Ja“, sagte John Harned, „gegen fünf Stiere, und der Mann darf, ebenso wie die Stiere, nie vorher in der Arena gestanden haben. Ein Mann wie Sie, Senor Cervallos.“

„Und doch lieben wir Spanier den Stierkampf“, sagte Luis Cervallos, und ich möchte darauf schwören, daß der Teufel ihm zuflüsterte, das zu tun, was ich Ihnen jetzt erzählen will.

„Dann muß es ein anerzogener Geschmack sein“, antwortete John Harned. „Wir töten tausende von Stieren täglich in Chicago, aber nicht ein einziger würde etwas bezahlen, um zusehen zu dürfen.“

„Das ist Schlachterei“, sagte ich. „Dies aber, oh, dies ist Kunst. Es ist prachtvoll. Es ist herrlich. Es ist auserlesen.“

„Nicht immer“, sagte Luis Cervallos. „Ich habe ungeschickte Matadores gesehen und kann Ihnen versichern, daß es nicht schön war.“

Ihn schauderte, und in seiner Miene zeichnete sich Ekel ab, und in diesem Augenblick wußte ich, daß der Teufel ihm etwas zuflüsterte, und daß er seine Rolle zu spielen begann.

„Vielleicht hat Senor Harned recht“, fuhr Luis Cervallos fort. „Gegenüber dem Stier ist es vielleicht kein ehrliches Spiel. Wissen wir nicht alle, daß der Stier vierundzwanzig Stunden lang kein Wasser bekommt, aber unmittelbar vor dem Kampf soviel Wasser trinken darf, wie er will?“

„Und dann kommt er schwer von Wasser in die Arena?“ fragte John Harned schnell, und ich sah, daß seine Augen sehr grau, sehr scharf und sehr kalt waren. „Das ist notwendig für den Sport“, erklärte Luis Cervallos. „Wollen Sie, daß der Stier so stark ist, daß er die Toreros tötet?“

„Ich möchte nur, daß er eine Chance im Kampf haben soll“, sagte John Harned und blickte wieder in die Arena, um den zweiten Stier hereinkommen zu sehen.

Es war kein guter Stier. Er hatte Furcht. Er lief in der Arena herum und suchte eine Stelle, wo er hinausschlüpfen könnte. Die Capeadores traten vor und schwangen ihre Mäntel, aber er wollte sie nicht angreifen.

„Es ist ein dummer Stier“, sagte Maria Valenzuela.

„Verzeihung“, sagte John Harned. „Ich finde, es ist ein kluger Stier. Er weiß, daß er nicht mit Menschen kämpfen kann. Sehen Sie! Er wittert schon den Tod in der Arena.“

Wirklich. Der Stier war an der Stelle stehen geblieben, wo der erste getötet wurde, und er roch an dem nassen Sand und schnaufte, dann lief er wieder in der Arena herum und betrachtete mit erhobenem Kopf die Tausende von Menschen, die ihn auspfiffen, ihn mit Apfelsinenschalen bewarfen und beschimpften. Aber der Blutgeruch ließ ihn seinen Entschluß fassen, und er griff einen Capeador ganz plötzlich und unerwartet an, so daß der Mann ihm nur mit Mühe und Not entkam. Er ließ seinen Umhang fallen und suchte Schutz hinter der Barriere, gegen die der Stier krachend prallte.

Und John Harned sagte leise, wie zu sich selber:

„Ich gebe tausend Dollar für das Quitoer Krankenhaus, wenn der Stier heute einen Mann tötet.“

„Sie haben Stiere gern?“ fragte Maria Valenzuela lächelnd.

„Jedenfalls lieber als solche Männer“, sagte John Harned. „Ein Torero ist kein tapferer Mann. Er kann kein tapferer Mann sein. Sehen Sie, der Stier läßt schon die Zunge heraushängen. Er ist müde, und dabei hat es noch gar nicht angefangen.“

„Das macht das Wasser“, sagte Luis Cervallos.

„Ja, das macht das Wasser“, sagte John Harned. „Wäre es nicht am sichersten, den Stier zu fesseln, ehe er angreift?“

Maria Valenzuela wurde zornig über den Hohn in John Harneds Worten. Aber Luis Cervallos lächelte, daß ich es sah, und in diesem Augenblick erkannte ich, welche Komödie er spielte. Er und ich sollten Banderilleros spielen. Der große amerikanische Stier saß neben uns in der Loge. Wir sollten ihn mit Wurfpfeilen spicken, bis er böse wurde, denn dann wurde vielleicht nichts aus einer Ehe zwischen ihm und Maria Valenzuela.

Der Stier war jetzt zornig und aufgeregt. Aber er griff nur die flatternden Umhänge an und tat keinem etwas. „Er hat keine Chance“, sagte John Harned. „Er kämpft mit dem Wind.“

„Er glaubt, daß der Umhang sein Feind sei“, erklärte Maria Valenzuela. „Sehen Sie, wie gewandt die Capeadores ihn anführen.“

„Es ist sein Schicksal, sich anführen zu lassen“, sagte John Harned. „Deshalb ist er im voraus dazu verurteilt, mit dem Wind zu kämpfen, das wissen die Toreros. Und das Publikum weiß es auch. Sie wissen es, ich weiß es, wir alle wissen von Anfang an, daß er mit dem Wind kämpfen muß. Nur er allein weiß es nicht. Weil er ein Tier ist. Er hat keine Chance.“

„Es ist ganz einfach“, sagte Luis Cervallos. „Der Stier schließt die Augen, wenn er angreift. Deshalb …“

„… tritt der Mann beiseite, und der Stier stürzt an ihm vorbei“, fiel John Harned ihm ins Wort.

„Ja“, sagte Luis Cervallos. „So ist es. Der Stier schließt die Augen, und der Mann weiß

das.“

„Aber Kühe schließen nicht die Augen“, sagte John Harned. „Ich kenne in meiner Heimat eine Kuh, eine Jersey-Kuh, die Milch gibt; die würde mit der ganzen Gesellschaft dort fertig werden.“

„Aber die Toreros kämpfen nicht mit Kühen“, sagte ich.

„Sie haben Angst davor“, sagte John Harned.

„Ja“, sagte Luis Cervallos. „Sie haben Angst davor, mit Kühen zu kämpfen. Es würde kein Sport sein, wenn die Toreros getötet würden.“

„Es würde gerade Sport sein“, sagte John Harned, „wenn hin und wieder ein Torero getötet würde. Wenn ich alt und, wer weiß, vielleicht ein Krüppel bin und mir mein Brot verdienen soll, aber nicht imstande bin, schwere Arbeit zu leisten, dann will ich Stierkämpfer werden. Das ist ein leichter, angenehmer Beruf für ältere Herren und pensionierte Beamte.“

„Aber sehen Sie doch“, sagte Maria Valenzuela, als der Stier einen tapferen Angriff machte, dem der Capeador durch Schwingen des Umhangs entging.

„Es gehört Geschicklichkeit dazu, dem Stier zu entgehen.“

„Ja, gewiß“, sagte John Harned. „Aber glauben Sie mir, es gehört tausendmal mehr Geschicklichkeit dazu, all den vielen und schnellen Stößen zu entgehen, die ein Boxer mit offenen Augen und großer Erfahrung austeilt. Außerdem macht sich dieser Stier nichts daraus, zu kämpfen. Sehen Sie, er läuft weg!“ Er lief in der Arena herum und suchte einen Ausgang.

„Und doch sind diese Stiere zuweilen am gefährlichsten“, sagte Luis Cervallos. „Man weiß nie, was sie im nächsten Augenblick tun werden. Die Stierkämpfer haben nicht gern mit ihnen zu tun. Sehen Sie! Er hat sich umgedreht.“ Aufgeregt und wütend über die Barriere, die ihm den Ausgang versperrte, griff der Stier noch einmal tapfer seinen Feind an. „Er läßt die Zunge heraushängen“, sagte John Harned. „Zuerst füllen sie ihn mit Wasser. Dann ermüden sie ihn einer nach dem anderen und lassen ihn sich austoben und mit dem Wind kämpfen. Während die einen ihn müde machen, ruhen die anderen sich aus. Aber der Stier bekommt nie Ruhe. Und wenn er erschöpft und nicht mehr schnell genug ist, sticht der Matador ihn mit dem Degen ab.“

„Die Gringos sagen, es sei ein grausamer Sport – nicht wahr?“ meinte Luis Cervallos. „Es ist unmenschlich, es ist schade um den Stier, nicht wahr?“

„Nein“, sagte John Harned. „Um den Stier handelt es sich nicht. Es ist entwürdigend für die, welche zusehen. Der Sinn des Stierkampfes ist, sich über die Leiden eines Tieres zu freuen. Es ist feige, wenn fünf Männer mit einem dummen Stier kämpfen. Dadurch werden auch die, welche zusehen, feige. Der Stier stirbt, aber die, welche zusehen, leben, und das, was sie sehen, beeinflußt sie, Mannesmut und Männerherzen fördert es nicht, wenn sie ein Schauspiel der Feigheit sehen.“

Maria Valenzuela sagte nichts. Sie sah ihn auch nicht an, aber sie hörte jedes Wort, und ihre Wangen waren heiß vor Zorn. John Harned redete, als wäre sie gar nicht zugegen. Auch er war von Zorn, von kaltem Zorn erfüllt.

„Ach“, sagte Luis Cervallos leise. „Sie glauben, uns zu verstehen.“

„Jetzt verstehe ich die spanische Inquisition“, sagte John Harned. „Die war sicher noch herrlicher als Stierkämpfe.“

Luis Cervallos lächelte, sagte aber nichts. Er sah Maria Valenzuela an und wußte, daß das Stiergefecht in der Loge gewonnen war. Sie würde nie mehr etwas mit dem Gringo zu tun haben wollen, der solche Worte sprach.

„In Quito ist es nicht gebräuchlich, beim Stierkampf Pferde auftreten zu lassen“, sagte Luis Cervallos und sah von seinem Programm auf. „In Spanien hat man sie immer. Aber heute bekommen wir sie auch auf besondere Erlaubnis hin zu sehen. Wenn der nächste Stier auftritt, werden auch Pferde und Picadores kommen. Sie wissen, die Leute, die zu Pferde sind und Lanzen tragen.“

„Der Stier ist von vornherein zum Tode verurteilt“, sagte John Harned. „Sind das die Pferde auch?“

„Sie tragen Binden vor den Augen, so daß sie den Stier nicht sehen können“, sagte Luis Cervallos. „Ich habe oft Pferde gesehen, die vom Stier getötet wurden. Es ist ein prachtvoller Anblick.“

„Ich habe gesehen, wie der Stier geschlachtet wurde“, sagte John Harned. „Jetzt will ich auch sehen, wie das Pferd geschlachtet wird, damit ich mehr von den Feinheiten dieses Sports verstehe.“

„Es sind alte Pferde“, sagte Luis Cervallos. „Sie taugen sonst zu nichts mehr.“

„Ach so“, sagte John Harned.

Der dritte Stier kam herein, und bald standen ihm Capeadores und Picadores gegenüber. Ein Picador hatte gerade unter uns Posten gefaßt.

Ich gebe zu, daß es ein mageres altes Tier war, das er ritt, ein mit räudiger Pferdehaut überzogenes Gerippe.

„Es ist unglaublich, daß das arme Vieh das Gewicht des Reiters tragen kann“, sagte John Harned. „Und was für Waffen hat das Pferd nun, um mit dem Stier kämpfen zu können?“

„Das Pferd kämpft nicht mit dem Stier“, sagte Luis Cervallos.

„Ach“, sagte John Harned, „dann ist das Pferd wohl dazu da, um aufgespießt zu werden.“

„Ganz so ist es nicht“, sagte ich. „Die Lanze des Picadors soll den Stier davon abhalten, das Pferd aufzuspießen.“

„Dann werden Pferde also selten aufgespießt?“ fragte John Harned.

„Nein“, antwortete Luis Cervallos. „In Sevilla sah ich, wie achtzehn Pferde an einem einzigen Tag aufgespießt wurden, und das Volk rief nach noch mehr Pferden.“

„Waren ihnen allen die Augen verbunden, wie diesem Pferd?“ fragte John Harned.

„Ja“, sagte Luis Cervallos.

Dann sprachen sie nicht mehr und beobachteten den Kampf. Der Stier wollte das Pferd nicht angreifen. Und das Pferd blieb stehen, und da es nichts sehen konnte, wußte es nicht, daß die Capeadores versuchten, den Stier zu einem Angriff zu hetzen. Die Capeadores neckten den Stier mit ihren Umhängen, und als er sie angriff, liefen sie auf das Pferd zu und dann in Deckung. Schließlich wurde der Stier wütend und erblickte das Pferd vor sich. „Das Pferd weiß es nicht, das Pferd weiß es nicht“, flüsterte John Harned vor sich hin, ohne zu merken, daß er seine Gedanken laut aussprach.

Der Stier griff an, und natürlich wußte das Pferd nichts, bis der Picador mit seiner Lanze fehl­stieß und das Pferd von den Hörnern des Stiers aufgespießt wurde. Der Stier war unge­wöhnlich stark. Er hob das Pferd empor, und als es dann zu Boden stürzte und auf die Seite fiel, kam der Picador wieder auf die Füße und flüchtete, während die Capeadores den Stier fortlockten. Alle wichtigen Organe wurden aus dem Pferd herausgepreßt. Dennoch erhob es sich mit schrillem Schmerzensschrei. Der Schrei des Pferdes war es, der John Harned völlig verrückt machte. Ich hörte ihn leise fluchen. Keinen Augenblick ließ er das Pferd aus den Augen, das, immer noch schreiend, fortzulaufen versuchte. Aber nun stürzte es und fiel auf den Rücken und streckte alle vier Beine in die Luft. Dann griff der Stier von neuem an und durchbohrte es immer wieder, bis es tot war.

Jetzt stand John Harned auf. Seine Augen waren wie blaue Flammen. Der Zorn hatte ihn gepackt. Jetzt, da das Pferd tot war, blickten ihn alle an; und John Harned war ein auffallend großer Mann.

„Setzen Sie sich“, sagte Luis Cervallos, „sonst machen Sie sich lächerlich.“

John Harned antwortete nicht. Er ballte die Faust und schlug zu. Er schlug Luis Cervallos ins Gesicht, daß er wie ein Toter über die Stühle fiel und nicht wieder aufstand. Er sah nichts von dem, was jetzt folgte. Aber ich sah viel. Urcisino Castilo beugte sich über die Logenbrüstung und schlug mit seinem Stuhl John Harned mitten ins Gesicht. Und John Harned schlug ihn mit seiner Faust, daß er fiel und im Fallen General Salazar mitriß. John Harned hatte das, was man Berserkerwut nennt.

„Ihr kamt des Stierkampfes wegen“, sagte er. „Aber bei Gott, ich will Euch einen Männerkampf zeigen!“

[...]

Ende der Leseprobe aus 326 Seiten

Details

Titel
Blutiger Sand: Stierkampf – Ein tödliches Ritual
Autor
Jahr
2012
Seiten
326
Katalognummer
V206076
ISBN (eBook)
9783656330073
ISBN (Buch)
9783656329923
Dateigröße
11499 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
blutiger, sand, stierkampf, ritual
Arbeit zitieren
Dr. jur. Kurt Frings (Autor:in), 2012, Blutiger Sand: Stierkampf – Ein tödliches Ritual, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/206076

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