Leseprobe
Inhalt
Einleitung
1. Das Erhabene
1.1 Schillers theoretische Reflexionen „Über das Erhabene“
1.2 Kritik an Schillers System des Erhabenen
2. „Maria Stuart“
2.1 Maria vor der Wandlung
2.2 Maria im fünften Akt
3. Das Gender-Argument
Schluss
Literatur
Einleitung
Friedrich Schiller (1759-1805) ist einer derjenigen Autoren, die sich nicht nur literarisch, sondern auch theoretisch, der Dichtung gewidmet haben. Die Theorie lässt sich jedoch nicht immer problemlos auf die Literarischen Werke anwenden, und genau das macht sie so spannend. Eines dieser Theorie-Literatur-Verbindungen soll in dieser Arbeit betrachtet werden, nämlich die philosophische Theorie „Über das Erhabene“[1] im Bezug auf das Drama „Maria Stuart“[2]. Gerade die Titelperson Maria Stuart wurde oft als erhaben bzw. als erhaben Handelnde bezeichnet[3]. Mittlerweile ist nur noch die Rede von „Momente[n] des Erhabenen“[4], da die Sicht, der Schillerforschung, auf die Königin, nicht eindeutig ist.
Die Forschung interpretiert Maria tatsächlich äußerst verschieden. Peter-Andrè Alt sieht in ihr eine Schöne Seele (auch eine Konzeption Schillers), da er davon ausgeht, dass sie ohne vorgeführte Entwicklung zur Kontrolle ihrer Affekte findet.[5] Nikolas Immer wiederum entdeckt in ihr eine Märtyrerin, da sie im letzten Akt als weiß gekleidete und somit als reine Person auftritt und ihr Bezug zu Gott, durch religiöse Utensilien gestützt wird.[6] Chenxi Tang betrachtet Maria Stuart als ein Völkerrechtsdrama.[7] Wolfgang Wittkowski betrachtet sie als „Christin, die persönlich bereut und politisch vergibt [jedoch] Gottes Rache für ihre ungerechte und verräterische Behandlung [ruft]“[8]. Bei dieser Auswahl sei es belassen. Sie dient dazu aufzuzeigen wie unterschiedlich das Stück betrachtet wird und wie spannungsreich die Theorie der dichterischen Praxis gegenübersteht.
Auch wenn die genannten Interpretationen und Ansätze, im Verlauf der Arbeit gestreift werden, soll es im Folgenden hauptsächlich um das oben genannte Verhältnis zwischen Schillers Erhabenheitsbegriff und der Person der Maria gehen. Um zu zeigen, an welchen Stellen Maria sich im Sinn, oder nicht im Sinn, des Erhabenen verhält, gilt es zuerst die Abhandlung „Über das Erhabene“ zu betrachten und kritisch zu hinterfragen. Danach ist die Figur Maria Stuart im Stück zu analysieren. Dies soll in zwei Schritten geschehen. Ein Teil wird sich mit dem Bereich vor dem letzten Aufzug beschäftigen und dieser letzte wird dann,
zwischen Marias Auftreten und ihrem Tot, noch detaillierter untersucht werden. Den Wendepunkt, im Bezug auf den Erhabenheitsbegriff, bildet der fünfte Akt. „Wandlung“[9] ist hier das Stichwort. Sie bildet sozusagen die Achse zwischen dem Bereich des Vor-Erhabenen und dem eventuell erhabenen Charakter Marias.
Im Kern soll Maria in den Blick genommen werden. Allerdings ist an einigen Stellen ein Augenmerk auf andere Personen unumgänglich, da sie teilweise Marias Auftreten unterstützen und an anderen stellen wieder kontrastieren. Wichtige Momente werden Beispielsweise das Verhalten zwischen Maria und ihrer Amme Kennedy sein und das Verhalten der Titelheldin während des Aufeinandertreffens von Maria und Elisabeth.
Auch wird ein kurzer Einstieg in Schillers Text „Über Anmut und Würde“[10] gegeben werden, um zu prüfen ob Maria, nach seinem Verständnis, als Frau, überhaupt erhaben sein darf oder ob sie schon aus der Theorie heraus ein schöne Seele sein muss. Die Dichtermeinung wird also der Forschungsmeinung gegenübergestellt werden.
Die theoretischen Abhandlungen und das Drama gehören, im wesentlichen, zur Epoche der Weimarer Klassik, also befinden wir uns im Kontext der französischen Revolution und ihren Folgen. Es ist anzumerken, dass, auch wenn der Stoff des Stückes über die schottische Königin im 16. Jahrhundert spielt, es durchaus Parallelen zur Zeit Schillers gibt. 1782, als Schiller erstmals an den Stoff herantrat, aber kein Stück hervorbrachte, war das französische Königspaar noch nicht geköpft worden. Es gilt also für die philosophischen Abhandlungen, als auch für das Drama, zu beachten, dass sie auch aus dem Kontext der Zeit entstanden sind. Unter diesem Aspekt wird es interessant sein, ob Maria sich im Sinn des Erhabenen in Freiheit versetzen kann.
1. Das Erhabene
Um die Theorie des Erhabenen anwenden zu können bzw. sie im Bezug auf den Charakter Maria Stuarts zu überprüfen, gilt es zuerst, diese darzustellen, um ihre Inhalte auszumachen. Weiter muss das Erhabene kritisch hinterfragt werden um eventuelle Probleme, in der späteren Anwendung, vorzeitig aufzudecken.
1.1. Schillers theoretische Reflexionen „Über das Erhabene“
„Kein Mensch muß müssen“[12], leitet Schiller seine Abhandlung „Über das Erhabene“, die vermutlich zwischen 1793 und 1796 entstand, aber erst 1801 im dritten Band der kleineren prosaischen Schriften publiziert wurde[13], ein, und das ist auch im wesentlichen das Programm, denn in seinen Augen ist „der Mensch [...] das Wesen, welches will“[14] und davon will er handeln.[11]
In seinem Menschenbild ist das Individuum von seiner Umwelt beherrscht. Sie spielt den „Meister“[15] über ihn. Der Mensch wird als Gefangener seiner Umwelt profiliert. Ausgehend von dieser negativen Situation und der gewünschten Willensfreiheit des Menschen, versucht Schiller nun aufzuzeigen wie der Mensch diese Freiheit, bei allem was ihm widerfahren kann, das er nicht will, behalten bzw. erhalten kann.
Er zeigt zwei Möglichkeiten auf, die den Menschen, seinen Willen, behaupten lassen. Die erste ist die „realistisch[e]“. Hierbei setzt „der Mensch der Gewalt Gewalt entgegen[...]“. Denn die Menschen sind nichts „so unwürdig, als Gewalt zu erleiden“[16]. Ein Beispiel hierfür wäre ein Blitzableiter. Der Naturgewalt eines Blitzes würden so die physikalischen Kräfte, durch die Kenntnis derer, entgegengesetzt und so die Gewalt des Blitzes, im Sinn des menschlichen Willens abgeleitet und der Mensch bliebe verschont. Allerdings gibt es auch Dinge, die der Mensch nicht verändern kann. Das führt zur zweiten Methode.
Die zweite Möglichkeit, nach Schiller, ist die „idealistisch[e]“. Hierzu müsste der Mensch aus dem Bereich der Natur heraustreten und „den Begriff der Gewalt vernichten“[17]. Diese idealis-
tische Methode, nach der der Mensch nicht mehr der Gewalt Gewalt entgegensetzt (nicht mehr „physische[...] Kultur“[18]) funktioniert auf der Ebene des Geistes. Sie soll zum Einsatz kommen wenn dem Menschen Dinge geschehen, denen er nichts physisches mehr entgegensetzen kann, wie (zum Beispiel) beim unausweichlichen Tod.
„Zwei Genien“ stellt Schiller nun gegenüber. Zum einen das „Schöne“, dass zwar schon „Ausdruck der Freiheit“ ist, dem Menschen aber nicht hilft auf die Ebene des Geistes zu kommen. Zum anderen das „Erhabene“, dass in der Lage ist den Menschen aus der Natur herauszuheben, auf die höhere Ebene. Während beim Schönen die Vernunft und die „sinnlichen Triebe [...] harmonieren“, harmonieren beim Erhabenen die sinnlichen Triebe und die Vernunft nicht (Disharmonie), „weil der Geist hier handelt, als ob er unter keinen anderen als seinen eigenen Gesetzen stünde.“[19]
Diese Disharmonie stellt sich im „gemischte[n] Gefühl“ des Erhabenen dar. Schiller spricht hier vom „Wehsein“ und „Frohsein“[20] zugleich. Zwei Gefühle, die sich eigentlich widersprechen. Die Disharmonie des Erhabenen als „gleichwertig“[21] gegenüber der Harmonie des Schönen zu sehen, ist pragmatisch unpassend. Das Erhabene erscheint viel komplexer als das Schöne, zumal hierbei ein Ebenenwechsel von der sinnlichen zur übersinnlichen stattfinden soll[22]. Ein solcher Wechsel unterscheidet die Qualität von Schön und Erhaben. Das folgende Zitat unterstützt die These der Komplexität des Begriffs des Erhabenen (auch im Gegensatz zum weniger komplexen Schönen).
Der Erhabene Gegenstand ist von doppelter Art. Wir beziehen ihn entweder auf unsere Fassungskraft und erliegen bei dem Versuch, uns ein Bild oder einen Begriff von ihm zu bilden: oder wir beziehen ihn auf unsere Lebenskraft und betrachten ihn als eine Macht, gegen welche die unsrige in nichts verschwindet.[23]
Die nächste Textstelle belegt den Ebenenwechsel, der beim Erhabenen vollzogen werden soll.
Das Erhabene verschafft uns also einen Ausgang aus der sinnlichen Welt, worin uns das Schöne gern immer gefangen halten möchte.[24]
Das Schöne will uns also festhalten, während uns das Erhabene auf eine übersinnliche Ebene bringen kann. Wie sieht dieser Ebenenwechsel nun aus?
Nicht allmählich (denn es gibt von der Abhängigkeit keinen Übergang zur Freiheit), sondern plötzlich und durch eine Erschütterung reißt es den selbstständigen Geist aus dem Netze los, womit die verfeinerte Sinnlichkeit ihn umstrickte, und das um so fester bindet, je durchsichtiger es gesponnen ist.[25]
Es besteht zwischen den Ebenen keine Zwischenebene, keine Übergangsphase. Die „Energie des Willens“[26] soll den Menschen ohne Zwischenschritte hinüberbringen.
Weiter ist wichtig das der Mensch zunächst (noch als „Sinnenwesen“[27]) leiden muss, um später seine Unabhängigkeit zeigen zu können (in der Handlung).[28] Ein Unterschied zwischen Noch-Nicht-Erhaben und Erhaben muss also sichtbar sein. Hier wird das Theater wichtig. Schiller sagt, dass das Unglück den Menschen in der Wirklichkeit überraschend treffen kann.[29] Um ihn darauf vorzubereiten, kann er sich im Theater vorbeugend Impfen lassen.
Das Pathetische, kann man daher sagen, ist eine Inokulation des unvermeidlichen Schicksals, wodurch es seiner Bösartigkeit beraubt und der Angriff desselben auf die starke Seite des Menschen hingeleitet wird.[30]
Das Pathetische ist ein künstliches Unglück,[...][31]
Das künstliche Unglück (das Pathetische) soll den Menschen auf die Realität, die unverhofft kommt, vorbereiten. Für Schiller scheint dies geradezu ein medizinischer Vorgang zu sein, im Bezug auf den Zuschauer.
Obwohl es in dieser Arbeit in erster Linie um das Erhabene bzw. Nicht-Erhabene gegen soll, sei noch angemerkt, dass das Schöne nicht einfach verloren gehen soll. Beides soll wichtig sein.
Nur wenn das Erhabene mit dem Schönen sich gattet und unsre Empfänglichkeit für beides in gleichem Maß ausgebildet worden ist, sind wir vollendete Bürger der Natur, ohne deswegen
ihre Sklaven zu sein und ohne unser Bürgerrecht der intelligibeln Welt zu verscherzen.[32]
In sofern ist der Begriff der Gleichwertigkeit[33] (vgl. oben) richtig.
Weiter ist anzumerken, dass Schiller mit seinen Begriffen des Erhabenen und des Schönen keine Neuentdeckungen gemacht hat, sondern unter anderem, vor allem an Kant anknüpft.[34]
1.2 Kritik an Schillers System des Erhabenen
Es sei noch einmal aufgegriffen, dass Schiller vorschlägt, das Erhabene als Mittel gegen den Tod zu nutzen. Menschen sollen auf eine höhere Ebene wechseln, um den Tod dem Begriff nach zu vernichten. Die folgende Darstellung soll helfen zu verstehen was beim Erhabenen
passiert. Das Menschenleben verläuft auf der normalen physischen Ebene. In dem Moment, wo der unabwendbare Tod droht und man sich nicht mehr durch physische Kultur helfen kann, geht der Mensch, beim Erhabenen, auf die höhere Ebene (Ausgang aus der sinnlichen Welt in die übersinnliche). Dieser Ebenenwechsel findet jedoch nur geistig statt. Physisch bleibt der Mensch wo er ist und nimmt in jedem Fall physisch schaden. Es handelt sich hierbei um ein Aufspalten von Körper und Geist.[35] Passiv resigniert er, im Sinne des Geschehenlassens des Todes.[36] Schiller weis von diesem Problem („Resignation in die Notwendigkeit“[37]). Der Mensch ist, wenn er erhaben handelt, nur im heteronomen Bereich.
Der Tod und die Freiheit passen an dieser Stelle nur heteronom zusammen und nicht autonom.[38]
Bei Maria Stuart wird zu prüfen sein, in wie fern sie sich passiv verhält, und besonders ob sie heteronom oder autonom auftritt. Lässt sie ihren Tod einfach so geschehen oder bereitet sie sich darauf vor und ist somit nicht passiv im Verhalten?
Der Mensch spaltet sich vom Vorgang her in sinnlich und übersinnlich. Somit verliert der sinnliche Teil trotzdem. Das Besiegen des Todes gilt, wenn überhaupt, nur für den abgespaltenen übersinnlichen Teil. Wie soll so etwas in der Dramen- und Theaterpraxis dargestellt werden? Ein letzter Akt im Reich der Geister vielleicht? Hier trifft das System des Erhabenen auf seine Grenzen bezüglich der Umsetzung. Der Versuch einer erhabenen Tragödie ist mit Problemen behaftet und Schiller musste, nach Greiner, somit, in „seiner nachfolgenden poetischen Praxis [von seiner Theorie abweichen]“[39].
Weiter ist Problematisch, dass Schiller, das Resignieren in die Fremdbestimmung ohne wirklichen Grund vorschlägt. Der Tod ist, in der erhabenen Situation, genauso unausweichlich wie ohne sie. „Ohne Wozu wird Aufopferung sinnlos,[...]“.[40] Es gibt zumindest in dieser Abhandlung (Über das Erhabene) keine Angabe von Gründen, die der Tod eines Erhabenen braucht.
Unbedingt ist Schillers Darstellung des wollenden Menschen zu beachten. Grundsätzlich ist der Mensch mit einem Überlebenswillen ausgestattet. Diesen Willen muss man aber, um erhabenen Charakters sein zu können, beenden. So frei die Idee des Erhabenen auf den ersten Blick auch scheint, so einschränkend sind ihre Auswirkungen.
[...]
[1] SW Band 5, S. 792-808.
[2] SW Band 2, S. 549-686.
[3] Vgl. z.B. Köhnke: Schiller Heute, 1996, S. 109.
[4] Dörr: Weimarer Klassik, 2007, S. 106.
[5] Vgl. Alt: Schiller, Band 2, 2004, S. 507.
[6] Vgl. Immer: Der inszenierte Held, 2008, S. 360 ff.
[7] Vgl. Tang: Theatralische Inszenierung der Weltordnung, 2011, S. 142-168.
[8] Wittkowski: Schiller, 2012, S. 317.
[9] Exemplarisch Guthke: Maria Stuart 2011, S. 451., Luserke-Jaqui: Friedrich Schiller 2005, S. 308. u. Immer: Der inszenierte Held, 2008, S. 361. Der Begriff tauch in der Forschung oft auf, was für eine relativ stabile Einigkeit dem Orientierungsbegriff gegenüber spricht.
[10] SW Band 5, S. 433-488
[11] SW Band 5, S. 792-808.
[12] Ebd. S. 792.
[13] Vgl. Alt, Schiller 2004. S. 92.
[14] SW Band 5, S. 792.
[15] Ebd. S. 793.
[16] Ebd. S. 792-793.
[17] Ebd. S. 793
[18] SW Band 5, S. 793.
[19] Ebd. S. 795-796.
[20] Ebd. S. 796.
[21] Ehlers: Zwischen Schön und Erhaben, 2011, S. 202.
[22] Vgl. SW Band 5, S. 796.
[23] Ebd. S. 797.
[24] Ebd. S. 799.
[25] SW Band 5, S. 799.
[26] Pineiro Costas: Schillers Begriff des Erhabenen in der Tradition der Stoa und Rhetorik, 2006, S. 150.
[27] Noetzel: Schillers Sozialästhetik, 2008, S. 62.
[28] Vgl. ebd.
[29] Vgl. SW Band 5, S. 805.
[30] Ebd. S. 805-806.
[31] Ebd. S. 805.
[32] SW Band 5, S. 807.
[33] Vgl. Ehlers: Zwischen Schön und Erhaben, 2011, S. 202.
[34] Vgl. hierzu exemplarisch Assmann: Über das Erhabene, 2007, S. 166-182. Assmann zieht in der Hauptsache die Parallele zu Kant. und Barone, Schiller und die Tradition des Erhabenen, 2004, S.302. Barone bezeichnet Maria Stuart als einen neuen Heldentypus, differenziert also auch.
[35] Vgl. Brucher: „[...] denn das Sichopfernkönnen beweist das Sich-Haben“, 2011, S. 153.
[36] Vgl. Riedel: Die Freiheit und der Tod, 2007, S. 66.
[37] SW Band 5, S. 794.