Leseprobe
Gliederung
1. Die Präambel und die Politik
2.1. Die Textfunktion der Präambel- der Kontext
2.2. Die Textfunktion der Präambel- die Illokutionsstruktur
2.2.1. Die Illokutionsstruktur der Präambel der Union
2.2.2. Die Illokutionsstruktur der Präambel der Grünen
2.3. Die Themenentfaltung
2.3.1. Die Themenentfaltung der Union
2.3.2. Die Themenentfaltung der Grünen
3. Gegenüberstellung und Fazit
4. Anhang
5. Literaturverzeichnis
1. Die Präambel und die Politik
Eine linguistische Untersuchung auf dem Gebiet der Politik scheint äußerst reizvoll- haben doch vor kurzem noch Millionen Kinogäste auf der ganzen Welt über die Sprachtherapie eines stotternden Staatsoberhauptes geschmunzelt. Die res publica benötigt erstklassige Rhetorik, so könnte das Credo des Kinojahres lauten; denn um die komplexen Themenlandschaften der vielfältigen Ressorts unter das Volk zu bringen, bedarf es klarer Worte.
Freilich gilt das nicht nur im Kinosaal, auch der deutsche Bürger will mit weisen Worten bezirzt und durch starke Argumente in eines der vielen Lager gezogen werden. Besonders in Zeiten einer Bundestagswahl schnellt die Anzahl der medienwirksam inszenierten Debatten in die Höhe. Dass es dabei nicht primär um die Feinheiten der Programme geht, liegt auf der Hand. Die gesprochene Rede greift in wesentlich größerem Umfang auf die Elemente der Polemik und der raschen emotiven Hinwendung zurück als das ein schriftlicher Text tut. Ein an Literatur schier überbordender Forschungszweig befasst sich daher auch mit dem Verhältnis von Politik und individueller Politikerpersönlichkeit einerseits, mit dem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis von massenmedialer Präsentation und programmatischer Substanz andererseits. Die Wahlprogramme der Parteien fristen neben diesen attraktiven, öffentlichkeitstauglicheren Bereichen der Politik nur ein Schattendasein. Ungerechtfertigterweise- denn in ihnen präsentiert jede zur Bundestagswahl zugelassene Partei, unabhängig von der Strahlkraft Ihrer Führungskader, ihr möglichst unverwechselbares Gesicht.
Daher befasst sich diese Arbeit mit der Textsorte des Wahlprogramms, genauer mit der vorgelagerten Präambel. Diese „[…] enthält Hinweise auf Motive und Ziele sowie den historischen Hintergrund […][1] staatlicher Schreiben, wodurch sie sich gerade in der Drastik der Darstellungsmittel vom detaillierten Punkt-Für-Punkt-Programm abhebt. Um ein weiteres gewinnbringendes Spannungsfeld hinsichtlich der Themenentfaltung zu provozieren, beschäftigt sich die Analyse einerseits mit einer Regierungspartei von 2002- Bündnis 90/ Die Grünen-, andererseits mit einer Oppositionspartei von 2002 – CDU/CSU.
2.1 Die Textfunktion der Präambel- der Kontext
Es gibt wohl kaum eine andere Textart, deren vorrangige Funktion so sicher bestimmbar erscheint, wie es bei einer Wahlprogramm- Präambel der Fall ist. Auch Klaus Brinker weist deshalb neben den textimmanenten Kriterien besonders auf die Dominanz des Kontextes hin, der durch „[…] situative, insbesondere […] institutionelle Rahmen […]“[2] ersichtlich wird. Und eine Partei, die sich zur Wahl aufstellt, will ohne Zweifel gewählt werden. So gut wie jede Äußerung, ob mündlich oder schriftlich, kann daher in letzter Konsequenz diesem Anliegen zugerechnet werden: „Wähle uns!“
Doch eine linguistische Arbeit sollte selbstverständlich auch die innersprachlichen Phänomene eines Textes in das Kalkül einbeziehen, und sei es nur, um die erste Annahme zu stützen. Interessanterweise scheitert aber der Versuch, Brinkers „[…] grammatische Indikatoren der Appellfunktion […]“[3] in relevanter Menge ausfindig zu machen. Weder die Union noch Die Grünen gebrauchen Imperativ- oder Interrogativsätze über Gebühr, ja, die Grünen verzichten bemerkenswerterweise sogar völlig auf Ausrufe-und Fragezeichen. Eventuell lässt sich die grammatische Zurückhaltung aber ebenfalls mit dem Kontextwissen erklären; denn da die Absicht des Programms –der Stimmenfang- evident ist, möchten die Parteien nicht mit sprachlich vergleichsweise plumpen Mitteln zum Bauernfänger deklassiert werden. Um auf textimmanenter Ebene dennoch eine Analyse entwickeln zu können, bedarf es folglich subtilerer Wege.
2.2 Die Textfunktion der Präambel- die Illokutionsstruktur
Nach der Sprechakttheorie nach John Austin und John Searle zerfällt die Kommunikation strukturell und prozessual in gewisse Teilbereiche, wovon ein Bereich als illokutiver Akt bezeichnet wird. Dabei handelt es sich laut Robert de Beaugrande um bestimmte Typen „[…] konventionelle[r] Diskurshandlungen […][4], mit denen die Intention des Textemittenten- in diesem Fall die Parteien- durchgesetzt werden soll. In der knappen Definition deutet sich zweierlei Entscheidendes an: der Verweis auf einen Diskurs verdeutlicht ein bilaterales Verhältnis der Diskussion; die eine Teilnehmergruppe versucht die andere mit geeigneten Mitteln von ihren Vorstellungen zu überzeugen, handelt also persuasiv. Zweitens spricht das Adjektiv konventionell eine erwartbare Reaktion der Kommunikation an, darüber hinaus aber ebenso eine Bindung. Brinker wirft gegen den Absolutheitsanspruch der Illokutionsanalyse das Argument ein, „[…] dass hier ein Eins- zu- Eins- Verhältnis zwischen Satzstruktur und illokutionärer Rolle nahegelegt wird, das prinzipiell nicht besteht […][5] “. Trotzdem gibt es in den meisten Texten ein übergeordnetes Prinzip – etwa eine Aufforderung, Drohung, Empfehlung- das als Primär-Illokution gelten darf. Welche sprachlichen Mittel das Illokutionsprinzip der Präambeln offenlegen, soll nun untersucht werden.
2.2.1 Die Illokutionsstruktur der Präambel der Union
Unter dem Motto Es ist Zeit für Taten. Es ist Zeit für die Union. bewirbt sich die CDU/CSU für ein Regierungsmandat ab 2002. Wie bereits erwähnt, hält sich der Gebrauch von Imperativen in Maßen. Nur an zwei Stellen wird er genutzt, und bezeichnenderweise relativiert sich dort der Effekt der Aufforderung wieder, indem als Agens nicht etwa die 2., sondern die 1. Person Plural auftritt. So heißt es: „Lassen wir nicht zu, dass Deutschland auf die schiefe Bahn gerät!“[6] und: „Machen wir die Bundestagswahl zum Wendepunkt!“[7] Die In-eins-Setzung von Emittent und Rezipient verschleiert also gewissermaßen den Adressaten und suggeriert ein mächtiges, einheitliches Kollektiv, in das der Leser selbst dank der Rahmenbedingung der Lektüre zwangsläufig eingebunden ist. So entsteht der Eindruck der Identität von Union und Leser. Diese Identität wirkt sich außerdem auf den illokutionären Akt selbst aus; denn mit der Inkorporation von zu Wählenden in die Menge der Wähler (und andersrum) scheinen auch die Akte Versprechen und Aufforderung ein und dasselbe zu werden. Der Bürger wählt sich selbst.
Nicht weniger raffiniert verhält es sich mit dem wiederholten Einsatz des Futurs. Die Aussage: „Gemeinsam werden wir dem Land den Optimismus wiedergeben […]“[8] enthält neben dem bereits interpretierten Personalpronomen auch ein -zugegebenermaßen mittlerweile konventionalisiertes- getarntes Versprechen; ein in der Zukunft liegendes Ziel ohne Modalverb, also quasi schon als gesetzten Zustand zu reklamieren, mag Sicherheit und Determiniertheit versprühen, es bleibt jedoch eine versprochene Aussicht. Und da die notwendige Bedingung der Umsetzung die vorzeitige Wahlbestätigung ist, verbirgt sich auch hinter diesem Satz letztlich eine Aufforderung oder Bitte.
Hält man sich zu diesem frühen Zeitpunkt der Analyse noch einmal Brinkers Bedenken hinsichtlich der Entsprechung von Illokution und Grammatik vor Augen, wird deutlich, dass es weit mehr Möglichkeiten gibt, um Aufforderungen im Text unterzubringen. Im letzten Beispiel etwa wird mithilfe des Futurs die Kausalkette der Aufforderung umgekehrt. Die –Wenn…-Dann…-Korrelation steht als Muster der politischen Agitation wohl so deutlich im Raum, dass ihr erstes Glied, trotz Aussparung, präsent bleibt. Auf dieselbe Weise funktioniert auch die Absage der Union an die bisherige Regierung. Die Behauptung, dass „[d]ie Mehrheit der Deutschen […] diesen Weg nicht fortsetzen […]“[9] wird, bedient sich abermals dem Mittel der vollendeten Tatsachen, die über eine grammatische Konstruktion auch den Anspruch auf Durchsetzung in der (außersprachlichen) Welt erhebt. Neu ist hingegen das Subjekt des Satzes; ob die Mehrheit der Deutschen nicht praktischerweise gleich eine Zweidrittel-Mehrheit ist, wird nicht verraten, offenbar dagegen ist die Suggestion eines homogenen Volkswillen, dem man –aus Gründen vorgeblicher Offensichtlichkeit- weder die eigene Partei als Mit- Agens noch etwaige Begründungsansätze anfügt. Freilich könnte man annehmen, dass diesem Satz als Konklusion einzelne Thesen vorausgegangen sind, in Einklang etwa mit Heinemanns Ausführungen zum Illokutionsmuster, wonach dem Großteil des Textes „[…] subsidiäre, d.h. unterstützende Funktion zukommt.“[10] Angesichts der Kürze des Textes fällt den subsidiären Elementen aber kaum entscheidendes Gewicht zu. Die bittstellerische Illokution ist dominant, wird jedoch als Selbstbejahung der Rezipienten verkauft.
[...]
[1] Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. 19., völlig neu bearbeitete Auflage. Mannheim: F.A. Brockhaus GmbH 1986. (Stichwort: Präambel)
[2] Brinker, Klaus: Linguistische Textanalyse: Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. 7. Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2010 (= Grundlagen der Germanistik; Bd. 29).(S.93)
[3] Ebd. (S. 102)
[4] Dressler, Wolfgang; de Beaugrande, Robert: Einführung in die Textlinguistik. 1. Auflage. Tübingen: Niemeyer Verlag 1981 (= Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft; Bd. 28). (S. 122)
[5] Brinker, Klaus (S. 87)
[6] Wahlprogramm der Union: Leistung und Sicherheit: Zeit für Taten http://www.cdu.de/doc/pdfc/regierungsprogramm-02-06-b.pdf (S. 4; Z. 12/13)
[7] Ebd. (S. 4; Z. 19)
[8] Ebd. (S. 4; Z. 4)
[9] Ebd. (S. 4; Z. 11)
[10] Heinemann, Margot; Heinemann, Wolfgang: Grundlagen der Textlinguistik: Interaktion- Text- Diskurs. 1. Auflage. Tübingen: Niemeyer Verlag 2002 (= Reihe Germanistische Linguistik; Bd. 230). (S. 83)