Techno: Unterschiedliche Aspekte und Betrachtungsweisen zu der prägenden (Sub-) Kultur der Neunziger Jahre


Diplomarbeit, 2000

316 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1. Vorüberlegungen zur Technokultur
1.1 Der Kulturbegriff
1.1.1 Jugendkultur
1.1.2 Subkultur
1.2 Kulturindustrie
1.2.1 Die Masse
1.2.2 Ästhetische Kultur
1.3 Betrachtung früherer Musikbewegungen
1.3.1 Die Rock ´n´ Roll Ära
1.3.2 Die Beat Ära
1.3.3 Die Psychedelische Ära
1.3.4 Die Punk Ära

2 Technokultur
2.1 (Elektronische-) Musikgeschichte
2.1.1 Entwicklung der Technomusik
2.1.2 Chicago
2.1.3 Detroit
2.1.4 Ibiza
2.1.5 Goa
2.1.6 London
2.1.7 Manchester
2.1.8 Frankfurt am Main
2.1.9 Berlin
2.2 Techno-Musik
2.2.1 Technosound und Technoproduktion
2.2.2 Plattenlabel
2.2.3 Tonträger / Musik als Ware
2.2.4 Ton - Träger / Die Discjockeys (DJ´s)
2.3 Technokultur / Partykultur
2.3.1 The Raving Society
2.3.1.1 Altersspezifische Zuordnung
2.3.1.2 Club – Kultur
2.3.1.3 Rave-Kultur
2.3.1.4 Klasse / Schicht / Ethnizität
2.3.1.5 Geschlecht
2.4 Techno – Eine ästhetische Kultur
2.4.1 Hören
2.4.2 Sehen
2.4.3 Fühlen
2.5 Kommunikation
2.5.1 Flyer
2.5.2 Fanzines und Magazine
2.5.3 Radio
2.5.4 TV
2.5.5 Internet
2.5.6 Kleidung / Sprache
2.5.6.1 Kleidungsstil
2.5.6.2 Sprache
2.6 Massenphänomen
2.6.1 Paraden und Großveranstaltungen
2.7 Kunst / Kultur / Kommerz / Konsum
2.7.1 Kunst
2.7.2 Kultur
2.7.3 Kommerz
2.7.4 Konsum
2.8 Drogen
2.8.1 Geschichte
2.8.2 Kultur / Subkultur
2.8.3 Aspekte der modernen Gesellschaft
2.8.4 Drogen im Technokontext
2.8.4.1 Techno-Drogen: Begriffsklärung
2.8.4.2 Psychoaktive Substanzen
2.8.4.3 Stofflichkeiten
2.8.4.4 Gebrauch psychoaktiver Substanzen in der Techno-Szene
2.9 Über ein Jahrzehnt Technokultur

3 Sozialarbeit in der (Sub-) Kultur
3.1 Vorstellung des Projekts Eve & Rave e.V.
3.2 Vereinskonzept und Tätigkeitbeschreibung (Eve & Rave e.V. Berlin)
3.2.1 „Rave, pure Rave“
3.3 Vorstellung einzelner Projekte
3.3.1 Das Safer House Konzept: Die Idee vom gesunden Feiern
3.3.2 Druckchecking und Healthservice
3.3.3 Monitoring (Trendüberwachung)
3.3.4 Party- und Chill Out Konzept
3.4 Europaweite Vernetzung / Zusammenarbeit
3.5 Auswirkungen in der Sozialarbeit
3.6 Neue Wege- oder: Der alte Kampf um die Freiheit
3.6.1 RELEASE:Verein zur Bekämpfung der Rauschgiftgfahr
3.6.2 Selbstverständnis akzeptierender Drogenarbeit in den 80ern
3.6.2.1 Harm - reduction - Strategien im Strafvollzug
3.6.2.2 Ecstasy als Unterrichtsthema
3.6.2.3 INDRO e.V
3.7 Zusammenfassung

4 Techno-Kultur als Tummelplatz für kreative Menschen und innovative Projekte
4.1 Drogen mal ganz anders (über MDMA)
4.1.1 Professionelle Therapie
4.1.2 Private „Reisen“
4.2 Mindmachines - Techno-Meditation
4.2.1 Mindmachines – Meditationsmaschinen
4.2.1.1 Einführung
4.2.1.2 Die Funktion von Mindmachines
4.2.1.3 Optisch - akustische Mindmachines
4.2.1.4 Kommunizieren im Geist
4.2.2 Techno unter Wasser
4.2.2.1 Liquid Sound - Symphonie der Sinne
4.3 Klangkunst - „Kunst macht hörbar“
4.3.1 Psychoaktive Substanzen für das Gehör
4.4 Goa-Trancebewegung - Techno-Hippies
4.4.1 Die Cybertribes
4.4.2 Spiral Tribe UK
4.4.3 Psychonautisches Techno-Zeitalter
4.5 Techno + Japan
4.5.1 Liveact im Citröen

5 Sichtweisen
5.1 Einblick
5.2 Ausblick

Glossar

Literaturliste

Anhang

Vorwort

1968 geboren, trauerte ich seit Beginn der Pubertät den Parolen und der Lebenseinstellung der Hippiegeneration nach.

Die Parole „Make Love not war“ beeinflußt meinen Lebensweg bis heute.

Und so war die Punkbewegung der 80er Jahre für mein Selbstverständnis zu negativ ausgerichtet, wenngleich ich mich in verschiedenen Teilen der Bewegung auslebte. Mit Punk, und der dazugehörigen „No Future“-Einstellung konnte ich mich einfach nicht identifizieren. Auch die Musik war nicht das, was meinem Geschmack entsprach (und so war ich mehr oder weniger ein Fan der Hippiemusik, vor allem der „Doors“, aber schon damals hörte ich elektronische Musik, z.B. „Kraftwerk“ oder „Trio“), lediglich das Outfit entsprach meinen Vorstellungen von Individualität, vor allem aber von der Abgrenzung zur „Normalgesellschaft“.

Ende der 80er Jahre war ich häufig in Berlin, wo ich meinen besten Freund besuchte, der seit den Anfängen der Techno-Bewegung im subkulturellen Techno-Milieu „zu Hause“ war und immer noch ist. Er erzählte mir von den Parties, den Afterhours, den Parolen „Love, Peace, Unity“, der ersten Loveparade, der Atmosphäre auf den Parties, den Umgang der „Partyfamily“ miteinander usw. usf.

Neugierig geworden, waren die Beschreibungen für mich doch sehr „Hippieverdächtig“; ich lernte in Berlin einige „Techno-Freaks“ und Underground-Parties kennen und erahnte eine neue Bewegung.

Obwohl von den Beschreibungen der Techno-Bewegung begeistert, fast euphorisch, (war nun endlich „meine Zeit“ gekommen?) hatte ich zu dieser Zeit jedoch mit Techno ein großes Problem: Die Musik!

Wenn mein Freund die Techno-Kassetten abspielte (was er permanent tat), hatte ich das Gefühl, ich müßte die Musik sofort stoppen, es war kaum zum Aushalten.

Es sollten noch einige Jahre vergehen, bis diese Musik in meinen „Körper“ ging – und seitdem ist Techno-Musik so etwas wie ein Lebenselexier für mich geworden: Ruhige Techno-Musik zum Meditieren, House-Musik zum „gemütlichen“ Feiern, schnellere Varianten zum Aufräumen der Wohnung, Trancemusik zum Ausflug ins Universum oder beim Autofahren, für jede Gefühlslage gibt es für mich die dazu passenden Beats - der Spruch meines Freundes „Irgendwann kriegen wir euch“ (hier zeigt sich schon zu Beginn der kreative Umgang mit Werbeslogans, oder nicht?) hat sich bewahrheitet.

Seit Anfang der 90er Jahre hatte ich dann endlich „meine Hippiebewegung“ gefunden und bewege mich seitdem in dieser Kultur.

Seit 1994 habe ich mich an verschiedenen Ideen und Projekten der Techno-Kultur beteiligt, was sich u.a. auch auf meine Arbeit als Erzieher bzw. auf mein Studium ausgewirkt hat.

So ist zum einen die Gründung des Kasseler Vereins Eve&Rave 1995 zu nennen, an dessen konzeptioneller Gründungsphase und späterer Arbeit ich mitbeteiligt war, zum anderen die daraus entstandenen konkreten Projekte, denen ich bis heute zugewandt bin.

Seit 1994 beschäftige ich mich mit und durch Eve&Rave mit den Ansätzen der akzeptierenden Drogenarbeit und der damit verbundenen Philosophie der Freiheit des Menschen in einer Gesellschaft.

Des weiteren habe ich seit 1994 für den Verein im Chill-Out-Bereich von Techno-Parties einerseits künstlerisch an der Gestaltung mitgewirkt, zum anderen den Bereich Chill-Out als Partykonzept z.B. unter dem Gesichtspunkt der Drogenprävention in der Techno-Kultur vertreten.

Im Bereich „Techno als Technik“ beschäftige ich mich seit nunmehr sechs Jahren im Feld der Bewußtseinserweiterung durch technische Hilfsmittel (Mindmachines) in Kombination mit z.B. traditionellen. Meditationstechniken.

Als Trompetenspieler der 70er Jahre bin ich musikalisch „vorbelastet“ (Trompetenspielen habe ich mit 12 oder 13 Jahren aufgegeben, mit Kirchenliedern konnte ich mich nicht mehr identifizieren, zum anderen wäre wohl eine Orgel oder Gitarre besser geeignet gewesen, um die „Doors“ zu spielen), und so beschäftige ich mich seit ein paar Jahren mit der Synthesizermusik (wobei ich mit der Trompete mehr konnte ... ich lerne aber dazu ...). Zum Ausgleich der intellektuellen Arbeit beim Schreiben der Diplomarbeit versuche ich mich seitdem in der Kunst des Plattenauflegens.

Mein Interesse, dieses Thema als Abschlußarbeit meines Studiums zu wählen, liegt zum einen im persönlichen Lebensalltag, dem Leben in subkulturellen Teilbereichen der Techno-Kultur und dem Praktizieren verschiedener (Techno-) Kulturpraktiken, zum anderen darin, und hier liegt die Hauptmotivation, die Techno-Bewegung nicht nur unter den Aspekten Party- und Drogenkultur darzustellen, wie bei der meisten (Techno-) Literatur geschehen, sondern vielmehr auf die Auswirkungen der Bewegung in verschiedene Bereiche des Lebensalltages der Menschen in den 90er Jahren bis heute einzugehen.

Für meine Arbeit mit Kindern und Jugendlichen als Erzieher ist dieses Wissen um die Kulturpraktiken in heutiger Zeit wichtig, um die Lebenswelt derjenigen zu begreifen, mit deren Problemen ich mich auseinandersetze. Als angehender Sozialarbeiter wird dieses Wissen nicht weniger wichtig für die professionelle Arbeit sein.

An dieser Stelle möchte ich einigen Personen danken, die dazu beigetragen haben, diese Arbeit zu verwirklichen. An erster Stelle danke ich Nathalie, die unserer Tochter monatelang die fehlende Zeit des Vaters ersetzen mußte, ohne sie hätte die Arbeit in dieser Form nicht geschrieben werden können.

Meiner Tochter Sina danke ich für ihre Liebe und ihr Verständnis ... wir hatten trotzdem viel Spaß!

Nachfolgend unsortiert und nicht immer kommentiert (ihr wißt schon, wer ihr seid und für was ich mich bedanke):

Eve & Rave überall und alle!, Thommy Hofmann (meine Inspiration & Verbindung zum Hippyismus; Thommys Wortschöpfung), Katja & Stutz & „Zubehör“ (ja, ja ...), Beate + Tina (...), Sascha (music is the only drug), the family Rausch & Co, Michael (Deutsch für Anfänger, Part I), Sabine (Diplom versus Verwirrung), Andrea, Torsten + Sandra, Eik (black gold...), Axel, Spyra, Adrian, Nobse, Beate, A.R.M., Stammheim, DSL, 1210er (trancemachines ...), Sven + Anne, + allen, die mich auf meinem Lebensweg begleitet haben und begleiten, für Inspiration und als Koordinaten in den Weiten des Universums. DANKE.

Kassel, im Mai 2000 Alexander Rausch

Einleitung

Die Technobewegung feierte ungestört über 5 Jahre ihre Kultur im Underground, und zwar ohne größere Beachtung bei der Öffentlichkeit zu finden oder hervorzurufen bzw. mit der „Restgesellschaft in Konflikt zu geraten. So gab es zwar „Erregungen“ in der Öffentlichkeit, die z.B. mit den ersten Loveparades oder Maydays (seit Ende der 80er Jahre) und den damit verbundenen „verrückten“ Ravern auf den Straßen in Zusammenhang standen (also erste Kontakte mit der Öffentlichkeit und dem „Vorführen“ der Techno-Kultur), diese waren jedoch höchstens eine Schlagzeile in den Medien wert und somit von der Bevölkerung schnell vergessen.

Seit 1994 ist die Technobewegung und ihre Kultur jedoch immer mehr zum Thema der gesellschaftlichen Auseinandersetzung geworden:

In England wurde das „Criminal Justice and Public Order“ Gesetz erlassen, bei dem öffentliche Tanzveranstaltungen (Raves) verboten wurden bzw. nur mit behördlicher Genehmigung erlaubt waren (die es natürlich nie oder nur sehr selten gab, da das Gesetz eigens zum Verbieten von Rave-Veranstaltungen erlassen wurde).

Auch in Deutschland wurde Techno - u.a. durch den Zulauf zur Bewegung und der Beliebtheit der Kultur innerhalb bestimmter Gruppierungen - immer mehr zum Thema der öffentlichen Diskussion und Auseinandersetzung. Die Presse verbreitete ein Bild der Techno-Kultur als einer nur auf Spaß-, Drogen-, Kommerz- und nicht aushaltbarer Musik- gegründeten Kulturbewegung, die politisch nichts zu sagen hat und auch gar nichts aussagen will.

Doch immerhin veranstaltete der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) am 1. Mai 1998 schon eine „Job Parade“ in Schwerin und nutzte damit die Beliebtheit der Techno-Kultur, um der Loveparade Berlins folgend, viele Menschen auf die Straße zu bringen.

Auch das Goetheinstitut „benutzte“ Techno des öfteren, um Deutsches Kulturgut in anderen Ländern zu präsentieren, so z.B. eine Techno-Veranstaltung 1995 in San Francisco anläßlich des 50. Geburtstages der UNO.

Die Loveparade in Berlin, die seit Mitte der 90er Jahre jedes Jahr einmal im Sommer über eine halbe Millionen (Tendenz steigend: 1999 waren es 1,5 Millionen Techno-Begeisterte) „Techno-Bewegte“ Menschen anzieht, hat auch dem letzten Gegner der Kultur vermittelt: Techno ist da, Techno ist überall, Techno ist ernstzunehmen.

Seit Mitte der 90er Jahre wird dieses auch getan, Auszüge aus einem Pressespiegel sollen dieses verdeutlichen:

„Ein Gespenst ging um, und es hatte kein Gesicht. Es wummerte und zischte, spuckte Rauch und warf Blitze, und die Leute gaben sich ihm nächtelang hin“ (Der Spiegel 10.07.1995, S. 102). So mysthisch kann der „Spiegel“ sein.

„Die Zeit“ vom 14.07.1995 resümiert folgendermaßen über die „neue Bewegung“: „Techno ist keine Musik (...) Techno ist Motorsport. Und die Techno-Kids: Image-Äffchen, Konsumflittchen, triebverfallene Hedonisten“ (Die Zeit 14.07.1995, S. 5).

1996, wieder zur Sommerzeit, wieder nach der Loveparade ist im „Spiegel“ nachzulesen, was es denn mit dieser Musik auf sich hat, die „Gespenster“-Musik und RaverIn werden folgendermaßen analysiert: „Techno ist Maschinenmusik, und der Raver ist die Menschmaschine; ein zuckendes Nervensystem, das Musik solange in Bewegung umsetzt, bis es im Hirn ein Glücksgefühl ausschüttet, an das keiner glaubt, außer dem Raver“ (Der Spiegel 17.07.1995, S. 93).

Auch in der Schweiz werden im Sommer 1996 Vermutungen über Techno-Kultur angestellt: „Techno löst offenbar einen Spaßreflex aus. Als wären die Kids an Strom angeschlossen, versetzen die Rhythmen aus der Maschine ihre Körper in Vibration und ihren Geist, na ja, von ihm wollen wir lieber nicht reden (...)“(Neue Züricher Zeitung 09.08.1996, S. 36).

Soweit vorerst der Überblick zum Umgang der Medien mit der Darstellung bestimmter Gruppierungen (die Vorstellung, das andere Minderheiten der Bevölkerung durch das Medienbild ähnlich geprägt sind und der Gesamtgesellschaft so dargestellt werden, können schon ein beklemmendes Gefühl hinterlassen).

Technokultur hatte sich von Anfang an den negativen Einschätzungen der Außenwelt zu stellen: Nicht nur die Musik, nicht nur die angeblich fehlende politische Aussage der Bewegung, nicht nur der Konsum und Kommerz, nicht nur das verrückte Outfit, nicht nur das Phänomen der nächtelangen Raves, nicht nur das Ausleben bestimmter sexueller Vorlieben, nicht nur das freiheitliche Streben der Technofans nach Anerkennung ihrer individuellen Persönlichkeiten - neben vielen Gründen der Ablehnung der Techno-Kultur in der Gesellschaft kam ein weiterer wesentlicher Faktor der Ablehnung hinzu:

Der durch den Gesetzgeber illegalisierte Konsum der Lieblingsdrogen der Techno-AnhängerInnen.

Viele Techno-Angehörigen haben von Anfang an keinen Hehl aus ihrem Drogenkonsum gemacht und ihn auch in der Öffentlichkeit vertreten, was nicht gleichbedeutend ist mit: Techno = Drogen!

Der Inhalt dieser Arbeit soll dazu beitragen, die vor allem durch die Medien gefertigten Bilder über die Techno-Kultur zu hinterfragen, zu ergänzen, zu widerlegen bzw. die Techno-Kultur im wissenschaftlichen Sinne zu betrachten, um am Ende ein Wissen zu erhalten, welches dem selbstbestimmten Individuum ermöglichen kann, sich sein eigenes Bild zu machen.

Die Paraden, die seit vielen Jahren nicht mehr nur in Berlin stattfinden, werden gern von den Medien zum Anlaß genommen, um beim Rezipienten ein bestimmtes Bild der Techno-Fans zu erzeugen, welches die meisten der genannten Argumente zur Diffamierung der Bewegung vereint:

Zur „Streetparade“ in Zürich 1996 schreibt die „Neue Züricher Zeitung“ (1996): „Die Street Parade als Demonstration für ‚Love, Peace and Unity«? Ein Witz.“ (...) Denn, so heißt es weiter, die RaverInnen (...) „schweigen (...) Sie sprühen keine Parolen an die Wände und verfassen keine Texte zu ihrer Musik.“

Auf die Friedlichkeit der mehreren tausend TeilnehmerInnen wird nicht näher eingegangen. Unter Politik scheinen nur Meinungen oder politische Einstellungen pro oder kontra einer bestimmten Parteipolitik zu gelten. Politik als Ausdruck des zwischenmenschlichen Umgangs scheint (noch) nicht als politische Einstellung anerkannt. Und so wird gerade die „unpolitische Haltung“ der RaverInnen im Zusammenhang mit denen als politische Demonstration deklarierten Paraden gern von den Medien aufgegriffen, um die angebliche unpolitische Haltung der Techno-Fans zu untermauern.

Aus Österreichs Hauptstadt gibt die sozialdemokratische Kulturstadträtin Pasterk folgendes bezüglich dem Techno-Tanz durch die Wiener Ringstrasse in der „Zeit“ (1995) zum Besten (mein „Lieblingskommentar“):

„Die Techno-Faschisten von heute sehen das Außergewöhnliche im Grenzerlebnis des Musik- und Drogenrausches und in einem terroristischen Aktivismus, der oft, jenseits aller politischen Zwecke, den Charackter eines quasi-surrealistischen acte gratuit annehmen kann“ (Die Zeit 19.07.1995, S. 65).

Was hat es denn nun tatsächlich auf sich mit dieser Bewegung?

Ist die Technokultur, die seit über einem Jahrzehnt für viele AnhängerInnen Auswirkungen auf deren Lebens- und Kulturpraktiken hat sowie bestimmte Sozialisationsbedingungen mitbestimmt, wirklich so inhaltslos, wie sie von bestimmten Kreisen dargestellt wird?

In vier Kapiteln soll das Phänomen „Techno“ erörtert werden, wobei die spezifischen Kulturpraktiken der Bewegung, sowie die „Partydrogenkultur“ und die Drogenpolitik als solches die Schwerpunkte der Arbeit bilden.

Im ersten Kapitel soll vor allem der Kulturbegriff geklärt werden, und über die Reflektion früherer Musikbewegungen soll ein Übergang zur aktuellen Musikbewegung „Techno“ ermöglicht werden.

Das zweite Kapitel wird schwerpunktmäßig die Kulturpraktiken der Bewegung aufzeigen, wobei Sozialisationsbedingungen und (Drogen-), Kulturpraktiken im Vordergrund stehen.

Kapitel drei wird am Beispiel des Vereins Eve & Rave (Verein zur Förderung von Techno-Kultur und Minderung der Drogenproblematik) den Umgang mit der „Drogenproblematik“ innerhalb der Szene darstellen und weiter in Bezugnahme auf die Drogen-Sozialarbeit Möglichkeiten und Grenzen des akzeptierenden Drogenansatzes erörtern.

Im letzten Kapitel soll ein kreativer Umgang der Techno-Kultur im professionellen als auch privaten Bereich aufgezeigt werden.

Die Techno-spezifischen Begriffe, die im Text verwendet werden und nicht in Klammern erklärt sind, sind mit den entsprechenden Definitionen im Glossar nachzulesen (in dem auch noch weitere der Techno-Kultur zugehörige Begriffe oder technische Ausdrücke etc. zu finden sind).

Zur Vermeidung umständlicher Formulierungskonstruktionen wurde in den meisten Fällen die männliche Form als Synonym für männliche und weibliche Personen verwendet, weil diese Schreibweise als kürzer und besser lesbar gehalten wird.

Im Anhang der Arbeit befinden sich nicht nur die Informationen, auf die im Text verwiesen wird, sondern auch weiterführendes Material und Beschreibungen und Inhalte der Technobewegung, die in der Arbeit nicht oder nur ansatzweise ausgeführt werden konnten.

Zitate im Zitat werden mit » « gekennzeichnet.

Schreibweise und Grammatik wurde nach der alten Rechtschreibung verwandt, in einigen Fällen jedoch bereits nach der neuen Rechtschreibreform und zur Kenntlichmachung teilweise auch eine eigene Schreibweise kreiiert.

1 Vorüberlegungen zur Technokultur

Die Gegner der Technobewegung tun sich schwer, selbige als Kultur anzuerkennen. Sie vertreten eher die Meinung, daß es sich bei Techno um eine inhaltslose, nur auf Hedonismus und Kommerz bezogene Bewegung handelt.

Obwohl die Technobewegung schon des öfteren als kurz vor ihrem Untergang bezeichnet wurde, hat „sich allmählich eine Kulturform in das Alltagsleben eingeschlichen, die vor allem jenen suspekt ist, die Kultur versus Kommerz und Ästhetik gegen Technik setzen - und dies sind vor allem diejenigen, die in den Zeiten des politischen Protests oder der alternativen Lebensformen groß geworden sind: die Vertreter der 68er und der 78er Generation. Sie wußten mit Techno von Anfang an kaum etwas anzufangen und bemühten sich bei jeder Gelegenheit, vorschnell das Ende der Bewegung zu prophezeien“ (Klein 1999, S. 23).

Eines der immer wieder benutzten Stichworte der Kritiker ist der Begriff „Kulturindustrie“, der schon in den 40er Jahren von Adorno und Horkheimer diskutiert wurde und erstmals in ihrem Buch „Dialektik der Aufklärung“ (1971) verwandt wurde. Andere Schwerpunkte der Kritik sind vor allem: der Kommerz, die Musik und die angeblich fehlenden politischen Absichten der Bewegung.

In diesem Kapitel soll es vor allem um den Begriff der Kultur gehen, welcher aus vielen Facetten besteht. Für die Auseinandersetzung mit dem Thema scheint dies unerläßlich bzw. von großer Bedeutung.

1.1 Der Kulturbegriff

Es gibt sehr viele und unterschiedliche Definitionen zum Kulturbegriff, einige davon sollen im folgenden skizziert werden.

„Kultur ist der Inbegriff alles Nicht -Biologischen in der menschlichen Gesellschaft – oder- anders gesagt: Kultur ist die Summe aller Institutionen, Bräuche, Werkzeuge, Normen, Wertordnungssysteme, Präferenzen, Bedürfnisse usw. in einer konkreten Gesellschaft“ (Schwendter 1973, S. 10).

1924 definierte Tyler Kultur als „jenes komplexe Ganze, das Wissen, Kunst, Glauben, Moral, Recht, Brauch und alle anderen Fähigkeiten, die der Mensch als ein Mitglied der Gesellschaft erworben hat, einschließt“ (Tyler 1924, in: Schwendter 1973, S. 10).

Im „Kulturkatalog“ von Günter/Rutzen (1979) heißt es:

„Kultur

- ist die Art, wie wir leben;
- ist etwas, was einer meist nicht allein machen kann;
- ist die Entwicklung der gesamten sozialen Lebensverhältnisse;
- ist auch Anti-Konsum;
- ist Selbermachen (selber etwas säen, ernten, füttern und sorgen, sammeln, lagern und zurichten, selber Geschichten erzählen, ...)“

(Günter/Rutzen 1979, in: Zimmermann 1984, S. 14).

Der Soziologe Paul E. Willis (1978) definiert Kultur in seiner Dissertation mit dem Titel „Profan Culture“ unter zwei Aspekten, zum einen die Kultur als hohe Kunst und zum anderen als „Unterabteilung des Positivismus“. Letzteres sei zuerst erläutert: „Der wesentliche, integrative Glaubensinhalt dieser Richtung besteht darin, daß die Messung oberflächlicher, äußerlicher Qualitäten und die Korellierung dieser Messungen wirkliche Verknüpfungen aufdecken könne. Auf dem Gebiet der Kulturforschung ist dieser Ansatz gewiß frei von elitären Obertönen und erkennt die Möglichkeit einer Beziehung zwischen gesellschaftlicher Struktur und kultureller Tätigkeit an“ (Willis 1978, in: Ästhetik und Kommunikation 1978, S. 45). Auf den ersten Aspekt der Definition von Paul E. Willis (1978) folgen nun jene Vertreter, die Kultur mehr als„hohe Kunst“ verstehen.

Den Menschen auszubilden, und zwar durch Seelen- und Geistesbildung, wurde in der römischen Antike als „Cultura“ bezeichnet. „Cultura“ galt in der Folge als die Bezeichnung für die Geistesbildung durch die Wissenschaften, durch die Ethik und die Kunst. Dieser klassische Begriff von Kultur geht wohl denjenigen durch den Kopf, welche Kultur als „hohe Kunst“ begreifen. Kultur ist dann das, was die „großen“ Dichter, Philosophen, Maler, Bildhauer, Musiker usw. hervorgebracht haben und was organisiert im Theater oder einer Ausstellung bewundert werden kann. Kultur ist dann etwas primär Geistiges, vom täglichen Leben getrennt (vgl.: Zimmermann 1984, S. 15).

Paul E. Willis drückt dies (1978) folgendermaßen aus: „Sie (die Kultur, Anm. d.Verf.) ist die Auslese derjenigen vom Alltagsleben abgehobenen Betätigungen, die absolute Wertaussagen über das Wesen menschlicher Existenz in einem Medium ausdrücken sollen, das Disziplin und Selbsterkenntnis verlangt und meist nur schwer zu beherrschen ist“ (Willis 1978, in: Ästhetik und Kommunikation 1978 ,S. 45). Er bezeichnet diese Definition von Kultur als direkten Abkömmling der sogenannten hohen Kunst und deren griechisch-römischer Tradition. Weiter meint er, „das ärgerliche an dieser Einschätzung der Kultur, die zugleich auch eine bestimmte Einschätzung dessen, was die richtige kulturelle Praxis zu sein hat (um die es ja bei Techno anscheinend auch geht, Anm. d.Verf.), sowie eine bestimmte Einschätzung des Raums und der Tragweite der Kulturanalyse einschließt, ist deren bleibende analytische Blindheit hinsichtlich ihrer eigenen gesellschaftlichen Verortung“ (ebd., S. 44).

Es gibt noch viele Betrachtungsweisen von Kultur, jedoch soll hier die grobe Unterteilung in „Kultur als hohe Kunst“ und „Kultur als Unterabteilung des Positivismus“, wie Paul E. Willis (1978) es so schön formulierte, ausreichen.

1.1.1 Jugendkultur

Da Techno oftmals als Jugendkultur bezeichnet wird (ein Begriff, der hier in der Regel bewußt nicht verwandt wird), bleibt es wohl unumgänglich, diesen Begriff näher zu betrachten.

„Jugend ist nur ein Wort“ (Bourdieu 1993, in: Klein 1999, S. 62). Die Jugend ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Die bürgerliche Wandervogelbewegung war das historische Ereignis, vor dessen Hintergrund sich das soziologische Konzept einer homogenen Jugend bildete. Seitdem haben Soziologen immer wieder den Versuch unternommen, generationsspezifische Typisierungen und Standardisierungen vorzunehmen:

die „unauffindbare“ Kriegsjugend, die „Wirtschaftswunderkinder“, die „skeptische Generation“, die „Apo-Generation“, die „Lost Generation“, die „Generation X“, die „89er Generation“, die „Next-Generation“ und andere mehr. Dabei blieb für die Bestimmung, wer zur Jugend gehört, das biologische Alter stets die wichtigste Kategorie (vgl.: Schäfers 1994, S. 29f). Früher bestanden eindeutige Grenzen der Jugendphase: die Zeit zwischen Kindheit und Erwachsenenstatus. Die Pubertät, definiert als Eintrittskarte in den Status der Jugend, setzt immer früher ein, die „Geschlechtsreife“ und das Sexualleben ebenfalls. Verschiedene Möglichkeiten sexueller Orientierung werden häufiger praktisch erprobt, und damit wird aufgebrochen, was in früheren Zeiten als Funktion der Lebensphase Jugend galt: der Erwerb einer eindeutigen geschlechtlichen und sexuellen Identitätszuschreibung (vgl.: Klein 1999, S. 58).

Die Jugend aufgrund biologischer Aspekte zu definieren erscheint in der heutigen Zeit als nicht mehr sinnvoll (falls es dies jemals war).

Jugend über den Abschluß einer Ausbildung und finanzielle Unabhängigkeit zu definieren erscheint als Kriterium des Übergangs in den Erwachsenenstatus zunehmend fragwürdig. Längere Ausbildungszeiten, Jugendarbeitslosigkeit seien hier u.a. als Stichworte genannt.

Wenn also die Jugend nicht mehr über das biologische Alter definiert werden kann und auch nicht über den beruflichen Status bzw. die finanzielle Unabhängigkeit, worüber dann?

In der jugendsoziologischen Debatte wurde ein neuer Begriff eingeführt: Postadoleszenz. Mit diesem Begriff war es nun möglich, die Jugendphase bis in das dritte Lebensjahrzehnt zuzuordnen. Letztendlich wieder der Versuch, eine Definition über das biologische Alter zu begründen.

„Jugend ist im Unterschied zur Pubertät keine Altersphase, sondern ein historisches Konstrukt, entstanden unter den Bedingungen einer frühkapitalistischen und frühbürgerlichen Gesellschaft. Mit den umfassenden Strukturwandlungen einer nachindustriellen und nachmodernen Gesellschaft wird sich zwangsläufig auch das Konzept der Jugend ändern müssen“ (Klein 1999, S. 62).

Was bisher als Brüche, Veränderungen und Übergänge zwischen zwei getrennten Lebensabschnitten - „Jugend“ und „Erwachsensein“ - aufgefaßt wurde, scheint sich heute weniger radikal, strikt und endgültig zu gestalten.

Vor allem aber vollziehen sich diese Vorgänge wie z.B. Ende der Schulzeit, Auszug aus dem Elternhaus, Heirat, Ausbildung der Geschlechterrolle, die Entwicklung eigener ethischer, moralischer und ideologischer Konzepte etc. nicht mehr entsprechend den Standards einer biologischen Altersabfolge. Sie scheinen vielmehr von dem abzuhängen, was man soziales Alter nennt, also von der Summe der sozialen Erfahrungen, die Jugendliche in ihren Lebenswelten machen. Will man Jugend als „Sozialgestalt“ erhalten, dann erscheint es sinnvoll, das soziale Alter als Maßstab zu wählen. Infolgedessen geht es dann nicht mehr darum, Normen, Regeln und Verhaltensstandards für bestimmte biologische Altersgruppen aufzustellen, sondern vielmehr darum, den Blick auf das Ausmaß von Lebenserfahrung zu richten, über das einzelne Jugendliche oder Jugendgruppen trotz ihres biologischen Alters verfügen (vgl.: Klein 1999, S. 61ff).

„Wo Jugend sich in Teilkulturen aufspaltet, wo Scene-Zugehörigkeiten im Jugendalter häufig gewechselt werden, wo das biologische Alter mehrfach durch das soziale Alter gekreuzt wird und kaum mehr typisierende Aussagen zuläßt, und schließlich: wo Jung-Sein zur zentralen Metapher der gesamten Gesellschaft geworden ist, da hat die Jugend ihre soziale Integrations- und soziologische Ordnungsfunktion verloren - das »vorläufige Ende der Erregung« ist erreicht. Jugendlichkeit scheint den Platz der Jugend übernommen zu haben“ (ebd., S. 65).

Mit der zunehmenden Schwierigkeit, die Jugend als eine klar einzugrenzende Gruppe zu definieren, ist auch die Möglichkeit gesunken, Jugendliche zu normalisieren, zu etikettieren, zu stigmatisieren und ihre Stile, kulturellen Praktiken und Ästhetiken zu infantilisieren und damit zu bagatellisieren, was ja im Bereich der Technokultur immer wieder zu beobachten ist.

1.1.2 Subkultur

Der Begriff Subkultur begann sich vor allem Ende der 60er Jahre im Zuge der intellektuellen Jugendopposition zu verbreiten. Nicht unbedeutenden Anteil daran hatte wohl Rudi Dutschke, der in einem Fernsehinterview 1968 von „Gegenmilieu“ und gleichzeitig von „Subkultur“ sprach (vgl.: Zimmer 1973, S. 19; Feurich 1979, S. 16).

Subkultur schliff sich sodann als Bezeichnung für Gesellschaftsteile ein, die sich in Wertordnungssystemen, Präferenzen, Bedürfnissen, Werkzeugen usw. wesentlich von der jeweiligen Gesellschaft, d.h. auch von der vorherrschenden Kultur, unterscheiden (vgl.: Schwendter 1973, S. 11). Nun ist das, was in diesem Kontext unter „wesentlich“ zu verstehen ist, herauszuarbeiten. Gerda Kurz (1979) versucht, die weite Fassung von Subkulturen genauer aufzuschlüsseln (vgl.: Kurz 1979, S. 9f). Nach ihr sind zwei Erscheinungsformen von Subkultur grundlegend: einmal die marginale Subkultur (jugendliche Freizeitkultur, religiöse Subkulturen), zum anderen fundamentale Subkulturen (politische Subkulturen, wie Neue Linke, anarchistische Gruppen, künstlerische Subkulturen wie Dadaisten, Aktionisten, usw.).

Weiterhin gibt es progressive Subkulturen wie marxistische, anarchistische, technologisch-futuristische Gruppierungen sowie regressive Subkulturen, wie z.B. die deutsche Jugendbewegung. Es gibt auch unfreiwillige Subkulturen wie Heimzöglinge, Obdachlose, Kriminelle usw. - emotionale Subkulturen wie Hippies, Rocker, Beats, Boheme - und rationalistische Subkulturen, deren Gruppierungen hauptsächlich bei Studenten und Intellektuellen, bei Randgruppenarbeitern und politischen Subkulturen anzusiedeln sind.

Diese Aufschlüsselung läßt den Leser erahnen, welch weites Feld die Erforschung der Subkultur bedeutet. Die oben genannten Bereiche, in denen wir Subkulturen vorfinden können (und noch einige mehr), hat der Subkulturforscher Rolf Schwendter (1973) in seinem Buch „Theorie der Subkultur“ genauestens untersucht und analysiert. Er kommt auf den Seiten 27f seiner Abhandlung zu einer vorläufigen, aus seiner Sicht ständig zu kritisierenden und zu verbessernden Theorie der Subkultur:

1. „Es gibt Teile der Gesellschaft, die von der Kultur, d.h. vom gesamten System der herrschenden Werte und Institutionen abweichen: die Subkulturen.
2. Da zu einer grundsätzlichen Veränderung der Gesellschaft nicht nur die Veränderung der ökonomischen Basis, sondern auch die Veränderung des Überbaus, insbesondere auch des Bewußtseins (also gerade des Systems der Wertordnungen und Institutionen) erforderlich ist, ist es notwendig, zu beurteilen, inwieweit welche Subkulturen Avantgarden einer solchen Veränderung sind. Dabei ist von den Widersprüchen der Subkulturen zur Gesamtgesellschaft sowie von den Widersprüchen der Subkulturen zwischen und innerhalb der einzelnen Subkulturen auszugehen.
3. Die Herrschenden, ideologisch repräsentiert durch die herrschende Soziologie, versuchen durch verinnerlichte oder offene Repression die Subkulturen an die gesamtgesellschaftliche Kultur anzupassen. Die rein schimpfworthafte undifferenzierte Verwendung des ‚Subkultur«-Begriffs dient, sofern er nicht auf dem Mißverständnis der Identifikation konkreter Subkulturen mit Subkulturen schlechthin beruht, der Reproduktion bzw. der Stabilisierung der herrschenden Kultur, d.h. der herrschenden Werte und Institutionen.
4. Progressive Subkulturen sind als Gegenmilieu, Gegenöffentlichkeit, Selbstorganisation der Bedürfnisse erforderlich, um das nichtangepaßte Überleben der Maßnahmen der Gesamtgesellschaft zu gewährleisten, neue Formen sozialer Beziehungen zu praktizieren, die Abhängigkeit von herrschenden Institutionen zu verringern, bürgerliche Tendenzen in der politischen Selbstorganisation zu vermeiden.
5. Subkulturen stehen in dialektischer Abhängigkeit vom gesamtgesellschaftlichen Wertsystem; sie schützen vor der vollständigen Anpassung an dieses“ (Schwendter 1973, S. 27f).

Inwieweit welche Teile der Technokultur als Subkultur betrachtet werden können, muß sich noch zeigen. Fest steht jedoch schon an dieser Stelle, daß das Argument des unreflektierten Konsumierens der TechnoanhängerInnen bei weitem nicht ausreicht, um die Bewegung zu infantilisieren bzw. zu bagatellisieren.

In den erwähnten Punkten, was Subkultur ausmacht, wird im Kapitel 2 der Kontext zur Technokultur diesbezüglich hergestellt.

Nachfolgend jedoch vorab die Auseinandersetzung mit der Theorie der Kulturindustrie:

1.2 Kulturindustrie

In den 30er Jahren hatte der sog. Frankfurter Kreis um Max Horkheimer (Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung), Theodor W. Adorno, Leo Löwenthal und Herbert Marcuse den Kulturbegriff zunächst relativ weit gefaßt: „im Sinne der konkreten Totalität als eine spannungsvolle, widersprüchliche und historisch prozessierende Einheit von Verläufen“ (Klein 1999, S. 25), als eine dialektische Beziehung von materiellen und geistigen Prozessen. In den 40er Jahren radikalisierten die Theoretiker ihre Definition mit dem Aufkommen der damaligen Massenkommunikationsmittel (Radio, Fernsehen und Werbung ), zum einen wegen der nationalsozialistischen Propaganda, zum anderen durch ihre Erfahrungen mit Massenkommunikation im amerikanischen Exil. In Folge konzentrierten sich die theoretischen Überlegungen der genannten Personen auf den Nachweis einer politischen Totalisierung von Ökonomie und Kultur.

In ihrem Aufsatz „Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug“ (1981) entfalteten Horkheimer und Adorno (vgl.: in: Adorno 1981, Bd. 3) eine Theorie der modernen Kultur. Es entstanden die Thesen zur Kulturindustrie, welche zu den einflußreichsten Ansätzen einer kritischen Massenkultur zählen.

Sie wollten mit diesem Begriff, so Adorno rückblickend 1963, „von vornherein die Deutung ausschalten, die den Anwälten der Sache genehm ist: daß es sich um etwas wie spontan aus den Massen selbst aufsteigende Kultur handele, um die gegenwärtige Gestalt von Volkskunst“, (...) denn (...) „von einer solchen unterscheidet sich Kulturindustrie aufs äußerste“ (Adorno 1981, Bd. 10, S. 337).

Adorno (1981) beschrieb das Stichwort Kulturindustrie wie folgt: „Der Gesamteffekt der Kulturindustrie ist der einer Anti-Aufklärung; in ihr wird, wie Horkheimer und ich es nannten, Aufklärung, nämlich fortschreitende technische Naturbeherrschung, zum Massenbetrug, zum Mittel der Fesselung des Bewußtseins. Sie verhindert die Bildung autonomer, selbständiger, bewußt urteilender und sich entscheidender Individuen“ (ebd., S. 345). Aber nicht nur das: Über diese Entindividualisierung mache die Kulturindustrie die Menschen zu Massen, um sie dann als Massenmenschen zu verachten und sie zugleich an ihrer individuellen und kollektiven Emanzipation, zu der sie historisch reif wären, zu hindern. Kulturindustrie kläre nicht auf, sondern habe das Verhältnis zwischen Massenkommunikationsmitteln und sinnlich erfahrbarer Realität verkehrt: Die sinnliche Erfahrung der Individuen sei unbemerkt zum bloßen Nachvollzug eines massenmedial vorproduzierten Bildes der Wirklichkeit verkommen. So heißt es in der „Dialektik der Aufklärung“ (1971): „Die ganze Welt wird durch den Filter der Kulturindustrie geleitet“ (Horkheimer/Adorno 1971, S. 113).

Ein zentrales Merkmal der Kulturindustrie ist, daß die Logik der Ware sich des Feldes der Kultur bemächtigt hat. Da bei allen Artefakten der Kulturindustrie die Quantifizierungs- und Profitinteressen vor den Bedürfnissen der Konsumenten rangieren, begreifen Horkheimer und Adorno (1971) es schlichtweg als Betrug, wenn die Apologeten der Kulturindustrie den Massen vorgaukeln, es gehe um ihre Interessen oder gar um ihr Glück: „Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht“ (ebd., S. 125).

Die Kritiker der Technokultur werden wohl erleichtert diese Thesen lesen, und es erscheint auf den ersten Blick auch so, als ob die Thesen auf die Bewegung zutreffen würden und ihr somit jegliche Individualität abgesprochen werden könnte.

Techno als eine Kultur ? „Die Wahrheit muß auf den Tisch: Wir sehen hunderttausend Halbnackte, die lachend ihre Körper zu epileptisch anmutenden Bewegungen nötigen (‚tanzen«). Haben wir es mit einem Haufen Kranker zu tun, die sich in der Hauptstadt zu einer Demonstration glücklichen Irrsinns treffen? Die Antwort lautet kurz und schmerzlos: ja“ (Die Zeit 19.07.1996, S. 37). So die Forderung der „Zeit“ nach der Loveparade 1996. Auch Horkheimer und Adorno (1971) hätten das Phänomen Techno mit Sicherheit sehr kritisch betrachtet.

„Amusement“, so heißt es, „reiht sich selbst in die Ideale ein, es tritt an die Stelle der hohen Güter, die es den Massen vollends austreibt, indem es sie noch stereotyper als die privat bezahlten Reklamephrasen wiederholt“ (Horkheimer/Adorno 1971, S. 130). Abwechslung, Zerstreuung, Spaß unter dem Banner der Kulturindustrie, das ist für Horkheimer und Adorno (1971) die fortwährende Produktion des Immer-Gleichen, die lediglich rhetorisch nach den Wünschen der Konsumenten fragt, jenen Menschen, denen sie längst ihre Entscheidungsfähigkeit genommen hat. „Die Befreiung, die Amusement verspricht, ist die vom Denken als von Negation. Die Unverschämtheit der rhetorischen Frage, »Was wollen die Leute haben !« besteht darin, daß sie auf dieselben Leute als denkende Subjekte sich beruft, die der Subjektivität zu entwöhnen, ihre spezifische Aufgabe darstellt“ (ebd.). Für Horkheimer und Adorno (1971) hat die Kulturindustrie das Verhältnis der Menschen zur Kultur umgekehrt: Nicht mehr die Menschen schaffen Kultur, sondern die Kulturindustrie produziert die kulturellen Bedürfnisse der Menschen.

Im weiteren Verlauf werden noch die Thesen der Kulturindustrie im Zusammenhang mit der Technokultur besprochen.

1.2.1 Die Masse

Techno wird spätestens seit den „Liebesparaden“ der letzten Jahre (bei denen sich Hunderttausende von Menschen u.a. in Berlin trafen und treffen) auch häufig als Massenphänomen, Massenkultur oder Massenbewegung bezeichnet.

„Im übrigen will selten jemand einer aus der Masse sein;

die Masse sind immer die anderen“ (Institut für Sozialforschung 1991, S. 70).

In den Medien wird im Zusammenhang mit Techno gerne der Begriff der Masse verwandt. Es wird immer gleich die Gefahr der „Vermassung“ herbeigeschrieben und damit eine Gefahr des Verlustes von Individualität.

Nun ist in der heutigen Zeit, in der Massenveranstaltungen an der Tagesordnung sind, die „Vermassung“ ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und nicht nur den Technoanhängern anzulasten.

Individualisten gehören ihrem Selbstverständnis nach niemals zur Masse, selbst dann nicht, wenn sie sich in der Masse befinden. „Denn Masse hat den Geruch des Barbarischen an sich, sie suggeriert den Rückfall des aufgeklärten Individuums in den Zustand der Vorzivilisation - und so zeigt sich das von seiner Einzigartigkeit überzeugte Individuum gern in Distanz zur Masse“ (Klein 1999, S. 88). Für den Verfasser des Werkes „Psychologie der Masse“ Gustave Le Bon (1922), ist die Masse durchweg negativ konnotiert, so meint er: „in der Masse erfährt selbst der gebildete Einzelne ein zivilisationsfeindliches Schicksal. Er degeneriert zwangsläufig zu einem Triebwesen, zu einem Barbaren, seine Verhaltensformen gleichen denen ‚primitiver Wesen«“ (Klein 1999, S. 88f). Als Hauptmerkmale des Individuums in der Masse nennt er: Schwund der bewußten Persönlichkeit, Orientierung der Gefühle und Gedanken in derselben Richtung durch Suggestion und Ansteckung, Tendenz zur unverzüglichen Verwirklichung der suggerierten Ideen, mit der Folge, daß das Individuum nicht mehr es selbst sei, sondern ein willenloser Automat werde (vgl.: Le Bon 1922 in: ebd., S. 89).

Auch Sigmund Freud (1955) hat das Phänomen der Masse untersucht. In seiner Schrift „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ (1955) fragt Freud, welcher Art die psychologische Veränderung sei, die Menschen in Massensituationen erleben. Die Antwort sucht er selbstverständlich im Bereich der Libido. Demnach erlaubt die Masse dem einzelnen, die Verdrängungen seiner ursprünglichen Triebregungen abzustreifen und Eigenschaften des Unbewußten an den Tag zu legen.

Auch bei Freud (1955) gibt es die Masse nicht ohne einen wirklichen oder imaginären Führer (vgl.: Freud 1955, S. 86ff). Er sieht aber auch durchaus positive Aspekte der Masse. So sieht er in der Identifikation mit der „Massenseele“, beispielsweise einer bestimmten Schicht, Ethnie oder Religion einen entscheidenden Motor kultureller Leistungen.

Diese positive Einschätzung kommt sehr deutlich in seiner Frage, „wieviel der einzelne Denker oder Dichter den Anregungen der Masse, in welcher er lebt, verdankt, ob er mehr der Vollender einer seelischen Arbeit ist, an der gleichzeitig die anderen mitgetan haben“ (ebd., S. 144) zum Ausdruck. Also erscheint Masse nicht nur kulturfeindlich, sondern durchaus auch als treibende Kraft kultureller Prozesse.

An dieser Stelle ist ein Zitat von Elias Canetti (1960) aus seiner Schrift „Masse und Macht“ angezeigt, welches 1960 ziemlich genau die Technobegeisterten beim Tanzen beschreibt: „Jeder stapft auf, und jeder tut es auf dieselbe Weise. Jeder schwenkt die Arme, jeder bewegt den Kopf. Die Gleichwertigkeit der Teilnehmer verzweigt sich in die Gleichwertigkeit ihrer Glieder. Was immer an einem Menschen beweglich ist, gewinnt sein Eigenleben, jedes Bein, jeder Arm lebt wie für sich allein (...). Schließlich tanzt vor einem ein einziges Geschöpf, mit fünfzig Köpfen, hundert Beinen und hundert Armen ausgestattet, die alle auf genau dieselbe Weise oder in einer Absicht agieren. In ihrer höchsten Erregung fühlen sich die Menschen wirklich als eines, und nur die physische Erschöpfung schlägt sie nieder“ (Canetti 1960, S. 34). Auch das ist ein Phänomen der Masse, welches Canetti (1960) als die „rhythmische Masse“ bezeichnet. Die Masse durchweg als etwas Negatives zu betrachten, ergibt keinen Sinn, zumal wir alle in unterschiedlichen Situationen Bestandteil derselbigen sind, und uns somit selbst als negatives Element darstellen würden. Aber die Masse, das sind ja bekanntlich immer die anderen! Oder doch nicht? Bevor das mit aller (Un-) Sicherheit geklärt wird, soll nun dem Sinnenhaften Aufmerksamkeit zukommen.

1.2.2 Ästhetische Kultur

„Die Kritik an der Technoszene, sie sei eine kommerzialisierte und politisch anspruchslose Jugendkultur, verliert nur zu leicht aus den Augen, daß diese Kulturpraxis im Bereich des Ästhetischen innovativ ist. Liest man die Club- und Rave-Kultur als eine ästhetische Kultur, die den Körper ins Zentrum gerückt hat, dann kommt in ihr nicht nur ein Wandel des Begriffs des Politischen zum Ausdruck, sie erscheint auch als kulturelles Feld, indem sich eine umfasssendere Veränderung der Kommunikationsformen abzeichnet, die dem Körperlichen und Sinnenhaften eine größere Bedeutung beimißt“ (Klein 1999, S. 76).

Die sinnenhaften Innovationen werden im 2.und 4. Kapitel genauer abgehandelt.

Ästhetische Bewegungen gibt es nicht erst seit Techno. Auch die Rock ´n´ Roll-, Beat-, Pop- oder Punkbewegung waren ästhetische Bewegungen, die weit mehr umfaßten als die Musik.

Mit den unterschiedlichen Musikstilen gingen auch immer bestimmte Moden und Tänze einher, sie produzierten eine bestimmte kulturelle Praxis (mehr hierzu in 1.3.). In den 50er und 60er Jahren wurde dieses Feld der Kultur jedoch in der Jugendforschung kaum beachtet. Erst seit den 70er Jahren wurde zunehmend der Blick auch auf diesen Bereich der Kultur gelenkt. Galt zuvor meist nur dann der Jugend ein wissenschaftliches Interesse, wenn ihr Verhalten als abweichend, delinquent und kriminell oder als Protest einzuordnen war, so wurde nun auch der Blick auf die kulturellen Leistungen und Produktionen gelenkt. Dieser Perspektivenwechsel löste eine Trennung von politischen und ästhetischen Perspektiven auf die (Jugend-) Kultur aus, und zugleich entfachte er auch eine wissenschaftliche Diskussion um die Frage, ob durch die Fokussierung auf das Feld der Kultur nicht „die realen Lebensprobleme der Jugendlichen eher in den Hintergrund gedrängt werden“ (Hornstein 1989, in: Zeitschrift für Pädagogik 1989, Nr. 1, S. 108). Die Auseinandersetzung um Ethik contra Ästhetik nahm hier ihren Anfang.

Die britischen Forscher John Clarke, Dick Hebdige, Paul Willis, Angela McRobbie vom „Center for Contemporary Cultural Studies“ in Birmingham brachten Ende der 70er Jahre durch ihre Arbeiten die Jugend als eine „kulturproduzierende Kraft“ in die Diskussion. Im Gegensatz zu der von der kulturkritischen Seite gern vertretenen Vorstellung von Jugendlichen als „Modedummies“ und Retortenprodukte aus der Maschine der Konsumgüterindustrie verfochten sie die These, daß subkulturelle Stile das Selbstbild der Gruppe spiegeln, ihre Fundamente in den alltäglichen Erfahrungen der Jugendlichen haben und von daher immer auch ein widerspenstiges Potential symbolisieren (vgl.: Klein, S. 77).

Diese kulturproduzierende Kraft soll nun unter dem Aspekt von Ästhetik betrachtet werden. Die Arbeiten des CCCS (Center For Contemporary Cultural Studies) werden im Verlauf der Arbeit noch weiter behandelt.

Techno ist vor allem auch eine Tanzkultur. Das Tanzen ist ein wesentlicher Bestandteil der Partys. Der Körper fungiert als Medium zur sozialen Inszenierung und Präsentation des Selbst. Der Tanz dient als zentrales Kommunikationsmittel und schafft sinnliche Erfahrungen, er ist das ästhetische Medium, welches eine Vermittlung zwischen Körper und kultureller Praxis herstellt. Im Unterschied zur Mode ist im Tanz der Körper nicht nur Objekt der Darstellung, sondern auch Zentrum des Erlebens. Aber nicht nur der Tanz ist Ausdruck einer ästhetischen Kultur, auch z.B. die Bildästhetik spielt eine wichtige Rolle in der Technokultur. Im 2. Kapitel wird die Technokultur detailliert unter dem Aspekt des Ästhetischen vorgestellt.

1.3 Betrachtung früherer Musikbewegungen

Wenn das Phänomen Techno aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten werden soll, ist es sinnvoll, zu schauen, inwieweit es evtl. Parallelen zu früheren Subkulturen gibt, welche Phänomene und Auswirkungen allein der Technokultur zuzuordnen sind und welche typischerweise immer dann auftreten, wenn neue Subkulturen entstehen.

Waren frühere (Jugend-, Musik-) Kulturen immer auch „politisch“ (wobei sich hier wieder die Frage aufdrängt, was denn gemeint ist mit politisch: parteipolitisch oder die „Politik der Ekstase“ von Leary,1968 z.B.? , auch dieses wird später noch aufgriffen!), war ihre Musik als „wertvoll“ (im Gegensatz zu Techno) gesellschaftlich anerkannt , waren sie frei von Konsum- und andere Fragen mehr, die es sich lohnt zu betrachten, um die Technokultur genauer zu analysieren und auch um die kritischen Argumente der Techno-Gegner zu durchleuchten. Es geht im folgenden nicht darum, die früheren Kulturen differenziert vorzustellen. Und diejenigen, welche sich den Kulturen noch angehörig fühlen und die genauere Information erwarten, seien auf die verwendete Literatur verwiesen.

Hier wird ein blitzlichtartig unvollständiger Rückblick wiedergegeben, der einzig und allein Parallelen in der Entwicklung einiger jugendlicher Subkulturen darstellen soll, und nicht inhaltlich vollständig die jeweiligen Kulturen bearbeitet (Das würde den Rahmen in diesem Kontext sprengen).

Wenn nicht anders angegeben, sind die Informationen des folgenden Textes dem Buch „Rock ´n´ Roller, Beats und Punks“, Rockgeschichte und Sozialisation, von Peter Zimmermann entnommen. (vgl.: Zimmermann 1984, S. 63ff).

1.3.1 Die Rock ´n´ Roll Ära

Rhythm & Blues ist der wesentliche Ursprung des Rock`n` Rolls. Die Schwarze Musik diente als Weg, das ganze potentielle Chaos sexueller Gefühle öffentlich zu verdeutlichen, und damit bekamen auch die Einrichtungen, in denen sie gespielt wurde, den Charakter von Risiko, Erregung und Erwartung; sie wurde für die jungen Leute, die sie anzogen, zum Symbol der Rebellion (vgl.: Frith 1981, S. 25). Zimmermann nennt als Datum, an dem der Rock`n`Roll geboren wurde, den 12. April 1954, als Bill Haley und die Comets „Rock around the clock“ aufnahmen. Ob dies der entscheidende Moment war oder nicht, sei dahingestellt. Interessanter für uns sind die Reaktionen auf die „neue“ Musik. So erklärt z.B. ein amerikanischer Psychiater:

„Die neue Musik habe man als eine ansteckende musikalische Krankheit aufzufassen, die mit der jugendlichen Unsicherheit ihr Spiel treibt und die Teenager veranlaßt, unerhörte Dinge zu treiben“ (Jerrentrup 1981, S. 47). Der Jazz - Kritiker Joachim Ernst Berendt äußerte sich wie folgt: „Alles, was im Jazz leicht und gelöst, geistvoll und ausdrucksreich ist, wird beim Rock`n` Roll aufdringlich und laut, vulgär und banal“ (Zit. in: R. Hoffmann 1981, S. 14f). Doch auch die Kritiker des Rock`n `Roll konnten die wachsende Popularität desselben nicht aufhalten. Die Schallplattenindustrie vergrößerte ihre Umsätze von 1955-1959 um fast 300% (vgl.:Jerrentrup 1981, S. 57). Rock`n` Roll als Musik mit Rhythmus und Erregung war von Anfang an ein kommerzielles Produkt, und die Victor-Platten von Elvis Presley waren Musik vom Fließband, so Zimmermann.

Trotz und Widerspenstigkeit der Jugend und „ihre“ Rock `n` Roll Musik gefiel den Politikern sowie den Eltern und auch vielen Musikverlegern nicht („Negermusik“ ist unmoralisch), aber dennoch wurden Filme, Fernsehshows und Schallplatten für den Protest angeboten. Dieser Vorgang wurde nun keineswegs von den Jugendlichen erkämpft, sondern verdankt sich der Doppelmoral der amerikanischen Gesellschaft. Auf der einen Seite der Puritanismus des Denkens, auf der anderen der Kapitalismus des Handelns (vgl.: N. Hoffmann 1980, S. 105). In Deutschland wurde der Rock` n` Roll als Ware, als Massenkultur präsentiert, so Zimmermann. „Unhinterfragt wurde amerikagläubig alles aufgenommen, was irgendwie mit »Freiheit« zu tun haben sollte: Jeans, Rock` n` Roll, Coca-Cola, Spielautomaten und Musik-Boxen“ (Zimmermann 1984, S. 84).

In einer Zeit, in der körperliches, lustvolles Verhalten mit Angst- und Schuldgefühlen beladen war, bekam der Tanz eine wesentliche Rolle in der Entwicklung von Körperlichkeit. So war für viele Jugendliche der Rock` n` Roll Tanz die erste Gelegenheit, den eigenen Körper zu spüren, Körperkontakt zu suchen und lustvolles Verhalten auszuleben. Rock` n` Roll konnte in dieser Zeit Quelle körperlicher „Befreiung“ bedeuten. Daß Eltern, Kirche und Schulbehörden diese Entwicklung als Provokation empfanden und dementsprechend darauf reagierten, erscheint nicht überraschend.

Zimmermann (1984) beschreibt die Situation der 50er Jahre wie folgt: „Mit einer ersten selbständigen Jugendkultur wurde auch zum ersten Mal die Massenkultur richtungsweisend für die Aneignungsformen im Sozialisationsprozeß. Die Kultur der Heranwachsenden in den 50er Jahren als spezifische Jugendkultur symbolisierte neue Verhaltensweisen und Interessen. (...) Jedoch ( so schreibt er weiter) lassen sich schwerlich (...) die mühsamen Versuche der Jugendlichen, Lebenszeichen abzugeben, als bewußte Rebellion einschätzen, sie waren eher eine vage Verweigerung“. (...) Die Kulturindustrie und die Aneignung der Kultur durch die Masse werden auch im Zusammenhang mit dem Rock` n` Roll als Bedingungen genannt, welche die eigentätige Aneignung von Kultur blockieren. (...) „Sie ließen nie zu, sich auf das Eigene zu besinnen, um es der Konsumkultur entgegensetzen zu können, Eigentätigkeit blieb die Ausnahme“ (ebd., S. 86).

Rock´ n´ Roll brachte eine neue, widersprüchliche Ästhetik; eine musikalische Ausdrucksform, die auf die Bedürfnisse der Jugendlichen eingeht. Hier angefangen bekam die Musik eine immer zentralere Bedeutung im Feld der Jugendkultur und somit auch als Sozialisationsbedingung der Jugendlichen.

1.3.2 Die Beat Ära

In den 60er Jahren (insbesondere zwischen 1962 und 1965) bestimmte der Beat die englische Rockmusik. Und anders als beim Rock´ n´ Roll haftete ihm eine Art Amateur-Appeal an, der sich aus der Tradition des Skiffle erklären läßt.

Skiffle ist die Bezeichnung für die Verbindung von Folklore, Jazz und Blues. Die Musik wurde auf ganz einfachen Instrumenten, wie z.B. Waschbrett, Kamm, Mundharmonika, alten Gitarren usw. gespielt. In den Skiffle-Gruppen entwickelte sich der Beat im Nachspielen von Rock´ n´ Roll und Blues - Titeln. Liverpool mit dem Cavern-Club taucht in vielen Schriften auf, die sich mit dem Beat auseinandersetzen.

Im Cavern-Club wurde nicht nur Beatmusik gespielt, sondern es gab auch Plakatwände mit Photocollagen, Zeichnungen, Nachrichten etc. Es fanden auch sogenannte Events statt, eine Art Happening.

1964 z.B. fand ein Event, von Adrian Henri inszeniert, mit dem Titel „The bomb“ statt. Damit sollte gegen die Aufrüstung mit Atombomben protestiert werden. Neben Beatmusikern nahmen Dichter und Pop-Artisten teil (vgl.: Zimmer 1973, S. 66).

Der Dichter Allen Ginsberg, die Schriftsteller Ken Kesey (Einer flog über das Kuckucksnest) und Jack Kerouac (On the Road), die Crew um Kesey wie etwa die Beat-Legende Neil Cassady und die Band Greatful Dead waren die ersten, die völlig neuartige Formen von Festen entwickelten. Für die Vorlesungen, Konzerte, Happenings gab es weder Set-Listen noch feste Arrangements. Das erste dieser Feste fand am 4. Dezember 1965 in einem Privathaus in San José statt. Man mußte einen Dollar Eintritt bezahlen - auch die Künstler - und erhielt dafür gratis LSD. Damals war die Droge noch nicht verboten (vgl.: Palmer 1997, S. 174ff).

Im Gegensatz zum Rock´ n´ Roll signalisierten solche Aktionen eine bewußte Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Der Beat wurde bewußt als eigene kulturelle Äußerung zu solch einem Event benutzt. Die Musiker und ihre Zuhörer waren wacher und weitersehend als ihre Eltern und litten darum mehr unter der Kälte der Wirklichkeit (vgl.: Salzinger 1982, S. 12). Aber natürlich blieben auch die Underground Happenings nicht von der kommerziellen Ausbeutung der Konsumgesellschaft verschont. Der Beat war auf kleinen regionalen Veranstaltungen immer ein Signal der jeweiligen aktuellen Empfindungen und kann in dieser Hinsicht noch als ursprünglich, als volkstümlich bezeichnet werden (vgl.: Jerrentrupp 1981, S. 126). „(...) solange die Bands die Musik für ihr überschaubares Publikum spielten, Abend für Abend von ihm korrigiert und beeinflußt wurden und deshalb so exakt seine Wünsche und Sehnsüchte, Ängste und Resignationen artikulierten, blieb die Musik trotz der ökonomischen Abhängigkeit im vorkommerziellen Stadium (...)“ (Kaiser 1972, S. 337). Mit der Ausweitung der Schallplatten nahm diese Form der Eigenkultur ein jähes Ende, so die Gegner.

Doch die Plattenindustrie nur von der kommerziellen Seite her zu betrachten, ist zu einseitig.

Die „gute“ Seite der Schallplatte (dies gilt auch für Heute) ist, daß sie eine Musikrichtung und somit auch die dazugehörige Kulturform einer breiten „Masse“ zugänglich macht. Und zwar nicht im Sinne der Kommerzialisierung der betreffenden Musik, sondern im Sinne der Verbreitung der subkulturellen Inhalte der jeweiligen Musikbewegung. Dieser Aspekt wird in wenigen Auseinandersetzungen hervorgehoben, meist wird die Verbreitung der Musik einzig und allein unter dem Aspekt des „Endes“ der jeweiligen Kultur betrachtet. Nicht zuletzt sei angemerkt, daß in der Bundesrepublik ohne die Verbreitung der Schallplatte nur wenig über die zumeist in anderen Ländern entstandenen Musikkulturen in das Land gekommen wäre.

Zimmermann (1984) bringt die Aneignung der Beatmusik in Zusammenhang mit der Suche nach eigenen Formen des Lebensgenusses. „Es begann eine große, nichtorganisierte Bewegung der Verweigerung - die Musik war der Zusammenhalt und das Erkennungszeichen“ (Zimmermann 1984, S. 96).

Die Aneignung von Beat bedeutete oftmals auch eine intensive Beschäftigung mit der Musik. Das zeigte sich auch in den vermehrten Versuchen, die Musik selber zu machen. Aneignung von Beat verhalf dazu, die eigene kulturelle Entwicklung zu bestätigen und zu bestärken. Also nicht nur Konsum als Auswirkung, sondern der Beat als kulturproduktives Element, ähnlich wie wir es bei der Technomusik noch herausfinden werden. Nähe zur Musik und zu denjenigen, die die Musik machten, zu demonstrieren, zeigte sich augenfällig weithin in der Kleidung. Ein Zitat aus einem Leserbrief im Stern (1965) bringt dieses auf den Punkt: „Wir tragen lange Haare und schmutzige Hosen, weil uns die Gesellschaft zu »sauber« ist“ ( Der Stern 1965 Zit. in: Zimmermann 1984, S. 96). Die oppositionellen Haltungen blieben aber nicht bei Beat, Haaren und Kleidung stehen, dies bezieht Zimmermann nur auf die Anfangsphase der Beatbewegung. Auch die Veränderung im Verhältnis zur Sexualität begleitete die Beatniks. Und als Höhepunkt dieser Veränderung nennt Zimmermann die „Oben-Ohne-Mode" im Sommer 1964. Die Auswirkungen in der Sexualität werden wir noch am Beispiel der Nachfolgebewegung, den Hippies, näher betrachten.

Das „Ende“ der Beatbewegung wurde spätestens mit der Kommerzialisierung und Vermarktung der Musik und der „schmutzigen Hosen“ (Kleidung der Beatniks) in den großen Warenhäusern „eingeläutet“. Statt der traditionellen Titeldame gab es 1967 erstmals zwei Jugendliche in „beatgrünem Hosendress“ und orangefarbenem Minirock auf dem Deckblatt des Neckermannkataloges. In Kaufhofwarenhäusern wurden Carnaby-Pavillions mit Beatberieselung und Cola-Bar aufgestellt. „Twen-Boutiquen“ oder „Twen-Shops“ gaben vor, das Richtige für die beatbegeisterten Jugendlichen im Laden zu haben: „Die jungen Leute bestimmten selbst, was sie anziehen wollten“ (Der Spiegel 1967 Zit. in: ebd., S. 100).

Auch wenn es noch viel zur Beatbewegung zu schreiben gibt, soll an dieser Stelle der Übergang zur Hippiebewegung erfolgen, welche sich auf dem Höhepunkt des Beatbooms Mitte der 60er Jahre herausbildete.

1.3.3 Die Psychedelische Ära

„Die Beat-Situation war krank, die Beats hatten nichts über soziale Programme und über politisches Leben zu sagen“ (Ed Sanders, in: Schwendter 1973, S. 170)

Die Hippiebewegung löste diese „kranke“ Situation mit der Entstehung einer neuen Subkultur zumindest vorerst auf.

Auf die Beat - Ära folgte die Hippie - Ära, auf die Beatmusik die Rockmusik. Eingeläutet wurde die neue musikalische Ära durch folgende Ereignisse:

- auf dem legendären Newport Folkfestival schloß Bob Dylan seine Gitarre an einen Verstärker an und verrockte seine bis dato mit Gitarre und Mundharmonika intonierten Protestsongs;
- in San Francisco kam es zu einer Aufbruchstimmung, ähnlich wie in Liverpool Anfang der 60er Jahre. Die Stadt avancierte zur „flipsville“ und im Avalon Ballroom führten Gruppen wie„Greatful Dead“ und „Jefferson Airplane“ mit großen Lichtshows improvisierte Klanggebilde vor;
- die Beatles begannen mit der LP „St. Pepper“ auf alle möglichen Stilrichtungen zurückzugreifen: Kammermusik, modern-klassische, elektronische Musik, indische Sitar-Weisen, Kirchentonarten und montierten alles zusammen.

Diese Entwicklung ging einher mit einer deutlicher artikulierten Anti - Haltung vieler Jugendlicher und jugendlicher Subkulturen - Mitglieder. Die Musik war geradezu die Basis der Hippiekultur, so sollten mit der Musik die Ziel- und Wertvorstellungen der Subkultur in die breite Öffentlichkeit getragen werden. Vorstellungen wie z.B.:

1. „Drop out, springe heraus, verschwinde, verlasse die bürgerliche Gesellschaft, rücke gänzlich von ihr ab.
2. Turn on, schalte ein, drehe auf, berausche dich, sei es durch Drogen oder andere Anregungsmittel.
3. Tune on, stimme dich ein, bringe dich auf die gleiche Tonhöhe mit anderen.
4. Lebe geistig, meditiere, suche den Weg nach innen.
5. Lebe psychedelisch, lebe nach deiner Natur, wo immer du willst, aber verletze niemanden.
6. Wo immer du einen Bürgerlichen erreichen kannst, blase sein Gehirn an, wirble ihn auf, verführe ihn, wenn nicht zu Drogen, dann doch zur Liebe, zur Schönheit, zur Ehrlichkeit, zur Freude, zum Spaß“ (Bonn 1968, in: Stein 1982, S. 224; die Begriffe turn on, tune in, drop out wurden durch T. Leary in seinem Buch „Politik der Ekstase“ von 1968 geprägt; vgl.: ebd., S. 114ff).

Mit diesen Grundsätzen im Hinterkopf lehnten die Hippies die entmenschlichte Wohlstandsgesellschaft ab, zuerst in Amerika, und später kam die Welle über England in die Bundesrepublik. Mit ihrem Beispiel einer gewaltlosen Flower-Power-Bewegung versuchten sie ein Gegenbeispiel zur vorherrschenden Gesellschaftsform vorzuleben. Dazu verhalf ihnen ein Weltbild, das von Timothy Leary und seinen Mitstreitern und Anhängern geprägt war „(...), die das lineare, logische, visuelle, zweckbestimmte Weltbild des Abendlandes ablehnten und eine dezentralisierte, laterale, sprunghafte, intuitive und unvermittelte Theorie und Praxis propagierten“ (Hollstein 1970, S. 69).

Zu den Normen der Hippies zählten äußerlich exotische Kleidung, Blumen, Anleihen bei Indianern, Buddhisten, Naturvölkern; sie freuten sich über Sonnenstrahlen, Tautropfen, Farben, Nacktheit, Kinder, Tanz, Musik, Tiere, Lächeln, bemalte Häuser. Ihre alternative Wertordnung umfaßte Negation der Zwänge („Alles ist erlaubt“), Gleichheit, sexuelle Freiheit, Liebe als Akt der Kommunikation, Freiheit, Gemeinschaft, antihierarchische Gleichheit, Zusammenarbeit, Kreativität, Einfachheit, Ehrlichkeit, Individualität, materielles Glück (vgl.: Schwendter 1973, S. 174).

Die Hippies hatten ihre eigene Kultur mit „Free Stores“, „Free Universities“, eigene Zeitungen, eine „Free Medical Clinic“, „Be-Ins“, freies Theater und Konzerte, aus denen später nicht selten riesige Festivals wurden. Sie lebten oft in Gemeinschaften und Kommunen, in denen sie zusammen arbeiteten (um z.B. die „free stores“ zu beliefern) und im Sinne ihrer Normen und Werte ihr Zusammenleben gestalteten. Aber auch diese Welt blieb von der gesellschaftlichen Realität nicht verschont:

„Und Touristen kamen mit ihren Kameras, um die seltsamen Vögel zu beobachten und zu knipsen. Innerhalb weniger Monate war die ganze Sache ein Zirkus geworden“ (Cohn 1971, S. 182). Spätestens an diesem Punkt hat der Ausverkauf der Hippiekultur ihren Lauf genommen. Interessante Parallelen zur Technokultur sind auch hier nicht zu verleugnen.

Auch wenn schon am 6. Oktober 1967 die Hippies „den Tod von Hippie, dem gehorsamen Sohn der Massenmedien“ (Schwendter 1973, S. 175) aus mehren Gründen ausgerufen haben, so erscheinen die Auswirkungen in der Sozialisation durch die Hippiekultur als beachtlich, und waren 1967 noch lange nicht beendet.

Auswirkungen sind in der Technobewegung wiederzuerkennen und nicht nur der Slogan „Love, Peace, Unity“ ist dem „Love, Peace and Happiness“ angelehnt, selbst der Kleidungsstil und die Drogenvorlieben weisen Parallelen auf. Die Gründe für den „Tod von Hippie“ sollen nachfolgend kurz angerissen werden, um später darauf zurückkommen zu können:

1. Drogenmißbrauch: 1967 kamen 13.000 Personen wegen LSD - Mißbrauchs in medizinische Behandlung. Die Drogen begrenzt einzunehmen, wie Timothy Leary und andere „vernünftige“ Leute es angewiesen hatten, war keine Folge geleistet worden.
2. Polizeiliche Repression: 1967 kamen 72% der Hippies in New York, 79% in San Francisco und 43% in London mit der Polizei in Konflikt. „Lange Haare und Rauschgift sind die Köder, mit denen die Jugend für die Revolution gewonnen wird“ (Habe 1970, in: Schwendter 1973, S. 175).
3. Kommerzielle Integration: Die Industrie verarbeitet die von Inhalten losgelösten Formeln zu Postern, Buttons, Kleidung, Talismanen. Von nun an gab es Hippie-Läden, Wochenendhippies, Hippie-Tourismus, Love-Ins in Tanzhallen, Hippies in Filmen und Zeitschriften etc. (vgl.: ebd., S. 175f).

Die nur sehr unvollständig wiedergegebenen Gründe für den erklärten Tod der Bewegung lassen u.a. die Frage aufkommen: Wie geht eine Gesellschaft mit den Bedürfnissen und Wünschen ihrer eigenen Kinder um?

Die Gesellschaft reagiert auf gesellschaftsbedrohende bzw. nicht systemkonforme Erscheinungsformen ihrer jungen Mitbürger mit Repression, auf Formen, die sich entsprechend der Konsumorientierung unseres kapitalistisch orientierten Wirtschaftssystems vermarkten lassen, mit Kommerzialiserung. (Auch hierauf wird im weiteren Verlauf eingegangen.)

Obwohl schon vom Ende der Hippie - Kultur die Rede ist, so ist die Bedeutung derselben für Aufbegehren und In-Frage-stellen des Establishments, für veränderte Sozialisation in den 60er Jahren (evtl. sogar in den 70er Jahren) u.a.m. beachtlich. Mitte der 60er Jahre verbreitete sich die Lebenshaltung des „Nichtmitmachens“ unter der geharnischten Kritik an der Welt des Establishments in weiten Kreisen der unzufriedenen Jugend. Erfahrungen der Erwachsenen galten nichts mehr, das eigene Handeln sollte vielmehr selbstbestimmt werden. „Trau keinem über dreißig“, ist der bekannte Slogan, der in dieser Zeit seinen Ursprung hatte. (vgl.: in: Zimmermann 1984, S. 103).

Gammler hießen die Hippies in Deutschland, aber es waren keine richtigen Hippies. Ideen und Gedanken der Hippies durchdrangen zwar auch ihr Weltbild, aber Gammler hatten nie die Absicht, die Welt zu verändern. Gammler waren Aussteiger, die die außerordentlich geachteten Werte der Gesellschaft wie Sauberkeit, geregelte Arbeit, moralische Liebesbeziehungen, Fleiß und gute Manieren ignorierten (vgl.: Kurz 1979, S. 27ff). „Wir (die Gammler, Anm. d. Verf.) ziehen uns zurück und besinnen uns auf uns selbst, wir gehen fort, um Distanz zu gewinnen.

Wir mißtrauen den Etiketten an den Dingen, den abstrakten Forderungen, Theorien und Dogmen der Gesellschaft“ (Hollstein 1970, S. 40).

Wenn Gammler eine Münze in die Parkuhr warfen und sich dann davor in die Sonne legten, irritierte das doch so manchen „Wohlstandserwachsenen“, prägte aber auch deren Meinung, daß Gammler arbeitsscheu und hemmungslos seien, so Zimmermann (1984, S. 104). Sie verstanden nicht, wenn gesagt wurde: „Wenn wir hier faulenzen, dann hat das Gründe. Was wir hier machen, läßt sich einfach erklären. Wir wehren uns dagegen, daß wir von unserer Gesellschaft total verplant werden“ (Hollstein 1970, S. 45). Gammler kritisierten das Leben derjenigen, die kopfschüttelnd und verständnislos vor ihnen standen, sie kritisierten mit ihrem Verhalten eine Arbeitswelt, in welcher der Einzelne total verplant und kontrolliert wurde. Sie beklagten „(...)vor allem den Verlust an Ursprünglichem und den Mangel an Schöpferischem; sie wandten sich entschieden gegen die Entwicklung, die alles Individuelle verdrängte und überall Masse schaffte“ (ebd., S. 45).

Der damalige Bundeskanzler Erhard zur „Lage der Nation“: „So lange ich regiere, werde ich alles tun, um diese Pest auszurotten“ (Der Stern 1966, in: Zimmermann 1984, S. 104).

Gammler schafften keine Gesellschaftsveränderungen, aber sie schafften es, daß darüber nachgedacht wurde und daß viele „Wochenendgammler“ ihren Widerstand zeigen konnten, so Zimmermann (1984). Auch die Gammler hörten Rockmusik, welche neben dem Transport von Gefühlen und Stimmungen auch Ideen und Botschaften enthielt. „Rocksongs haben sich in den sechziger Jahren tatsächlich als die wirksamsten, zugleich unverdächtigsten Medien erwiesen, in denen freie Sexualität, Haschisch, Fixen und Drogen propagiert und obszöne Redewendungen verbreitet wurden“ (Kneif 1977, S. 42). Die „Doors“ mit ihrem Leadsänger Jim Morrison seien hier nur als ein Beispiel erwähnt, wie Rockmusik in Text und Aufführung auf der Bühne weitergetragen wurde. Nicht selten wurden ihre Konzerte verboten oder unterbrochen, weil die moralischen Werte der Gesellschaft „heftigst“ überschritten wurden.

Sei es durch obszönes Entkleiden und dem „vorführen“ von Geschlechtsverkehr oder durch Abwandlung von Texten in z.B. „Mother, I want to fuck you..“ Von den öffentlichen Aufforderungen zum Drogenkonsum mal ganz abgesehen.

Die Gesellschaft reagierte zu großen Teilen mit Unverständnis auf die angestrebten „neuen“ Lebensweisen. Die Hippie - Kultur selbst hat sich dadurch aufgelöst, daß sie durch einen ihrer größten Feinde, die Kommerzialiserung, vereinnahmt wurde. Zudem ist ihnen im Laufe der Zeit das abgegangen, was Ginsberg in den 60er Jahren wie folgt treffend formulierte:

„Falls wir unseren Sinn für Humor und unsere Fähigkeit der Liebe verlieren, falls wir verbittert, zornig und hart werden, haben wir der Gesellschaft keine Alternative zum Bestehenden mehr anzubieten“ (Ginsberg, Zit. in: Schwendter 1973, S. 175).

1.3.4 Die Punk Ära

Am Schluß der Betrachtung früherer Musikbewegungen, soll noch kurz auf die Punkbewegung eingegangen werden. Etwa gegen Mitte der 70er Jahre waren plötzlich Teile der Jugend unzufriedener als je zuvor und gegen den Rock der „extravaganten techno-flash-groups - Yes, Emerson, Lake and Palmer, Genesis, Pink Floyd -und omnipotenten, aber abgehobenen-entfernten Schwermetallmonster wie Led Zeppelin“ (Jones 1978, S. 13). Das Resultat: der Punk brach hervor, in England um 1975 und in Deutschland zwei Jahre später.

Punk ist sinngemäß übersetzbar mit „Schund“ oder „wertloses Zeug“. In den 50er Jahren wurden in den USA Straßenkinder, aber auch Homosexuelle so bezeichnet (vgl.: Lindner 1978, S. 11). Das „Wirtschaftswunder“ wechselte 1974/75 zur „Wirtschaftskrise“; Massenarbeitslosigkeit und neue Technologien, welche die noch bestehenden Arbeitsplätze gefährdeten, seien hier nur als zwei Beispiele genannt.

Aber auch Angst machte sich in der Bevölkerung breit, Angst, daß durch atomare und chemische Verseuchung das Leben auf der Erde ein gefährliches Ende nehmen könnte.

Dramatische Entwicklungen wurden z.B. in der Studie „Global 2000“ (vgl.: in: Kaiser 1980) prognostiziert, wenn sich nicht Entscheidendes hinsichtlich Umweltschutz, Resourcenerhaltung und Bevölkerungsstabilisierung verändere. „Jugendliche fühlten sich von einer solchen düsteren Zukunft noch betroffener als alle anderen, für die weitgehend der gesellschaftlich »durchschnittliche« Fall des Sich-Einrichtens im Status Quo gilt“ (Zimmermann 1984, S. 114). Die Zukunftserwartungen verschlechterten sich zunehmend: Selbstentfaltung und sinnvolle Arbeit wurden zu Leerformeln, Perspektivlosigkeit wurde zum Lebensproblem. „Dies auch nur dumpf zu empfinden, kann den Einzelnen in eine innere Situation führen, in der nur noch Auflehnung als angemessene Reaktion erscheint“ (Eidgenössische Kommission für Jugendfragen 1980, S. 21). Auflehnung und Widerstand führten in dieser Zeit zu vielen Bewegungen: Alternative Lebensformen, Anti-Atombewegung, Frauenbewegung, Stadtindianer, Selbstorganisation, Hausbesetzer, Friedensbewegung usw. usf. Punk war in dieser Vielfalt von Rebellion die Bewegung, welche ihre Auflehnung in der Musik, in ihren Parties und ihrem äußeren Erscheinungsbild widerspiegelten, in „ihrer“ Kultur.

„No Elvis, Beatles or Stones in 1977“: Diese Aussage spricht für sich selbst. Punk war eine Gegenbewegung gegen den Rock, wie er massenkulturell verarbeitet im Supermarkt, im Fernsehen und in den Kaufhäusern zu hören war. Ähnlich wie bei den Beatniks wurde Punkmusik in den Live -Auftritten lebendig. „Punk ist live, muß man machen und mitmachen“ (Lindner 1978, S. 12). Die Texte im Punk sprechen von den eigenen Erfahrungen und von denen, die beobachtet werden, z.B. das Leben in Wohnsilos oder die Schlangen beim Arbeitsamt. Die Texte von „The Clash“ benennen deutlich den Zusammenhang von Rockmusik, Jugend und Arbeitslosigkeit (vgl.: Frith 1978, S. 29).

Aber nicht nur die Texte wirkten alles andere als lebenslustig, auch das Äußere der Punks drückte die Abgrenzung zum bestehenden System überdeutlich aus. Sicherheitsnadeln im Ohr, Ketten im Mundwinkel und um den Hals, Leder, zerrissene Kleidung, kurze, bunt gefärbte, teilweise hochgestellte Haare ...

„All dies waren Elemente für eine Identitätsbildung, um sich von der Erwachsenenwelt abzugrenzen, sich selbst zu finden und im »Feindesland« zu überleben. Widerstand durch Rituale, Posen, Mode, Musik - eben durch Stile; dies gilt auch für den Punk“ (Penth/Franzen 1982, S. 224).

Auch die Punkbewegung kam an den Medien nicht vorbei. Ende 1977 startete die „Bravo“ eine Serie „alles über Punk-Rock“ (vgl.: in: Zimmermann 1984, S. 116) und auch der „Spiegel“ veröffentlichte 1978 eine Titelgeschichte mit dem Thema: „Punk. Kultur aus den Slums: brutal und häßlich“ (Der Spiegel 1978).

Peter Zimmermann (1984) resümiert folgendermaßen über diese Zeit:

Punk ist keineswegs eine bloße Modeerscheinung, sondern der Ausdruck des Widerstands der „No-Future-Generation“.

„Punk, trotz Imports, ist also auch neues oder gewecktes Selbstbewußtsein, ist als neues Lebensgefühl Widerstand gegen beherrschende, unterdrückende Verhältnisse.

Punk brachte aber auch endlich wieder den Wunsch hervor, Musik selber zu machen. Mit wenigen musikalischen Kenntnissen und einfachen Mitteln, aber um so begeisterter taten sich drei, vier Leute zusammen und spielten „ihren“ Punk-Rock.“ (Zimmermann 1984, S. 117)

In einer Erhebung von 1981 zählte sich nur ein geringer Teil der Heranwachsenden zur Punkbewegung: 2% der befragten Jugendlichen definierten sich als Punk; 15% der Befragten fanden Punk „ganz gut“. (Die Zeit, 6.2.1981)

Aber dennoch stellen solche Elemente wie „Rockmusik selber machen“, „Sich nicht vereinnahmen lassen“, „einen eigenen Stil pflegen“, „seine Wut ausdrücken“, aber auch „No- Future-Gefühle“ eine Orientierungsbasis dar, die viele Jugendliche für sich in Anspruch nahmen, so Zimmermann (1984). Punk als wesentliche Sozialisationsbedingung der 70er und 80er Jahre.

Zusammenfassung

Die aufgeführten Überlegungen sollen aufzeigen, daß es beim Betrachten einer Kultur wichtig ist, sich diese unter bestimmten Aspekten anzuschauen. Es kann nicht ausreichen, sich einer durch Medien vorgefertigten Meinung anzuschließen und dann diese öffentlich zu vertreten, ohne die Ausführungen näher durchleuchtet zu haben.

Dieses Kapitel sollte dazu beitragen, zum einen die Kritik in Richtung „Techno sei keine Kultur“ neu zu überdenken, zum anderen, den Pauschalvorwürfen, alle früheren Musik-Kulturen seien „besser“ oder „inhaltsvoller“ gewesen, aufklärend entgegenzuwirken.

An den Beispielen früherer Musikbewegungen lassen sich einige, anscheinend bei der Entstehung von Subkulturen ganz „normale“ Entwicklungen beobachten, die als Kritikpunkte an der Technobewegung häufig so dargestellt werden, als seien sie ein einzig und allein auf die Technobewegung anzuwendendes Argument. Im weiteren Verlauf werden immer wieder Argumente der Kritik angeführt, die der Technobewegung zugeschrieben werden, die aber - wenn wir die früheren Bewegungen betrachten - ganz allgemeine Phänomene bei der Entstehung von neuen Bewegungen zu sein scheinen.

Die Beschreibung dieser „allgemeinen Phänomene“ sollte mit dem Kapitel der „Früheren Musikbewegungen“ verdeutlicht werden, um die Phänomene, welche die Technokultur hervorgebracht hat, auch mit anderen Musikbewegungen zu vergleichen, um so Unterscheidungen treffen zu können zwischen allgemeinen Phänomenen und speziellen, die nur auf die Technokultur zutreffen. Die Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff kann dazu beitragen, die Technokultur unter „neuen“ Gesichtspunkten in einem anderen Licht zu sehen.

Allzu leicht machen es sich die Kritiker, wenn sie Techno als kulturlose Bewegung bezeichnen. Sie setzen sich der Kritik aus, daß sie Kultur nur im Sinne der „hohen Kunst“ anerkennen.

Dagegen wäre auch nichts einzuwenden, wenn sie dieses auch offen aussprechen und nicht den Eindruck erwecken würden, daß alle anderen Musik - Kulturen kulturelle Inhalte hatten - nur Techno nicht.

Gerade die Vorüberlegungen zum kulturellen Aspekt werden dem „techno fremden Leser“ noch mehr die Möglichkeit bieten, sich dem Phänomen Techno auch auf dieser Ebene zu nähern, zumal die Diskussion um Subkulturen, Jugendkulturen und den Thesen der Kulturindustrie im Zusammenhang einer Jugend-, Musikbewegung und deren Sozialisationspotential grundlegend erscheinen.

Nach diesem allgemeinen Einstieg in die Thematik ist es nun an der Zeit, die Technokultur in all ihren unterschiedlichen Facetten detaillierter anzuschauen.

2 Technokultur

Dieses Kapitel behandelt die unterschiedlichen Aspekte der Technokultur: Techno als Musik, als Bewegung, als Sozialisationsbedingung, als kulturproduktives Element, als Partykultur, als Subkultur – als Technokultur.

Die Bezeichnung Techno ist (oder war) für viele Menschen Abschreckung genug, um sich nicht mit dem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen.

Der Begriff wird allzu häufig unter dem negativen Aspekt - der Beherrschung oder Manipulation des Menschen - gesehen, obwohl Techno im Sinne von Technik überall in unserer Gesellschaft vorhanden ist.

Und so können sich Technik - Gegner heutzutage nicht dem Einfluß der Technik im Alltag entziehen, selbst wenn sie bewußt auf alle technischen Geräte verzichten.

Ob sie öffentliche Verkehrsmittel benutzen, Geld am Automaten abheben oder beim Arzt ihre Chipkarte abgeben. Technik im Auto, Technik im Kinderspielzeug, Technik beim ökologischem Landwirt, aber dieses nur am Rande. Es soll das Thema „Techno als Musikbewegung“ behandelt werden, wobei auch hier das Phänomen der technischen Geräte eine Rolle spielt und dementsprechend behandelt wird.

„Kunstwerke wurden im Neulateinischen technika genannt (lat. Technika: Kunst, Künste; Anweisung zur Ausübung einer Kunst oder Wissenschaft). Ursprünglich stammt dieses Wort »Kunst« aus dem Griechischen: techne bedeutet Handwerk, Kunst, Kunstfertigkeit, aber auch Wissenschaft“ (Cousto 1995, S. 68f).

Techno als Bezeichnung für das Zusammenspiel von Mensch, Maschine und Kunst, Techno als Ausdruck des Übergangs vom 20. ins 21. Jahrhundert.

2.1 (Elektronische-) Musikgeschichte

Diesen Ausführungen liegt folgender Text zugrunde: „Elektronische Musik“, Geschichte - Technik - Kompositionen, von Hans Ulrich Humpert, Musikprofessor an der Musikhochschule in Köln (vgl.: ebd. 1987, S. 10ff).

Um 1950 begann man in Köln Musik als elektronisch zu bezeichnen, deren Klangmaterial ausschließlich von elektronischen Generatoren erzeugt und auf elektronischem (= elektroakustischem) Wege verarbeitet wurde. Die Komponisten dieser frühen elektronischen Musik, die zunächst streng seriell ausgerichtet war, erweiterten bereits ab etwa 1955 ihre Klangbestände um Mikrophonaufnahmen von instrumentalen und vokalen Klängen, blieben aber bei der Bezeichnung „elektronische Musik“. Auf elektronischem Wege herbeigeführten klanglichen Ableitungen und Montagen wurden schließlich noch Aufnahmen von Umweltgeräuschen beigefügt, und somit war der Begriff so weit gefaßt, daß nun alle Kompositionen, deren Klangproduktion und – transformation durch elektronische (elektroakustische) Geräte erfolgten, als elektronische Musik galten. Ein Problem jener Tage war die Aufführung elektronischer Musik im Konzertsaal. Die unmittelbare, von Menschen hervorgerufene Wirkung eines Konzerterlebnisses, für das es ja mancherlei psychologische, musikalische und gesellschaftliche Gründe gibt, war mit den (damaligen) technischen Übertragungsmitteln nicht zu erreichen. So blieb die elektronische Musik vorerst in den Wohnzimmern (Schallplatten, Tonband und Hörfunk). Die Schwierigkeit des Konzertsaals als Aufführungsort rein elektronischer Musik entfällt heute angesichts der Entwicklung der live-elektronischen Musik. In ihr gibt es wieder Interpreten, Musiker auf der Bühne; damit erfüllt der Konzertsaal wieder seine angestammte Funktion als Präsentationsraum öffentlicher Musikdarbietung. Live-elektronische Versuche hat es in den gesamten 60er Jahren gegeben; meist wurden „normale“ Instrumente während des Auftritts von elektronischen Apparaturen (meist Filter und Ringmodulatoren) verfremdet. Die Schwerfälligkeit dieser Studioapparaturen ließ die Ergebnisse aber meist unbefriedigend erscheinen.

Dies änderte sich erst mit der Einführung des Synthesizers, dessen Möglichkeiten weit über einfache elektronische Klangverschiebungen hinausging.

Die Akustik als Lehre von Schall und seinen Wirkungen bekam in der elektronischen Musik - im Gegensatz zur herkömmlichen - eine größere Bedeutung. Musik und Musiker haben sich bisher kaum um die Akustik kümmern müssen, denn die Gesetze des musikalischen Hörens regulieren sich beim Instrumentalisten vielfach automatisch und unbewußt in der Funktion des Spielens.

„Im elektronischen Bereich dagegen stößt der Musiker auf viele akustische Überraschungen, die ihm aus der Instrumentalmusik nicht geläufig sind. Er lernt akustisch und endlich auch akustisch-musikalisch exakte Zusammenhänge zwischen Tonhöhe und Lautstärke kennen; er erfährt, daß ein unterbrochener Klangvorgang vor der Unterbrechung anders klingen kann als nachher; er nimmt Kenntnis davon, daß man aus Sinustönen Klänge und Tongemische, aber keine Akkorde bilden kann. Vor eine völlig neue Situation stellt ihn die Tatsache, daß er sich nicht mehr in einem festgefügten Tonsystem bewegt. Er sieht sich einem Klangreich gegenüber, in dem die Musikmaterie zum ersten Mal als gestaltbares Kontinuum von denkbaren, möglichen, bekannten und unbekannten Klängen erscheint. Und überall nun, nicht nur im Bereich der Klänge und Klangfarben, sondern auch in dem der Tonhöhen, des Rhythmischen und der Lautstärken tritt „Akustisches“ in einer musikgeschichtlich noch nicht dagewesenen Situation in ihre musikalischen Rechte“ (Humpert 1987, S. 13).

Das Komponieren und Realisieren elektronischer Musik setzt ein Studio voraus, in dem Apparaturen für die Aufnahme und Wiedergabe ebenso vorhanden sein müssen wie Generatoren und Transformationsgeräte (wie das zur damaligen Zeit so schön genannt wurde, Anm. d. Verf.). In den ersten 15 Jahren (ab 1950) der elektronischen Musik handelte es sich um Apparate, die aus der Rundfunk - und Meßtechnik stammten und ursprünglich nichts mit Musik zu tun hatten und von den Komponisten als „Musikinstrumente“ umfunktioniert wurden. Ein einschneidendes Ereignis war 1964 die Einführung des Synthesizers durch den Amerikaner Robert A. Moog.

„Elektronisches Komponieren setzt Vertrautheit mit technischen Mitteln voraus, die sich wesentlich von dem unterscheiden, was man in der traditionellen Musik als Technik im Sinne von Satztechnik, Kontrapunkttechnik oder Virtuosentechnik bezeichnet“ (ebd., S. 15).

Die Vorstellung, man könne ein elektronisches Stück ausschließlich am Schreibtisch komponieren und einen so entstandenen abstrakten Plan später im Studio sozusagen elektronisch instrumentieren, ignoriert wesentliche Eigenheiten des elektronischen Komponierens, beispielsweise die fundamentale Bedeutung der musikalisch-technischen Phantasie.

„Elektronische Musik ist kein abgeschlossenes System wie die klassischen Fächer des Kontrapunkts und der Harmonielehre, die man in Kursen absolvieren kann. Vielmehr ist sie die kompositorische Anstrengung selber (...)“ (ebd., S. 16).

Das Zitat über Akustik und Musik läßt erahnen, welch unbegrenzte Möglichkeiten der Komponist elektronischer Musik hat - Musik kann in diesem Bereich über die Grenzen der Musiklehre und vor allem auch über die Grenzen der herkömmlichen traditionellen Musikinstrumente hinaus komponiert werden, und musikalische Experimente unterliegen keinen Grenzen mehr (außer den Grenzen, die eine jeweilige Epoche mit sich bringt).

„Experiment“ ist ein gutes Stichwort, um erste Eindrücke über die Vorgeschichte der elektronischen Musik zu vermitteln.

Vorgeschichte elektronischer Musik

Um 1900 konstruierte der Amerikaner Dr. Thaddeus Cahill das „Dynamophon“, ein mechanisch-elektrisches Instrument von riesigen Ausmaßen, dessen Klänge mittels Fernsprechleitungen übertragen wurden. Musikgeschichtlich bemerkenswert ist Cahills Instrument durch die Beschreibung Ferruccio Busonis geworden, an die er Betrachtungen über die Teilung der Oktave in kleinere Intervalle als den temperierten Halbton anstellte. In diesem Zusammenhang muß auch Arnold Schönbergs Vorstellung einer Klangfarbenmelodie gestellt werden, also jene am Schluß seiner Harmonielehre von 1911 erwähnte Folge von Klangfarben, „deren Beziehung untereinander mit einer Art Logik wirkt, ganz äquivalent jener Logik, die uns bei der Melodie der Klanghöhen genügt.

Das scheint eine Zukunftsphantasie und ist es wahrscheinlich auch, aber eine, von der ich fest glaube, daß sie sich verwirklichen wird“ (Schönberg 1960, in: Humpert 1987, S. 19).

Fast zur gleichen Zeit also „haben sich Busoni und Schönberg mit der Idee der unendlichen Tonmaterie befaßt - sie scheiterten notwendig an den Grenzen der instrumentalen Mechanik“ (ebd.).

Zur gleichen Zeit setzte auch das Bemühen ein, elektrische Musikinstrumente zu entwickeln. In den 20er und 30er Jahren wurden dann Geräte mit den Namen „Ätherophon“, „Sphärophon“, „Hellertion“, das wohl eher bekannte „Elektrochord“ oder das „Trautonium“ erfunden.

Außer der elektronischen Orgel gehören die genannten Instrumente der Vergangenheit an und werden im Höchstfall noch von vereinzelten „Tonkünstlern“ verwendet.

Was noch fehlte war sozusagen die ganze andere Hälfte der elektronischen Musik: die Schallaufzeichnung auf Magnettonbänder.

Die Firma AEG präsentierte 1935 auf der Berliner Funkausstellung das erste Tonbandgerät der Welt. Jetzt wurde der elektronisch erzeugte Klang auch als Kompositionsmittel frei verfügbar; „ohne eine hochentwickelte Magnettontechnik wäre die Elektronische Musik im Stadium der elektrischen Spielinstrumente steckengeblieben“ (Eimert/Humpert 1977, S. 195f).

Musikalischer Futurismus

Der italienische Maler und Komponist Luigi Russolo, der sich ab 1913 der Kunstrichtung des Futurismus widmete, versuchte am konsequentesten diese neue Kunstrichtung musikalisch umzusetzen.

Zunächst. indem er in seinem Manifest „L ´arte dei rumori“ („Die Kunst des Geräusches“), Anfang 1913 eine Klassifizierung von Geräuschfamilien vornahm (Donnern, Krachen; Pfeifen, Zischen; Flüstern, Murmeln; usw.).

Er beließ es aber nicht bei den theoretischen Überlegungen, sondern baute Geräuschinstrumente, welche er in Konzerten vorführte.

Musique concréte

Diese von dem französischen Ingenieur und Musiker Pierre Schaeffer inaugurierte Musik gilt als die erste, die ausschließlich in „gespeicherter“ Form existierte und nur über Tonträger (Schallplatte, Tonband) abgespielt aufgeführt werden konnte.

Schaeffer wollte die Kunst des Bruitismus (französisch bruit = Geräusch) als authentische musikalische Gebilde wirken lassen, und schlug 1949 die Bezeichnung „musique concréte“ für diese neue Geräuschkunst vor - „konkret“ deshalb, weil diese Musik „auf vorherbestehenden, entlehnten Elementen einerlei welchen Materials - seien es Geräusche oder musikalische Klänge - fußt und dann experimentell zusammengesetzt wird aufgrund einer unmittelbaren, nicht-theoretischen Konstruktion“ (ebd., S. 23f)

Music for Tape

Die Bezeichnung „Music for Tape“ („Tonbandmusik“) wurde um 1950 in den USA geprägt. Es beschreibt ein Bandaufzeichnungsverfahren, das sich teilweise mit den Mikrophonaufnahmen der „musique concréte“ berührt, darüber hinaus aber auch elektrische Musik- und Musizierinstrumente verwendet. Die Komponisten Vladimir Ussachevsky und Otto Luening gründeten in der Columbia Universität ein Studio, in dem ohne theoretische oder ästhetische Einschränkungen Klangmaterialien unterschiedlichster Herkunft auf Band montiert wurden. Die amerikanischen Komponisten experimentierten sofort mit den neuen Möglichkeiten, und es entstanden Begleit- und Untermalungsmusiken für Filme, Theater oder auch Hörspiele.

Das Ende der „music for Tape“ trat Ende der 50er Jahre durch das Eintreten neuer Komponisten in das Studio von Ussachevsky und Luening ein und zog einen Stilwandel nach sich. Aber auch der Zusammenschluß von Columbia und Princeton Universities und der 1959 im Studio aufgebaute RCA „Electronic Music Synthesizer“ (nicht zu verwechseln mit der Art Synthesizer, wie es ihn seit der Erfindung von Moog gibt) brachte eine neue Entwicklung mit sich.

Elektronische Musik

1951 wurde von Herbert Eimert das erste Studio für elektronische Musik im Funkhaus Köln eingerichtet, und damit wurden die Hörer zum ersten Mal mit gestaltbaren und verarbeitungsfähigen elektronischen Klängen vertraut gemacht. Im Oktober des selben Jahres wurde dann in Köln und Hamburg über Mittelwelle ein Nachtprogramm mit dem Titel „Die Klangwelt der elektronischen Musik“ ausgestrahlt. Bestand das Programm anfangs zumeist aus Klangbeispielen, so kamen jedoch bald die ersten Kompositionen elektronischer Musik hinzu, welche bei den Zuhörern großes Aufsehen erregten.

1954 wurde dann vom damaligen Techniker des Kölner Studios, Fritz Enkel, ein Schema für die Einrichtung von elektronischen Studios aufgestellt, bei dem es vom Prinzip her bis heute geblieben ist (vom technischem Fortschritt abgesehen). Auch dieses Schema ist bei Humpert (1987) ab Seite 30 sehr detailliert dargestellt und nachzulesen.

Herbert Eimert holte 1953 junge Komponisten nach Köln, welche die elektronische Musikrichtung bis heute geprägt haben. Karlheinz Stockhausen (der bei Schaeffer in Paris schon Erfahrungen gesammelt hatte), Paul Gredinger, Henry Pousseur und Karel Goeyvaerts.

Die Arbeiten der genannten Komponisten werden heute oftmals als „Kölner Schule“ bezeichnet.

Von 1953 bis 1962 brachte Eimert alle im Kölner Studio entstandenen Stücke in seinem Nachtprogramm unter, und gleichzeitig wurden über alle Kompositionen theoretische Kommentierungen veröffentlicht, so daß die Hörer, aber auch die Fachleute, Diskussionsmaterial zur „neuen“ elektronischen Musik zur Verfügung hatten.

Bei der Vorstellung, wie umstritten die elektronische Musik, z.B. die Technomusik heutzutage ist, braucht es nicht viel Phantasie, um die Situation der Kritik jener Tage zu erahnen.

Es gäbe natürlich noch viele erwähnenswerte Entwicklungen oder auch Komponisten jener Tage zu nennen, jedoch müßte dies ausführlicher in einem anderen Rahmen geschehen.

Die technischen Möglichkeiten haben sich seit der Erfindung des Synthesizers 1964 enorm verbessert, und somit war es den Komponisten immer mehr möglich, ihre Kompositionen und Ideen ohne Einschränkungen auch technisch umzusetzen, gab es zuvor doch allzuoft Unzufriedenheit, da sich die musikalischen Kompositionen nicht oder nur teilweise technisch umsetzen ließen und somit oftmals das fertige Musikstück nicht im Ganzen dem entsprach, was der Komponist umsetzen wollte.

Computermusik

Gerade die Technomusik wird häufig als Computermusik bezeichnet, was ja auch im Informationszeitalter nicht ungewöhnlich erscheint.

Da die Anfänge der Computermusik bis ins Jahr 1956 zurückgehen, verdienen sie - bevor die Techno (Computer-) Musikgeschichte behandelt wird - ein wenig mehr an Beachtung.

Der erste größere modellartige Versuch einen Computer „komponieren“ zu lassen, brachte ein Stück Instrumentalmusik hervor, die „Illiac Suite für Streichquartett“ von Lejaren A. Hiller und Leonard M. Isaacson (1956).

Dabei ging es beispielsweise um „das Komponieren in einem bestimmten historischen Stil, [um] partiell begrenzte Rhythmus- und Tonhöhenstrukturen, Zwölftonreihen und gewisse, von willkürlichen Wahrscheinlichkeitserwägungen bestimmte Grundtypen stochastischer [zufallsabhängiger] Musik“ (Hiller 1964, in: Humpert 1987, S. 43).

Hiller berichtet in diesem Buch, wie sein Weg und der seiner Mitarbeiter über informationstheoretisch angelegte Analysen (von Sonatenexpositionen Mozarts, Beethovens, u.a.) dahin führte, diese Methoden auf das eigene Komponieren anzuwenden, worauf Computerprogramme entwickelt wurden, aus denen u.a. die „Illiac Suite“ entstand.

Die Computer, damals noch über Lochkarten gesteuert, waren noch nicht in der Lage, Kompositionen in „Echtzeit“ zu beeinflussen, vor allem waren Computer nur für sehr wenige Komponisten benutzbar; - es sollten noch viele Jahre vergehen, bis der Computer zum „Alltagsgegenstand“ wurde.

Obwohl die allgemeine Verfügbarkeit von Computern und somit deren Einsatz in der Musikkomposition erst zu einer späteren Zeit einsetzte,

wurde 1956 der Grundstock gelegt und der Einfluß von Computern in der Musik entwickelte sich seitdem kontinuierlich.

2.1.1 Entwicklung der Technomusik

(Vgl.: hierzu Anz/Walder 1995, S. 10ff)

Die elektronische Musik ist also nicht im Zusammenhang mit der Technokultur entstanden, sondern hat sich im Laufe der letzten hundert Jahre auf unterschiedlichsten Ebenen langsam aber stetig entwickelt. Seit den Anfängen von Techno wird dies allerdings in der Allgemeinheit übersehen, und die vielfältigen Musiken, wie etwa Computer- oder elektronische Musik, werden aus Unwissenheit verallgemeinernd dem Technobereich zugeordnet. Es wurde versucht, dies verallgemeinerte Bild aufzulösen und die Vielfalt dieser Musikrichtung aufzuzeigen.

Elektronische Musik hat ein mindestens so großes Spektrum wie die instrumentale Musik und ist in ihrer Vielfalt weit umfangreicher, da es keine Grenzen von instrumentaler Seite und auch nicht von musiktheoretischer Seite her gibt. (Die Vorgeschichte der elektronischen Musik sollte dies verdeutlicht haben.)

Im nun folgenden wird es um die Technomusik als eine Form der elektronischen Musik gehen.

Mit der Industrialisierung wuchsen die Möglichkeiten, neue Musik entstehen zu lassen, Musik auf eine neue Art und Weise zu komponieren. Neue Musikinstrumente, die neue Klänge produzieren konnten, neue Produktions- und Reproduktionsmöglichkeiten, neue Aufnahme- und Wiedergabequalitäten und auch –verfahren ermöglichten, mit diesen Techniken zu „spielen“ und in unbegrenzten Dimensionen Musik zu komponieren. Die Möglichkeiten stiegen mit dem Einzug von Technologien in das alltägliche Leben. Diese Technologien produzieren immer Geräusche. Diese Geräusche zu benutzen, zu modellieren und zu transformieren ist eine der Grundideen von Techno.

An dieser Stelle nochmals die Inhalte des Manifests von Luigi Russolo von 1913, in dem er zu der Kunst der Geräusche schrieb: „Wir finden viel mehr Befriedigung in der Geräuschkombination von Straßenbahnen, Auspufflärm und lauten Menschenmassen als, beispielsweise, im Einüben der »Eroica« oder »Pastorale«“ (Anz/Meyer 1995 in: ebd., S. 10).

Weitere Protagonisten von experimentellen und monotonen Klängen waren u.a. die Komponisten der „Kölner Schule“, die ab den 50er Jahren ihr Credo „Alle Klänge und Geräusche sind Musik“ in komplexe Montagen aus naturalistischen und synthetischen Klängen umsetzte.

Ende der 60er Jahre entstand die erste ausschließlich elektronisch hergestellte Filmmusik zu Hitchcocks „Die Vögel“. Die Aufbruchsstimmung der 60er Jahre (u.a. auch durch den weitverbreiteten Gebrauch von psychoaktiven Substanzen wie LSD) brachte experimentierfreudige Alben wie z.B. von den Beach Boys (Pet Sounds) oder Pink Floyd hervor.

In der Bundesrepublik fand als erste experimentelle Band 1968 Can die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Die Gründungsmitglieder Irmin Schmidt und Holger Czukay waren Schüler von Stockhausen. Weitere Gruppen dieses neuen Genres (für die 70er Jahre), das als Krautrock bezeichnet wurde, waren Tangerine Dream, deren Schlagzeuger Klaus Schulze bis heute eine „Größe“ in der elektronischen Musik geblieben ist (Anm. d. Verf.), Neu!, Amon Düül und Faust. Viele der Gruppen formierten sich als Rockband und entdeckten nach und nach ihre Vorlieben für elektronisch erzeugte Klänge. Die wohl bedeutendste deutsche Formation, die oft im Zusammenhang mit dem Beginn der Technomusik genannt wird, ist Kraftwerk. Sie setzten den Synthesizer nicht als Beiwerk oder Orchesterersatz ein, sondern nahmen ihn als zentrales Element in ihre Kompositionen auf.

Gleichzeitig entdeckten andere Künstler wie Brian Eno (auf Eno geht der Begriff Ambient-Musik: Landschaften zum Zuhören zurück), Georgio Moroder (der mit Donna Summer den „Sound of Munich“ kreierte), Vangelis, die u.a. die Filmmusik zu „Blade Runner“ und „Chariots of fire“ produzierten, und Jean-Michael Jarre (mit Oxygene) den Synthesizer und verbuchten kommerzielle Erfolge.

Dem Genre Synthy-Pop (für die 80er Jahre) sind weitere bekannte Bands wie Human League, Visage, Laurie Anderson, Art of Noise, Depeche Mode, Devo und Yello zuzuordnen.

Eine Erweiterung davon stellte die Neue Deutsche Welle dar, bei deren trivialen Songs oft elektronische Instrumente eine Hauptrolle spielten. Als Beispiele seien hier Ideal, Trio, Der Plan, Palais Schaumburg und DAF (deutsch Amerikanische Freundschaft) genannt, die teilweise, z.B. DAF, schon voll auf Elektronik setzten.

Eine weitere Unterabteilung von weitgehend elektronisch erzeugter Musik bildete sich Ende der 70er Jahre kurz nach der „Punkexplosion“ in England: Industrial-Music oder Electronic Body Music (EBM) genannt. Industrial, EBM verband Umweltgeräusche und Industrielärm mit elektronischen Hilfsmitteln zu Musik und löste teilweise komplette Rhythmus- und Melodieschemata auf (z.B. die frühen Einstürzenden Neubauten, Cabaret Voltaire, Throbbing Gristle), zweitere unterlegte die Geräusche mit einem tanzbaren Beat (z.B. Front 242, Nitzer Ebb).

„Viele der heutigen Techno-Produzenten waren zuerst von EBM beeinflußt, ehe sie auf House und Techno stießen. Sven Väth etwa legte Mitte der 80er Jahre EBM und Industrial im „Techno-Club“ auf, dem vom Frankfurter EBM-Papst Talla 2 XLC seit 1984 betreuten Club innerhalb der Flughafen Disco Dorian Gray. Das Magazin Frontpage wurde 1989 ursprünglich als Hauszeitung des Techno-Club gegründet und widmete sich thematisch voll und ganz EBM und Industrial, ehe die Zeitschrift nach und nach auf Techno umschwenkte“ (ebd., S. 15).

2.1.2 Chicago

(Vgl.: hierzu Anz/Walder 1995, S. 17f)

Die „windy city“ im mittleren Nordosten der USA wurde zur Geburtsstätte von „House“. Der Name leitete sich ab von dem 1977 gegründeten wichtigsten Club, dem Warehouse, in dem dieser Stil zuerst entwickelt wurde. Grundlagen dafür sind so unterschiedliche Musikstile wie Soul, Disco, Industrial, Hip Hop und experimentelle elektronische Musik aus der BRD, wie z.B. von Tangerine Dream oder Kraftwerk.

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Ende der Leseprobe aus 316 Seiten

Details

Titel
Techno: Unterschiedliche Aspekte und Betrachtungsweisen zu der prägenden (Sub-) Kultur der Neunziger Jahre
Hochschule
Universität Kassel  (Fachbereich Sozialwesen)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2000
Seiten
316
Katalognummer
V20686
ISBN (eBook)
9783638245050
ISBN (Buch)
9783638715539
Dateigröße
10367 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Techno, Unterschiedliche, Aspekte, Betrachtungsweisen, Kultur, Neunziger, Jahre
Arbeit zitieren
Diplom Sozialpädagoge / System Coach / Trainer Alexander Rausch (Autor:in), 2000, Techno: Unterschiedliche Aspekte und Betrachtungsweisen zu der prägenden (Sub-) Kultur der Neunziger Jahre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20686

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