Wie verhält sich das relativ einfache Modell Voglers, angewandt auf Nolans komplexen, vielschichtigen Film? Wo finden sich Kongruenzen und Inkongruenzen?
Die Arbeit liefert Antworten und Ansätze und kann durchaus als Stoff und Grundlage zu weiteren Gedanken und Diskussionen zum Thema Film- und Drehbuchtheorie dienen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Die Reise des Helden
A. Prämissen
B. Die Stationen der Reise
1. Die gewohnte Welt
2. Der Ruf des Abenteuers
3. Weigerung
4. Der Mentor
5. Bewährungsproben, Verbündete, Feinde
6. Überschreiten der ersten Schwelle
7. Vordringen zur tiefsten Höhle
8. Entscheidende Prüfung
9. Belohnung
10. Rückweg
11. Die Auferstehung
12. Die Rückkehr mit dem Elixier
III. Fazit
Literatur- und Quellenverzeichnis
I. Einleitung
„I was in an initial state of confusion, as I believe almost everyone in the cast was when they first read the screenplay.”1
Mit diesen Worten beantwortet Leonardo DiCaprio einem Journalisten die Frage, wie er auf das Drehbuch des Autors und Regisseurs Christopher Nolan zu Inception (2010) anfangs reagiert hat. Seine Reaktion verwundert nicht, denn auch die kritische Fachwelt hat den ambiguen und komplexen Film zum Teil sehr verwirrt aufgenommen. Es scheint, als hätte sich Nolan mit Absicht einen derart vielschichtigen Film ausgedacht, der zum Ende hin mehr Fragen aufwirft als beantwortet, um so das Medieninteresse und damit auch die nötige Publicity zu steigern.
Doch genau diese komplexe Vielschichtigkeit ist es auch, die mein Interesse an tiefgreifenden und weiterführenden Analysen geweckt hat. Inception lässt sich durchaus interdisziplinär auf diversen Ebenen analysieren. So greifen Untersuchungsfelder der Psychologie wie zum Beispiel Verdrängungs- und Abwehrmechanismen oder der Umgang mit neurotischen Störungen. Ebenso lässt sich der Film aus der Perspektive der Traum- und Schlafforschung untersuchen und verweist damit auf bekannte Fragestellungen wie „Was ist Traum? Was ist Realität?“
Folgende Arbeit beschäftigt sich jedoch filmwissenschaftlich mit Christopher Voglers Drehbuchmodell Die Reise des Helden und seine Anwendung auf Inception. Es werden auch Inkongruenzen zwischen Drehbuch und Modell, zwischen Film und Form thematisiert und untersucht. Gerade die Inkongruenzen lassen darauf schließen, dass Nolan mit seinem originellen psychologischen Heist- Thriller alles andere als ein typisches Hollywood-Produkt entwickelt hat.
II. Die Reise des Helden
A. Prämissen
Bevor die einzelnen Stationen der Heldenreise analysiert werden können, sind zwei elementare Fragen zu klären. Zum einen muss eine Figur in Inception als Held erklärt werden und zum anderen ist der Anfang der Reise festzulegen.
Laut Vogler ist der Held „[d]erjenige Charakter, der im Verlauf der Geschichte am meisten lernt oder sich am stärksten entwickelt.“2 Nun machen im Laufe des Films mehrere Figuren Entwicklungen durch und gewinnen durch ihre Taten heroische Züge. Dom Cobb lernt seine ehemalige Frau endgültig loszulassen und seine psychischen Leiden zu bekämpfen, Robert Fischer erkennt (unbeabsichtigt) aufgrund der Inception die „wahren“ Intentionen seines Vaters und Ariadne lernt die unkontrollierbaren Ausmaße des Unterbewusstseins kennen und wird neben talentierter Architektin zum Schluss hin eine erfahrene und tapfere Dream- Sharerin.
Der Schwerpunkt der Erkenntnis und Entwicklung liegt jedoch bei Dom Cobb. Er ist es, der aufgrund seiner fragilen Psyche die größten Hindernisse überwinden muss und mit den stärksten Problemen zu kämpfen hat. Vogler beschreibt weiterhin, dass die Opferbereitschaft einen Helden ausmacht.3 Cobb bringt von allen Figuren das größte Opfer. - Er lässt Mal, seine geliebte Frau, im Limbus sterben, um endlich frei zu werden. Diese Faktoren machen ihn zum Helden der Reise.
Weitere Voraussetzung der Arbeit ist zu klären, ab welchem Punkt Cobbs Reise beginnt. So könnte man den Beginn der Reise erst bei der eigentlichen Reise in die verschiedenen Traumebenen ansetzen und damit erst nach einer Stunde Film. Doch so würden viele vorhergehende Geschehnisse ausgelassen werden. Der eigentliche Beginn der Reise befindet sich bei Cobbs Versuch, Saito zu manipulieren. (Christopher Nolan. „Inception“. Warner Bros. Entertainment. (2010): TC: 00:02:41). Der Zuschauer steigt medias in res in die gewohnte Welt von Dominick Cobb ein, dem begabtesten Extractor der Welt.
B. Die Stationen der Reise
1. Die gewohnte Welt
Nach der ersten Sequenz bei der der Zuschauer das Treffen des verwahrlosten Cobb und alten Saito beobachtet, wird er über eine Sound Bridge (TC: 00:02:40) in die Vergangenheit zurückgeworfen und Zeuge, wie Cobb versucht Saito dazu zu bringen, ihn in die Geheimnisse seines Wirtschaftsunternehmens einzuweihen. Sofort wird deutlich: Cobb ist ein routinierter Extractor, der professionell ausgebildet wurde, die Träume von Menschen zu manipulieren, um dadurch an ihre Geheimnisse zu gelangen. Dazu kooperiert er mit Arthur, einem disziplinierten jungen Mann, der ebenfalls sein Geld durch Extraction verdient.
Doch Cobbs Beruf ist nicht das einzige, was seine gewohnte Welt ausmacht. Kurz bevor er Saitos Wirtschaftspläne im Safe stehlen kann, fliegt er auf. Es ist Mal, die ihn verraten hat. Seine bereits verstorbene Frau, die als Projektion in seine Träume, und damit auch in seine Arbeit interveniert. Im Traum ist sie allgegenwärtig und ist Ausdruck und Personifikation für Cobbs Verdrängungen und psychische Leiden. Vogler schreibt: „Sämtliche Konflikte und Probleme des Helden sind schon in der gewohnten Welt gegenwärtig und warten nur darauf, aktiviert zu werden.“4
Auch der allererste Auftritt des Helden ist von entscheidender Bedeutung. Der Zuschauer sieht Cobb das erste Mal als verwahrlosten, hungrigen Mann, der an eine Küste gespült worden ist, um dann zum vergreisten Saito geführt zu werden. Automatisch wird eine Erwartungshaltung und Spannung erzeugt, da die Frage aufkommt: Wie wurde aus dem „handsome, tailored“5 Cobb, der verwilderte Cobb der Anfangssequenz?
2. Der Ruf des Abenteuers
Der Ruf des Abenteuers ereilt den Helden, sodass seine Geschichte, seine Reise in Gang gebracht werden kann. Vogler beschreibt dieses Ereignis als „Initialmoment, katalytisches Moment oder Auslöser“6, der üblicherweise vom Archetypen des Herolds ausgeht. Der Herold übernimmt somit die Aufgabe des Handlungsanregers; er ist derjenige, der den Helden ins Abenteuer stürzen lässt. Zudem tritt der bevorzugt im ersten Akt auf und übernimmt damit eine wichtige dramaturgische Funktion.7
In Inception sind der Ruf des Abenteuers sowie der Herold ziemlich klar auszumachen. Nachdem Cobbs und Arthurs Extraction misslungen ist, wollen sie von ihrem Auftraggeber Cobol Engineering fliehen. Im Helikopter treffen sie jedoch wieder auf Saito. Dieser macht nun Cobb seinerseits ein Angebot und verlangt dafür Inception. Cobb lehnt ab, doch Saito reagiert wie folgt:
SAITO
Mr. Cobb…? There is one other thing I could offer you. (Cobb stops)
How would you like to go home? To America. To your children.8
Cobb sieht sein lang ersehntes Ziel vor Augen. Wenn er diesen einen letzten Auftrag erfüllt, kann er zurück zu seinen Kindern und die Vergangenheit ruhen lassen. „Cobb looks at Saito. Barely nods.“8 Damit nimmt Cobb den Ruf des Abenteuers an. Für ihn gibt es kein Zurück mehr.
[...]
1 http://www.dailymail.co.uk/tvshowbiz/article-1295085/Inception-review-Leonardo-DiCaprios-new-movie- going-more.html (letzer Zugriff: 05.09.2012).
2 Christopher Vogler, Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Ü ber die mythologischen Grundmuster des amerikanischen Erfolgskinos. (Frankfurt am Main: Zweitausendeins, 1999), 91.
3 Vogler, Die Odyssee des Drehbuchschreibers, 92.
4 Vogler, Die Odyssee des Drehbuchschreibers, 168.
5 Christopher Nolan, Inception. The Shooting Script. (San Rafael (USA): Insight Editions, 2010), 2.
6 Vogler, Die Odyssee des Drehbuchschreibers, 192.
7 Vgl. Vogler, Die Odyssee des Drehbuchschreibers, 128ff.
8 Nolan, Inception, 23.
- Arbeit zitieren
- Alexander Löwen (Autor:in), 2012, Christopher Nolans "Inception" analysiert nach Christopher Voglers „Die Reise des Helden“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207003
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