Die Begegnung von Faust und Helena in "Faust II"


Hausarbeit, 2011

18 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhalt

1. Entstehungsgeschichte

2. Gestaltwerdung der Helena-Figur - Hinführung zu Helena

3. Der Helena-Akt

4. Vor dem Palast des Menelas zu Sparta

5. Die Vereinigung von Faust und Helena

6. Euphorions Erscheinen

7. Ausklang

Faust und Helena

Die Begegnung von Faust und Helena ist das zentrale Thema in „Faust II“, der Tragödie zweiter Teil.

1. Entstehungsgeschichte:

Das Helena-Motiv gehörte schon zur Faust-Sage der Volksbücher. Dort ist Helena eine herbeigezauberte Gestalt, eine Schöpfung des Teufels. Bei Goethe hingegen wird sie als erhabene Gestalt, als Heldin dargestellt. Um 1800 begann sich Goethe eingehender mit der Helena-Figur zu befassen. Es entstand ein Fragment von 265 Versen, das bereits die Auftrittsszene und das Gespräch mit Phorkyas enthält. Als Beispiel seien die Verse 8707 - 8718 in Faust II erwähnt.1 Darin trifft Helena noch nicht mit Faust zusammen. Die Weiterführung des Helena-Faust-Themas musste warten. Andere Werke, wie dieWahlverwandtschaften,Farbenlehre,die erste Fassung derWanderjahrewaren vorrangig. Erst im Alter, in der Schaffensperiode von 1825 bis 1831 arbeitete Goethe an seinem Faust II weiter. In seinem Tagebuch bezeichnete er nun die Arbeit am „Faust“ als „Hauptgeschäft.“ In einem Brief äußert er sich ironisch: „Wie ich im Stillen langmütig einhergehe, werden Sie an der dreitausendjährigen „Helena“ sehen, der ich nun auch schon sechzig Jahre nachschleiche, um ihr einigermaßen etwas abzugewinnen…“2

Zuerst gestaltete er den Helena-Akt, den er 1827 vorab unter dem Titel „Helena, klassisch-romantische Phantasmagorie,3 Zwischenspiel zu Faust“ veröffentlichte. „Klassisch“ in der Bedeutung von „antik“ und „romantisch“ im Sinn von „mittelalterlich“. Die dichterische Verbindung der zwei Bereiche griechisches Altertum und deutsches Mittelalter entsprach Goethes Kulturauffassung im Alter. Goethe überlegte, wie er Faust, die nordische, spätmittelalterliche Gestalt mit der altgriechischen Helena zusammenführen könnte. Helena sollte nicht wie im Volksbuch in Fausts Studierstube kommen, sondern auf ihrem Boden und in ihrer Zeit bleiben, Faust wird auf einer Burg im Peloponnes, in der Nähe von Sparta, angesiedelt. Goethe recherchierte dazu in Werken über mittelalterliche Kultur, wie Raumers „Geschichte der Hohenstaufen.“ Abendländische Kreuzritter, die auf der Peloponnes Burgen gebaut hatten - eine davon war Mistra in der Nähe von Sparta - boten Goethe ein Motiv für seine Faust-Burg.

Um den Zeitensprung und die Vereinigung der beiden Protagonisten glaubhaft zu machen, waren mehrere Kunstgriffe notwendig. Zum einen der Übergang des sprachlichen Stils, altgriechische Poetik hin zur mittelalterlichen Reimform, zum anderen die Form der ersten Begegnung der klassischen Helena mit Faust.

Nach dem Helena-Akt schrieb er den ersten Akt und die „Klassische Walpurgisnacht“.4 In einem Brief an Zelter äußert er: „Die zwei ersten Akte von Faust sind fertig. Helena tritt zu Anfang des dritten Aktes nicht als Zwischenspielerin, sondern als Heroine ohne weiteres auf, [ … ] Inwiefern mir die Götter zum vierten Akt verhelfen, steht dahin. Der fünfte bis zum Ende des Endes steht auch schon auf dem Papiere.“

Eigentlich wollte Goethe nicht, dass der Faust II noch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht werde, er befürchtete anscheinend ungünstige Beurteilungen und siegelte das Manuskript 1931 ein,5 um es gelegentlich zu kurzen Änderungen hervorzuholen.

2. Gestaltwerdung der Helena-Figur - Hinführung zu Helena

Zwischen Erinnern und Vergessen wechselt Faust in „der Tragödie zweiten Teil“ über. Paradoxes Gedächtnistheater, an die dreitausend Jahre kultureller Geschichtswerdung vom trojanischen Krieg bis zur industriellen Revolution, werden in das Werk miteinbezogen.6 Sein regenerierender Schlaf am Beginn des 1. Aktes löscht zwar die Erinnerung an die Gretchentragödie vorübergehend aus seinem Gedächtnis, aber Mnemosyne, die Mutter aller Musen, verschafft ihm dafür andere Erinnerungen. Dazu gehört die Szene „Hexenküche“ im ersten Teil des Dramas, als Faust in einem Zauberspiegeldas schönste Bild von einemWeibe( V.2435 - 2440 ) erblickt. Und nach Fausts Verjüngung bemerkt Mephisto:

Du siehst mit diesem Trank im Leibe / bald Helenen in jedem Weibe. (V. 2603 - 2604 ).

Auf ihrer Weltfahrt in der „kaiserlichen Pfalz“ angekommen, betätigen sich Faust und Mephisto als Animateure und unterhalten den Kaiser und seinen Hofstaat mit dem „Mummenschanz“, einem Maskenzug, bestehend aus allegorischen Figuren. Nach dem Zauber mit der Schaffung des Papiergeldes wünscht der Kaiser ein besonderes Schauspiel zu sehen. Dieser Wunsch des Herrschers bereitet Faust Kopfzerbrechen.

Faust:

Der Kaiser will, es mußsogleich geschehn, / will Helena und Paris vor sichsehn; Das Musterbild der Männer so der Frauen / in deutlichen Gestalten willer schauen. ( V. 6181 f. )

Mephisto bedauert, ihm dabei nicht dienen zu können, denn:

Das Heidenvolk geht mich nichts an / Es haust in seiner eignen Hölle / dochgibt’s einMittel(V. 2609 - 2611)

Faust muss ins unterirdische Reich der Mütter - Göttinnen des Ursprungs - gehen, um Helena und Paris heraufzuziehen. Faust erschrickt vor der Bezeichnung „Mütter.“

Mephisto gibt ihm einen magischen Schlüssel, der ihm helfen soll, in das Reich zu gelangen, dort einen glühenden Dreifuß zu holen, um die gewünschten Personen damit sichtbar zu machen. Er muss allein ins Tiefe, es gibt keinen bestimmten Weg, es geht „ ins Unbetretene, Nicht zu Betretende“ (V. 2224 f.). Die Mütter-Episode ist eine Szene, über die viel gerätselt wurde. In einem Gespräch mit Eckermann verrät Goethe, dass er die Muttergottheiten bei Plutarch gefunden hätte. Die drei Urgottheiten seien Proserpina, Demeter, Rhea. Nach Rudolf Steiner sind es Verkörperungen früherer Weltentwicklungsstufen.7 Auch bei den Orphikern findet man drei Urprinzipien der Welt, die dort Zeus, Chronios und Chaos genannt werden. Bei Pherekydes von Syros sind es drei Urprinzipien, Chronos, Zeus und Chthon, die mit Zeit, Raum und Materie gleichgesetzt werden.

Die dem Kaiser vorgeführten Figuren werden vom Hofstaat bestaunt und kommentiert, als aber Faust, zu Helena hingezogen und eifersüchtig, den magischen Schlüssel auf Paris richtet, löst sich die ganze Erscheinung in einer Explosion auf.

Nach der zwischenzeitlichen Rückkehr Fausts in das Studierzimmer, der Erschaffung des leuchtenden Retortenwesens Homunculus, ist es an der Zeit, die Protagonisten auf griechischen Boden zu versetzen. Als Luftfahrer erreichen Faust, Mephisto und Homunculus die griechische Landschaft Thessalien. Eine der ersten Fragen von Faust lautet: „Wo ist sie?“( V. 7055 ). Mephistopheles gegenüber, der sich in der griechischen Mythenwelt unbehaglich fühlt und sich vorübergehend von Faust trennen will, äußert sich Faust überschwänglich:

„Wär’s nicht die Scholle, die sietrug, /Die Welle nicht, die ihrentgegenschlug,/So ist’s die Luft, die ihre Sprachesprach. / Hier, durch einWunder, hier ist Griechenland! ( V. 7070 - 7075 )

In der Klassischen Walpurgisnacht, am oberen Peneios, wo Mephistopheles seine eigenen Erfahrungen mit den mythologischen Fabelwesen, den Sphinxen, den Greifen, und anderen Mischwesen macht, begegnet Faust dem Zentaur bzw. Pferdemenschen Chiron, der Herkules erzogen hat und Lehrer des Heilgottes Asklepios war. Von ihm erfährt Faust, dass er einst die zehnjährige Helena auf seinem Rücken getragen hatte, um sie mit Hilfe ihrer Zwillingsbrüder Castor und Pollux vor Theseus zu retten. Helena, die schon in frühen Jugendjahren ob ihrer legendären Schönheit von vielen griechischen Helden, wie Theseus, oder später von Achill, begehrt worden war.

Faust wundert sich:

Erst zehen Jahr!...(V. 7425)

Chiron:

Ich seh‘, die Philologen,/ Sie haben dich so wie sich selbst betrogen, / Ganz eigen ist’s mit der mythologischen Frau, / Der Dichter besingt sie, wie er’s braucht, zur Schau: / Nie wird sie mündig, wird nicht alt, / stets appetitlicher Gestalt, / Wird jung entführt, im Alter noch umfreit; / Gnug, den Poeten bindet keine Zeit.( 7426 )

Chiron bringt den Fremden, der mit „verrückten Sinnen“ umherirrt, zur Seherin Manto, die in einer Höhle lebt. Manto, die Faust erklärt: „ [ … ]den lieb‘ich, der Unmögliches begehrt“, rät ihm, es besser zu machen als einst Orpheus.8 Gemeinsam steigen sie „in des Olympus hohlen Fuß“ zu Persephone hinab. ( V. 7490 ). Faust, in einer früheren Faust-Skizze Goethes als ein „zweiter Orpheus “ bezeichnet, holt das Erinnerungsbild aus den Tiefen seiner Imagination, dadurch kann es lebendig werden.9 Die Vorgänge in der Unterwelt werden nicht dargestellt, man erfährt daher auch nicht, wie die Helena-Gestalt aus dem Schattenreich heraufgeführt wird. In seinem Entwurf für diese Katabasis hatte Goethe noch die Absicht gehabt, seinen Protagonisten vor der Unterweltsgöttin sprechen zu lassen. Faust sollte - wie Orpheus - Persephone durch eine Rede zur Herausgabe der Helena bewegen.10 Indem sich Faust aber mit den kreativen Kräften der mythischen Bilder verbindet, wird er zum neuen Schöpfer der Helena-Figur.

Während Faust in das Reich der Schatten hinabsteigt, freundet sich Mephisto mit den Ur-Hässlichen, den Phorkyaden oder Graien an, drei Schwestern, die gemeinsam nur ein Auge und einen Zahn besitzen. Um sich in die antike Handlungswelt einzubringen, nimmt er die Gestalt einer dieser Figuren an und wechselt dadurch von der männlichen Figur des Teufels zu einer weiblichen über.

3. Der „Helena-Akt“

Die Handlung des dritten Aktes ist in drei Szenen gegliedert. Der dreiteilige Aufbau entspricht sowohl den drei Phasen der kulturgeschichtlichen Konzeption, als auch dem sich ändernden poetischen Duktus.

Szenen bzw. Schauplätze sind:

a. Die Burg bzw. der Palast des Menelas ( Goethe verwendet statt des griechischen Menelaos die französische Form Menelas ) zu Sparta mit dem Erscheinen der antiken, literarisierten Helena.

[...]


1 Goethe. Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust. Hrsg. Von Erich Trunz. Verlag C. H. Beck München. Nachdruck 2010. S. 662

2 Ebd. An Nees von Esenbeck. S. 453

3 Phantasmagorie: abgeleitet von dem altgriechischen Wort „Phantasma“ i. e. Traumgestalt, Vorstellung,, Erscheinung. Später für die künstliche Darstellung von Erscheinungen auf der Bühne, Laterna magica.

4 Jochen Schmidt: Goethes Faust. Erster und Zweiter Teil. Grundlagen - Werk - Wirkung. 3. Auflage. C. H. Beck, 2011. S. 211

5 Vgl. ebd. S. 211 f.

6 Vgl. Peter Matussek: Faust II - die Tragödie der Gedächtniskultur. In: Roswitha Schieb ( HG ) Peter Stein inszeniert Faust; Köln 2000, S. 291-296.

7 Rudolf Steiner: Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes „Faust“, ‚Band II: Das Faust-Problem.GA 273. 1981.

8 Ovid: Metamorphosen

9 Peter Matussek: Faust II - die Tragödie der Gedächtniskultur. In: Schieb Roswitha (Hg.): Peter Stein inszeniert Faust. Köln 2000, S. 291-296

10 Vgl. Goethe. Faust. Erich Trenz: Goethe über seinen“ Faust“ - Quellen zur Entstehungsgeschichte des „Faust“. S. .450 -451 )

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Begegnung von Faust und Helena in "Faust II"
Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt  (Germanistik)
Veranstaltung
Seminar
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V207134
ISBN (eBook)
9783656343400
ISBN (Buch)
9783656343691
Dateigröße
560 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
begegnung, faust, helena
Arbeit zitieren
Gisela Unterberger (Autor:in), 2011, Die Begegnung von Faust und Helena in "Faust II", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/207134

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