Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
1. Historischer Hintergrund
2 Gesellschaftskritik in den Werken 'La Señorita de Trevélez' und 'Los Caciques'
2.1 'La Señorita de Trevélez'
2.1.1 Inhalt
2.1.2 Arniches Kritik
2.1.2.1 Darstellung der gesellschaftlichen Stellung der Oberschicht
Flora von Trevélez
Don Gonzalo
2.1.2.2 Kritik an der Jugend
Unbildung und Desinteresse
Müßigkeit
2.1.2.3 Kritik am provinzialischen Leben
2.2 'Los Caciques'
2.2.1 Inhalt
2.2.2 Kontext: Der Caciquismo
2.2.3 Arniches Kritik
2.2.3.1 Leben in der Provinz
Perspektive aus Sicht eines Großstädters
Perspektive aus Sicht der Oppositionellen
Lohnauszahlung
Das Wahlsystem
Entzug der Grundrechte
Meinungsäußerung und Willkürherrschaft
Bindung des Kazikentums an Dorf
III Schluss
Literaturverzeichnis
I Einleitung
Das Land Spanien befand sich Ende des 19. Jahrhunderts und den darauffolgenden Anfängen des 20. Jahrhunderts in einer extremen politischen Instabilität. Die Zeit war geprägt von ungelösten innenpolitischen Konflikten. Die Unzufriedenheit innerhalb der spanischen Bevölkerung gegenüber den herrschenden Missständen Spaniens wuchs und nicht wenige Schriftsteller versuchten diese Zeit mit Hilfe ihrer Kunst darzustellen und zu verarbeiten. In dieser Zeit lebte auch der spanische Schriftsteller Carlos Arniches (1866 – 1943).
Neben humoristischen Stücken, wie beispielsweise den komödiantischen Einaktern, schuf Arniches einige Werke mit kritischem Charakter, die wie ein Gesellschaftsspiegel jener Zeit fungieren. In ihnen stellte er zwar aktuelle Themen und soziale Missstände in der Gesellschaft dar, verlor dabei aber nie seine, für ihn typische, satirische und humoristische Wiedergabe der Dinge. Er war vorallem deswegen einzigartig, als dass er die Gesellschaft repräsentativ und realistisch darstellte, sei es durch Verhaltensweisen oder den authentischen Sprachgebrauch.
Seine anklagenden Werke wurden jedoch nie in dem Maße als kritisch angesehen, als dass die Regierung sie verbieten hätte müssen. Im Gegenteil: den Regierenden haben die Stücke ebenso gefallen, wie dem Volke1.
Zwei Werke, die einerseits einen gesellschaftskritischen, wie auch humoristischen Charakter aufweisen, werde ich im Folgenden im Bezug auf die darin enthaltene Gesellschaftskritik analysieren: 'La Señorita de Trevélez' (Die Dame von Trevélez) und 'Los Caciques' (Die Kaziken). Das Erstgenannte wurde im Jahre 1914, das Zweite im Jahre 1920 in Madrid uraufgeführt.
Um Arniches Kritik verständlicher zu machen, werde ich den historischen Hintergrund jener Zeit kurz zusammenfassen und mich dabei vorallem auf die Fakten beziehen, die für die weitere Analyse von Gebrauch sind. Schließlich folgt die Analyse der beiden Werke im Hinblick auf Arniches Gesellschaftskritik. Zum Schluss vergleiche ich Carlos Arniches mit den damalig vorherrschenden literarischen Strömungen und versuche zu begründen, weshalb Carlos Arniches seine Werke kritisch gestaltete und was er dem spanischen Volk als Botschaft vermitteln wollte.
1. Historischer Hintergrund
Das 19. Jahrhundert war von verhältnismäßig vielen Regierungswechseln und Kriegen geprägt. Die Auseinandersetzungen fanden häufig zwischen den Anhängern des Liberalismus und jenen der Traditionalisten statt. Die politischen Differenzen der beiden Allianzen wurden in den Karlistenkriegen deutlich. Weitere Kriege waren beispielsweise der spanische Unabhängigkeitskrieg gegen die napoleonischen Truppen in den Jahren 1808-1813 und die Revolution 1868. Am Anfang des 19. Jahrhunderts weist der Staat noch klare feudale Strukturen auf. Die Besitzenden waren sowohl Kirche als auch die Oligarchie, dabei handelte es sich ebenso um Landeigentum.
Im Jahre 1873 erklärte sich Spanien zum ersten Mal zu einer Republik: Die Monarchie wurde jedoch 1874 sogleich wiederhergestellt und das Land mündete in die Restaurationsära. Die konstitutionelle Verfassungsgrundlage wies dem Monarchen das Recht zu, die Regierung eigenhändig ernennen und entlassen zu können, an der Gesetzesgebung mitzuwirken und den Cortes zu entlassen.
Gab es 1869 noch einige demokratische Errungenschaften im Bezug auf allgemeine Rechte in der Verfassung, wurden sie in der Restaurationszeit wieder zurückgenommen.
Die wichtigsten (Grund-)Rechte konnten relativ einfach außer Kraft gesetzt werden; zwischen 1876 und 1917 wurde 19 Mal davon Gebrauch gemacht, danach war ohnehin der Ausnahmezustand die Regel2.
Die Monarchie und die Oligarchie hatten das politische System noch fest in der Hand. Das Militär stand auf der Seite der Krone. Auch die Kirche kooperierte mit dem Staat.
Das System der Restaurationszeit währte nicht zuletzt deshalb so lange, weil die breite Masse der Bevölkerung kaum Zugang zu Bildung und Kultur hatte. Der Nutznießer der Gesellschaft war ganz klar die Oligarchie: nicht umsonst nannte Joaquín Costa, der den Protest der spanischen Landwirte artikulierte, das System der Restauration eine „unheimliche Orgie von Oligarchie und Kazikentum“3.
Durch das Wachsen der sozialen Ungleichheit schlug die relativ stabile innen- und außenpolitische Lage in der Restaurationszeit immer mehr um. Mit der außenpolitischen Katastrophe von 1898, in der Spanien seine überseeischen Kolonien verlor- und somit auch seine Vormachtstellung in der Welt, endete schließlich auch vollständig die innenpolitisch stabile Lage und Spanien und die Bevölkerung verfiel in eine tiefe Krise, die von Pessimismus und von Gedanken des Scheiterns der spanischen Politik geprägt war. Die aktuelle Herrschaftsform war unfähig das Land aus dieser Krise zu holen. Spanien wurde bewusst, wie rückständig es gegenüber Gesamt-Europa war und das Land schwankte nun zwischen den Ideen von der Umsetzung einer Modernisierung oder aber der konservativen Ansicht, der Wiederherstellung der alten Ordnung4.
Es bildeten sich soziale Spannungen. Arbeiter und Bauern fingen an gegen die ungerechten Arbeitszustände und Hungersnot zu protestieren.
Es ist hier zu erwähnen, dass sich die spanische Bevölkerung um die Jahrhundertwende in einer nicht nur politisch und wirtschaftlich als auch sozial schwierigen Lage befand. Es herrschten gesundheitlich miserable Zustände, insbesondere in den Provinzstädten fehlte es an Gesundheitsfürsorge und regelmäßiger Schulbildung (die Analphabetenquote lag beispielsweise im Jahr 1900 bei 64%!5). Es herrschte ein immerwährender Zustand von Hungersnot und Fehlernährung.
Während die breite Masse unter schrecklicher Armut litt, schwälgte daneben ein Teil des Adels und die Großbourgeoisie im Luxus6. Der wachsende Unmut der Bevölkerung richtete sich vorallem gegen die besitzende Oberschicht, die nicht zuletzt durch die Desamortizaciones 7, umso wohlhabender wurde und somit die soziale Ungerechtigkeit verschärfte. Auch politisch hatte die Oberschicht die Privilegien inne.
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