Die 1913 und 1915 erschienen Erzählungen Kafkas, Das Urteil und Die Verwandlung, weisen eine Vielfalt an thematischen Aspekten auf, weshalb sie sich für eine umfassende Untersuchung anbieten. Ziel dieser Arbeit ist es, die folgende Leitfrage ausführlich zu untersuchen: „Inwiefern ist der Vater-Sohn Konflikt in Kafkas „Die Verwandlung“ und Kafkas „Das Urteil“ von großer Bedeutung?“
Hierfür wird zunächst die generelle Rolle des Vaters in der Gesellschaft untersucht, um ein allgemeines Bild des Themas außerhalb der Literatur zu gewinnen. Anschließend werden die zwischenmenschlichen Verhältnisse der Protagonisten beider Werke analysiert, da diese größtenteils auf den Vater-Sohn Konflikt zurückzuführen sind. Hiernach werden die Vater-Sohn Konflikte von Gregor Samsa in Die Verwandlung und Georg Bendemann in Das Urteil zunächst separat analysiert und schließlich in einem Abschnitt verglichen. So stellt sich beispielsweise heraus, dass die Väter in beiden Werken zum Tod ihrer Söhne führen, Gregors Vater dies jedoch mit physischer Gewalt zu Stande bringt, während Georgs Vater verbal ein Todesurteil ausspricht, woraufhin sich sein Sohn im Fluss ertränkt. Zuletzt wird der autobiographische Aspekt Kafkas in beiden Werken untersucht, weil bekannt ist, dass auch Kafka unter starken Vater-Sohn Problemen litt und diese sich womöglich auf den Inhalt seiner Werke auswirken. Es stellt sich jedoch heraus, dass die Werke weniger Kafkas Leben widerspiegeln, sondern dieser eher eigene Erfahrung ins Groteske zieht und somit beispielsweise den Vater-Sohn Konflikt durch eine Verwandlung des Protagonisten von Mensch zu Käfer ausdrückt. Diese Schlussfolgerungen konnten schließlich mittels genauer Analyse beider Texte und dem Gebrauch von Sekundärliteratur gezogen werden.
Insgesamt zeigt sich, dass beide Protagonisten in einem verbissenen Machtkampf um die Führung der Familie (Die Verwandlung) bzw. des Geschäfts (Das Urteil) mit ihren Vätern stehen und dass sich dieser negativ auf andere zwischenmenschlichen Beziehungen der Söhne auswirkt. Dies beweist eindeutig, dass der Vater-Sohn Konflikt in beiden Werken von großer Bedeutung ist.
Inhaltsverzeichnis:
I. Einleitung
II. Die generelle Psychologie und Veränderung der Vaterrolle in der Gesellschaft
III. Die familiären Verhältnisse
III. 1. Familiäre Verhältnisse in Die Verwandlung
III. 2. Familiäre Verhältnisse in Das Urteil
IV. Der Vater-Sohn Konflikt
IV. 1. Vater-Sohn Konflikt in Die Verwandlung
IV. 2. Vater-Sohn Konflikt in Das Urteil
IV. 3. Vergleich des Vater-Sohn Konflikts
V. Autobiographischer Aspekt
VI. Fazit
VII. Bibliographie
I. Einleitung
Kafkas 1913 und 1915 erschienene Werke, Das Urteil und Die Verwandlung, sind in der heutzutage als ‚kafkaesk’ anerkannten Form geschrieben, welche Gewöhnliches und Ungewöhnliches auf interessante Weise so verbindet, dass alltägliche Dinge träumerisch wirken und Groteskes plötzlich gewöhnlich erscheint. Somit dienen eine Metamorphose von Mensch zu Käfer und ein vom Vater gesprochenes Todesurteil dem Sohn gegenüber dazu, die Thematik des Vater-Sohn Konflikts wiederzugeben. Um besseres Verständnis für diese Thematik zu erlangen, befasst sich die Leitfrage mit Folgendem: „Inwiefern ist der Vater-Sohn Konflikt in Kafkas „Die Verwandlung“ und Kafkas „Das Urteil“ von großer Bedeutung?“
Die Relevanz dieser Leitfrage besteht nicht allein in der Universalität der Thematik. Neben zahlreichen Jungen, die seit Beginn der Zeit problematische Verhältnisse zu ihren Vätern haben, wurde Franz Kafka in seiner Jugend selber von diesen Problemen geplagt. Somit trägt auch der autobiographische Aspekt Kafkas zur Relevanz der Leitfrage bei. Es ist diese Universalität, die sich sogar im Leben des Autors der ausgesuchten Werke bemerkbar macht, die das Bedürfnis, den Vater-Sohn Konflikt in der Literatur näher zu betrachten verstärkt.
Um das grundlegende Thema dieser Arbeit genauestens vermitteln zu können, wurden anhand sorgfältiger Analyse und dem Gebrauch von Sekundärliteratur nicht nur der Vater-Sohn Konflikt untersucht, sondern ebenfalls die generelle Vaterrolle in Familie und Gesellschaft, die Familienverhältnisse in beiden Werken, und schließlich die autobiographische Deutung beider Texte. Somit wird ein umfassenderes Bild geschaffen, welches den Vater-Sohn Konflikt verständlicher macht.
II. Die generelle Psychologie und Veränderung der Vaterrolle in der Gesellschaft
Schon immer spielte der Vater eine äußerst wichtige Rolle bezüglich seiner Familie. Traditioneller Weise assoziiert man ihn mit dem ‚Brot verdienen’ und oft wird er als Oberhaupt der Familie gesehen. In welchem Maß dem Vater jedoch die dominante Rolle der Familie zugeschrieben wird, hat sich mit der Zeit verändert. Beginnend mit der römischen Antike erlebte die Vaterrolle einen drastischen Wandel, über das frühe zwanzigste Jahrhundert, Kafkas Zeit, hinweg, bis hin zum modernen Familienvater [1].
Im Zeitraum von der römischen Antike, die etwa bis zum Jahr siebenhundert vor Christus zurückreicht, bis zum frühen neunzehnten Jahrhundert veränderte sich nicht viel in der Vaterrolle. Das Wort ‚Vater’ ist dem lateinischen Wort ‚Pater’ abzuleiten, welches den Begriff für das Oberhaupt der Familie darstellt. Mit der absoluten Autorität des Vaters war der Familienaufbau zu dieser Zeit extrem patriarchalisch [2]. Er hatte die Vollmacht über seine Frau und Kinder und durfte juristisch gesehen alle Entscheidungen für sie treffen. Obwohl fast jede Frau verheiratet war und die Ehe von großer Bedeutung war, wurde die Vater-Sohn Beziehung im achtzehnten Jahrhundert höher geschätzt als die zwischen Mann und Frau. In diesem Punkt ist ein klarer Unterschied zu der Situation in Kafkas Werken erkennbar. In beiden untersuchten Erzählungen besteht Feindschaft zwischen Vater und Sohn, während die Ehefrauen als Priorität dargestellt werden.
Im Vorfeld der industriellen Revolution des frühen neunzehnten Jahrhunderts halfen die Kinder den Vätern bei der Arbeit auf dem Land. Mittels neuer Technologie und rapider Urbanisation änderte sich diese Situation jedoch [3]. In den Städten nahm der Vater vermehrt die Funktion des alleinigen materiellen Versorgers der Familie an, wodurch zwar nicht die Autorität, doch aber ein wenig die fortdauernde Präsenz des Vaters verloren ging.
Gegen Ende des neunzehnten und Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts kam die Zeit Franz Kafkas. Die behandelten Werke wurden 1913 bzw. 1915 veröffentlicht. Während dieser Zeit rückte die Vaterfigur in vielen Familien zunehmend in den Hintergrund, da viele Väter im Krieg an die Front rückten und die zurückgebliebenen Familienmitglieder ihren Alltag alleine meistern mussten. Zu dieser Zeit erfolgte der Wandel des Erziehungsrechtes von Vater zu Mutter. Bei einer Scheidung erhielt von nun an die Mutter in den meisten Fällen das Sorgerecht für die Kinder. Diese Situation trifft jedoch nicht auf Kafka zu. Sein Vater kämpfte nicht an der Front, sondern blieb, autoritär wie immer, zu Hause. Ebenfalls gibt es keine Andeutungen auf den Krieg in den genannten Werken, vermutlich wegen deren fiktiver Natur.
Stattdessen scheint Kafka eher die Situation der fünfziger Jahre zu beschreiben, in denen beide Weltkriege überstanden waren, und der Vater seine Autorität zurückerlangt hatte. Möglicher Grund hierfür ist, dass Kafkas Familie die Kriegsphase mit fehlender Vaterfigur übersprang und dieser seine Autorität daher nie verlor. Kurze Zeit später übernahm prinzipiell die Mutter die emotionale Verbindung zu den Kindern, während der Vater eher als Kamerad gesehen wurde. Ebenfalls veränderte sich die Ansicht über die beide Elternteile anbelangenden Vorurteile. Mit einer wachsenden Anzahl an Scheidungen plädierten immer mehr Väter auf das Sorgerecht und wollten aktiver an der Erziehung der Kinder teilhaben [4].
Somit gelangt der Wandel der Vaterrolle an den Punkt des modernen Familienvaters. Dieser ist größtenteils bereit, neben der Arbeit zu allen Aspekten der Erziehung seiner Kinder beizutragen, was sich sehr zum Wohl aller Familienmitglieder auswirkt [5].
III. Die familiären Verhältnisse
III. 1. Familiäre Verhältnisse in Die Verwandlung
Die ‚Verwandlung’ kann als weit mehr als nur die physische Verwandlung Gregor Samsas von Mensch zu Tier gedeutet werden. Tatsächlich durchlaufen alle Mitglieder der Familie Samsa eine Verwandlung, womit sich auch die zwischenmenschlichen Verhältnisse zwischen Gregor und seinen Familienmitgliedern verändern. Gregor selbst wird als selbstloser Sohn dargestellt, der sich für das Wohl seiner Familie opfert und einen Beruf verfolgt, der ihm eigentlich nicht gefällt [6]. So überlegt er beispielsweise: „Wenn ich mich nicht wegen meiner Eltern zurückhielte, ich hätte längst gekündigt.[7] “ Der Leser erlebt Gregor als „beruflich und familiär unterdrückten Menschen [8] “, der nach seiner Verwandlung in einen Käfer noch stärker isoliert lebt als zuvor.
Zu Beginn, als Gregor noch ungesehen in seinem Bett liegt, sorgt sich seine Familie sehr um ihn. Die Mutter erinnert ihn mit „sanfter Stimme“ an seine berufliche Pflicht, der Vater klopft „schwach, aber mit der Faust“ an die Tür und die Schwester „klagte leise“ und erkundigt sich nach seinem Wohlbefinden [9]. Dies ändert sich jedoch schnell mit Gregors Auftritt in Gestalt eines „ungeheuren Ungeziefer[s] [10] “. Der Vater reagiert zuerst feindselig, „als wolle er Gregor in sein Zimmer zurückstoßen [11] “, fängt daraufhin jedoch an heftig zu weinen. Die Mutter fällt nieder, „das Gesicht ganz unauffindbar zu ihrer Brust gesenkt.[12] “ Gregors liebende Familie scheint sich aus Angst vor seiner Gestalt gegen ihn verbündet zu haben, was in folgendem Zitat widerspiegelt wird:
Früh, als die Türen versperrt waren, hatten alle zu ihm hereinkommen wollen, jetzt, da er die eine Tür geöffnet hatte und die anderen offenbar während des Tages geöffnet worden waren, kam keiner mehr, und die Schlüssel steckten nun auch von außen.[13]
Hiernach durchlaufen die Familienmitglieder jeweils verschiedene Wandlungen, da sie alle in einem anderen Bezug zu Gregor stehen.
Gregors Schwester, Grete, ist diejenige, die sich nach seiner Verwandlung um ihn kümmert. Sie bringt ihm, „in ihrer Güte [14] “ eine Auswahl an Lebensmitteln, um seinen neuen Geschmack zu prüfen. „Nur die Schwester war Gregor doch noch nahe geblieben [15] “, aber auch diese Einstellung verändert sich im dritten Kapitel der Erzählung. Etwa einen Monat nach der Verwandlung ekelt sich Grete immer noch vor Gregors Erscheinung und reißt, wenn sie in sein Zimmer kommt, das Fenster auf, „als ersticke sie fast [16] “. Sie ist es schließlich auch, die das Urteil fällt, Gregor loszuwerden: „Wir müssen versuchen, es loszuwerden. [...] Weg muss es.[17] “ Die Veränderung der Personalpronomen, welche die Schwester Gregor gegenüber verwendet (von „Du, Gregor! [18] “ zu „Weg muss es.[19] “) verdeutlicht die Entfremdung Gregors von der Familie.
[...]
[1] “Väterliche Zeitreise – die Vaterrolle im Wandel.” Vaterfreuden.de. 25. Nov. 2010. Web. 7. Juli 2011. <http://www.vaterfreuden.de/vaterschaft/vater-sein/v%C3%A4terliche-zeitreise-%E2%80%93-die-vaterrolle-im-wandel>.
[2] Trentmann, Schmergal. “Vaterrolle im Wandel der Zeiten.” Welt Online. 5. März 2006. Web. 7. Juli 2011. <http://www.welt.de/print-wams/article139473/Vaterrolle_im_Wandel_der_Zeiten.html>.
[3] “Väterliche Zeitreise – die Vaterrolle im Wandel.” Vaterfreuden.de. 25. Nov. 2010. Web. 7. Juli 2011. <http://www.vaterfreuden.de/vaterschaft/vater-sein/v%C3%A4terliche-zeitreise-%E2%80%93-die-vaterrolle-im-wandel>.
[4] Trentmann, Schmergal. “Vaterrolle im Wandel der Zeiten.” Welt Online. 5. März 2006. Web. 7. Juli 2011. <http://www.welt.de/print-wams/article139473/Vaterrolle_im_Wandel_der_Zeiten.html>.
[5] “Väterliche Zeitreise – die Vaterrolle im Wandel.” Vaterfreuden.de. 25. Nov. 2010. Web. 7. Juli 2011. <http://www.vaterfreuden.de/vaterschaft/vater-sein/v%C3%A4terliche-zeitreise-%E2%80%93-die-vaterrolle-im-wandel>.
[6] Brück, Martin. Interpretationshilfe Franz Kafka - Die Verwandlung, Das Urteil. Hallbergmoos: Stark, 2010. S. 27
[7] Kafka, Franz. Das Urteil, Die Verwandlung. Frankfurt am Main: Fischer, 2008. S. 27
[8] Brück, Martin. Interpretationshilfe Franz Kafka - Die Verwandlung, Das Urteil. Hallbergmoos: Stark, 2010. S. 33-4
[9] Kafka, Franz. Das Urteil, Die Verwandlung. Frankfurt am Main: Fischer, 2008. S. 29
[10] ebenda S. 25
[11] ebenda S. 43
[12] ebenda S. 43
[13] ebenda S. 53
[14] ebenda S. 55
[15] ebenda S. 60
[16] Kafka, Franz. Das Urteil, Die Verwandlung. Frankfurt am Main: Fischer, 2008. S. 64
[17] ebenda S. 95-6
[18] ebenda S. 73
[19] ebenda S. 96
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