Das (un)sichtbare Auge der Macht - Zum Panoptismus bei Michel Foucault


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Panoptismus bei Michel Foucault

3. Die Idee des Panopticons von Bentham
3.1. Die Architektur des Panopticons
3.2. Die Wirkungsweise des Panopticons

4. Das Machtphänomen des Panopticons

5. Vor- und Nachteile des Panopticons

6. Formen des Panoptismus in unserer heutigen Gesellschaft
6.1. Das Forschungsprojekt „Indect“

7. Fazit

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Jeder kennt es: man läuft durch den Supermarkt und wird von neugierigen Kameras auf- gezeichnet, wobei sie immer unscheinbarer, aber deswegen nicht minder präsent wer- den. Da sich jeder dieser Überwachung bewusst ist, passt man in der Regel sein Ver- halten an und stiehlt beispielsweise keine Ware. Michel Foucault erläutert in seinem Werk „Überwachen und Strafen - Die Geburt des Gefängnisses“ das Phänomen des Überwachens, wobei der Beobachtete zwar immer damit rechnet kontrolliert zu werden, aber den Beobachtenden selber nicht ausmachen kann. Er bezeichnet diese neue Form von Macht, die auf einer lückenlosen Überwachung beruht, als Panoptismus. Diese Be- zeichnung lehnt sich an der von Jeremy Bentham entwickelten Idee des Panopticons an, welches die architektonische Ausgestaltung einer Disziplinargesellschaft ist, in der durch hierarchische Überwachung, Sanktion und Prüfung die Mitglieder einer Gesell- schaft kontrolliert werden.

Die vorliegende Arbeit wird sich expliziter mit dem Panoptismus bei Foucault be- schäftigen, indem zunächst das Vorgehen einer Quarantäne bei einer Pestepidemie er- läutert wird, wobei zum ersten Mal eine allumfassende Überwachung der Bevölkerung stattfindet. Daraufhin wird sowohl auf die Architektur als auch auf die Wirkungsweise von Benthams Modell des Panopticons eingegangen, welches die Utopie eines perfekten Gefängnisses darstellt. Im Anschluss daran wird das besondere Machtphänomen des Panopticons umrissen, das auf dem allsehenden Aufseher beruht. Weiterhin werden die Vor- und Nachteile, die das Panopticon bietet, gegeneinander abgewogen. Zum Schluss wird geprüft, ob es einen Panoptismus in unserer heutigen Gesellschaft gibt, was auf- grund der vielen Überwachungsmöglichkeiten naheliegend erscheint. In diesem Zu- sammenhang wird das gegenwärtige Forschungsprojekt „Indect“ dargestellt, welches eine lückenlose Überwachung und Kontrolle aller Individuen zum Ziel hat.

2. Der Panoptismus bei Michel Foucault

Michel Foucault beschreibt in seinem Werk „Überwachen und Strafen“ das Phänomen des Panoptismus. Zunächst erläutert er den Vorgang der Quarantäne bei einer Pest- epidemie Ende des 17. Jahrhunderts, bei der das erste Mal eine Überwachung über eine ganze Gesellschaft stattfindet und die befallene Stadt zum „neuen Ideal der Macht wird.“1 Bei einem Pestbefall werden die Bewohner in ihren Häusern festgehalten und von Autoritäten der Stadt überwacht. Die Stadt wird geschlossen, so dass niemand in sie hinein- oder hinausgelangen kann. Um die Bewohner kontrollieren zu können, wird die Stadt in verschiedene Territorien eingeteilt, deren Macht jeweils bei einem „Inten- danten“2 (ÜS, 251) liegt, wobei wiederum jede Straße von einem „Syndikus“ (ÜS, 251) überwacht wird. Der Intendant kontrolliert den Syndikus und erkundigt sich, ob er seine Aufgaben adäquat erfüllt. Neben den Soldaten und den sogenannten „ ‚Raben’ “ (ÜS, 251), die die Toten begraben, sind sie die einzigen Personen, die sich auf den Straßen aufhalten dürfen. Der Syndikus lässt jeden Tag die Bewohner an das Fenster herantreten und kontrolliert ihre Anwesenheit und ihr Befinden. Bei Missachtung der Gesetze steht die Todesstrafe. Somit ist „jeder [...] an seinen Platz gebunden“ (ÜS, 251) und „in seine(m) Käfig eingesperrt“ (ÜS, 252). Vor Beginn der Quarantäne wird ein Register angelegt, welches jeden Bewohner aufnimmt. Es wird durch jedes Vorkommnis er- weitert. Dadurch wird eine lückenlose Überprüfung gewährleistet. Aufgrund der Ord- nung wird eine Vermischung der Körper vermieden, wodurch die Pest übertragen wird. Laut Foucault hat „die Pest das Modell der Disziplinierungen herbeigerufen“ (ÜS, 254), das durch die Ansteckungsgefahr ausgelöst wurde. Denn mithilfe der strengen Disziplin wird eine strikte Überwachung und Überprüfung der Bewohner möglich, wodurch die Krankheit gebannt werden kann. Die von Pest befallene Stadt bringt somit eine neue Form von Macht hervor, die kontrolliert, überwacht, sanktioniert und die Individuen re- gistriert, wodurch die Stadt zu einer Disziplinargesellschaft wird. Im Gegensatz zu den Pestkranken werden die Leprakranken einfach „verworfen, ausgeschlossen, verbannt: ausgesetzt“ (ÜS, 254). Hier zeigt sich keine disziplinierte, sondern eine „reine Ge- meinschaft“ (ÜS, 255). Aufgrund der Ausstoßung der Bewohner findet beim Leprabe- fall keine Überwachung statt und macht eine Disziplinierung nicht notwendig. Es wer- den somit zwei Machtmodelle erkennbar. Bei der Pestepidemie handelt es sich einer- seits um die Disziplin, wegen der die Bürger in ihre Häuser gebannt werden, und bei Lepraerkrankungen andererseits um die Ausschließung und Verbannung aus der Stadt. Die beiden Modelle sind zwar verschieden, aber nicht gegensätzlich. Im 19. Jahrhundert werden die beiden Typen kombiniert, indem die Leprakranke wie Pestkranke behandelt werden. Sie werden nun diszipliniert und die „Methoden der analytischen Machtver- teilung“ (ÜS, 256), kontrollieren, registrieren, hierarchisieren, werden angewendet.

Von den Überlegungen über die Disziplin und die Verteilung der Macht bei der Vor- gehensweise der Quarantäne geleitet, geht Foucault auf die Idee des Panopticons von Jeremey Bentham ein, welches die architektonische Ausgestaltung dieser diszipli- nierenden Machtmechanismen darstellt. Bei der Pestepidemie handelt es sich jedoch um einen außerordentlichen Vorfall, in dem die Macht gewaltsam gegen die Krankheit und nicht gegen die Menschen wirkt und für alle in Erscheinung tritt. Im Panopticon hinge- gen wird versucht gewalt- und zwanglos das gewünschte Verhalten der Inhaftierten zu erlangen, wobei die Macht zwar spürbar aber nicht sichtbar wird. Sowohl beim Pest- befall, als auch beim Modell des Panopticons werden die Betroffenen durch die Macht- habenden eingeschlossen, wobei sie im Panopticon zusätzlich von allen Menschen isoliert werden, wie die Leprakranken.

Im weiteren Verlauf werde ich expliziter auf das Modell des Panopticons eingehen.

3. Die Idee des Panopticons von Bentham

Jeremy Bentham lebte von 1748 bis 1832 in Großbritannien als Jurist und Philosoph. In seiner Schrift „Panopticon“ aus dem Jahr 1787 beschreibt er ein Konzept für den Bau von perfekten Gefängnissen.3 Sein Panopticon folgt dem Prinzip des „allseitigen Sicht- barmachens bzw. Gesehenwerdens.“4 Das bedeutet, dass die Insassen vollständig gese- hen werden, ohne selbst andere sehen zu können. Dadurch können viele Menschen auf einmal überwacht werden. Die besondere Architektur kann in verschiedenen Bereichen angewendet werden, um eine hinreichende Dressur zu erlangen. Denn das Modell des Panopticons kann immer dann angewendet werden, wenn viele Menschen auf einmal kontrolliert werden müssen. Aus diesem Grund kann das Gebäude als „dauerhaftes Ge- fängnis [...] oder als Gefängnis für sicheren Gewahrsam [...] oder als Strafanstalt [...], Besserungsanstalt [...], Arbeitshaus [...], Manufaktur [...], Irrenhaus [...], Hospital oder Schule56 dienen. Im Folgenden soll allerdings nur auf die Funktion des Panopticons als Strafanstalt eingegangen werden, welches sowohl als Ort der Einschließung der De- linquenten, als auch als „Ort der Arbeit“7 fungieren soll. Das wichtigste Ziel des Pan- opticons ist, dass sich der Insasse immer beobachtet glaubt, auch wenn dies nicht immer der Fall ist. Allerdings muss der Anteil, der tatsächlichen Überwachung durch den Auf- seher sehr hoch sein, damit die Ansicht der Inhaftierten über eine ständige Beobachtung umso stärker ist.8

3.1. Die Architektur des Panopticons

Damit die Verbrecher in dem Modell des Panopticons gesehen und beobachtet werden können, ist eine bestimmte Architektur des Gebäudes nötig. Es handelt sich um ein kreisförmiges Bauwerk, welches von jeweils abgetrennten strahlenförmig angeordneten „Zellen“9 umrahmt ist. Jede Zelle wird durch ein Fenster an der Außenseite mit Licht durchflutet und die Innenseite wird mit schmalen Gitterstäben versehen, wodurch jeder Insasse adäquat überwacht werden kann, weil nicht das Geringste dem Aufseher ver- borgen bleibt. In jeder Zelle befindet sich nur ein Häftling. Die Gefangenen können ihren Nachbarn nicht sehen aufgrund einer „verlängerte(n) Trennwand“10, die weiter als die Gitterstäbe in den Zwischenbereich hineinreicht. Aus diesem Grund können die In- haftieren untereinander nicht kommunizieren. Jede Zelle wird somit zu einem „Käfig [...], in dem jeder Akteur allein ist, vollkommen individualisiert und ständig sichtbar“ (ÜS, 257). Durch die Kreisform wird eine vollkommene Beobachtung gewährleistet, weil jede Zelle sich von dem in der Mitte befindlichen „Aufsichtsturm“11 gleichermaßen überwachen lässt. Die Fenster des Aufsichtsturmes sind mit Jalousien versehen, wo- durch einerseits die Beobachtung der Insassen nicht gestört wird und andererseits von außen nicht gesehen werden kann, ob sich jemand im Turm befindet. Damit die An- wesenheit im Aufsichtsturm durch eventuelle Schattenbewegungen aufgrund des durch- strahlenden Lichtes nicht wahrgenommen werden kann, wird der Raum mithilfe von Trennwänden in vier gleich große Bereiche aufgeteilt. Damit keine Tür den Aufenthalt des Beobachters verrät, werden die Wände so angebracht, dass keine Tür notwendig ist. Somit kann der Aufseher überwachen, ohne von den Gefangen gesehen zu werden. Zwischen dem Aufsichtsturm und den Zellen befindet sich ein „Zwischen- oder Ring- bereich“,12 den der Beobachter jederzeit durch die Fenster des Aufsichtsturmes, die als Türen dienen, betreten kann, um die Zellen zu erreichen. Um auch bei Nacht die Über- wachung gewährleisten zu können, werden Leuchter an den Fenstern des Aufsichts- turmes angebracht. Damit nicht an der Stimme erkannt werden kann, wo sich der Auf- seher gerade befindet, führt eine „schmale Blechröhre“13 von jeder Zelle zum Auf dem Aufsichtsturm.14

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Auf dem abgebildeten Bild lässt sich adäquat die ringförmige Anordnung der Zellen, den Zwischenbereich und den in der Mitte befindlichen Aufsichtsturm er- kennen.15

3.2. Die Wirkungsweise des Panopticons

Beim Modell des Panopticons wird „das Prinzip des Kerkers [...] umgekehrt“ (ÜS, 257). Die Gefangenen werden nicht mehr im Dunkeln verborgen, sondern werden durch das durchflutete Licht vollkommen sichtbar. Somit wird jeder Einzelne mithilfe der be- sonderen Architektur individuell überwacht. Da der Delinquent den Aufsichtsturm immer im Blick hat, wird ihm die „scheinbare Allgegenwart1617 des Bewachers immer im Bewusstsein liegen. Für den Gefangenen ist demnach die Macht immer präsent, aber nicht offenbar. Gleichzeitig ist es für den Aufseher problemlos tatsächlich präsent zu sein, weil er mit seiner Familie in dem Turm wohnen kann, wodurch die wichtigste Aufgabe des Panopticons, die wirkliche Überwachung, gewährleistet wird. Der Auf- seher ist direkt vor Ort und seine Familie kann zusätzlich als Beobachter fungieren. Zu- sätzlich steht der Aufsichtsturm für alle offen. Das bedeutet, dass jede Person, die die Insassen sehen möchte, aus welchen Gründen auch immer, die Gefangenen in diesem Moment gleichermaßen überwacht.18 Jeder beliebige Beobachter kann Macht ausüben. Diese Beliebigkeit durchzieht sich durch das ganze Konzept. Denn das Panopticon ist hinsichtlich der Anzahl der Menschen, deren befohlenen Aufgaben und deren aufer- legtes Verhalten beliebig. Aber es ist auch an eine Voraussetzung geknüpft, daran, dass die Menge der Menschen und der Bereich überschaubar bleibt.19 Dadurch, dass der Be- obachtungsposten für die Öffentlichkeit offen steht, wird gewährleistet, dass das Ge- fängnis „demokratisch kontrolliert“ (ÜS, 266) wird, weil der Bürger sowohl die In- sassen, als auch den Aufseher und deren Ausübung von Macht überwachen können. Das Panopticon benötigt wegen der besonderen Architektur nur einen Oberaufseher, um vie- le Delinquenten kontrollieren zu können. Im Panopticon ist jeder ein „überwachter Überwacher.“20 Denn nicht nur die Häftlinge werden von dem Aufseher überwacht, sondern auch die Wächter, die hierarchisch gesehen unter dem Aufseher stehen, und der Aufseher wird wiederum von einem Inspektor überwacht. Dadurch wird einerseits eine lückenlose Kontrolle erbracht, weil die Insassen intensiver und individuell überwacht werden können, und andererseits können Missstände und Unterjochung der Gefangenen durch die Wächter vermieden werden, weil der Oberaufseher über ihr ganzes Verhalten unterrichtet ist.

[...]


1 M. FOUCAULT, Das Gefängnis, 899.

2 DERS., Überwachen und Strafen, 251. Künftig zitiert mit Sigle ÜS, Seitenangabe.

3 Vgl. J.ABTSHAGEN, Bentham, 589.

4 B. WOLF, Panoptismus, 280.

5 Im Original kursiv gedruckt.

6 J. BENTHAM, Panoptikum, 15.

7 Ebd., 25.

8 Vgl. ebd., 14-25.

9 Ebd., 16.

10 Ebd., 17.

11 B. WOLF, Panoptismus, 280.

12 J. BENTHAM, Panoptikum, 16.

13 Ebd., 18.

14 Vgl. ebd., 16-22.

15 Vgl. ebd., 21.

16 Im Original kursiv gedruckt.

17 J. BENTHAM, Panoptikum, 22.

18 Vgl. ebd., 16-24.

19 Vgl. G. DELEUZE, Foucault, 101.

20 U. MARTI, Foucault, 92.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Das (un)sichtbare Auge der Macht - Zum Panoptismus bei Michel Foucault
Hochschule
Universität zu Köln  (Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften (Institut II) )
Veranstaltung
Perspektiven des interaktionistischen Konstruktivismus
Note
1,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
23
Katalognummer
V208042
ISBN (eBook)
9783656352914
ISBN (Buch)
9783656353959
Dateigröße
1289 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Foucault, Panoptismus, Panopticon, Bentham, Das Auge der Macht, Überwachung, Indect, Überwachungsstaat, Überwachen und Strafe, Gefängnis, Geburt des Gefängnis, Aufsicht, Macht, Strafanstalt, Polizeistaat
Arbeit zitieren
Elisabeth Esch (Autor:in), 2012, Das (un)sichtbare Auge der Macht - Zum Panoptismus bei Michel Foucault, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208042

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