Der Zusammenhang zwischen klinischer und rhetorischer Ansteckung in Thomas Bernhards 'Die Kälte'


Hausarbeit, 2009

12 Seiten, Note: 1,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Übertragungen am Text – die Erzählweise

3. Die Wiederholung als wichtigstes Mittel

4. Andere rhetorische Mittel

5. Übertragungen an der Textstruktur

6. Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Mit dem sogenannten Schatten auf meine Lunge war auch wieder ein Schatten auf meine Existenz gefallen.“[1] Dieser erste Satz aus Thomas Bernhards autobiographischer Prosaerzählung „Die Kälte: eine Isolation“ birgt bereits metaphorische und wiederholende Elemente in sich. Der gesamte Text ist mit weiteren rhetorischen Mitteln durchzogen, die beim näheren Betrachten eine größere Bedeutung und Verknüpfungen haben. In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie die Übertragung sowie die Atmosphäre der Kälte in der Erzählung zum Ausdruck kommen. Vor allem sollen rhetorische Mittel gefunden werden, durch deren Einsatz die Kälte erst zustande kommt, um einen Zusammenhang zwischen klinischer und rhetorischer Ansteckung bzw. Übertragung herzustellen. Dazu müssen einige Fragen beantwortet werden. Zum Beispiel, ob spezielle rhetorische Mittel öfter benutzt werden als andere oder wie die Übertragungen im Text überhaupt zustande kommen.

Zunächst sollen im zweiten Punkt die formalen Übertragungen am Text, das heißt, die eigentliche Erzählweise, analysiert werden. Dabei wird näher auf Erzählform, -perspektive und -verhalten des Autors eingegangen. Dazu wird seine beobachtende Sichtweise erklärt und die Möglichkeit eines impliziten Lesers ausgeschlossen.

Im dritten Punkt soll das wichtigste rhetorische Mittel – die Wiederholung - in Augenschein genommen werden. Nicht nur die einfache Wiederholung von einzelnen Wörtern wird dabei erforscht, auch Abwandlungen der Wiederholung wie Alliteration und Distincio sollen mit in Betracht gezogen werden.

Der vierte Punkt soll Aufschluss über einige ausgewählte andere Mittel geben, die sich nicht in das Prinzip der Wiederholung einfügen lassen: rhetorische Frage, Chiasmus, Correctio, Hyperbel und Klimax. Tragen auch sie dazu bei, eine durchgehende kälteartige Stimmung aufzubauen oder kleinste Hoffnungsschimmer auf Heilung durchsickern zu lassen, oder sind sie nur zufällig anzutreffen?

Im letzten Punkt sollen Übertragungen an der Textstruktur gefunden werden. Nicht nur der Inhalt ist dabei ausschlaggebend, auch verwendete Zeichen in der Schrift und die Zeitstruktur sind dafür wichtig und werden erst in der Übertragung sichtbar. Hier stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die Wirkung auf den Leser dadurch verändert wird.

Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, sollen nur die wichtigsten und auffälligsten rhetorischen Figuren aufgeführt werden. Außerdem wird der Erzähler in der Arbeit, um ihn nicht immer gleichklingend als „den Erzähler“ zu benennen, mit „Bernhard“ gleichgesetzt oder auch als „der Autor“ bzw. „das Ich“ betitelt.

2. Übertragungen am Text – die Erzählweise

Die Erzählform des Textes ist eindeutig in der Ich- Form geschrieben, wobei Bernhard auch ein personales Erzählverhalten einnimmt. Der Erzählstandort wechselt häufig im Laufe der Geschichte. Während er seine Beschreibungen der Anstalt mit ihren Insassen aus größter Nähe heraus erzählt, stellt er Erinnerungen an seine Vergangenheit mit distanzierter Haltung dar. Da Bernhard alle Rückblicke nur wiedergibt und keine zweite Sichtweise zu seiner eigenen vorhanden ist, können dem Leser keine direkten Situationen zu erkennen gegeben werden, sondern nur in Abstand gesehene Ereignisse, welche von der übertragenden Erzählweise herrühren.

In der Erzählung wird der „Bewusstseinsinhalt des Beobachters“[2] beschrieben, er ist aber keinesfalls ein omnipotenter Erzähler. Das lässt nicht nur die Erzählweise des Textes selbst erkennen, das sagt uns der Erzähler an einer Stelle sogar selbst, als er in Grafenhof seine Mitmenschen beobachtet. So heißt es: „[...] in einer Ecke, von welcher aus ich alles mit größter Deutlichkeit sehen, in der ich selbst aber kaum entdeckt werden konnte, als der Beobachter [...].“[3] Dass aus der Beobachtung sogar eine regelrechte Observation wird, kann man aus einer späteren Textstelle schlussfolgern, in der das Ich darüber berichtet, wie es „vom wehrlosen Opfer zum Beobachter dieses Opfers“[4] geworden ist und alles wissenschaftliche über die Krankheit zu wissen scheint. An dieser Stelle wird das Wort „Wissenschaft“ sehr oft wiederholt, weil das Ich sich nur noch wie besessen mit dem einzigen, was ihm noch übrig bleibt, beschäftigt – den Krankheitsverlauf der anderen Mitpatienten und seinen eigenen zu „studieren“.

Der Erzähler informiert über das Geschehen nur aus seiner Innensicht heraus, über die Sichtweise anderer Personen wird nicht berichtet. Seine Erzählhaltung schwankt daher auch von Ablehnung bis hin zu regelrechter Begeisterung. Er behält immer das Wort, spricht ausschließlich seine eigenen Gedanken und Eindrücke aus, er „tritt bei Bernhard immer nur als Medium, als Zwischenglied – [...] zwischen dem Erzählten und dem Leser auf.“[5] Das Erzählte wird vom Autor nur indirekt auf den Leser „übertragen“. Daher lässt das Ich nur an sehr wenigen Stellen andere Figuren zu Wort kommen, wobei die Figurenrede direkt wiedergegeben wird. So zum Beispiel, als er sich von seiner Mutter verabschiedet und sich an ihre Worte erinnert: „Du fährst auf Erholung, hatte meine Mutter zu mir gesagt, erhol dich gut.[6] Bernhard redet den Leser auch niemals an, wobei diese Art der Kommunikationssituation in seinem gesamten Werk, also auch in anderen Texten, so dargestellt ist, (mit nur einer Ausnahme)[7], d.h. „alles ist erzählt“[8]. Die Anrede an einen damit impliziten Leser ist also ausgeschlossen. Durch diese Sichtweise ist „[e]ine dem Geschehen angemessene, in der Schilderung zu realisierende Authentizität [...] nicht gegeben, da die dazu notwendige unmittelbare Beteiligung am Geschehen nirgendwo realisiert ist.“[9] Der Erzähler scheint die Wahrheit selbst anzuzweifeln, da er öfters erklärt, dass er sich in vorangegangenen Dingen geirrt habe. Er widerlegt die Irrtümer seiner Gedanken im Laufe der Geschichte und glaubt, er habe nun die richtige Sichtweise gefunden. Diese kann sich aber trotzdem wieder ändern. Zum Beispiel ist er kurze Zeit der Ansicht, dass sein Tod unausweichlich ist und er will sich diesem fügen. Nur zwölf Stunden später gehen seine Gedanken wieder in eine ganz andere Richtung und er will nun wieder kämpfen. Wie manche Ereignisse durch solche anfänglichen Fehleinschätzungen übertrieben und durch den Perspektivismus des Autors unglaubwürdig erscheinen, soll in 4. näher erläutert werden.

Nur an wenigen Stellen geht der Erzähler aus der Ich- Form heraus. Als er sich in einer Art „Gebet“ einhämmert, dass er in Grafenhof ein Strafgefangener ist, benutzt er die Du- Form in seinen Gedanken. Außerdem redet er über seine Verwandten logischerweise in der Er/Sie- Form, wobei das vor allem den Großvater und die Mutter betrifft.

[...]


[1] Thomas Bernhard, Die Autobiographie, Frankfurt am Main, Suhrkamp Verlag, 2004, S. 313 (Text)

[2] Oliver Jahraus, Die Wiederholung als werkkonstitutives Prinzip im Oeuvre Thomas Bernhards, Frankfurt am Main [u.a.], Lang Verlag, 1991, S. 38

[3] Text, S. 314

[4] ebd., S. 335

[5] vgl. Oliver Jahraus, Die Wiederholung als werkkonstitutives Prinzip im Oeuvre Thomas Bernhards, S. 37

[6] Text, S. 333

[7] vgl. Oliver Jahraus, Die Wiederholung als werkkonstitutives Prinzip im Oeuvre Thomas Bernhards, S. 35

[8] ebd.

[9] ebd., S. 39

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Der Zusammenhang zwischen klinischer und rhetorischer Ansteckung in Thomas Bernhards 'Die Kälte'
Hochschule
Universität Erfurt
Note
1,7
Jahr
2009
Seiten
12
Katalognummer
V208253
ISBN (eBook)
9783656355557
ISBN (Buch)
9783656356752
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
zusammenhang, ansteckung, thomas, bernhards, kälte
Arbeit zitieren
Anonym, 2009, Der Zusammenhang zwischen klinischer und rhetorischer Ansteckung in Thomas Bernhards 'Die Kälte', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208253

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