Die Frau als Bedrohung für das Patriarchat in Bram Stoker’s 'Dracula'


Hausarbeit (Hauptseminar), 2012

16 Seiten, Note: 3+


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung 1

2. Frau, Moral und Sexualität im viktorianischen England 1

3. Die Frau als Bedrohung in Dracula 2
3.1. Die 3 „weird sisters“
3.2. Lucy
3.3. Mina

4. Fazit

5. Bibliographie

1. Einleitung

„Vermutlich hat Gott die Frau erschaffen, um den Mann kleinzukriegen.[1]

Frauen, die zum Teil auch heute noch scherzhaft als das schwächere Geschlecht bezeichnet werden, können dem Mann durchaus gefährlich werden. Im immerwährenden Kampf der Geschlechter hat sich die Rolle der Frau stets gewandelt. Mal war sie Herrscherin über Land und Leute, mal war sie Heimchen am Herd. Im England des 19. Jahrhundert war sie beides. So regierte eine Frau – Königin Viktoria – das Land, in dem Frauen dem Mann jedoch im Häuslichen sowie sexuell unterworfen waren. Die sich daraus ergebenden Spannungen und Widersprüche in den Geschlechterrollen wurden im 19. Jahrhundert stark diskutiert. Vor allem in der Literatur des Fin de Siècle fand die Gender– Diskussion einen Höhepunkt. So auch in Bram Stoker’s Dracula, wo Frauen sowohl dominant und bedrohlich als auch schwach und schutzbedürftig auftreten. Diese Arbeit soll zeigen, inwiefern Frauen für die Männer im Roman eine Gefahr darstellen. Zuerst wird dazu ein kurzer zeitgeschichtlicher Überblick gegeben. Im Anschluss daran werden nacheinander die Frauen im Roman auf ihre Bedrohung für den Mann hin untersucht.

2. Frau, Moral und Sexualität im viktorianischen England

Einhergehend mit zahlreichen sozialen, wirtschaftlichen und technischen Veränderungen im England des 19. Jahrhunderts fand auch ein Wandel in der Rolle der Frau statt. Die Factory Acts verbesserten die Arbeitssituation der Frauen der Unterschicht. Musste diese unter verheerenden Bedingungen zum Teil sogar in Minen schuften, so wurde sie nun von Minen- und teilweise von Fabrikarbeit befreit. War die bürgerliche Frau zu Beginn des Jahrhunderts noch dazu bestimmt, die Rolle der guten Ehefrau und Mutter zu besetzen, die ihrem Mann beinah völlig unterworfen war und keinerlei Anspruch auf Eigentum hatte, so sprachen ihr neue Gesetzgebungen im Laufe der Zeit mehr Rechte und Freiheiten zu. Der Child Custody Act, der Married Woman's Property Act und Matrimonial Causes Act regelten ab Mitte des 19. Jahrhunderts Sorgerechts- und Eigentumsangelegenheiten in der Ehe zwischen Mann und Frau. Mehr und mehr bürgerliche Frauen verließen ihren häuslichen „Arbeitsplatz“ und ergriffen einen Beruf oder bildeten sich an Schulen und Universitäten weiter. Dennoch hielt sich die Vorstellung vom Ideal der Frau als Angel in the house[2] – als fürsorgliche, aufopferungsvolle und hochmoralische Ehefrau und Mutter noch bis Ende des Jahrhunderts und darüber hinaus. So auch die weitverbreitete und tabuisierte Prostitution, zu der sehr viele Frauen der Arbeiterklasse aus finanziellen Gründen gezwungen waren. Ein idealisiertes Frauenbild auf der einen und die Prostitution als The Great social evil (Vgl. Nowak, 298) auf der anderen Seite verweisen auf die herrschende Doppelmoral der ach so sittlichen Viktorianer. In deren Moralvorstellung lebten Frauen und Männer in zwei voneinander getrennten Sphären mit klar definierten Geschlechterrollerrollen; Sexualität durfte lediglich der Fortpflanzung dienen und nur innerhalb der Ehe stattfinden.

Mit der voranschreitenden Emanzipation aber wandelten sich herrschende Moralvorstellungen und medizinischen Auffassungen. So galt Sexualität nicht mehr nur als natural law sondern normality, als Teil der menschlichen Persönlichkeit. Hinzu kamen Auffassungen, dass Abstinenz sogar zu physischen und psychischen Erkrankungen wie z. B. Hysterie führen könne. Empfängnisverhütung wurde gebilligt und die Bedeutung der Ehe als einziger Rahmen für Sexualität relativierte sich. Umso größer wurden die Ängste und Unsicherheiten über diese sexuelle Revolution. Und umso mehr versuchte man zu definieren, was noch normal und gesellschaftlich tolerabel sei. (Vgl. Schulte-Middelich, 128 ff.)

3. Frauen als Bedrohung

Bram Stoker war sich der laufenden Veränderungen bewusst. So werden in Dracula Ängste vor weiblicher Emanzipation, männlichem Machtverlust und (Homo-)Sexualität angedeutet. Besonders die Angst vor dem Wandel oder der Verschiebung von Geschlechtergrenzen wird immer wieder thematisiert, indem das Traditionelle mit gefährlichen und todbringenden Frauenbildern kontrastiert wird. Denn die Protagonistinnen bedrohen sowohl die traditionelle Geschlechterrolle der Frau als auch das herrschende Patriarchat. Aber während Vampirfrauen wie Lucy oder die drei „awful women“ (44) ganz offensichtlich durch ihre sinnliche und sexualisierte Darstellung dem Bild der moralischen und zurückhaltenden viktorianischen Frau widersprechen, zeigt sich die Bedrohung, welche von Mina ausgeht, erst auf den zweiten Blick.

3.1 Die 3 „weird sisters”

I am[3] alone in the castle with those awful women. Faugh! Mina is a woman, and there is nought in common. They are devils of the Pit! (55)

Bereits zu Beginn des Romans treten Frauen als Bedrohung für Männer in Erscheinung. Jonathan Harker trifft im Schloss Dracula auf drei Damen, die er sowohl anziehend als auch furchterregend findet. Dass es sich nicht um gewöhnliche Frauen handelt, zeigt sich sowohl in ihrem Äußeren an ihren „brilliant white […] sharp teeth“, an „piercing eyes“ und ihren „voluptous lips“ (42) als auch in ihrem forschen, sexuell-aggressiven Verhalten „[…] there are kisses for all of us.“, „[…] she actually licked her lips like an animal […]“, „I could feel the soft, shivering touch of the lips on […] my throat […]“. (43) Jonathan sieht sich hier mit Frauen konfrontiert, die so gar nicht seinem viktorianischen Ideal bzw. seiner Verlobten Mina, die „one of God’s women“ (168) und „so true, so sweet, so noble, so little an egoist“ (169) ist, entsprechen. Wohl aber existierten solche Frauen – unschuldig und wunderschön anzusehen; sexuell und forsch in ihrem Verhalten – in der Wunschvorstellung vieler Männer damals (Vgl. Senf, 49). Verführerisch gehen diese drei Damen auf Jonathan los, ihr einziges Ziel ist es jedoch sein Blut zu trinken. Angsterfüllt, angetan und passiv erwartet Jonathan den Biss der Vampirin. Der Schrecken dieser Situation beruht jedoch nicht allein auf Todesangst, sondern auch auf Angst vor Homosexualität und verschwimmenden Geschlechtergrenzen. Denn hier findet ein Rollentausch zwischen Mann und Frau statt. Galt der Mann als aktiver Part beim Liebesspiel, so überlässt Jonathan den aktiven Part hier der Vampirfrau und wartet selbst auf Penetration durch ihre Zähne. Die Angst Jonathans vor Penetration, spiegelt zudem auch die Angst und die Unsicherheit der viktorianischen Gesellschaft in punkto Homosexualität wieder. (Vgl. Craft, 445)

Weil sich die drei Damen Jonathan ohne Erlaubnis nähern, sich somit den Anweisungen Draculas – also der männlichen Autorität – widersetzen und darüber hinaus selber in eine männliche Rolle schlüpfen, bekommen sie Draculas geballten Zorn am eigenen Leib zu spüren: „I saw his strong hand grasp the slender neck of the fair woman […]“ (43)

[...]


[1] Voltaire

[2] Gedicht von Coventry Patmore über die ideale Ehefrau

[3] So nennt Jonathan die drei Vampirinnen (51)

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die Frau als Bedrohung für das Patriarchat in Bram Stoker’s 'Dracula'
Hochschule
Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg  (Neuphilologisches Institut)
Veranstaltung
Sentimental to Queer: Die Literatur emotionaler Extreme in England zwischen 1760 und 1830
Note
3+
Autor
Jahr
2012
Seiten
16
Katalognummer
V208509
ISBN (eBook)
9783656358978
ISBN (Buch)
9783656360117
Dateigröße
509 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dracula, Emanzipation, Viktorianer, Rolle der Frau, Sexualität, Geschlechterrollen, New Woman
Arbeit zitieren
Melanie Anders (Autor:in), 2012, Die Frau als Bedrohung für das Patriarchat in Bram Stoker’s 'Dracula', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208509

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