Venedig ist von jeher Heimat und Sehnsuchtsort der Kunstschaffenden. Einer Stadt, in der sich die Grenzen zwischen Wasser und Land, Orient und Okzident, ja Traum und Wirklichkeit auflösen, scheint die Poesie geradezu eingeschrieben. Dabei beflügelt der morbide Charme die Phantasie der Melancholiker und Träumer dieser Welt. Im Bannkreis der Serenissima führen Verfall und Vergänglichkeit den Griffel - und das bereits lange vor der Morbidezza von Rilkes Venedig-Gedichten und Thomas Manns Der Tod in Venedig: Die Ästhetisierung des Todes hat hier Tradition.
Im 19. Jahrhunderts fühlten sich gerade die Schmerzensritter jenseits der Alpen von der Lagunenstadt magisch angezogen. War vom Barock bis in die Romantik hinein noch Rom Fixpunkt der reisenden Dichterzunft, so verschob das Interesse sukzessive nach Venedig und Süditalien. Spätestens um die Jahrhundertmitte waren auch die Spuren von Goethes Italienischer Reise soweit verwischt, dass sich neue Ansätze in der deutschen Italiendichtung durchsetzen konnten. Zentrum der literarischen Auseinandersetzung mit Italien ist nun Venedig und soll es bis in die Gegenwart hinein bleiben. Neben Unmengen von Gebrauchslyrik, die am Geschmack eines bürgerlichen Publikums orientiert klischeeartig die althergebrachten Bilder und Motive gefällig aneinanderreiht, entstehen in dieser Zeit bedeutende Zeugnisse deutschsprachiger Venedig-Lyrik. Beide Seiten sollen im Folgenden näher beleuchtet werden und ausgehend von einer Einordnung in den literarischen Kontext (Goethe, Platen) erörtert werden. Fixpunkte bilden dabei die Venedig-Gedichte Conrad Ferdinand Meyers und Friedrich Nietzsches. Ein Exkurs zur Venedig-Lyrik Rilkes geht auf die weitere Entwicklung literarischer Auseinandersetzung mit der Serenissima ein.
Gliederung
Einführung in die Thematik
Prolog: Die Anfänge deutscher Venedig-Dichtung (Goethe, Platen)
Station I: Die Venedig-Lyrik Conrad Ferdinand Meyers
Intermezzo: Venedig-Lyrik zwischen Kitsch und Parodie
Station II: Die Venedig-Lyrik Friedrich Nietzsches
Epilog: Venedig-Dichtung um die Jahrhundertwende (Rilke)
Venedig ist von jeher Heimat und Sehnsuchtsort der Kunstschaffenden. Einer Stadt, in der sich die Grenzen zwischen Wasser und Land, Orient und Okzident, ja Traum und Wirklichkeit auflösen, scheint die Poesie geradezu eingeschrieben. Dabei beflügelt der morbide Charme die Phantasie der Melancholiker und Träumer dieser Welt. Im Bannkreis der Serenissima führen Verfall und Vergänglichkeit den Griffel - und das bereits lange vor der Morbidezza von Rilkes Venedig-Gedichten und Thomas Manns Der Tod in Venedig: Die Ästhetisierung des Todes hat hier Tradition.
Im 19. Jahrhunderts fühlten sich gerade die Schmerzensritter jenseits der Alpen von der Lagunenstadt magisch angezogen. War vom Barock bis in die Romantik hinein noch Rom Fixpunkt der reisenden Dichterzunft, so verschob das Interesse sukzessive nach Venedig und Süditalien. Spätestens um die Jahrhundertmitte waren auch die Spuren von Goethes Italienischer Reise soweit verwischt, dass sich neue Ansätze in der deutschen Italiendichtung durchsetzen konnten. Zentrum der literarischen Auseinandersetzung mit Italien ist nun Venedig und soll es bis in die Gegenwart hinein bleiben. Neben Unmengen von Gebrauchslyrik, die am Geschmack eines bürgerlichen Publikums orientiert klischeeartig die althergebrachten Bilder und Motive gefällig aneinanderreiht, entstehen in dieser Zeit bedeutende Zeugnisse deutschsprachiger Venedig-Lyrik. Beide Seiten sollen im Folgenden näher beleuchtet werden und ausgehend von einer Einordnung in den literarischen Kontext erörtert werden. Fixpunkte bilden dabei die Venedig-Gedichte Conrad Ferdinand Meyers und Friedrich Nietzsches.
Prolog: Die Anfänge deutscher Venedig-Dichtung (Goethe, Platen)
Goethes Italienreise und ihre literarischen Früchte, die Römischen Elegien (1788-90) und die Venezianischen Epigramme (1790), können mit Fug und Recht als „kopernikanische Wendung“[1] der deutschen Italiendichtung bezeichnet werden. Diese beiden Zyklen sind als „lyrische Paradigmen deutscher Italienwahrnehmung“[2] Initialzündung für die reiche Italienrezeption in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts.
Die Venezianischen Epigramme[3] entstanden im Rahmen von Goethes zweiter Reise nach Italien. 1790 begleitete er Herzogin Anna Amalia - nolens volens - von Venedig heimwärts nach Weimar. Spricht er 1786 noch von seiner aufrichtigen Begeisterung, von der „wunderbaren Lagunenstadt“ und der „Biberrepublik“ Venedig, so hatte sich seine Italienwahrnehmung seit seiner ersten Italienreise verändert. Er beklagt den Mangel an „Zucht und Ordnung“ und deutscher „Redlichkeit“ und obendrein findet er seine „Faustine“ auch nicht wieder (Epigramm IV). An den Herzog schreibt er am 03.04.1790 gar, dass seiner „Liebe für Italien“ durch die Reise „ein tödlicher Stoß versetzt wird“[4]. Der Inhalt der Epigramme ist heterogen. Ihre Aufnahme war dann auch eher zweigeteilt; man warf Goethe unter anderem vor, er sei zu sorglos in der Auswahl gewesen. Mit ihrer gewitzten, manchmal bissigen und ins Derbe gehenden Aufmachung sind sie der Gattungstradition Martials verpflichtet.
Sein „Libellus Epigrammatum“ umfasst innerhalb seines breit gefächerten Spektrums auch einige Grundthemen, die zum Kernbestand deutscher Venedig-Dichtung werden sollen. Etwa das Bild der schwankenden und schwebenden Gondel im Kanal als Ausdruck der Vergänglichkeit (Epigramm VI):
Diese Gondel vergleich' ich der sanft einschaukelnden Wiege,
Und das Kästchen darauf scheint ein geräumiger Sarg,
Recht so! Zwischen der Wieg' und dem Sarg wir schwanken und schweben
Auf dem großen Kanal sorglos durchs Leben dahin.
Oder die harte Erdung des Träumers, wenn er auf die Wirklichkeit des harten Gesteins stößt – hier höchst ungewöhnlich verpackt (Epigramm aus dem Nachlass):
Unglückselige Frösche, die ihr Venedig bewohnet!
Springt ihr zum Wasser heraus, springt ihr auf hartes Gestein.
Bisweilen schlägt Goethes Missmut anlässlich seiner Wartezeit in Venedig in ziemlich derbe Erotik um. Im folgenden Beispiel werden die Kurtisanen der Stadt – auch dies ein wiederkehrender Topos der Venedig-Dichtung - mit der Architektur der Wasserstraßen fast schon vulgär in Beziehung gesetzt:
In dem engsten der Gäßchen – es drängte sich kaum durch die Mauern –
Saß mir ein Mädchen im Weg, als ich Venedig durchlief.
sie war reizend, der Ort, ich ließ mich Fremder verführen;
Ach, ein weiter Kanal tat sich dem Forschenden auf.
Hättest du Mädchen wie deine Kanäle, Venedig, und F{ötzchen}
Wie die Gäßchen in dir, wärst du die herrlichste Stadt.
Noch wesentlich ergiebiger und fast schon stilbildend für die Venedig-Dichtung des 19. Jahrhunderts sind die Beiträge August Graf von Platens. Er entsagte der Tristesse des Nordens gleich ganz und hielt sich dank einer Pension des bayerischen Königs Ludwig I. ab 1826 fast durchgängig in Italien auf. Der Zyklus seiner 17 Venedig-Sonette und die zahlreichen Epigramme, die während zweier Aufenthalte in der Lagunenstadt im Jahr 1824 und 1832 entstanden sind, sind in vielerlei Hinsicht wegweisend für die Venedig-Lyrik des 19. Jahrhunderts. Inhaltlich wie formal – die Zahl der deutschen Venedig-Sonette und elegischen Dichtungen, die an seinem thematischen Spektrum und seiner fast schon artistisch-manirierten Formstrenge geschult sind, ist groß. Die Ursprünge vieler der im Laufe des 19. Jahrhunderts oft klischeehaft abgerufenen Themen und Bilder finden sich hier – und in den Venedig-Dichtungen Lord Byrons, eines weiteren berühmten Venedig-Reisenden, der wiederum Platens lyrische Bildwelt beeinflusst hat.[5]
Insbesondere die Trias Liebe, Schönheit und Tod ist allgegenwärtig und spiegelt sich in Platens Schilderung der Stadt. Er selbst hatte sich unglücklich in den Prinzen Priuli verliebt, was in einigen der Sonetten verarbeitet wird.[6] Ästhetisierte Melancholie und resignatives Versinken im Weltschmerz weisen hier schon auf die Venedig-Dichtung des Fin de siècle voraus. In Venedig „scheint ein langes, ew'ges Ach zu wohnen“ (Sonett XXIV), „tiefe Schwermut“ wiegt die Seele (Sonett XXXI), die Beklemmung im „Labyrinth von Brücken und von Gassen“ (Sonett II). Der Verfall der Stadt wird zum vielstimmigen Memento mori; allein die Schönheit überdauert. Beispielhaft seien hier zwei der Epigramme zitiert[7]:
Doppelte Bestimmung
Liebendem Paar wohl dient zum Versteck die venetische Gondel,
Doch bei’m Leichengepräng dient sie zur Bahre dem Sarg.
Verfall
Hülflos sinkst du dahin, unerrettbar! Daß du so groß warst,
Daß du verdunkeltest einst, Mächtige, Rom und Byzanz,
Frommt es dem Enkel? Es mehrt den unendlichen Schmerz und die Wehmut:
Alles vergeht; doch wird Schönes allein so beweint.
Vielfach wird in diesem Zusammenhang auf die venezianische Malerei eingegangen, insbesondere Canaletto, Bellini, Tizian und Giorgione sind vertreten (etwa in Sonett XXVII: „Maler führt mich in das ew’ge Leben“). Wie überhaupt Venedig in die Sphäre der Kunst und des Traumes gerückt wird („Venedig liegt nur noch im Land der Träume“; Sonett XXII) Aber auch politische Themen werden durchaus mit einbezogen. So tragen etwa die „ehernen Hengste“ der Markus-Kirche die Zäume des „korsikan’schen Überwinders“ (Sonett XXII). Platens Venedig-Gedichte und gerade der Gedichtzyklus der Sonette, der zu seinen zu Lebzeiten sicherlich sein populärstes Werk war, waren Ausgangspunkt zahlloser epigonaler Lyrikproduktion und strahlten bis hin zu Thomas Manns Tod in Venedig – Gustav Aschenbach trägt nicht umsonst Züge des Grafen von Platen - eine beispielhafte Wirkung aus.
Station 1: Die Venedig-Lyrik Conrad Ferdinand Meyers
Im März 1858 brach Conrad Ferdinand Meyer zusammen mit seiner Schwester Betsy nach Italien auf. Ziel der Reise war Rom, das in tief beeindruckte. Vor allem die Renaissance-Malerei Raffaels und Michelangelos, dessen Fresken und Statuen er mehrere Gedichte widmet (u.a. In der Sistine, Michelangelo und seine Statuen), prägen sich ihm nachhaltig ein.
[...]
[1] Grimm II, S. 29.
[2] Grimm II, S. 28.
[3] Die Texte sind folgender Ausgabe entnommen: Goethe, Johann Wolfgang: Venetianische Epigramme (1790). München: dtv 1990.
[4] Zitiert nach Eibl, S. 1130.
[5] Vgl. Reichel. S. 19ff.
[6] Vgl. Bumm, S. 127ff.
[7] Die Texte sind folgender Seite entnommen: http://gedichte.xbib.de/gedicht_Platen.htm.
- Arbeit zitieren
- Sebastian Meng (Autor:in), 2012, Venedig im Gedicht , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208683