Mit seinem Werk „Asylums: Essays on the Social Situation of Mental Patients and Other Inmates“ führte Erving Goffman sein Konzept der totalen Institution ein, das die sozialwissenschaftliche Debatte über Psychiatrien, Krankenhäuser oder Gefängnisse bis heute befruchtet. Nach Goffmans Definition handelte es sich jedoch auch bei einer Vielzahl anderer Einrichtungen wie Internate, Schiffe oder Klöster um totale Institutionen. Dass sein Konzept ein so breites Spektrum abdeckte, brachte Goffman nicht ausschließlich Anerkennung, sondern auch Kritik anderer Sozialwissenschaftler ein.
Um Goffmans Modell zu differenzieren, wurden daher verschiedene alternative Modelle der Kategorisierung totaler Institutionen vorgeschlagen. Die Sozialwissenschaftlerin Christie Davis nennt nennt in diesem Zusammenhang „the degree of openness or closedness of each institution“ (Davies 1989: 83), deren Ausprägung im Wesentlichen davon abhängt, ob der Beitritt zur Institution erzwungenermaßen oder aber aus freien Stücken erfolgt und unter welchen Umständen ein Austritt möglich ist. In dieser Hinsicht unterscheiden sich beispielsweise die totalen Institutionen Gefängnis und Schiff recht deutlich voneinander. Während sich Gefängnisinsassen den Zeitpunkt ihres Ein- und Austritts nicht selbst aussuchen können, begeben sich Passagiere freiwillig an Bord eines Schiffes und können es (wenn auch nicht immer sofort, so doch zumindest im nächsten Hafen) verlassen.
Wie beeinflusst die Offenheit oder Geschlossenheit einer Institution jedoch das Verhalten ihrer Mitglieder und deren Identifikation mit den offiziellen Zielen der jeweiligen Einrichtung? Für die Beantwortung dieser Frage werde ich mich auf das von Goffman beschriebene Unterleben totaler Institutionen konzentrieren. Meine These ist es, dass eine solche Ausbeutung des Systems in offenen totalen Institutionen wegen der Möglichkeit eines Austritts nicht bzw. nur äußerst selten stattfindet.
Ausgehend von einer Beschreibung der in Asyle dargelegten Anpassungsmechanismen und des Konzepts des Unterlebens werde ich die Fragestellung mit Hilfe zentraler Erkenntnisse der Organisationssoziologie bezüglich der Mitgliedschaftsmotivationen und Verhaltenserwartungen zu beantworten versuchen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Unterleben totaler Institutionen
- Der Eintritt in die offene totale Institution
- Sekundäre Anpassung bei freiwilliger Mitgliedschaft?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit den Anpassungsmechanismen von Mitgliedern offener und geschlossener totaler Institutionen, insbesondere mit der Frage, wie die freiwillige Mitgliedschaft das Verhalten der Mitglieder und deren Identifikation mit den Zielen der Einrichtung beeinflusst.
- Goffmans Konzept der totalen Institution und seine Kritik
- Das Unterleben totaler Institutionen und die verschiedenen Anpassungsmechanismen
- Die Bedeutung der freiwilligen Mitgliedschaft für die Identifikation und das Verhalten der Mitglieder
- Die Rolle des Austritts in offenen totalen Institutionen
- Die Bindungskraft der Eintrittsentscheidung in offenen totalen Institutionen
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Arbeit stellt Goffmans Konzept der totalen Institution vor und diskutiert die Kritik von Christie Davies, die auf die Unterschiede zwischen offenen und geschlossenen totalen Institutionen hinweist. Die These der Arbeit lautet, dass eine Ausbeutung des Systems in offenen totalen Institutionen aufgrund der Möglichkeit eines Austritts nicht oder nur selten stattfindet.
Das Unterleben totaler Institutionen
Das Kapitel beschreibt Goffmans Konzept des Unterlebens, das die sekundären Anpassungsmechanismen von Mitgliedern totaler Institutionen beinhaltet. Die Arbeit führt Beispiele für solche Mechanismen an, die Goffman in seiner Studie beobachtet hat.
Der Eintritt in die offene totale Institution
Der Fokus liegt auf der freiwilligen Mitgliedschaft in offenen totalen Institutionen. Die Arbeit unterscheidet zwischen verschiedenen Formen der freiwilligen Mitgliedschaft und erläutert die Bedeutung der Identifikation mit den Zielen der Institution für den Eintritt.
Sekundäre Anpassung bei freiwilliger Mitgliedschaft?
Dieses Kapitel untersucht, ob und wie sekundäre Anpassungsmechanismen in offenen totalen Institutionen vorkommen. Die Arbeit argumentiert, dass die hohe Identifikation mit der Institution und der eigenen Rolle die Ausbeutung des Systems unwahrscheinlich macht, da ein Austritt die ursprüngliche Eintrittsentscheidung in Frage stellen würde.
Schlüsselwörter
Totale Institutionen, Goffman, Unterleben, Anpassungsmechanismen, sekundäre Anpassung, offene Institution, geschlossene Institution, freiwillige Mitgliedschaft, Identifikation, Austritt, Bindungskraft.
- Arbeit zitieren
- Tobi Remsch (Autor:in), 2012, Anpassungsmechanismen der Mitglieder offener und geschlossener totaler Organisationen , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209059