Die formalen Gestaltungsprinzipien in der Malerei, mit der man zu einer neuen Sicht der Darstellung gelangen wollte, haben seit der Wiederentdeckung der klassischen Antike zur Zeit der Renaissance eine enorme Entwicklung durchgemacht. Die antiken literarischen Texte, die von den Humanisten wieder entdeckt wurden und damit auch ins Interesse von Künstlern und Literaten rückten, wurden bei der Gründung von Akademien zu einem künstlerischen Kanon stilisiert, der über Jahrhunderte hinweg für die bildenden Künstler allgemeingültig bleiben sollte. Die Gestaltungsprinzipien der Malerei, gegen die sich die Maler im 19. Jahrhundert auflehnten, wurden im Grunde also schon in der Renaissance angelegt, wobei man seine Kenntnisse vor allem durch genaue Naturbeobachtungen gewann. Eben das Studium der Natur verliert im Barock und später im Klassizismus an Bedeutung, da der klassische Kanon zu einer festen Lehre geworden und auch die Mimesis zu einer Kunstformel verkommen ist, dank derer man sich dem Naturstudium entziehen konnte. Die in der Literatur als erste Akademie geltende „Academia del Disegno“, in Florenz, die den traditionellen klassischen und theoretischen Fächerkanon wie Geometrie, Perspektive und Anatomie lehrte, wurde von Giorgio Vasari um die Mitte des 16. Jahrhunderts gegründet. Vasari verfolgte mit der Gründung der Akademie die Institutionalisierung und Systematisierung der künstlerischen Ausbildung., bei der neben der praxisbezogenen Werkstattsausbildung auch die theoretischen Fächer gelehrt werden sollten. Der klassische Lehrkanon umfasste folgende Kategorien: Perspektive, Umriss, Proportion, Bewegungs- und Ausdruckslehre, Anatomie, Komposition, Licht und Schatten, sowie Farbe, die vor allem bei den Niederländern und den Deutschen Bedeutung erlangte. Ende des 17. Jahrhunderts traten Änderungen hinsichtlich der Künstlerausbildung ein. Die Pariser „Académie de Peintre et de Sculpture“, 1648 gegründet, wurde 1664 zu einem politischen Kontrollorgan umfunktioniert. Das bedeutete, dass die dort entstehende Kunst dem König dienlich sein musste und einzig und allein für sein Ansehen entwickelt wurde. An der Pariser Akademie wurde ein genauer Lehrplan entwickelt, der vorschrieb, dass der Lehrling erst nach Zeichnung, dann nach Gips und letztendlich nach lebendem Modell zu zeichnen habe.
Marcel Proust, Im Atelier Elstirs: Die Poetik des Impressionismus in der Recherche
1. Einleitung:
Das formale Gestaltungsprinzip von der Renaissance bis zur impressionistischen Malerei
Die formalen Gestaltungsprinzipien in der Malerei, mit der man zu einer neuen Sicht der Darstellung gelangen wollte, haben seit der Wiederentdeckung der klassischen Antike zur Zeit der Renaissance eine enorme Entwicklung durchgemacht. Die antiken literarischen Texte, die von den Humanisten wieder entdeckt wurden und damit auch ins Interesse von Künstlern und Literaten rückten, wurden bei der Gründung von Akademien zu einem künstlerischen Kanon stilisiert, der über Jahrhunderte hinweg für die bildenden Künstler allgemeingültig bleiben sollte. Die Gestaltungsprinzipien der Malerei, gegen die sich die Maler im 19. Jahrhundert auflehnten, wurden im Grunde also schon in der Renaissance angelegt, wobei man seine Kenntnisse vor allem durch genaue Naturbeobachtungen gewann. Eben das Studium der Natur verliert im Barock und später im Klassizismus an Bedeutung, da der klassische Kanon zu einer festen Lehre geworden und auch die Mimesis zu einer Kunstformel verkommen ist, dank derer man sich dem Naturstudium entziehen konnte. Die in der Literatur als erste Akademie geltende „Academia del Disegno“, in Florenz, die den traditionellen klassischen und theoretischen Fächerkanon wie Geometrie, Perspektive und Anatomie lehrte, wurde von Giorgio Vasari um die Mitte des 16. Jahrhunderts gegründet. Vasari verfolgte mit der Gründung der Akademie die Institutionalisierung und Systematisierung der künstlerischen Ausbildung.[1], bei der neben der praxisbezogenen Werkstattsausbildung auch die theoretischen Fächer gelehrt werden sollten. Der klassische Lehrkanon umfasste folgende Kategorien: Perspektive, Umriss, Proportion, Bewegungs- und Ausdruckslehre, Anatomie, Komposition, Licht und Schatten, sowie Farbe, die vor allem bei den Niederländern und den Deutschen Bedeutung erlangte.[2] Ende des 17. Jahrhunderts traten Änderungen hinsichtlich der Künstlerausbildung ein. Die Pariser „Académie de Peintre et de Sculpture“, 1648 gegründet, wurde 1664 zu einem politischen Kontrollorgan umfunktioniert. Das bedeutete, dass die dort entstehende Kunst dem König dienlich sein musste und einzig und allein für sein Ansehen entwickelt wurde. An der Pariser Akademie wurde ein genauer Lehrplan entwickelt, der vorschrieb, dass der Lehrling erst nach Zeichnung, dann nach Gips und letztendlich nach lebendem Modell zu zeichnen habe. Als im Zuge der französischen Revolution die Pariser Akademie geschlossen wurde, existierte die konservativ klassizistische akademische Kunstauffassung auch noch nach der Schließung im Lande weiter. Allerdings entsprach die nun doktrinäre Kunstlehre der Renaissance nicht mehr der Seherfahrung von damals, da durch die beginnende Industrialisierung die Wahrnehmungen des Betrachters hinsichtlich der zunehmenden Beschleunigung der Umwelt beeinflusst wurden. Es formierten sich nun künstlerische Gegenbewegungen, die sich gegen die akademische Ausbildung zur Wehr setzten. Die Impressionisten begannen nun die exakte Berechnung von Perspektive, Proportion und Komposition aufzugeben, wie sie für den strengen Akademismus wichtig waren. Stattdessen lösten sie nun anhand ihres momentanen Eindrucks ihrer Umwelterfahrung die Gestaltungsprinzipien der Form nach auf. Die Farbe fungiert als Ausdrucksmittel.
2. Die impressionistische Poetik bei Proust
Charakteristisch für die Textpassage ist die kunstvolle Einbettung nicht-literarischer Ästhetik in einen narrativen Kontext. Neben Musik und Architektur an anderen Stellen der Recherche wird in diesem Fall die Kunst und spezieller der Impressionismus anhand des Malers Elstir auf eine metapoetische Ebene gestellt. Elstirs Maltechnik wird gleichbedeutend mit Prousts angewandtem Erzählverfahren.
« (…) l’effort d’Elstir de ne pas exposer les choses telles qu’il savait qu’elles étaient mais selon ces illusions optiques dont notre vision première est faite (…)[3] »
Elstir geht von einem völlig unvoreingenommenen ersten Eindruck aus und versucht, dieser vision première jegliches vorgefertigtes und mit bestimmten Stereotypen behaftetes Wissen zu nehmen. Sobald es gelingt, sich von den Begriffen zu lösen, kann die vision première einen optischen Eindruck auslösen. Laut Bergson vollzieht der Maler eine Befreiung von Vorurteilen, die zwischen der Wahrnehmung und der Wirklichkeit verankert sind.[4] Die Aufgabe der Kunst besteht darin, die Natur zu offenbaren.
« Mais les rares moments où l’on voit la nature telle qu’elle est, poétiquement, c’était de ceux-là qu’était faite l’œuvre d’Elstir.[5] »
Die Leistung Elstirs Werk kennzeichnet sich dadurch aus, dass ihm alles Gegenständliche entzogen wurde und dadurch eine Erfahrung mit der Natur ermöglicht wird, die als reine Poesie erlebt wird. John Ruskin, dessen Texte Proust übersetzte und der ihn nachhaltig beeinflusste, spricht von der „Unschuld des Auges“.[6] Durch ein unschuldiges Sehen wird die visuelle Wahrnehmung von Klischees befreit und vermittelt dem Betrachter des Kunstwerks Erkenntnis. Durch die Metamorphose, die darin besteht, den Dingen ihren Namen zu nehmen und ihnen einen anderen zu geben, wird diese visuelle Wahrnehmung erst erreicht.
[...]
[1] Vgl. Vasari, Giorgio, 2004, Kunsttheorie und Kunstgeschichte: Eine Einführung in die Lebensbeschreibungen berühmter Künstler anhand der Proemien. Hg. von Matteo Burion und Sabine Feser. Berlin. S. 14.
[2] Vgl. Mayr, Monika, 2001, Ut pictura descriptio? : Poetik und Praxis künstlerischer Beschreibung bei Flaubert, Proust, Belyi, Simon. Tübingen. S. 44.
[3] JF II (1987): S.227
[4] vgl. Imdahl (2003): S.26
[5] JF II (1987): S.224
[6] vgl. Imdahl (2003): S.27
- Quote paper
- Alexander Kraus (Author), 2007, Die Poetik des Impressionismus in der Recherche. Marcel Prousts "Im Atelier Elstirs", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209520