Seit jeher wurden die spätantiken Quellen der sagenumwobenen Geschichte Trojas als
Brunnen literarischen Schaffens genutzt, um den Krieg um die Stadt Troja und deren
endgültige Zerstörung immer wieder neu zu erdichten. Sowohl die mittelhochdeutsche als
auch die altfranzösiche und die mittellateinische Trojadichtung stützten sich zu diesem
Zwecke mehr oder weniger auf die spätantiken Quellen und deren Adaptionen, die
insbesondere den Kriegsverlauf aus einseitiger, parteiergreifender Perspektive schilderten.1
Auf diese Weise blieb der trojanische Sagenstoff über Jahrhunderte hinweg literarisch
erhalten und konnte schließlich im 16. Jahrhundert über die Werke des Hans Sachs mittels der
öffentlichen Bühne einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden.
Der am 5. November 1494 geborene Hans Sachs, der aufgrund seines Berufes als
„Schusterpoet“ bekannt wurde – und geblieben ist -, verarbeitete für seine hohe Anzahl an
Fastnachtspielen, Spruchgedichten, Historien, Tragödien und Komödien eine Fülle von
geistlichen und weltlichen Stoffen. „Bibel, weltliche Literatur mit ihren Unterabteilungen
Dichtung und Geschichtsschreibung und, gesondert davon, die Schwankliteratur“2 standen
ihm als Quelle zur Verfügung, aus der er mit vollen Händen zu schöpfen wusste. Er wurde
nicht müde, die Themen aus der griechisch-römischen Antike, die er durch Übersetzungen
kennengelernt hatte3, zu verarbeiten und ein und denselben Stoff mit unterschiedlicher
Schwerpunktausrichtung verschiedentlich darzubieten. Auf diesem Wege gestaltete Sachs aus
dem Trojastoff über Jahrzehnte hinweg zwei Spruchgedichte, zwei Historien und zwei
Dramen.4 Als erstes Werk dieses Stoffkreises erschien 1532 das „Judicium Paridis5“, das als
letzte Komödie der frühen Schaffensphase Sachs’ gilt6 und im folgenden, nach einigen
notwendigen Erläuterungen, einer näheren Betrachtung hinsichtlich der Sachs’schen
Dramentechnik unterzogen werden soll.
1 Vgl. Kindlers Literaturlexikon, Bd. XI. Werke Tran – Z, Zürich 1970, S. 9586-9588.
2 Klein 1988, S. 40
3 Bernstein 1993, S. 115
4 1532 (Komödie): Das judicium Paridis; 1545 (Historia): Die zerstörung der mechtigen statt Troya;
1554 (Tragödie): Die zerstörung der statt Troya von den Griechen; 1558 (Historie): Hecuba, die königin
zu Troya; 1559 (Spruchgedicht): Die erschröcklich troyanisch nacht; 1561 (Spruchgedicht): Der traum
Paridis.
5 Der genaue Titel lautet: „Ein comedi, das judicium Paridis, hat 15 personen und 5 actus“
6 Stuplich 1998, S. 64
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Judicium Paridis
2.1 Quelle
2.2 Inhalt
2.3 Dramentechnische Mittel
3. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Seit jeher wurden die spätantiken Quellen der sagenumwobenen Geschichte Trojas als Brunnen literarischen Schaffens genutzt, um den Krieg um die Stadt Troja und deren endgültige Zerstörung immer wieder neu zu erdichten. Sowohl die mittelhochdeutsche als auch die altfranzösiche und die mittellateinische Trojadichtung stützten sich zu diesem Zwecke mehr oder weniger auf die spätantiken Quellen und deren Adaptionen, die insbesondere den Kriegsverlauf aus einseitiger, parteiergreifender Perspektive schilderten.[1] Auf diese Weise blieb der trojanische Sagenstoff über Jahrhunderte hinweg literarisch erhalten und konnte schließlich im 16. Jahrhundert über die Werke des Hans Sachs mittels der öffentlichen Bühne einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden.
Der am 5. November 1494 geborene Hans Sachs, der aufgrund seines Berufes als „Schusterpoet“ bekannt wurde – und geblieben ist -, verarbeitete für seine hohe Anzahl an Fastnachtspielen, Spruchgedichten, Historien, Tragödien und Komödien eine Fülle von geistlichen und weltlichen Stoffen. „Bibel, weltliche Literatur mit ihren Unterabteilungen Dichtung und Geschichtsschreibung und, gesondert davon, die Schwankliteratur“[2] standen ihm als Quelle zur Verfügung, aus der er mit vollen Händen zu schöpfen wusste. Er wurde nicht müde, die Themen aus der griechisch-römischen Antike, die er durch Übersetzungen kennengelernt hatte[3], zu verarbeiten und ein und denselben Stoff mit unterschiedlicher Schwerpunktausrichtung verschiedentlich darzubieten. Auf diesem Wege gestaltete Sachs aus dem Trojastoff über Jahrzehnte hinweg zwei Spruchgedichte, zwei Historien und zwei Dramen.[4] Als erstes Werk dieses Stoffkreises erschien 1532 das „Judicium Paridis[5] “, das als letzte Komödie der frühen Schaffensphase Sachs’ gilt[6] und im folgenden, nach einigen notwendigen Erläuterungen, einer näheren Betrachtung hinsichtlich der Sachs’schen Dramentechnik unterzogen werden soll.
2. Das Judicium Paridis
2.1 Quelle
Neben den bereits angesprochenen Quellen dienten auch neulateinische humanistische Dramenproduktionen als Vorlage für das Sachs’sche Schaffen, mit deren Verarbeitung der Autor „die dramatischen Experimente des Humanismus in der Volkssprache weiterzuführen“[7] versuchte, und zweifelsohne „die humanistischen Bestrebungen zum Wiedergewinn des Dramas der Antike“[8] popularisierte.
Als literarische Vorlage für Sachs’ Judicium Paridis diente das 1502 erschienene Spectaculum de iudicio Paridis des umstrittenen Humanisten Jakob Locher, seinerzeit als Professor in Heidelberg und Ingolstadt tätig[9], der, durch seinen Lehrer geprägt, im Trauerspiel ein Mittel moralischer Belehrung sah.[10] So sicher das Spectaculum de iudicio Paridis von Locher Hans Sachs als Vorlage für seine Komödie gedient hat, so strittig scheint, ob er das neulateinische humanistische Werk ohne Hilfe übersetzt hat. Wohl geht man davon aus, dass Hans Sachs als Siebenjähriger vom Elternhaus in eine der damaligen Lateinschulen Nürnbergs gesandt wurde[11], in der er laut Weickmann vier Jahre lang lernte, doch wird auch angenommen, dass seine Lateinkenntnisse nicht besonders fundiert waren, wie „die zahlreichen Fehler, die ihm bei der gelegentlichen Verwendung lateinischer Fremdwörter, Eigennamen und Redensarten unterlaufen“ zeigen.[12] An jener humanistisch gelehrten Ausbildung, wie sie den Söhnen der Patrizierfamilien an den Universitäten zukam, hat er sich sicher nicht messen können, allerdings erscheint es möglich, dass er mit Humanisten in Kontakt stand – darauf lassen zumindest die vielen ihm zugänglichen neulateinischen Werke schließen – und somit vielleicht auch einen lateinkundigen Helfer an seiner Seite hatte.[13]
Von dem ihm vorliegenden, in lateinischer Sprache verfassten Vierakter[14] nutzte Sachs die ersten drei Akte für sein Judicium Paridis, allerdings streckte er den Inhalt und verteilte ihn auf vier Akte, denen er einen „Akt mit zeitkritischem Tenor“[15] voranstellte und - wie all seinen Stücken - einen Prolog und einen Epilog beifügte. Thematisiert wird in diesem Stück nicht der Kriegsverlauf, sondern die Vorgeschichte - das vermeintlich falsche Urteil des Paris, welches letztendlich die Zerstörung der Stadt Troja verursacht haben soll.
2.2 Inhalt
Im Prolog, der dem ersten Akt vorangestellt, jedoch eigentlich in ihm integriert ist, da die Zeilen 1-43 nicht explizit als Prolog bezeichnet werden, tritt der Herold, hier ehrnholdt genannt, auf die Bühne, um den ersten Kontakt mit dem Publikum herzustellen. Direkt an sie gerichtet, begrüßt er die Zuschauer, lädt sie ein zu einem „spiel, da man lateinisch hieß das judicium Paridis“[16], welches sie aufmerksam und dennoch zur Belustigung verfolgen sollen, trägt sodann das argumentum vor, welches Auskunft über Anlass, Zweck und Inhalt des Spiels gibt und schließt mit der Aufforderung zum Stillschweigen.[17] Beim Prolog handelt es sich in erster Linie um eine Rede des Herolds, welche die Geschichte, die gezeigt werden soll, nämlich die Urteilsfindung des Paris, einer von dreien Göttinnen einen von Diskordia aus Rache hinterlegten, goldenen Apfel, der nur der schönsten Göttin gebühren soll, zuzusprechen, und dessen Vorgeschichte, kurz zusammenfasst und ist somit nicht mit einer Exposition zu verwechseln.[18]
Nachdem der Herold von der Bühne abgegangen ist, beginnt der erste Akt[19], in dem es jedoch auch - wie schon im Prolog - zu keiner Handlung kommt. Jupiter lässt durch seinen Götterboten Merkur zehn Götter einladen, um ein Fest auf dem Olymp zu feiern. Allerdings soll Diskordia, die Göttin der Zwietracht, „so zwitracht macht on alle scham“[20] nicht eingeladen werden, um den ruhigen Ablauf des Festes nicht zu stören. Während Merkur abgeht, um die Götter zu laden, wird die Zeit der Festvorbereitungen durch einen Monolog Jupiters überbrückt, in welchem seine Erwartungen an das Fest durch die Aufzählung vergleichbarer königlicher Feste verdeutlicht werden.[21] In der Nacht des Festes werden die im Saale versammelten Götter nach anfänglicher Begrüßung und dem Hinweis, das Fest würde dank der Abwesenheit Diskordias nicht gestört, aufgefordert, ihre Meinung über die momentane Situation der Menschheit zu äußern. Die nun folgenden Reden Junos, Minervas, Venus’, Bacchus’, Ceres’, Apollos, Mars und Saturns sind von starkem Reihenspielcharakter, der lediglich durch den Umstand abgemildert wird, dass die Götter innerhalb ihrer Rede, aufeinander Bezug nehmen, indem sie auf das zuvor Geäußerte eingehen oder auch durch Bühnenanweisungen am Ende der Rede. Sachs verwendet „die Revue der Götter, um Mißstände seiner Zeit anzuprangern“[22], stellt in ihrem Namen die menschliche Gier nach Reichtum, die Gleichsetzung von List und Weisheit, sowie betrügerisches und eigennütziges Verhalten fest. Lediglich Venus weiß nichts schlechtes zu berichten, da ihr die Menschen nach wie vor zugetan seien. Diese Aussage und der kleinere Disput mit Jupiter, der Göttin der Weisheit[23] deuten schon auf den Ausgang der Wahl voraus, die Paris erst im fünften Akt treffen wird.
[...]
[1] Vgl. Kindlers Literaturlexikon, Bd. XI. Werke Tran – Z, Zürich 1970, S. 9586-9588.
[2] Klein 1988, S. 40
[3] Bernstein 1993, S. 115
[4] 1532 (Komödie): Das judicium Paridis; 1545 (Historia): Die zerstörung der mechtigen statt Troya; 1554 (Tragödie): Die zerstörung der statt Troya von den Griechen; 1558 (Historie): Hecuba, die königin zu Troya; 1559 (Spruchgedicht): Die erschröcklich troyanisch nacht; 1561 (Spruchgedicht): Der traum Paridis.
[5] Der genaue Titel lautet: „Ein comedi, das judicium Paridis, hat 15 personen und 5 actus“
[6] Stuplich 1998, S. 64
[7] Stuplich 1998, S. 58
[8] Berger 1994, S. 123
[9] Stuplich 1998, S. 64
[10] J. Locher gilt als Schüler des Conrad Celtis, der 1486 die Ars versificandi, die erste Dichtungslehre eines deutschen Humanisten, veröffentlichte, in der sowohl das moralisch-didaktische als auch das rhetorische Element der Tragödien hervorgehoben wird. Vgl. Stuplich 1998, S. 45
[11] Während Weickmann sicher zu sein scheint, Hans Sachs sei von seinem Vater in die Spitalschule geschickt worden, ist Bernstein der Meinung, es ließe sich nicht mit Gewissheit sagen, ob er in die Spitalschule, in die St. Lorenz-, St. Aegidien- oder St. Sebald-Schule gegangen sei. Vgl. Weickmann 1975, S. 9 und Bernstein 1993, S. 23
[12] Berger 1994, S. 12
[13] Zu Venatorius als möglichen Lateinkundigen und Helfer vgl. Stuplich 1998, S. 63
[14] Stuplich 1998, S. 65/66: „Locher stellt seinem Text ein Epigramm ad lectorem voran und macht damit deutlich, dass er das Drama auch als Lesetext eingesetzt wissen will. Es folgt das Argumentum totius spectaculi. Aber auch der Prolog, mit dem der erste Akt beginnt, übernimmt die Funktion eines Arguments. Locher gliedert den Text in vier Akte, eine Szeneneinteilung – wie in anderen neulateinischen Dramen – unterbleibt. Zur Binnengliederung sind wiederum Argumente verwendet, die in Umfang und Aussagekraft variieren, aber einen groben Überblick über den Gang der Handlung vermitteln. Das lateinische Drama schließt mit einer comendatio für jede Göttin und einer conclusio des Autors. Im Druck folgt eine Liste der Akteure. Der lateinische Text ist gut als Rezitationsdrama vorstellbar, weil er sich nicht aus Dialogen, sondern aus einer Abfolge von Prosareden zusammensetzt. In drei Akten behandelt das lateinische Drama die [...] Handlung. Der vierte Akt liefert einen Ausblick auf die Folgen des Urteilsspruchs, denn der betrogene Menelaos und Agamemnon planen den Krieg gegen Troja.“
[15] Ebd. S. 69
[16] Keller 1964, S. 41 V. 9,10
Zwar wird hier auf die lateinische Vorlage verwiesen, die Quelle wird jedoch nicht genannt.
[17] Berger 1994, S. 125/126
[18] Stuplich 1998, S. 325
[19] Keller 1964, S. 42 V. 44 – S. 47 V. 203
[20] Keller 1964, S. 42 V. 53
[21] Zwischen dem Monolog des Jupiter und dem Eintreten der Götter setzt Sachs nicht das Mittel leeren Bühne ein, um den weiteren Zeitverlauf zu demonstrieren und eine szenische Gestaltung vorzunehmen. Der Monolog zur Zeitüberbrückung scheint ihm an dieser Stelle ausreichend zu sein.
[22] Stuplich 1998, S. 67
[23] Keller 1964, S. 44 V. 99-105
- Arbeit zitieren
- Yvonne Vitt (Autor:in), 2003, Die Verarbeitung des trojanischen Sagenstoffs in Hans Sachs' Komödie 'Judicium Paridis', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/20975
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