Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise könnte als Auslöser dafür angesehen werden, über eine Neuordnung, oder – zumindest – über eine Neuorientierung der bestehenden ökonomischen Verhältnisse öffentlich zu diskutieren. Doch ein neuer Geist, der eine Umwälzung der ordnungspolitischen Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich vorantreibt, scheint nicht existent und die „Systemfrage“ somit (noch) umgänglich. Zu stark ist mittlerweile die (soziale) Marktwirtschaft im Denken und Handeln der Menschen und im Gefüge des politischen Systems verwurzelt.
Umso mehr lohnt sich ein Blick zurück. Ein Blick, der bis weit in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und darüber hinaus reicht. Nach der Beendigung des Ersten Weltkrieges wurden neue politische und wirtschaftliche Ideen gesponnen. Als einer der Vorreiter zur Neugestaltung der Wirtschaftsordnung kann Fritz Naphtali gewertet werden, der mit seinen Überlegungen und dem daraus resultierenden Konzept der Wirtschaftsdemokratie eine zentrale Rolle einnahm und dadurch den Gegenstand dieser Hausarbeit bildet. Er und andere führende Sozialdemokraten sowie Gewerkschaftsmitglieder waren es, die das kapitalistische Wirtschaftsystem mittels Reformen schrittweise "demokratisieren" wollten, wobei der Sozialismus das Endziel dieser Bewegung darstellen sollte. Seine Ergebnisse veröffentlichte Naphtali in dem Werk "Wirtschaftsdemokratie: Ihr Wesen, Weg und Ziel". Dabei stand die "überbetriebliche Mitbestimmung in den wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörperschaften, wie etwa in den Industrie- und Handelskammern, sowie die Ausdehnung der öffentlichen Betriebe und der Aufbau von wirtschaftlichen Selbsthilfeorganisationen der Arbeiterschaft" im Vordergrund.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Aufbau
2. Das Konzept der Wirtschaftsdemokratie
2.1 Begriffsdefinitionen
2.2 Zur Entstehung der Wirtschaftsdemokratie
2.3 Inhalte und Ziele des Konzeptes
3. Wirtschaftsdemokratie heute?
4. Fazit
5. Bibliographie
Wirtschaftsdemokratie heute?
Kontinuität und Wandel des Konzeptes Fritz Naphtalis Eric Holtschke
1. Einleitung
Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise könnte als Auslöser dafür angesehen werden, über eine Neuordnung, oder - zumindest - über eine Neuorientierung der bestehenden ökonomischen Verhältnisse öffentlich zu diskutieren. Doch ein neuer Geist, der eine Umwälzung der ordnungspolitischen Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich vorantreibt, scheint nicht existent und die „Systemfrage“ somit (noch) umgänglich. Zu stark ist mittlerweile die (soziale) Marktwirtschaft im Denken und Handeln der Menschen und im Gefüge des politischen Systems verwurzelt.
Umso mehr lohnt sich ein Blick zurück. Ein Blick, der bis weit in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und darüber hinaus reicht. Nach der Beendigung des Ersten Weltkrieges wurden neue politische und wirtschaftliche Ideen gesponnen. Als einer der Vorreiter zur Neugestaltung der Wirtschaftsordnung kann Fritz Naphtali gewertet werden, der mit seinen Überlegungen und dem daraus resultierenden Konzept der Wirtschaftsdemokratie eine zentrale Rolle einnahm und dadurch den Gegenstand dieser Hausarbeit bildet. Er und andere führende Sozialdemokraten sowie Gewerkschaftsmitglieder waren es, die das kapitalistische Wirtschaftsystem mittels Reformen schrittweise „demokratisieren“ wollten, wobei der Sozialismus das Endziel dieser Bewegung darstellen sollte. Seine Ergebnisse veröffentlichte Naphtali in dem Werk „Wirtschaftsdemokratie: Ihr Wesen, Weg und Ziel“. Dabei stand die „ überbetriebliche Mitbestimmung in den wirtschaftlichen Selbstverwaltungskörperschaften, wie etwa in den Industrie- und Handelskammern, sowie die Ausdehnung der öffentlichen Betriebe und der Aufbau von wirtschaftlichen Selbsthilfeorganisationen der Arbeiterschaft[1] “ im Vordergrund.
Doch soll es hier weder um die „Systemfrage“, noch um die Verwirklichung des Sozialismus gehen. Die gegenwärtige Krise - das Wort scheint seit über einem Jahr inflationär in Verwendung zu sein - und die daraus entstandene Diskussion über das „richtige“ Wirtschaftsmodell (die wirtschaftsdemokratische Konzeption kann als möglicher alternativer Weg in Betracht gezogen werden) verdeutlichten und verdeutlichen mitunter durchaus große und bemerkenswerte Parallelen zu den einstigen Vorstellungen des am 29. März 1988[2] in Berlin geborenen sozioökonomischen Theoretikers und Denkers Fritz Naphtali. Banken und andere Kreditinstitute werden im großen Stile (teil-)verstaatlicht, den einst riesigen und mächtigen Konzernen mit milliardenschweren Krediten aus der Klemme geholfen und eine Börsenaufsicht ins Leben gerufen. Angesichts einer stetig wachsenden Arbeitslosigkeit und dem drohenden Aus für zahlreiche Betriebe und Unternehmen scheint die Wirtschaftsdemokratie und ihre Konzeption zu neuem Leben zu erwecken. Viele Arbeiter - sofern überhaupt noch von dieser sozialen Schicht gesprochen werden kann - kämpfen um ihren Arbeitsplatz, um ihre Existenz. Nicht selten fordern sie dabei mehr Mitbestimmungsrechte ein, wie es ein Beispiel aus der vogtländischen Kleinstadt Elsterberg belegt: Dort setzten sich die Mitarbeiter des insolventen Viskose-Produzenten „Enka“ für den Erhalt ihres Unternehmens ein, indem die Arbeiter und Angestellten Anteile des Betriebes abkaufen und die Herstellung der Viskose in Eigenregie weiter betreiben wollten[3] - letztendlich ohne Erfolg. Wie viel „Wirtschaftsdemokratie“ steckt im Jahre 2010 noch in den ökonomischen Strukturen? Ist Kontinuität erkennbar, oder dominiert doch der Wandel? Wie ist es um die Wirtschaftsdemokratie heute bestellt?
1.1 Problemstellung
Die vorliegende Hausarbeit möchte im fortlaufenden Text dem Leser einen ausführlichen Einblick in die Thematik der Wirtschaftsdemokratie - entsprechend des zur Verfügung stehenden Umfangs - gewähren. Kernbestandteil dieser Arbeit ist es, die eventuelle Konvergenz oder Divergenz des Konzeptes der Wirtschaftsdemokratie von Fritz Naphtali zwischen dem Zeitraum seiner Entstehung und dem Jahr 2010 darzulegen. Dabei soll vor allem die gegenwärtige Bedeutung des Konzeptes in den Fokus der Betrachtung rücken und der Umfang dessen dargelegt werden.
1.2 Aufbau
Der erste inhaltliche Teil dieser Hausarbeit setzt sich mit dem Konzept zur Wirtschaftsdemokratie Fritz Naphtalis aus dem Jahre 1928 auseinander, in dem seine diesbezüglichen Ideen, Visionen und konkreten Zielsetzungen dargelegt werden. Um den Begriff der Wirtschaftsdemokratie eingrenzen zu können, sind verschiedene Definitionen im Vorfeld dessen notwendig und unabdingbar. Insbesondere wird im ersten Kapitel auf die charakteristischen Grundzüge der Wirtschaftsdemokratie-Konzeption Naphtalis hinsichtlich ihres Wesens und ihrer Inhalte eingegangen, denen ein kurzer historischer Abriss über die Entstehung des Konzeptes voraus geht.
Im daran anschließenden Kapitel beschäftigt sich die Hausarbeit mit dem Status quo des Konzeptes, wobei hier vordergründig die in der Einleitung aufgeworfenen Fragen beantwortet werden sollen. Dem Umfang der Bedeutung des Konzeptes für die heutige Zeit kommt dabei eine zentrale Rolle zuteil. Auch eine eigene, kritische Würdigung der behandelten Thematik ist in diesem Kapitel vorzufinden. Eine Schlussbetrachtung samt Fazit, in der ein kleiner Ausblick über die Zukunft von Naphtalis Wirtschaftsdemokratie gegeben wird, rundet die Hausarbeit ab, ehe sich ein Quellenverzeichnis anschließt.
Als Quellen werden vorwiegend die originalen Werke der Wirtschaftstheoretiker Fritz Naphtali und Fritz Vilmar verwendet, ebenso wird auf gewerkschaftliche, sozialdemokratische sowie linksliberale Literatur zurückgegriffen. Des Weiteren wird aus Zeitungen, Zeitschriften und Reden, die vornehmlich aus Internet-Quellen stammen, zitiert.
2. Das Konzept der Wirtschaftsdemokratie
2.1 Begriffsdefinitionen
Um dem Leser den Einstieg in die Materie zu erleichtern, ist es notwendig, zu Beginn die wesentlichen Begriffe definitorisch festzulegen, um feste und allgemeingültige Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies ist vor allem für die später in der Hausarbeit abgehandelten Themen von großer Bedeutung. Bei der nachfolgenden Betrachtung der verschiedenen Definitionen ist zu erkennen, welch differenzierte Sichtweisen sich in Bezug auf die Wirtschafsdemokratie im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben.
Fritz Vilmar definiert den Begriff wie folgt: „ Wirtschaftsdemokratie ist der Inbegriff aller ökonomischen Strukturen und Verfahren, durch die an die Stelle autokratischer Entscheidungen demokratische treten, die durch die Partizipation der ökonomisch Betroffenen und/oder des demokratischen Staates legitimiert sind.“[4]
[...]
[1] Thum, Horst: Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung. Von den Anfängen 1916 bis zum Mitbestimmungsgesetz 1976, Köln 1991, S. 20.
[2] Riemer, Jehuda: Fritz Perez Naphtali. Sozialdemokrat und Zionist, 1. Auflage, Bleicher 1991, S. 39.
[3] Vgl. Stranz, Thomas: Enka-Schließung. Der Protest wird größer, in: Freie Presse Plauen vom 26. Februar 2009, unter: http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/REGIONALES/1460691.php (abgerufen am 03. März 2010).
[4] Vilmar, Fritz: Wirtschaftsdemokratie – Zielbegriff einer alternativen Wirtschaftspolitik. Kritische Bilanz und Aktualität nach 40 Jahren, in: Fritz Helmedag/Norbert Reuter (Hrsg.): Der Wohlstand der Personen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Karl Georg Zinn, Marburg 1999, S. 189.
- Citation du texte
- B.A. Eric Holtschke (Auteur), 2010, Wirtschaftsdemokratie nach dem Konzept Fritz Naphtali, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/209833