Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Textanalyse
2.1 Erzählgeschehen
2.2 Konfiguration
2.3 Erzählform
3. Gattungstheoretische Einordnung
4. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Ich sitze vor einem Riesenhaufen allerverschiedenster Texte. Ist es richtig, daß eine Novelle länger ist als eine Kurzgeschichte, und ist es richtig, daß eine Kurzgeschichte länger ist, als eine Kürzestgeschichte? Ist es aber auch richtig, daß die Länge nicht den entscheidenden Unterschied ausmacht? Komme ich an die Ansammlung von diesen Geschichten deshalb nicht heran, weil sich ein Reisbreiberg von Gattungstheorien um sie aufgetürmt hat und mich nicht mehr zu den Geschichten durchläßt?“[1]
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem KurzprosatextKatedralen i Münchenaus Per Olov Enquists BuchKatedralen i München och andra berättelser.[2]
Bei diesem Buch handelt es sich um eine Sammlung von insgesamt 28 kurzen Texten, jeweils zwischen weniger als zwei und bis zu 19 Seiten lang, die auf Artikeln beruhen, die Enquist als Journalist während der Olympischen Sommerspiele 1972 in München für die ZeitungExpressenschrieb, und auf anderen Aufzeichnungen des Autors aus dieser Zeit.
Ziel dieser Arbeit soll es sein, auf der Grundlage einer Textanalyse eine Einordnung des ausgewählten Textes im Spektrum der Subgattungen der Gattung Kurzprosa zu versuchen.
Nachdem „die tradierten Kleingattungen im Bereich der Prosa gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunächst an Bedeutung verloren“[3]hatten, nahm deren „Bedeutung und Stellenwert [...] im Laufe des 19. Jahrhunderts [wieder] schubweise zu“.[4]Im 20. Jahrhundert waren die Kleingattungen Objekt umfangreicher Neuerungen und es bildete sich eine Vielzahl neuer Subgattungen heraus.[5]
Dieses Gattungsspektrum ist bislang aber „eher selektiv als integrativ zur Kenntnis genommen worden“,[6]Übersichten über Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Überschneidungen dieser Subgattungen erfassen nicht alle Subgattungen. Versucht man selbst einen Vergleich unterschiedlicher Subgattungstypen und ihrer Definitionen, stellt man oft mehr Verbindungen fest, als bei der Unterschiedlichkeit der Begriffe zunächst zu erwarten ist. Althaus, Bunzel und Göttsche sehen hier ein „historisch variables Spektrum sich überlappender, ablösender und interagierender Formen, dessen changierende Bezeichnungen die wechselnden Schwerpunktsetzungen des poetologischen Diskurses reflektieren.“[7]Weiter sehen Althaus u.a. auch eineFamilienähnlichkeitzwischen unterschiedlichen Formen kurzer Prosa, die es bei „stärker kanonisierten und damit stabileren Gattungen“[8]so nicht gebe.
Eine punktgenaue Einordnung einzelner Kurzprosatexte in eine Subgattung ist daher nicht immer einwandfrei möglich. Dennoch sieht Dieter Lamping es als Fortschritt an, „dass die Notwendigkeit und die Nützlichkeit von Gattungsdefinitionen mittlerweile“ von vielen Literaturwissenschaftlern anerkannt werde.[9]So zitiert er Jürgen Jacobs mit der Aussage,
„so prekär alle Definitionsversuche ausfallen mögen, [seien sie doch] für den Literaturhistoriker unverzichtbar. Sie ermöglichen einmal eine Ordnung des historischen Materials durch die Hervorhebung bestimmter Traditionszusammenhänge, und sie dienen zweitens bei der Betrachtung einzelner Werke als eine Art Leitfaden oder heuristisches Werkzeug der Interpretation.“[10]
Unter Berücksichtigung der vorhandenen Gattungs- und Untergattungstypisierungen soll deshalb der Versuch einer Einordnung unternommen werden.
2. Textanalyse
Im Folgenden werde ich bei der Analyse des KurzprosatextesKatedralen i MünchenSchwerpunkte auf das Erzählgeschehen, die Konfiguration und auf die Erzählform legen, um anschließend eine Subgattungseinordnung vorzunehmen.
2.1 Erzählgeschehen
InKatedralen i Münchengibt Per Olov Enquist, inspiriert durch die Eindrücke des Olympiaparks in München, einen Überblick über die Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit von der Idee Pierre de Coubertins bis zu den Spielen in München 1972. Dabei ist der Text in Rahmen- und Binnengeschehen eingeteilt, wobei das Rahmengeschehen sehr knapp gehalten ist, es umfasst nur zwölf Zeilen am Anfang des zwölfseitigen Textes (S. 18) und sieben am Ende (S. 29).
Das Erzählgeschehen beginnt und endet im Rahmengeschehen 1972 in München. Zu Beginn des Textes ist der Ort durch die Angabe von Oberwiesenfeld[11]direkt angegeben, eine Zeitangabe findet sich hier nicht direkt. Allerdings kann mit entsprechendem Weltwissen durch die Schilderung der Olympiabauten auf 1972 als terminus post quem geschlossen werden. Da der Text 1972 erschienen ist, ist dieses Jahr auch als terminus ad quem zu ermitteln. Im zweiten Teil des Rahmengeschehens am Ende des Textes werden dann aber mit „München 1972“[12]sowohl Ort als auch Zeitpunkt direkt bezeichnet.
Das Binnengeschehen spannt sich zeitlich von 1894 bis 1972, räumlich entwickelt es sich ausgehend von Paris als Geburtsort der Idee der Olympischen Spiele der Neuzeit über die jeweiligen Austragungsstädte der Spiele von 1896 bis 1956 bis nach München. Sowohl Orts- wie auch Zeitangaben sind im Binnengeschehen jeweils als direkte Angaben, meist als Kombination aus Stadtname und Jahreszahl (zum Beispiel „London 1948“[13]) angegeben, teilweise steht die Zeitangabe aber auch in Bezug zur jeweils vorhergehenden (zum Beispiel „I S:t Louis fyra år senare [...]“[14]). Am Ende des Binnengeschehens sind Zeit und Ort genau mit denen des Rahmengeschehens identisch.
[...]
[1]Walter Höllerer, Novelle, Kurzgeschichte und kurze Prosa, von Berlin aus gesehen. In: Iehl, Dominique/ Hombourg, Horst (Hrg.): Von der Novelle zur Kurzgeschichte. Beiträge zur Geschichte der deutschen Erzählliteratur. Frankfurt a. M.: Peter Lang, 1990, S. 49-68. Hier S. 49.
[2]Per Olov Enquist, Katedralen i München och andra berättelser. Stockholm: Norstedts, 1972.
[3]Thomas Althaus/ Wolfgang Bunzel/ Dirk Göttsche, Ränder, Schwellen, Zwischenräume. Zum Standort Kleiner Prosa im Literatursystem der Moderne. In: Althaus, Thomas/ Bunzel, Wolfgang/ Göttsche, Dirk: Kleine Prosa. Theorie und Geschichte eines Textfeldes im Literatursystem der Moderne. Tübingen: Niemeyer, 2007, S. IX-XXVII. Hier S. IX.
[4]Ebd.
[5]Vgl. ebd., S. XVIII.
[6]Althaus u. a., Ränder, Schwellen, Zwischenräume, S. X.
[7]Ebd.
[8]Ebd., S. Xf.
[9]Dieter Lamping, Einführung. In: ders. (Hrg.): Handbuch der literarischen Gattungen. Stuttgart: Kröner, 2009, S. XV-XXVI. Hier S. XXI.
[10]Jürgen Jacobs, Bildungsroman und Pikaroroman. Versuch einer Abgrenzung. In: Hoffmeister, Gerhart (Hrg.): Der moderne deutsche Schelmenroman. Interpretationen. Amsterdam: Rodopi, 1986, S. 9-18. Hier S. 18. Zitiert nach Lamping, Dieter: Einführung, S. XXI.
[11]Vgl. Per Olov Enquist, Katedralen i München. In: ders.: Katedralen i München och andra berättelser. Stockholm: Norstedts, 2010, S. 18-29. Hier S. 18.
[12]Ebd., S. 29.
[13]Ebd., S. 28.
[14]Ebd., S. 22.