Der Vitalsinn: Pflege, Störungen und Handlungsansätze aus waldorfpädagogischer Sicht


Hausarbeit, 2012

17 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Der Vitalsinn
2.1 Funktion
2.2 Entwicklung

3 Pflege und Unterstützung des Vitalsinns
3.1 Ernährung
3.2 Rhythmus
3.3 Umgebung
3.4 Herausforderungen

4 Störungen des Vitalsinns
4.1 Anzeichen
4.2 waldorfpädagogische Handlungsansätze
4.3 Zeitkontext

5 Fazit

6 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Mit zunehmender Beschäftigung mit den Sinnen nach anthroposophischer Menschenkunde fiel mir auf, dass der „Knackpunkt“ der frühen Kind gar nicht so sehr im Tast-, Bewegungs- oder Gleichgewichtssinn liegt; selbstverständlich bedarf es auch hier von Anfang an einer altersentsprechend gestalteten Umgebung - doch das Kind selbst übt und schult nun diese drei genannten Sinne selbsttätig - es (be)greift, es kriecht, krabbelt, schaukelt, dreht sich, kullert sich ... all das kann das Kind von sich aus tun und tut es auch, wenn ihm dafür ausreichend Raum und Zeit gegeben wird.

Der Vitalsinn hingegen wird nicht durch das Kind selbst und seine Tätigkeiten geschult und ausgebildet: Hier zählt viel mehr die Gestaltung von außen, die Rhythmen und Gewohnheiten ganz essentieller Art: Schlafen & Wachen, Essen & Trinken, Zeiten der Anstrengung und der Erholung. Das kleine Kind sucht von sich aus einen ausgeglichenen Zustand, und macht durch quengeln oder weinen aufmerksam auf seinen unausgeglichenen Zustand. Im Laufe der Entwicklung liegt es an den Eltern und Erziehenden, abzuschätzen, wie dringend das kindliche Bedürfnis ist, und ob er das Kind einen kleinen Moment des Unwohlseins aushalten lässt. Eine permanente, bis in das Kindergartenalter fortwährende „Dauerbefriedigung“ der kindlichen Bedürfnisse ist ungesund und verhindert die freie Entwicklung des Kindes. Doch genau das erlebe ich im beruflichen Alltag immer mehr: Kinder, die kleines Unwohlsein nicht aushalten können. Bei kleinsten Herausforderungen - ob nun die kleine Steigung auf dem Weg in den Wald, der Moment des Wartens bis ich ganz Ohr bin, das Aufräumen nach dem Spiel, unbekannte Speisen - geraten sie außer sich und reagieren auch in kleinen, typischen Konflikten im Spiel in einer unangemessenen Intensität. Bei diesen Kindern sind ähnliche Verhaltensweisen bzw. -muster zu beobachten und in Elterngesprächen wurden mir jeweils ähnliche Situationen zuhause, sowie aber auch ähnliche Grundhaltungen in Entwicklungs- und Erziehungsfragen geschildert.

Dies war mir Anlass, einen genaueren Blick auf den Vitalsinn, seine Funktion und Bedeutung zu werfen und dies mit meinem pädagogischen Alltag zu verbinden, ohne allerdings auf konkrete Fallbeispiele einzugehen.

2 Der Vitalsinn

2.1 Funktion

„Sie nehmen nicht die Lebensvorgänge selber wahr, sondern Sie nehmen vom Lebenssinn dasjenige wahr, was als Gefühl davon vorhanden ist, was Sie nicht wahrnehmen, wenn Sie schlafen. Es ist das, was Sie als innere Behaglichkeit beim Wachen wahrnehmen, was nur gestört ist, wenn einem irgend etwas weh tut in seinem Innern(Steiner 1920, S. 13)

Der Vitalsinn ist der Sinn, den wir also gar nicht in seiner Tätigkeit wahrnehmen, sondern als Gefühl, welches er aufgrund der Tätigkeit unserer physischen Lebensprozesse vermittelt. Er meldet an uns ein Ungleichgewicht, das Verlassen eines Wohlbefindens, und informiert uns über Hunger, Durst, Erschöpfung und Müdigkeit. Oder auch über Aufgekratztheit und Übersättigung.

Als Gefühl vermittelt uns der Vitalsinn darüber hinaus noch etwas viel bedeutsameres: Unser Körpergefühl, konkret: wie wir uns in unserem Körper zuhause fühlen. Dieses Gefühl beeinflusst unser gesamtes Leben, körperlich, seelisch und geistig, beeinflusst unsere Bewusstseinsentwicklung, unsere sozialen Beziehungen, unsere Entscheidungen.

Als „Wächter" über Puls, Atmung und Blutdruck informiert uns der Vitalsinn außerdem darüber, ob wir gesund oder krank sind, und anhand der Erfahrungen, die dieser Sinn unser Leben lang gemacht hat, ordnet er dies auch nach Bedrohlichkeit ein und veranlasst entsprechende Reaktionen.

Der Vitalsinn ist in seiner Funktion also unser körpereigenes Überwachungs- und Warnsystem. (vgl. Soesmann 1995, S. 29ff).

2.2 Entwicklung

Damit der Vitalsinn seine Wächter-Funktion übernehmen kann, muss er zunächst einmal lernen, wann er über etwas informieren oder vor etwas warnen muss, d.h., wann eine Abweichung des „Normalzustandes" vorliegt. Die Anthroposophie nennt hier den Geistesmensch, der sozusagen als über-irdische Instanz den Zustand kennt, in dem alles „richtig“ ist. (vgl. Soesmann 1996, S. 33f). Dies erwähne ich hier nur am Rande, da es in dieser Arbeit nicht um die esoterischen, sondern die ganz irdischen Zusammenhänge von Sinnesentwicklung, -pflege und -funktion gehen soll.

Soesmann verweist in seinen Ausführungen über den Lebenssinn immer wieder auf den Schmerz. Schmerz nicht nur in dem Sinne „hier tut etwas weh“, sondern auch im Sinne von Anstrengung oder von etwas aushalten müssen und können.

Dieser recht weitläufige Begriff von Schmerz ist die Grundlage der Entwicklung des Vitalsinns. Zu den unteren Sinnen gehörend entwickelt sich der Vitalsinn im ersten Lebensjahrsiebt zeitgleich mit dem Ätherleib, dem Lebenskräfteleib. Alles, was in diesen ersten sieben Lebensjahren erlebt, erfahren, ausgehalten und gemeistert wird, prägt den Vitalsinn und den Ätherleib des Kindes gleichermaßen für das ganze Leben. Ein „Umlernen“ ist später zwar möglich - aber mühsam.

Und wie das Immunsystem, wie der Sehsinn, ja wie alle anderen Sinne benötigt auch der Vitalsinn einen gewissen Widerstand, an dem er sich überhaupt erst erproben kann. Dieser Widerstand muss dem Kind in angemessenem Rahmen von den Erziehenden angeboten werden. Konkret heißt das, der Erwachsene ist auch hier Gestalter der kindlichen Umgebung, und zwar so, dass dem Kind ermöglicht wird, einen Zustand der „Behaglichkeit“, wie Steiner es nennt, zu verlassen, und das Gefühl des dadurch entstehenden Unbehagens zu erleben und auszuhalten.

„Mitte kann nur erfahren werden, indem sie durch kleinere oder größere Abweichungen umspielt wird, Grenzen nur, wenn sie berührt oder überschritten werden(Auer 2007, S. 31).

3 Pflege und Unterstützung des Vitalsinns

3.1 Ernährung

Die Ernährung und konkret die Nahrungsaufnahme beinhalten mehrere Aspekte in Zusammenhang mit dem Vitalsinn.

1. Das Gefühl von Hunger und Durst, welches der Vitalsinn meldet, ebenso wie das Gefühl von Übersättigung
2. Die Nahrung selbst ist ein „Widerstand", an dem der gesamte menschliche Organismus und besonders auch der Vitalsinn wachsen und reifen kann.
3. Die Gestaltung der Mahlzeiten.

Zunächst zu Punkt 1. Wir spüren Hunger und Durst. Es besteht also ein Zustand der Unausgeglichenheit, wir spüren einen Mangel, sind nicht in einem „Wohlgefühl". Also essen und/oder trinken wir etwas, um in den ausgeglichenen Zustand zurückzukehren. Manchmal essen und/oder trinken wir auch zu viel, und befördern uns geradewegs in den nächsten unbehaglichen Zustand, in eine Übersättigung - es ist mitunter auch für uns Erwachsene eine Herausforderung, die Mitte zu finden, was deutlich macht, wie wenig wir das von einem Kind verlangen können, mit dem Argument zur „selbstständigen Erziehung" !

Den Zustand der Behaglichkeit, des Wohlbefindens kennen- und erfahren lernen ist nur möglich durch das Erfahren des „Unwohlseins", des Unbehagens. Nun wird sich ein Kind, das beispielsweise bei jedem Quengeln sofort gefüttert wird, über kurz oder lang an die Übersättigung als Zustand des „Wohlbefindens" gewöhnen, nach welchem sich dann der Vitalsinn fälschlicherweise richtet. Es wird abhängig von seinen leiblichen Bedürfnissen (vgl. Auer 2007, S. 31f). Zuallererst ist es also Aufgabe der Mutter, abzuschätzen, oder besser noch ganz intuitiv - wir berühren hier auch wieder den Geistmensch - zu wissen, wann ihr Kind wirklich Hunger hat, wann es Zeit ist, und wann es genug ist. Dies ist eng verbunden mit dem Punkt 3.2 (Rhythmus), auf den ich später eingehe. Nur in dem Pendeln zwischen Hunger und Sättigung erfährt das Kind den Zustand der Ausgeglichenheit, in dem es weder das eine, noch das andere spürt, und der Vitalsinn, ganz unbemerkt vom Bewusstsein, seine Tätigkeit verrichtet.

[...]

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Der Vitalsinn: Pflege, Störungen und Handlungsansätze aus waldorfpädagogischer Sicht
Hochschule
Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter  (Bildungswissenschaft)
Veranstaltung
Anthroposophische Sinneslehre
Note
2,3
Autor
Jahr
2012
Seiten
17
Katalognummer
V210165
ISBN (eBook)
9783656384281
ISBN (Buch)
9783656387343
Dateigröße
480 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
vitalsinn, pflege, störungen, handlungsansätze, sicht
Arbeit zitieren
Lisa Georg (Autor:in), 2012, Der Vitalsinn: Pflege, Störungen und Handlungsansätze aus waldorfpädagogischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210165

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