Leseprobe
Inhalt
Vorwort
1. Vorüberlegungen zu den Begriffen Angst und Furcht
1.1. Differenzierung von Angst und Furcht
1.2. Angst: Das Tor zur Unendlichkeit der Welt
1.2.1. Die Angst vor dem In-der-Welt-sein
1.2.2. Angst als Freiheitsbewusstsein
2. Freiheit und Verantwortung
2.1. Zur Verantwortung verurteilt
2.2. Der handelnde Mensch
2.3. Hans Jonas‘ Ansatz einer zeitgemäßen Ethik
2.3.1. Die zentrale Forderung
2.3.2. Heuristik der Furcht
2.3.3. Hans Jonas‘ Verantwortungsbegriff
3. Abschließende Betrachtung
Literatur.
Angst, Freiheit und Verantwortung
Vorwort
Angst, Freiheit und Verantwortung: Drei große Begriffe, die vielfach besetzt sind. Angst beispielsweise ist, gerade in der heutigen Zeit, ein Begriff, der in der Psychologie besondere Aufmerksamkeit bekommt. Viele Menschen fühlen sich ängstlich – sie sehen sich existenziellen Nöten ausgesetzt. Sie finden sich in einer Welt wieder, die sich immer schneller zu drehen scheint. Viele haben Angst, den Anschluss zu verlieren. Die Menschen fühlen sich haltlos.
Diese Ängstlichkeit geht in der Folge oft mit einem subjektiv wahrgenommenen Freiheitsverlust einher. Unter der Diktatur der Angst, so kann man sagen, verlieren viele Menschen die Fähigkeit, freie Entscheidungen zu treffen. Sie sehen sich in den Determinismus gezwungen und geben vergleichsweise viel Entscheidungsgewalt an externe Faktoren ab.
Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es nun, eine existenzphilosophische Perspektive einzunehmen, um das Problemfeld Angst, Furcht, Freiheit und Verantwortung aus einem Betrachtungswinkel heraus zu diskutieren, der uns letzten Endes zu angstbefreiten und frei entscheidenden Menschen macht, welche die Angst eher auf ihr Potential hin deuten als auf ihre Negativeffekte. Ein hoher Anspruch! Und in letzter Instanz kann diese Abhandlung auch nur die Grundlagen legen. Es liegt an jedem Einzelnen selbst, die Ideen, die hier vermittelt werden sollen, mit konkreten Inhalten zu füllen.
Entstehungshintergrund dieser Arbeit ist ein Hauptseminar am Institut für Philosophie und Ethik der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg mit dem Titel ‚Wofür ist Verantwortung zuständig?‘, das im Sommersemester 2012 von PD Dr. Mirko Wischke angeboten wurde. Ihm gilt besonderer Dank für die Durchsicht dieser Arbeit, sowie für die angenehme Zusammenarbeit und fachliche Beratung.
1. Vorüberlegungen zu den Begriffen Angst und Furcht
1.1. Differenzierung von Angst und Furcht
Unter dem Begriff der Angst verstehen wir allgemein ein Gefühl, das mit der Vorstellung künftiger Übel einhergeht. Synonym dazu gebraucht die Alltagssprache den Begriff der Furcht. Wir fürchten uns vor Spinnen oder haben Angst, zu versagen: Die Gefühle von Angst und Furcht sind einer unserer ständigsten Begleiter und haben, gerade deshalb, auch eine philosophische Auseinandersetzung erfahren.
Sucht man nach Deutungen der Begriffe Angst und Furcht, gelangt man unweigerlich zum deutschen Philosophen und Martin Heidegger (1889-1976). In Sein & Zeit (Tübingen 1967) stellt er verschiedene Überlegungen zur Angst an. So schreibt er in Paragraph 40:
„Das Wovor der Angst ist völlig unbestimmt. […] Nichts von dem, was innerhalb der Welt zuhanden und vorhanden ist, fungiert als das, wovor die Angst sich ängstet […]. Dass das Bedrohende nirgends ist, charakterisiert das Wovor der Angst.“
Nun unterscheidet Heidegger zwischen den Begriffen von Angst und Furcht.
Dem Begriff der Furcht schreibt Heidegger, im Gegensatz zur Angst, eine grundlegend andere Eigenschaft zu: Furcht ist immer die Furcht vor etwas – Angst hat kein bestimmtes Wovor. Fürchten kann man sich nur vor etwas konkretem, während die Angst unbestimmt ist. Heidegger spricht von der Angst als eine Angst vor nichts, vor etwas Nicht-Seiendem, also vor nichts, das konkret in unserer Welt existiert. Eine zunächst recht ungenaue Bestimmung, die im Verlauf der Arbeit jedoch noch präzisiert wird. Bevor der Begriff der Angst im Detail diskutiert wird, soll zur besseren Differenzierung an dieser Stelle zunächst detaillierter auf Heideggers Verständnis der Furcht eingegangen werden.
In § 30 von Sein & Zeit unterscheidet er in drei Momente der Furcht: Jede Furcht ist eine Furcht vor etwas (a), das eigentliche Fürchten ist „das-sich-angehen lassende Freigeben des […] Bedrohlichen“[1] (b) und Jede Furcht ist auch ein Fürchten um etwas (c).[2]
Wie bereits angeführt, bezieht sich die Furcht auf etwas Konkretes - jede Furcht ist eine Furcht vor etwas (a). Wir können, ganz im Gegensatz zur Angst, das Furchtbare bestimmen. Wir können es lokalisieren und erkennen, wie es sich nähert. Es ist etwas Innerweltliches, etwas real Existierendes also, das uns bedrohlich erscheint. Wann immer die Möglichkeit besteht, dass uns das Übel treffen könnte, weil es sich uns nähert, empfinden wir Furcht vor dem Bedrohlichen – selbst wenn wir wissen, dass uns das Bedrohliche nicht unmittelbar trifft, jedoch in unserem Umfeld wirken wird, empfinden wir Furcht. Luckner (1997) schreibt in seinem einführenden Kommentar zu Sein & Zeit: „Die Unsicherheit des Betroffen- bzw. Nichtbetroffenwerdens durch das Bedrohliche ist konstitutiv für die Furcht.“[3] Gerade weil wir nicht wissen, ob es uns treffen wird oder nicht, fürchten wir uns.
Dieser konkrete Bezug zum antizipierten Übel und die Unsicherheit des Betroffenwerdens gehen mit einer bestimmten Art und Weise her, die eigene Umwelt zu erleben. Das eigentliche Fürchten kann verstanden werden, als „das-sich-angehen lassende Freigeben des […] Bedrohlichen“[4] (b). Vor dem Fürchten steht kein Moment der Feststellung, dass etwas bedrohlich ist. Im Moment der Furcht ist man bereits Betroffener. Heidegger spricht in diesem Zusammenhang von der Furcht als einen Modus der Befindlichkeit.[5] Dieser erschließt die Welt in einer Weise, die postuliert, dass sich-Näherndes bedrohlich ist.
Es gilt zu beachten, dass jede Furcht nicht nur Furcht vor etwas, sondern genauso auch Furcht um etwas ist (c). Das Gefährdete gehört zur Furcht genauso wie das Bedrohliche. Bemerkenswert ist, dass, so Heidegger, das Gefährdete immer das Dasein als Ganzes ist. Dies schließt die konkrete Mit- und Umwelt wie Eigentum und Freunde mit ein.
Wir haben es demnach mit zwei unterschiedlichen Phänomenen zu tun. Das eine Phänomen der Furcht, das ganz konkret benennbares Unglück antizipiert und von Heidegger durch drei wesentliche Momente bestimmt ist - und das andere Phänomen der Angst, die sich vor etwas zu fürchten scheint, das nicht real in unserer Welt existiert. Die sich, wie wir oben unbefriedigend feststellten, vor nichts ängstet.
1.2. Angst: Das Tor zur Unendlichkeit der Welt
Wie genau kann man sich das Nichts vor dem sich die Angst ängstet vorstellen? Man könnte verkürzt sagen, dass sich die Angst sich vor keinem bestimmten Objekt in unserer Umwelt ängstet – sie ist quasi Angst aus sich heraus.
Besonders anschaulich lässt sich diese Überlegung anstellen, wenn man sie am Phänomen der Zeit festmacht. Zeit ist nicht umkehrbar, sie geht nur in eine Richtung und wir alle gehen mit. Diese Tatsache gibt uns Geschichte. Sie bedeutet jedoch im selben Moment auch, dass zukünftige Ereignisse nicht antizipierbar sind. Mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten werden in verschiedenen Bereichen (wie der Metrologie oder dem Finanzwesen) zwar kontinuierlich Vorhersagen angestellt. Eindeutige Vorhersagen sind jedoch grundsätzlich unmöglich, beruht das Eintreffen dieser Vorhersagen doch immer auf einer Wahrscheinlichkeit von so und so viel Prozentpunkten. In die Vergangenheit können wir mit mehr oder weniger berechenbarer Sicherheit blicken, was jedoch vor uns liegt entschließt sich unserer sicheren Bestimmung, obwohl es zum Menschen zu gehören scheint, diesen Missstand kompensieren zu wollen. Man kann das eigene Sein (das eigene In-der-Welt-sein), insbesondere vor der Überlegung ungewisser Zukunft, durchaus als diffus bezeichnen. Ohne klare Konturen, ungeordnet und verschwommen, da nicht vorhersehbar.
Die Angst nun ist vor allem Angst vor diesem eigenen diffusen Sein. Der Mensch weiß um seine unsichere Zukunft. Er sieht sich dem Lauf der Zeit, ja seinem gesamten Dasein, hilflos ausgeliefert. Die Behauptung, Angst sei Angst aus sich heraus wird somit erklärbar. Die Angst ist keine unmotivierte Angst, sondern ist vielmehr als Angst vor dem eigenen Sein zu verstehen. In der schmerzhaften Erfahrung, in diese Welt geworfen-zu-sein, manifestiert sich ein Ich, das voller Angst in Richtung Hilflosigkeit und Vergänglichkeit blickt.
Dadurch ist die Angst vor Nichts gleichzeitig auch die Angst vor Allem. Wenn etwas wie das eigene Schicksal Nichts und gleichzeitig auch Alles sein kann, nährt sich die Angst wieder aus derselben Diffusität. Es kann Alles passieren ‑ es gibt keine Erfolgsrezepte und keine Freifahrtscheine - Der Mensch entdeckt voller Angst, in diese fremde Welt geworfen zu sein. Man kann sagen, die Angst beruht auf der beunruhigenden Fremdheit der Welt.[6] Und dabei eben der gesamten Welt, mit ihrem diffusen Sein, das uns keinen prophetischen Ausblick auf die Zukunft ermöglicht, um die Effekte unserer Handlungen bereits vor unseren Entscheidungen zu bewerten. Die beunruhigende Fremdheit der Welt ist Teil unseres gesamten In-der-Welt-seins.
1.2.1. Die Angst vor dem In-der-Welt-sein
Die Angst vor dem Nichts, und hier kommt die Komponente Zeit erneut ins Spiel, äußert sich insbesondere in der Angst vor der eigenen Vergänglichkeit. Zu unserem menschlichen Sein (conditio humana, oder wie Heidegger sagt, zu unserem In-der-Welt-sein) gehört zur Geburt auch das Sterben. Besonders wird dies dem Menschen in der Begegnung mit der eigenen Vergänglichkeit vergegenwärtigt. Alterserscheinungen wie Falten erinnern uns an die eigene Sterblichkeit. Blicken wir in den Spiegel, wird sie uns buchstäblich vor Augen geführt - die Begegnung mit der eigenen Vergänglichkeit ängstigt uns. Unsere physische Existenz wird zwangsläufig mit dem Tod enden. Diesem Umstand sehen wir uns machtlos ausgeliefert – schlimmer noch: Wir können nicht absehen, ob überhaupt etwas, und wenn was genau, danach kommt. Spirituelle Führer haben mit der, immer vermeintlich richtigen, Antwort auf diese beunruhigende Frage ganze Religionen gegründet.
Kann man nun die eigene Sterblichkeit akzeptieren, wenn man die Angst zulässt? Heidegger würde zustimmen. Er erklärt, dass wir vor unserer Angst in den Alltag und den Determinismus flüchten.[7] Indem wir behaupten, von unserer Umwelt bestimmt zu sein, geben wir unserem diffusen Sein einen Rahmen. Wir versuchen, dem eigentlich Konturlosen (diffusen), Kontur und damit Nachvollziehbarkeit zu geben. Sobald wir anhand äußerer, uns zugänglichen Faktoren erklären können, warum wir was wie machen, blenden wir die Effekte der Angst aus und verbannen sie in den Bereich des Hintergrundrauschens. Flucht, so Heidegger, ist aber kein adäquates Mittel gegen diese Angst. Man muss das geworfen-sein, und damit auch die eigene Sterblichkeit, akzeptieren. Und das geschieht zum eigenen Wohl: Ohne den Begriff des Sterbens wäre ein Begriff des Lebens nicht denkbar. Deshalb merkt Heidegger auch an, dass die Angst zwar aus dem In-der-Welt-sein kommt – Die Angst vor dem in-den-Tod-geworfen-sein lässt uns Seiende unser in-der-Welt-sein jedoch erst wahrnehmen.[8]
Der Angst geht es somit um das ganze Dasein mit all seinen Grundstrukturen.[9] Dies schließt unsere Existenz, unser Dasein in seiner einfachen Tatsächlichkeit, mit ein. Das Dasein selbst ist existenzial, also Grundstruktur unseres Daseins. Es läuft von seiner Beschaffenheit her immer Gefahr, sich als Ganzes in der Welt zu verlieren.[10] Wie die Furcht als Flucht vor etwas konkret bedrohlichem charakterisiert ist, ist auch die Angst durch Flucht und Abkehr gekennzeichnet.[11] Dies ist vor allem eine hoffnungslose Flucht zum Innerweltlichen hin.[12] Heidegger sagt: „Das wovor der Angst ist die Welt als solche.“[13] Und das Dasein kann der Welt nicht entfliehen, gerade weil diese ja Strukturmoment des Daseins ist.[14]
[...]
[1] Heidegger (1967), S. 141
[2] Vgl. Luckner (1997), S. 65
[3] Luckner (1997), S. 65
[4] Heidegger (1967), S. 141
[5] Vgl. Heidegger (1967), § 30
[6] Vgl. Enthoven (2012)
[7] Weiterführende Gedanken hierzu finden sich bei J.-P. Sartre (vgl. S. 5 ff.)
[8] Formulierung vgl. Enthoven (2012)
[9] Von Heidegger auch Existenzialien genannt
[10] Vgl. Luckner (1997), S. 81
[11] Vgl. Heidegger (1967), § 30
[12] Vgl. Luckner (1997), S. 82
[13] Heidegger (1967), S. 187
[14] Vgl. Luckner (1997), S. 82