Ideen und Konzepte der 68er-Studentenbewegung


Hausarbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Jugendliche Impulse als Ausdruck gesellschaftlicher Missstände

2. Ideen und Konzepte der 68er-Studentenbewegung
2.1. Von der Studentenbewegung zur Bewegung der Neuen Linken
2.2. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Neuer Linker und RAF

3. Reflexion über kulturhistorische Wurzeln

4. Eine ausweglose Suche nach Idealen?

5. Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Jugendliche Impulse als Ausdruck gesellschaftlicher Missstände

Seit dem Ausruf, “Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren”[1], mit dem sich 1967 Studenten gegen den Geist der deutschen nationalsozialistischen Vergangenheit und gegen konservative Ansichten in Deutschland gerichtet haben, existieren bis heute divergierende Ansichten über die Wirkung der Studentenbewegung auf die damalige und heutige Gesellschaft. Ähnlich diffus stellt sich die dieser Ausarbeitung zugrunde liegende Literaturbasis und der aktuelle Forschungsstand dar, da beispielsweise staatliche Dokumente vor allem zur Roten Armee Fraktion aus verschiedenen Gründen selten für die Nachforschung freigegeben werden. Dies wurde in der Schwerpunkt­setzung berücksichtigt, obwohl auf Details zur RAF auch wegen der Komplexität verzichtet worden ist. Des weiteren wurde die Arbeit mithilfe folgender Fragestellung eingegrenzt: Hat die gesellschaftliche Situation Deutschlands in den 60er und 70er Jahren die Entstehung einer Protestbewegung begünstigt? Dafür erscheint die Darstellung der Denkmuster der 68er Bewegung im ersten Bearbeitungsteil nicht nur in Rückbezug zu den Ideen der Neuen Linken und der RAF relevant, sondern auch um einen Zugang für die Vergleichbarkeit der Ziele linksorientierter Kräfte und den gesellschaftlichen Forderungen zu ermöglichen. Unmittelbar im Anschluss an diese Konkretisierung wird der zweite Themenkomplex von der Analyse der Gesellschaft dominiert. Dabei wurde der Versuch unternommen potentielle Ursachen für den Rückhalt der Studentenbewegung und der daraus entstandenen Neuen Linken in Teilen des Volkes anhand nachstehender These zu belegen: Wenn sich weite Teile der Bevölkerung vom politischen Entscheidungsprozess ausgeschlossen und latent unterdrückt fühlen, dann entstehen Sympathien für Randgruppen, die dieses Milieu mit verschiedenen Mitteln zu repräsentieren versuchen.

2. Ideen und Konzepte der 68er-Studentenbewegung

Ein erster thematischer Einstieg soll in diesem Abschnitt die Entstehungsgeschichte der RAF und ihre Wurzeln in der 68er Studentenbewegung darstellen. Dies ist grundlegend zum Verständnis des folgenden Teils, weil Auswirkungen in Rückbezug zu deren Ursachen zu setzen sind. Relevant bleibt die Studentenbewegung trotz der Beobachtung, dass es mit Gründung der RAF keine studentische Protestbewegung mehr wie im Jahr 1967/68 gab, weil der SDS auf seine wichtigsten Führungsfiguren wie Rudi Dutschke und Hans-Jürgen Krahl verzichten musste und sich der SDS unmittelbar später im März 1970 bereits auflöste.[2] Trotz der Beobachtung, dass es wegen den komplexen Motiven der Akteure weder eine fundierte Theorie noch eine eindeutige, praktische Stoßrichtung innerhalb der deutschen Studentenbewegung gegeben hat, kann eine Konkretisierung der zentralen Aussagen der Denkmuster der 68er Bewegung folgendermaßen vorge­nommen werden: Als erstes Ziel wurde eine Hochschulreform angestrebt, wobei es keine präzisen Aussagen über deren genauen Inhalt gab. Hinzu kamen die Idee von der Abschaffung des Kapitalismus und eine neue Einstellung zur deutschen faschistischen Vergangenheit, da letzteres nach Meinung der Studenten noch nicht reflektiert wurde. Ersteres wird als Antikapitalismus bezeichnet, wobei dieses Konzept eine sozialgerechte Wirtschaftsordnung - insbesondere für die Arbeiterklasse - vorsieht, und das zuletzt Erwähnte zielt auf den Antifaschismus ab.[3] Außerdem wird bis heute die Erschießung des Studenten Benno Ohnesorgs durch den Polizisten Kurras als Ursache dafür ange­sehen, weshalb sich die Studentenbewegung, die zuerst in Westberlin aufflammte, über das ganze Bundesgebiet ausbreiten konnte.[4] Das verlautbarte erste Ziel des Protests - die Reform der höheren Bildungsstätten - ist dabei zunehmend in den Hintergrund geraten, da schon auf der 22. Delegiertenkonferenz der SDS vorwiegend von der Emanzipation der Arbeiterklasse gegenüber der 'herrschenden Klasse' die Rede ist.[5] Letztlich begründet sich diese neue Zielformulierung in der Einsicht, dass Verän­derungen der Hochschulstruktur erst erfolgreich sind, wenn sog. „gesamt­gesellschaftliche Komplementärveränderungen“[6] eingesetzt haben. Dafür müssen Institutionen von vorherrschenden NS-Strukturen befreit und ggf. abgeschafft werden. In der radikalsten Weise wurde sogar die Abschaffung des Kapitalismus durch den Klassenkampf erwägt, weil ein 'Nebeneinander' von Kapitalismus und Demokratie aufgrund der Vorteile, die die Unternehmerriege durch die kapitalistischen Produktions­konditionen besitzt, schwer zu realisieren wäre.[7] Dieses Aufbegehren in breiten Teilen der Studentenschaft gegen den Staat und gegen verinnerlichte Wertstrukturen, die nicht zuletzt auf die familiäre Erziehung zurückgehen, kann als Antiautoritarismus bezeichnet werden.[8] Diese Gesinnung tritt umso stärker auf umso abgeschotteter und konservativer die Erziehung war, weil die Jugendlichen dann seltener mit anderen - geschweige denn relativistischen - Werten konfrontiert werden. Diese 'Verklärtheit', die zum “Raskolnikoff-Syndrom”[9] führt, wirkt sich unterschiedlich stark auf die individuelle biographische Entwicklung der Jugendlichen aus und so können mehrere Gründe dazu führen, dass aus einem Jugendlichen ein Aktivist gleich welcher Intensität wird. In direkter Konsequenz wurden die Lebensverhältnisse als heuchlerisch oder um mit Dutschkes Worten zu sprechen als ,,existentielle[s] Ekel“[10] wahrgenommen. Somit erklärt sich nicht nur die aufbrausende Art der damaligen Jugend, sondern auch deren Unmut gegen das System und die Gesellschaft, wobei auch der Sturz des System für eine Gesellschaftsveränderung in Betracht gezogen wurde. Die Konfrontation hat sich aber neben Deutschland auch auf die Vereinigten Staaten von Amerika bezogen, weil diese als imperialistischer Hauptfeind aufgrund ihrer Gräueltaten im Vietnamkrieg betrachtet wurden. Dieser Sicht gemäß wurde beispielsweise behauptet, dass Europa zu einer Halbkolonie transatlantischer US-Unternehmenskonzerne wird.[11] Ergo ist die Politik von den Zielen her antiamerikanisch gewesen und kann im allgemeinen auch als antiimperialistisch beschrieben werden, weil die Studenten ebenso die Unterdrückung von Ländern der dritten Welt durch Großmächte abgelehnt haben.[12] Trotz der klaren Distanzierung wurden aber die Formen des Protests von den USA übernommen, da die wichtigsten Vertreter der Studentenbewegung wie Cohn-Bendit und Günther Amendt durch ihre transatlantischen Erfahrungen - auch inspiriert von der Bürgerrechts­bewegung unter Martin Luther King - von deren Wirkung überzeugt waren.[13] Dies trifft besonders auf die sog. “sit-ins”[14] zu, da sich von dieser direkten Aktion im Sinne eines Sitzstreiks primär der Abbau oligarchischer Herrschaftsstrukturen innerhalb der Universität durch mehr studentische Mitwirkung sowie die Mobilisierung einer politisch isolierten und in sich erstarrten 'Linken' erhofft wurde. Einer der wichtigsten Ideengeber der Studentenbewegung der Sozialphilosoph Jürgen Habermas bezeichnete die Formen des gewaltlosen Widerstands - vorausgesetzt sie sind wohl überlegt und nicht infantil - als Mittel mit überproportional großen Nutzen. Die Schwachstellen des bürokratischen Staatsapparats, die sonst nicht reflektiert werden, werden nun dadurch angesprochen und durch die Medien massenwirksam dargestellt.[15]

Ungeachtet der Heterogenität im Denken der damaligen Studenten hat diese Bewegung, deren Zusammenhalt wesentlich aus der allgemeinen und nicht immer konstruktiven Kritik an bestehenden Traditionen resultierte, relevante gesellschaftliche Erfolge erzie­len können.[16] Letztlich konnten viele der als unterdrückend empfundenen objektiven Umstände durch den studentischen Widerstand der 60er Jahre behoben werden, da der Individualismus vor allem für die Frau betont wurde und verschiedene sozial-, umwelt- sowie friedenspolitische Themen stärker in den Vordergrund gerückt sind. Gleicher­maßen haben sich Probleme nach der SDS-Auflösung durch terroristische Kräfte des linken Spektrums ergeben, die gegen die innerdeutsche Sicherheit gerichtet waren.[17] Nichtsdestotrotz ist es auch der Studentenbewegung zu verdanken, dass es zur stärkeren Betonung einer Einheit von Öffentlichkeit und Demokratie gekommen ist, weil diese der Meinung gewesen sind, dass die 'reine' Demokratie erst durch eine funktionierende Öffentlichkeit entsteht.[18] Schlussendlich ist die studentische Kritik auch deswegen von

[...]


[1] Kraushaar, Wolfgang, 1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur, Hamburg 2000, S. 196.

[2] Vgl. Kailitz, Susanne, Von den Worten zu den Waffen? Frankfurter Schule, Studentenbewegung, RAF und die Gewaltfrage, Wiesbaden 2007, S. 199-200. Dutschke war in den Jahren nach dem Attentat auf ihn kaum mehr zur politischen Arbeit in der Lage und Krahl starb im Februar 1970. Daniel Cohn-Bendit hingegen wurde nicht als theoretische Führungsfigur angesehen und überzeugte durch seinen Aktivismus.

[3] Vgl. Kraushaar, Wolfgang, Denkmodelle der 68er-Bewegung, in: APuZ (2001), B 22-23, S. 15.

[4] Vgl. Voigt, Lothar, Aktivismus und moralischer Rigorismus. Die politische Romantik der 68er Studentenbewegung, Wiesbaden 1991, S. 23-25.

[5] Vgl. ebd., S. 26-27. Die Studenten haben sich als ebenso unterdrückt wie die Arbeiter gefühlt, was sie nicht von der Vorstellung, dass sie die Arbeiter über die Rebellion 'belehren' müssen, abgehalten hat.

[6] Ebd., S. 37.

[7] Vgl. Kraushaar, Wolfgang, Denkmodelle der 68er-Bewegung, in: APuZ (2001), B 22-23, S. 20.

[8] Der SDS hat angenommen, dass die Demokratie durch autoritäre Personen der Ober- und Mittelschicht geschwächt wird. Vgl. dazu ebd., S. 22. Außerdem wurde in Anlehnung an Marcuse behauptet, dass sich unterdrückte Minderheiten wehren müssen, wobei dies die Sympathie der Studenten gegenüber vor allem jüdisch intellektuelle Außenseiter wie Ernst Bloch und Herbert Marcuse erklärt, die sich nicht den Gesellschaftstraditionen fügen wollen. Vgl. weiterführend ebd., S. 23.

[9] Voigt, Lothar, Aktivismus und moralischer Rigorismus. Die politische Romantik der 68er Studenten­bewegung, Wiesbaden 1991, S. 251. Das Syndrom kommt als Ablehnung der Welt zur Geltung, aber weil Abgeschiedenheit in der Erziehung weniger wird und Jugendliche moderner und offener erzogen werden, ist das Raskolnikoff-Syndrom in entwickelten Gesellschaften seltener vorhanden. Vgl. dazu ebd., S. 253.

[10] Ebd., S. 252.

[11] Vgl. Koenen, Gerd, Das rote Jahrzehnt. Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 2007, S. 484.

[12] Vgl. Kraushaar, Wolfgang, Denkmodelle der 68er-Bewegung, in: APuZ (2001), B 22-23, S. 15.

[13] Vgl. Kraushaar, Wolfgang, 1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur, Hamburg 2000, S. 53-54. An dieser Stelle sei auf den deutsch-israelischen Historiker Dan Diner verwiesen, der behauptet, dass in der Haltung Deutschlands zu den USA deren Einstellung zu Werten und Lebensformen sichtbar wird. Dies kann als Indikator für die 'Verwestlichung' Deutschlands als Grad der Zugehörigkeit zu individuellen, demokratischen Freiheitsrechten gedeutet werden. Vgl. weiterführend ebd., S. 53.

[14] Ebd., S. 61. Die 'sit-in' Aktion vom 2. Juni 1967 griff mit ihren Demokratisierungsforderungen, die auch andere gesellschaftliche Bereiche betraf, nicht nur von Westberlin auf die Bundesrepublik über, son­dern die Formen des zivilen Ungehorsams wurden kreativer, weil es auch 'teach-ins' gab. Das sind Lehr- und Diskussionsveranstaltungen zu einem politisch-gesellschaftlichen Thema. Vgl. dazu ebd., S. 64-65.

[15] Vgl. ebd., S. 70-71.

[16] Vgl. Kraushaar, Wolfgang, Denkmodelle der 68er-Bewegung, in: APuZ (2001), B 22-23, S. 15.

[17] Positiv zu erwähnen ist vor allem die Frauenbewegung, weil dadurch Themen wie Abtreibung, Rechts­gleichheit von Mann und Frau und sexuelle Ausbeutung diskutiert worden sind. Vgl. ebd., S. 26-27.

[18] Vgl. Kraushaar, Wolfgang, Denkmodelle der 68er-Bewegung, in: APuZ (2001), B 22-23, S. 18.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Ideen und Konzepte der 68er-Studentenbewegung
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V210649
ISBN (eBook)
9783656383482
ISBN (Buch)
9783656383666
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
RAF;, linksextremistischer Terror in Deutschland;, Marcuse, Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Baader-Meinhof Komplex
Arbeit zitieren
Susann Grune (Autor:in), 2007, Ideen und Konzepte der 68er-Studentenbewegung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/210649

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